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Anne Boleyn Band 1 – Kapitel 16

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Erster Band

16.

Kardinal Campeggio. Erste feierliche Sitzung wegen der Gültigkeit von Katharinas Ehe.

In der großen Halle von Blackfriars Palast befand sich eine zahlreiche Versammlung von Geistlichen und weltlichen Richtern. Die beiden Kardinäle Wolsey und Campeggio nahmen Sessel vor einem Tisch ein, über welchen ein kostbarer Brokatstoff geworfen worden war. An der rechten Seite des hohen Saals sah man einen Thronhimmel, unter welchem der König saß, links einen vergoldeten Sessel für die Königin. Katharina erschien von zwei Bischöfen und einem großen Gefolge ihrer Damen begleitet. Sie verbeugte sich demütig, aber mit Würde vor dem Legaten und sprach dann mit klarer Stimme ihre Absicht aus, an den Papst zur Entscheidung ihrer Sache zu appellieren.

Der König erhob sich hierauf und hielt eine lange Rede, in welcher er vom Schmerz sprach, der ihn bei der Notwendigkeit dieser Untersuchung erfülle, und dass er sich von einer so vortrefflichen Gattin trennen müsse, um sein Gewissen zu beruhigen.

Als er schwieg, erklärten die Kardinäle, dass die Königin kein Recht habe, nach Rom zu appellieren, worauf sich Katharina erhob und, nachdem sie sich bekreuzigt hatte, auf den König zuging und diesem zu Füßen fiel.

»Mein hoher Herr«, sprach sie bebend, »ich beschwöre Euch um der Liebe willen, welche zwischen uns geherrscht hat, lasst mir Gerechtigkeit widerfahren, habt Mitleid mit mir, denn ich bin eine verlassene Fremde in diesem Land, ich habe keinen unparteiischen Rat – ich flüchte zu Euch als zu dem Haupt dieses Reiches. Oh, worin kann ich Euch beleidigt haben? Ich rufe Gott und die ganze Welt zum Zeugen an, dass ich Euch stets ein treu liebendes und demütig ergebenes Weib gewesen bin, und ich liebe alle, die Ihr liebt, obwohl sie meine Feinde sind. Seit zwanzig Jahren bin ich Eure Gattin, und ich habe Euch Kinder geboren, obwohl es Gott gefallen hat, meinen Knaben hinwegzunehmen.

Es war nicht meine Schuld. Habe ich irgendetwas getan, was unehrenvoll ist, dann lasst mich mit Scham und Schande ziehen, aber wenn nicht, beschwöre ich Euch, lasst mich in meiner geziemenden Ehre. Unsere Ehe ward nicht nur von unserem Vater, auch vom Heiligen Stuhl genehmigt – woher ist Euer Gewissen denn beunruhigt? Ihr zwingt mich, heute vor einem Gericht zu erscheinen, wo ich keine Gerechtigkeit erwarten darf, denn meine Richter wagen es nicht, unparteiisch zu verfahren. Daher stehe ich Euch an aus Liebe um Gottes willen, dass Ihr mich mit einem Urteil dieses Gerichts verschont, bis ich den Rat meiner Freunde in Spanien vernommen habe. Wollt Ihr mir diese Gnade nicht gönnen, dann beuge ich mich Eurem Willen und übergebe meine Sache dem gerechten himmlischen Richter!«1

Bei diesen letzten Worten verbeugte sie sich nochmals vor dem König und verließ den Saal. Man rief sie nochmals zurück.

»Lasst sie rufen,« sagte Katharina zu dem Herrn, auf dessen Arm sie sich stützte, »ich gehe nicht zurück. Es ist das erste Mal in meiner Ehe, dass ich dem Willen meines Gatten widerstehe. Ich werde die erste Gelegenheit ergreifen, ihn um Verzeihung zu bitten.«

Heinrich, dem der Eindruck nicht entging, den Katharinas rührende Anrede bei allen Anwesenden hervorgebracht hatte, fand für gut, abermals seinen Schmerz über den Verlust einer solchen Gattin zu erwähnen. Dann entließ er mit mühsam unterdrücktem Zorn die Versammlung. Katharina blieb standhaft. Die Appellation an den Papst, von ihrer eigenen Hand unterzeichnet, wurde aufgesetzt und befördert, während die Königin ihren Freunden in Spanien meldete, dass sie nie freiwillig ihre Tochter als unehelich geboren erklären, sondern lieber sterben werde.

Wolsey und Campeggio befanden sich in großer Verlegenheit, denn sie wussten, dass von Juli bis Oktober die Gerichtshöfe in Rom geschlossen waren, und dass der Papst, im Unfrieden mit dem deutschen Kaiser, wenig Luft habe, dessen Zorn auf sich herabzubeschwören, indem er in die Scheidung willige. Auf Heinrichs Wunsch suchten die Kardinäle nach einigen Tagen die Königin in ihrem Palast auf, mit dem Auftrag, dieselbe zu überreden, in ein Kloster zu treten.

Katharina empfing sie, umgeben von ihren Kammerfrauen, welche mit Stickereien beschäftigt waren.

»Gefall’ es Eurer Hoheit, uns ohne Zeugen zu hören,« sagte Wolsey.

»Lord Kardinal«, antwortete Katharina, »was Ihr zu sagen habt, kann vor diesen Leuten gesagt werden, denn ich habe nichts getan, um mich vor Euch zu fürchten, und wünsche, dass die ganze Welt Euer Tun und Reden vernehme. Sprecht daher klar, aber in englischer Sprache, bitte ich«, unterbrach sie Wolsey, welcher lateinisch anfing. »Gott sei Dank, ich verstehe diese Landessprache, obwohl ich auch etwas Latein kenne.«

Wolsey räusperte sich und sagte in sichtbarer Verwirrung: »Seine Majestät bieten Euch alles an, was er an Reichtümern oder Ehren Euch geben kann, und verspricht Euch, die Prinzessin Mary als zweite Nachfolgerin des Thrones nach dem ersten Kind einer zweiten Ehe anzuerkennen, wenn Ihr in eine Scheidung willigt.«

»Lord Kardinal«, entgegnete Katharina, »über eine so ernste Sache vermag ich nicht ohne Rat zu beschließen, aber in England besitze ich diesen Rat nicht. Wollt Ihr mir folgen.«

Bei diesen Worten trat sie in ihre kleine Kapelle, wo beide Kardinäle einige Zeit mit ihr allein blieben.

Als jene das Gemach verließen und Wolseys Palast erreichten, warf Wolsey zornig den Kardinalshut auf den Tisch und drückte beide Hände auf die Stirn.

»Mein Bruder«, sagte Campeggio, »ich lese in Eurem Herzen: Die Unschuld hat gesiegt. Ihr bereut es tief und schmerzlich, diesen Sturm erregt zu haben.«

»Ich tue es«, sagte Wolsey, auf die Knie sinkend, »und bitte Gott, mir zu verzeihen, dass mich Hass gegen die edle Königin und ihren Neffen, den Kaiser, zu dem Schritt trieben.«

»Es ist noch nicht zu spät, vielleicht kann Heinrich noch durch Euren Einfluss bewogen werden, sich mit seiner Gattin wieder auszusöhnen. Es handelt sich nur darum, Zeit zu gewinnen. Heinrichs Leidenschaft für die verfluchte Ketzerei wird verrauchen.«

»Aber er dringt darauf, dass wir entscheiden«, sagte Wolsey, sich erhebend, mit ängstlicher Miene.

»Wir bleiben dabei, dass uns ein Endurteil nicht zukomme«, erwiderte Campeggio. Katharina hat sich auf den Papst berufen, und nur sein Urteil kann sie scheiden. Verlasst Euch auf mich. Ich werde Mittel finden, diese Entscheidung in die Länge zu ziehen. Gebt mir jedoch, ehe ich scheide, die Versicherung, dass Ihr Euch nicht von Heinrich bewegen lasst, von Eurem Entschluss zu weichen, vor allem ihm nicht die Hand zu einer zweiten Verbindung reicht.«

»Ich gelobe es feierlich«, antwortete Wolsey. »Leider hatte ich einst gewünscht, meinem Gebieter mit der edlen Schwester Franz′ I. zu vermählen, um ein festes Bündnis zwischen beiden Reichen zu gründen.«

»Wie weit sind die Verhandlungen gediehen?«

»Sie sind abgebrochen. Margarethe von Valois hat erklärt, sie wolle nicht das Herz der edlen Katharina brechen.«2

»Gut«, entgegnete Campeggio erheitert. »Und wie steht Ihr mit der Buhlerin des Königs?«

»Aufs Freundlichste. Während meiner letzten Krankheit schrieb sie mir äußerst artig. Ich glaube, dass man ihr Unrecht tut, dass sie ein tugendhaftes Wesen ist.«

»Wird sich zeigen, wie lange die Festung die Belagerung aushält«, antwortete spöttisch Campeggio. »Sie mag Heinrichs Herz regieren, aber das englische Volk wird nur der edlen Königin und der Prinzessin Mary, dem holden Mägdlein, Sympathie erweisen. Nun aber lasst uns in den Rat und diesem ankündigen, dass vorläufig weitere Sitzungen in dieser Sache bis Oktober nicht stattfinden.«

»Es wird eine stürmische Opposition geben«, sagte Wolsey, »denn der König hat viele Anhänger, und die Ehe mit dem Weib des Bruders ist im Grunde von allen als ungültig betrachtet. Nur die große Popularität des königlichen Paares hat diesen Umstand ausgeglichen.«

»Aber der Papst hat sie vom kanonischen Gesetz entbunden – und selbst der sächsische Ketzer3 hat erklärt, er wolle lieber dem König von England zwei Weiber erlauben, als eine Scheidung von Katharina. Ich sehe mit Bedauern, dass diese ketzerische Reformation immer mehr auch hier im Land Grund fasst, trotzdem der König zufolge seiner geistreichen Verteidigung der Sache der Kirche den Titel Beschützer des Glaubens führt. An Euch ist es, Kardinal, mit Gewalt das Unkraut auszureißen, wenn Ihr noch Hoffnung hegen wollt, einst den päpstlichen Stuhl einzunehmen.«

Wolsey nickte stumm mit dem Haupt. Er sah überrascht, dass das, was er ein tiefes Geheimnis wähnte, das Versprechen Kaiser Karls, ihm zu dieser Würde zu verhelfen, seinem geistlichen Bruder bekannt war.

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  1. Katharinas eigene Worte
  2. Geschichtlich
  3. Luther