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Die Hexenjagd von Ellwangen – Teil 2

Die Hexenjagd von Ellwangen
Teil 2
… und wie alles endete

In nur 18 Monaten fast dreihundert Tote, ganze Straßenzüge, die entvölkert sind, und die meisten der Opfer Frauen und Kinder!

Wie konnte es in Ellwangen so weit kommen?

Wolfgang Mähle, Historiker beim Landesarchiv Baden-Württemberg, sagt hierzu:

»Anfällig für umfangreiche Prozess-Serien waren besonders kleinere Herrschaften mit wenig komplexen Verwaltungs- und Gerichtsstrukturen, insbesondere geistliche Fürstentümer. In Ellwangen entschieden damals nur sehr wenige Personen über die Bestrafung von Hexerei, somit konnten sie bei den Prozessen weitgehend unabhängig von Kontrollinstanzen ihren Willen durchsetzen.«

Eine Behauptung, die den Nagel auf den Kopf trifft.

In Ellwangen herrscht Fürstprobst Johann von Westerstetten wie ein König.

Er kann seine Operationen gegen Hexentreiben und Zauberei von langer Hand planen und mit Hilfe von Doktor Carl Kibler, dem Kopf des örtlichen Hexenrats, grausam in Taten umsetzen. Da jeder Delinquent unter der Folter neue Namen nennt und neue Schuldige präsentiert, steuern Kibler und der Fürstprobst die Prozesse nach Belieben.

Die beiden haben jeden Ellwanger in ihrer Gewalt, können jederzeit zuschlagen und ihn anklagen. Was sie auch eifrig tun, denn so eine Hexenjagd ist finanziell sehr lukrativ, denn das Vermögen der Hingerichteten wird mitsamt dem Erbanteil der Kinder und Kindeskinder konfisziert.

Als Johann von Westerstetten die Stadt verlässt, weil ihn der Papst zum Bischof von Eichstätt ernennt, hat er in den anderthalb Jahren seines Wirkens in Ellwangen 247 Frauen und Kinder und 39 Männer auf dem Gewissen.

Auch in Eichstätt wirkt er als Hexenjäger weiter, auch dort lässt er Hunderte von Menschen töten.

 

*

 

Unter Westerstettens Nachfolger Johann von Freyberg ruht in den ersten Monaten seiner Amtszeit jegliche Hexenverfolgung.

Aber dann geht sie wieder los und diesmal noch blutiger und noch schrecklicher.

Die Anzahl der Hinrichtungen geht zwar zurück, aber die Grausamkeiten erreichen ein bis dato nie gekanntes Ausmaß.

Viele überleben die Folter nicht mehr und jetzt müssen selbst Geistliche sterben.

Entscheidend für die Prozessführung in Ellwangen ist, dass Hexerei unter Freyberg als ein außergewöhnliches Verbrechen angesehen wird und damit die üblichen rechtlichen Standards außer Kraft gesetzt sind. Die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten sind also von vornherein ziemlich beschränkt, um nicht zu sagen, überhaupt nicht vorhanden.

Es reicht bereits eine Anschuldigung, um den Missetäter einzusperren und zu malträtieren, bis ein Geständnis vorliegt.

Außerdem werden Foltermethoden eingesetzt, die selbst dem damaligen Recht widersprachen.

Man zieht die Beschuldigten mit auf den Rücken gefesselten Händen nach oben, schlägt sie mit Ruten, in die Kugeln geflochten sind, und setzt Brustreißer ein, die sich zangenartig mit ihren spitzen Enden ins Fleisch bohren. Danach folgt die Streckbank, auf der man so langgezogen wird, bis Sehnen, Muskeln und Bänder reißen und die Knochen aus den Gelenken springen, und dann werden noch Salze und ätzende Säfte eingeflößt.

Die Opfer haben keine Chance, die abgeforderten Geständnisse zu verweigern. Nach dieser Prozedur spricht selbst der Starrköpfigste allen Unsinn nach.

Die Urteile lauten dann auf Feuertod.

Nur besonders vermögende Delinquenten erfahren die pröpstliche Gnade und werden davor geköpft oder gehenkt.

Anfangs sind die Opfer noch alle ältere Frauen, die angeblich als besonders anfällig für die Verführungskünste Satans gelten. Aber schon bald nimmt man auch Männer, selbst Geistliche und höher gestellte Beamte ins Visier und schließlich sogar kleine Kinder.

 

*

 

Der siebenjährigen Margretha wird zum Verhängnis, das sie gerne Spukgeschichten erzählt, alte Märchen und Sagen und auch selbst Erfundenes. Der Hexenrat erfährt von den kindlichen Fantasien und das Mädchen wird vorgeladen.

Laut Protokoll erklärt sie unter Tränen, »sie wölle alles sage, wenn man nur ihrem Vather und ihrer Mueter nichts thete.«

Sie gesteht, das Hexenwerk nicht bei den Eltern, sondern bei der alten Bruggenmillerin von Senzenberg erlernt zu haben.

Es dauert nicht lange und die Bruggenmillerin hängt.

Doch auch ihre Eltern werden nicht verschont.

Margrethas Vater, Jacob Gebelin, gesteht unter Folter, dass er mit seiner Buhlteufelin nach Brackenheim ausgefahren sei, wo er ein Kalb krank machte. Seine Frau Walburga habe ihn dazu verführt. Bei der Untersuchung von Walburga finden die Experten angeblich Teufelszeichen.

Auch Margrethas Eltern hängen.

Weiterhin ist in dem Protokoll zu lesen, dass Margretha aussagte, dass sie vor Jahren mit einem bösen Geist verkuppelt wurde und mit ihm teuflische Unzucht getrieben hat.

Sie war bei ihrer Verhaftung nicht einmal acht Jahre alt, bei ihrem Treiben mit dem Buhlteufel wäre sie also vier oder fünf gewesen.

Es wird allmählich klar, dass ihrem Urteil offenkundig ein vorgefertigtes Aussagemuster für erwachsene Hexen zugrunde liegt, die der Gerichtsschreiber routinemäßig einfach übernommen hat.

Aber wen interessierte es von der Obrigkeit schon.

Margretha bleibt fünf Jahre im Gefängnis, bis sie im Juni 1616 stirbt.

Ob hingerichtet oder erkrankt, weiß heute keiner mehr.

Erst nach 1618 kommt der Ellwanger Hexenwahn langsam zum Ende. Es gibt bis dato zwar noch fünf Prozesse, in denen Frauen als Hexen verurteilt zu Tode kommen, aber danach ist Schluss. In der Stadt ist mehr als die Hälfte aller Frauen der Hexenexzesse zum Opfer gefallen. Keiner glaubt mehr an die Justiz, Angst beherrscht den Alltag der Menschen.

Erst dem Lehrer Hans Gebhard ist es zu verdanken, dass man weiß, was vor 400 Jahren in Ellwangen passiert ist.

Die katholische Kirchengemeinde Sankt Vitus hat daraufhin ein Mahnmal auf dem Ellwanger Galgenberg errichten lassen.

Herzstück ist ein Holzkreuz mit der Aufschrift: »Non confundar in Aeternum.«

»Ich werde nicht für immer verloren sein.«

Quellenhinweis:

  • Die Pfitzerin – Eine von vielen hingerichteten Ellwanger Hexen von Hans Gebhard, erschienen im Cicero-Verlag Ellwangen
  • Die große Hexenjagd, eine Reportage von Robin Szuttor, erschienen in der Stuttgarter Zeitung am 15. September 2018
  • www.historicum

(gs)