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Deutsche Märchen und Sagen 19

Johann Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

19. Die beiden Bräute

Es war einmal ein reicher und mächtiger König, dem nichts auf der Welt fehlte als eine Frau. Deren hätte er nun natürlich so viel haben können, wie er wollte, aber er fand keine, die ihm schön genug gewesen wäre, wie lang er auch schon suchte. Nun trug es sich zu, dass er einen Kammerdiener bekam, der eine so bildschöne Schwester hatte, dass kein schöneres Weib auf Erden zu finden war. Weil sie nun aber so sehr schön war, hatte ihr Vater sie malen lassen. Das Bild nahm ihr Bruder mit, als er beim König in Dienst kam, und hing es in seiner Schlafkammer auf. Jeden Abend, ehe er schlafen ging, küsste er das Bild dreimal und gedachte seiner lieben Schwester dabei. Eines Abends kam der König spät nach Hause. Als er an der Tür des Kammerdieners vorbei zu seinem Zimmer gehen wollte, hörte er das Küssen und machte die Tür auf. Da stand er aber verwundert, als er das Bild sah. Er wollte anfangs nicht glauben, dass es ein so schönes Mädchen geben könnte. Endlich kam er doch von seinem Erstaunen zurück und fragte den Kammerdiener, wen das Bild denn darstelle?

»Das ist meine leibliche Schwester«, antwortete der Kammerdiener.

»Wenn das deine Schwester ist, dann soll sie in acht Tagen meine Frau sein«, sprach der König und fertigte am anderen Morgen gleich einen Gesandten ab, der die Schwester an seinen Hof holen sollte.

Als der Gesandte in des Kammerdieners Haus ankam und seine Botschaft vorbrachte, da war keiner erfreuter, als das schöne Mädchen mit seinem Vater und seiner Mutter, und keiner böser darüber, als seine alte hässliche Erzieherin mit ihrer hässlichen schwarzen Tochter Margareth, doch verhehlten die zwei ihren Zorn gar wohl, sodass sie selbst die Erlaubnis bekamen, die junge Königsbraut zum Schloss zu begleiten. Unterwegs nun sannen sie, wie sie das schöne Mädchen aus dem Weg schaffen sollten. Nachdem sie lang darüber beraten hatte, sprach die Alte, das dürften sie nicht tun, bevor sie nicht den Gesandten weggeschafft hätten, denn der könnte sie am Ende noch verraten. Wie gesagt, so getan. Am nächsten Abend kamen sie alle an ein großes Wasser, wo sie überfahren mussten, um zum Schloss des Königs zu kommen. Da schlugen sie ihre Zelte auf und blieben dort bis zum anderen Morgen.

Als es nun nachts zwölf Uhr war, weckte das alte Weib ihre Tochter und sie schlichen beide still in das Zelt des Gesandten. Da nahm die Alte ein großes Messer, schnitt ihm ritsch den Hals durch und warf dann mithilfe der schwarzen Margareth die Leiche ins Wasser, worauf sie sich alle zwei wieder still ins Bett legten. Des Morgens suchte jedermann den Gesandten, aber keiner konnte ihn finden. So blieb endlich nichts anderes übrig, als ohne ihn zum Schiff zu gehen.

Wie sie nun schon zwei Tage gefahren waren, da stand die Alte einmal am Fenster im Schiff und rief plötzlich: »Da ist das Schloss! Da ist das Schloss!«

Das schöne Mädchen lief voll Freude alsbald hinzu und legte sich ins Fenster, um zum Schloss zu schauen. Aber das war sein Unglück, denn die Alte und die böse schwarze Grethe fassten sie alsbald bei den Füßen und warfen sie ins Wasser. Dann setzten sie ohne die schöne Braut die Reise fort. Als sie bald am Schloss waren, zog die schwarze Grethe die Kleider des schönen Mädchens an und steckte einen Ring an den Finger. Die alte Hexe bezauberte aller Leute Augen dergestalt, dass jeder die hässliche Grethe für schön ansah. Dem König gefiel sie aber trotzdem nicht und er wollte sie auch anfangs nicht haben, doch die Alte und auch die schwarze Grethe sagten, sein Gesandter hätte sich in seinem Namen mit ihr vermählt und er müsse sie zur Frau nehmen.

Nun fiel des Königs Zorn noch mehr auf den Kammerdiener, als es ohnedies schon der Fall gewesen wäre. Er fragte ihn mit funkelnden Augen: »Wie konntest du dich unterstehen zu sagen, das wäre das Bild deiner Schwester, die das grundhässlichste Geschöpf der Welt ist?«

Der arme Kammerdiener schwor hoch und teuer, die schwarze Grethe wäre seine Schwester nicht, das konnte aber alles nichts helfen und der König ließ ihn ins Gefängnis setzen und streng bewachen.

Als die schöne Braut in das Wasser geworfen worden war, da war sie nicht ertrunken, wie man vielleicht denken könnte. Sie hatte nämlich ein treues Hündchen, welches nebst allerhand anderen wunderbaren Gaben auch die hatte, sprechen zu können. Das Hündlein hatte sie gerettet und ans Ufer gebracht, wo sie sich ein Hüttchen baute und ganz still und einsam für sich lebte. Eines Tages nun geschah es, dass der König mit der schwarzen Grethe spazieren ging und zufällig in die Gegend kam, wo das schöne Mädchen wohnte. Da hörte er, wie eine Stimme rief, welches keine andere als die des Mädchens war.

Gille, Gille, gouwken!1

Darauf antwortete eine andere Stimme, und das war die des Hündleins:

Wat belieft er u, schoone vrouwke?

Nun fragte das Mädchen:

Waer is de zwarte Margriet,
Die my in’t water stiet?

Antwortete das Hündlein:

Zy ligt in’s konings armen.

Worauf das Mädchen seufzte:

Ach armen!

»Ei was ist das denn?«, fragte der König verwundert, als er das hörte.

Doch die schwarze Grethe zog ihn beim Arm weg und sprach: »Ach, das ist nichts, das ist nichts.«

Der König aber sprach: »Ich will wissen, was das ist.« Er ging auf die Stimme zu.

Da fand er die schöne Braut am Ufer und sah, dass sie ganz dem Bild glich, welches sein Kammerdiener jeden Abend geküsst hatte. Er lief alsbald auf sie zu, umarmte und küsste sie mit vielen Tränen, fragte sie auch um alles aus. Sie erzählte es ihm.

Er nahm sie in seinen Arm und führte sie mit sich auf das Schloss. Da wollte er nun zuerst die schwarze Grethe fangen lassen und sie nach Gebühr bestrafen, aber die hatte sich mit ihrer hässlichen Mutter schon aus dem Staube gemacht. Alsbald sandte er nun in das Gefängnis, ließ den Kammerdiener von dort holen, bat ihn unter vielen Tränen um Verzeihung, beschenkte ihn auch als Schwager reichlich und feierte mit großer Freude die Hochzeit, nach der er noch lange und glücklich mit seiner schönen Frau lebte.

[1] Gille, Gille, Schnellchen.
Was beliebt euch, schön Frauchen?
Wo ist die schwarze Margareth, die mich ins Wasser stieß?
Sie liegt in des Königs Armen.
O mir Armen!

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  1. Gille, Gille, Schnellchen.
    Was beliebt euch, schön Frauchen?
    Wo ist die schwarze Margareth, die mich ins Wasser stieß?
    Sie liegt in des Königs Armen.
    O mir Armen!