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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 23

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

23. Wie Rübezahl einem Pfarrherrn etwas Christentum lehrt.

Einmal ging ein ehrbarer Bürger von Hirschberg hinauf ins Gebirge und wollte sich die Wasserfälle besehen, die damals in reichem Wasser spielten, denn es war ein sehr schöner Morgen, der ihn noch vor Tages herausgelockt hatte. Sein Gevattermann war auch bei ihm. Wie sie nach Petersdorf kamen, kehrten sie beim Schulzen ein, um ein wenig zu verschnaufen. Da saß auch schon ein Gast und schlürfte seine Morgensuppe. Als der hörte, dass sie zu den Wasserfällen wollten, sagte er, da könnten sie ja Gefährtschaft machen, denn er wolle auch dahin und weiter auf das Hochgebirge zu den Schneegruben. Den Männern war es recht. Sie sagte, da es sich einmal so schicke, so könnten sie wohl auch der Gesellschaft wegen mit zu den Schneegruben ziehen.

Unterweges forschte der Herr an den beiden herum, besonders nach ihrem Glauben. Sie merkten bald, dass er ein Pfarrherr war. Dieser sagte also, dass es doch eigentlich unnötig sei, dass die Hirschberger eine Gnadenkirche hätten, und werde doch das alles bald wieder anders und eine Herde und ein Hirte werden, und was dergleichen mehr. Der Bürgersmann meinte, dass sei gerade eben nicht nötig, denn eine Herde seien ja schon alle Christen, wenn auch einer diese, ein anderer jene Gebräuche bei seinem Gottesdienst habe, und der eine Hirt, der sei eben Christus, an dessen Lehre sich alle nur treu zu halten hätten. Das sei die Hauptsache; alles andere dabei sei nur Menschenwerk und darauf komme es nicht an. Dem widerstritt aber der Pfarrherr und meinte, nur ein Glaube sei der rechte, nämlich der katholische. Versuchte also die Leute zu bekehren und redete gar viel, was aber seinen Gefährten nicht recht in den Kopf wollte.

Während der Zeit waren sie weit im Tal hinaufgekommen, fast bis dahin, wo der Kochel vom Felsen springt. Es war heiß geworden und nur gut, dass sie im Schatten der Felsen dahinwandelten, denn da war es gar kühl. Auf einem hervorragenden Felsblock saß aber da ein Mann, der fast aussah wie ein Jäger, und bot ihnen einen frischen Trunk an, den er aus seinem Keller holen wolle. Die Wanderer waren damit einverstanden. Nun schlüpfte er in eine niedrige Höhle hinein und brachte nach einer kleinen Weile einen Krug heraus, der mit dem vortrefflichsten Wein gefüllt war.

»Seid willkommen und Gott gesegnet es euch«, sagte er und trank ihnen zu. Ja, in so einem Wein tut jeder gern Bescheid, vornehmlich ein Pfarrherr. Sie tranken also herzhaft, wurden lustig und waren nur dazwischen bedenklich, ob sie auch den Weg zu den Schneegruben finden würden.

»Dem kann ich abhelfen«, sagte der Schenk, »und ich selbst will mit euch gehen.«

Da waren sie denn vergnügt, zahlten ihre Zeche, und der Mann verschloss seine Höhle, die seitdem Rübezahls Keller heißt, denn der Schenk war kein anderer als Rübezahl selbst. Unterwegs fing der Pfarrer wieder das alte Gespräch von der Religion an, wie sie es denn nun häufig machen, sind ganz versessen aufs Bekehren, und denken wunder, was für einen Gefallen sie damit dem lieben Gott tun. Kam nun die Rede besonders auf die gemischten Ehen, welche damals ein Zankapfel waren, und schimpfte der Pfarrer darauf tüchtig. Seit er den Wein getrunken hatte, ging es noch besser, denn er war ein Feind aller Mischehen und gestattete keine, mit Ausnahme derer, die er selbst gemischt hatte, die waren gut. Dem Gevattermann wurde das endlich zu viel. Er zog die Stirn immer krauser.

»Schämt Ihr Euch denn nicht, Herr«, platzte endlich der Gevatter heraus, dass Ihr wegen der gemischten Ehen so einen Spektakel macht, so doch der Herr selbst sagt: Aus allerlei Volk, wer Gott fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm; und – liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl, denen die euch hassen; und – jeder lebe seines Glaubens.«

»Das versteht ihr nicht«, sagte ärgerlich der Pfarrherr, »das geht auf die Ketzer nicht, die bleiben von der Kirche ausgeschlossen und ewig verdammt.

Der Gevatter schüttelte den Kopf. »Fast kommt es mir vor, Herr, als ob Ihr gar kein Christ wäret«, fuhr er fort, »weil Ihr nicht nach der Lehre Eures Herrn und Meisters, sondern dagegen handelt. Ihr glaubt am Ende gar nicht an Christus, sondern nur an die Kirche.«

»Herr«, versetzte der Pfarrer, »seid nicht so naseweis.«

Der Schenk hatte bei diesem Gespräch schon manchmal den Kopf geschüttelt, aber jetzt machte er ein wahrhaft fürchterliches Gesicht und murmelte: »Schon gut.«

Wie sie nun hierauf miteinander still dahingingen, – sie waren schon lange über die Wasserfälle hinaus und auf dem Kamm des Hochgebirges – da sah auf einmal der Gevatter den Pfarrer scharf an.

»Was habt Ihr denn da für eine kuriose Auszeichnung, Herr Pfarrer«, fragte er und blickte unverwandt auf dessen Haupt.

»Es ist ein päpstlicher Orden«, erwiderte der Gefragte, ohne aufzusehen. Er hatte wirklich einen solchen auf der Brust. »Wegen meiner Verdienste um die Kirche.«

»Wie seid Ihr denn zu dem gekommen?«, fragte der Gevatter weiter.

»Ei nun«, entgegnete der Pfarrer, »es ist wegen der gemischten Ehen.«

In der Tat sahen die Wanderer nun zu ihrem Erstaunen, dass statt der ganz ordentlich gebildeten Ohren des Pfarrers, ein Paar lange, lange Ohren an seinem Kopf saßen. Dem Bürgersmann ging das zu Herzen.

»Herr Pfarrer«, sprach er endlich fast feierlich, »wir müssen Euch ehrlich heraus sagen, es geht nicht mit rechten Dingen zu. Es ist Euch ein Unglück passiert, Ihr habt ein Paar schlimme Ohren.«

Der Pfarrer fühlte an die Ohren und ward wie vom Donner gerührt, als er ein Paar lange, lange Ohren in die Hände bekam.

»Ach«, schrie er mit herzzerreißender Stimme, »das hat der verfluchte Rübezahl getan.«

Schwapp!, hatte er eine Ohrfeige, und zwar eine recht gründliche. Aber ehe dabei die Hand den Backen erreicht, flog Rübezahls Handschuh dahin.

»Guter Freund«, sagte der Bürger gemessen, »Ihr habt Euren Handschuh verloren.«

»Tut nichts«, versetzte Rübezahl mit tiefem Unwillen. »Wenn man so einem einen nachhaltigen Denkzettel zu geben hat, so kommt es dabei auf einen Handschuh nicht an. Er mag zum Gedächtnis liegen bleiben.«

In der Tat liegt er noch heute hier, nicht weit von Rübezahls Kanzel, obwohl es über 100 Jahre her ist. Der Handschuh ist versteinert und hat ihn seitdem keiner aufgehoben.

Zum Pfarrer aber sagte Rübezahl: »Dass Ihr ein guter Katholik seid, weiß ich jetzt. Wollt Ihr aber in der Folge ein guter Christ werden, so will ich Euch Eure Ohren dann gern wieder abnehmen, denn was der Mensch ist, das muss er recht sein.«

Merke: Wenn einer ein Christ sein will, so muss er auch Christus nachahmen, zumal wenn er zugleich ein Geistlicher ist.