Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Anne Boleyn Band 1 – Kapitel 15

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Erster Band

15.

Die Pest am Spieltisch. Heinrichs erster Brief an Anne.

In das Herz der tief betrübten Königin Katharina zog wiederum ein Sonnenstrahl der Freude ein. Heinrich hatte sich ihr seit Annes Ankunft auffallend wieder genähert und brachte abermals die Abende in den Zimmern seiner Gemahlin zu. Diese äußeren Zeichen der Achtung und der Liebe erhielten einen doppelten Wert durch die zärtlichen Beteuerungen Heinrichs und die Sorge um die Erziehung ihres einzigen Kindes, der zehnjährigen Mary.

»Liebt Ihr mich denn wirklich noch, Sire?«, fragte Katharina, ihn mit rührender Zärtlichkeit anblickend und ihn liebreich umfangend.

»Du kannst daran zweifeln, Kate?«

»O nein, ich zweifle nicht eigentlich«, sagte sie schüchtern, »aber ich fürchtete, andere möchten Einfluss über dich gewinnen und dich ganz von mir entfernen. Ich bin nicht mehr jung, nicht mehr geistig frisch genug, um meinem jugendlichen Gemahl genügen zu können.«

»Du bleibst mir ewig teuer, Katharina. Ich habe kein Weib auf Erden mehr geliebt und geachtet als dich.«

»Es hat dich auch noch keine so warm geliebt, wie ich, mein teurer Gemahl! Ich will nie wieder an deiner Treue zweifeln, nicht mehr eifersüchtig werden.«

»Eifersüchtig? Auf wen?«

»Auf Anne Boleyn«, sagte Katharina leise.

»Narrheiten!«, rief Heinrich aus. »Ich finde sie liebenswürdig, interessant, mon amour, wie jedermann am Hof und meine Katharina selbst. Das ist alles, Schätzchen, also gib dich darüber zufrieden.«

Am Abend nach dieser Unterhaltung mit Heinrich entbot Katharina einen kleinen Kreis ihrer Damen zu sich, um mit ihnen Karten zu spielen. Prinzessin Mary saß auf einem niederen Stuhl zu Füßen ihrer Mutter und vertrieb sich die Langeweile, indem sie mit einem kleinen Affen spielte oder sich mit seltener Anmut und Gewandtheit mit einem der anwesenden Edelleute unterhielt. Mary war ein schönes, höchst anziehendes Kind, mit herrlichen dunklen Augen, feiner Röte auf den Wangen und regelmäßig geformten Zügen. Noch ahnte sie nicht, welches furchtbare Schicksal über ihrem unschuldigen Haupt schwebte, noch war sie glücklich in der zärtlichen Liebe ihres Vaters.

Nicht weit von ihr saß der junge Henry Fitzroy, der uneheliche Sohn Heinrichs, der zum Herzog von Richmond erhoben worden war.

Das Kartenspiel am Tisch Katharinas war lebhaft geworden. Bei einem Wurf, den Anne Boleyn zu wiederholten Malen tat, lächelte die Königin sanft und sagte scherzend zu ihr: »Ach, Mylady Anne, Ihr habt immer das Glück, den König festzuhalten, aber Ihr seid nicht wie andere Leute, Ihr wollt alles oder nichts.«1

Anne errötete heftig bei diesen Worten, die Umstehenden blickten sich bedeutsam an. Es war das einzige Mal, dass Katharina zu verstehen gab, dass sie des Mädchens Intrige mit ihrem Gemahl kannte. Es lag aber nicht allein ein Vorwurf in den Worten der Königin, sondern zugleich ein Lob der Tugend ihrer Rivalin.

Annes Gewissen jedoch sagte ihr, dass sie nicht tugendhaft aus Religiosität war, sondern weil sie den wankelmütigen Charakter ihres Verehrers erkannt hatte und wusste, dass sie, um diesen festzuhalten, Achtung einflößen müsse. Anne war an die leichte Moral des französischen Hofes gewöhnt, wo die Liebe nicht für ein Verbrechen galt. Sie war noch weit entfernt, als sie in befriedigter Eitelkeit Heinrichs Huldigung annahm, die ernsten Folgen zu berechnen, welche diese Eitelkeit nach sich ziehen werde. Auch hegte sie eine noch zu warme Verehrung für ihre hohe Gebieterin, um diese absichtlich kränken zu wollen, indem sie Heinrich von ihr abzog.

Die Königin nahm einen Strauß von Lavendel vom Tisch, den sie neben sich liegen hatte. Auch sämtlichen Damen trugen ähnliche Zweige am Busen, ebenso die Kavaliere. Die Ärzte hatten diese Vorsichtsmaßregel gegen die Ansteckung der schrecklichen Epidemie empfohlen, welche im Jahr 1528 ausgebrochen war und Tausende von Opfern hingerafft hatte. Diese Krankheit nannte man die Schweißkrankheit2, nach ihrem vorherrschenden Symptom, wozu dann noch schmerzhafte Beulen traten, den Pestgeschwüren nicht unähnlich. Heinrich hatte in allen Kirchen Messen für die Seelen der Armen lesen sowie Gebete abhalten lassen um gnädige Abwendung des Leidens.

»Wie lauten die neuesten Nachrichten, Sir Donald?«, fragte Katharina teilnehmend einen Herrn, indem sie mit dem Spiel innehielt.

»Die Zahl der Sterbenden soll sich vermindert haben, hohe Frau!«, war die Antwort.

»Oh, Gott hat sichtlich über uns gewacht!«, sagte Katharina, indem sie sich bückte und Marys Stirn liebevoll küsste. »Unserem königlichen Haus ist der Dämon ferngeblieben.«

In diesem Augenblick stieß Anne einen tiefen Schrei aus. Die Königin wandte rasch das Haupt um und gewahrte, wie Lady Morgan bleich und mit gebrochenen Augen von Anne in den Armen gehalten wurde. Hastig schlang Katharina ihren Arm um die kleine Tochter und gebot dem Herzog von Richmond, sie aus dem Gemach zu führen. Darauf wandte sie sich zu Lady Morgan und hielt dieser ihr eigenes Riechfläschchen vor, welches in der Gestalt eines goldenen, mit Juwelen besetzten Apfels an einer Kette ihr vom Gürtel hing; allein umsonst, eine tiefe Ohnmacht hatte die Sinne der Armen umfangen.3

»Bringt sie sogleich in ihr Zimmer und ruft unseren Arzt herbei!«, gebot Katharina, worauf ein Kavalier die leblose Gestalt aufnahm und sich anschickte, in Begleitung zweier Hofdamen das Gemach zu verlassen. Da trat ihnen der König mit aufgeregten Zügen entgegen. Beim Anblick der Ohnmächtigen prallte er erschrocken zurück, dann winkte er eilig mit der Hand, dass man sich entferne.

»Mein Gott, so nahe unserer eigenen Person!«, sagte Heinrich, »schon zwei Opfer.«

»Zwei?«, wiederholte Katharina bebend.

»Ja! Es tut mir leid, Lady Boleyn, Euch eine schlimme Botschaft bringen zu müssen. William Carey, mein getreuer Diener, hat heute seinen Dienst nicht bei mir versehen können.«

»Meine arme Schwester!«, stammelte Anne.

»Nun, wenn es zum Schlimmsten käme, so werden wir sie, als die Witwe unseres Getreuen, nicht verlassen!«, tröstete Heinrich. »Vielleicht steht es aber noch nicht so traurig um ihn. Nun aber, meine Herren und Damen, legt alles Spiel, alle Festlichkeiten beiseite und lasst demütig der strafenden Hand Gottes uns beugen.

Bekennen wir jeder die Sünden, welche uns drücken, und suchen wir durch eine neuntägige Andachtsübung und ernste Buße Gott zu besänftigen, dass diese Plage aufhöre. Die Ehrenfräulein sollen sämtlich bis auf weiteren Befehl in ihre Heimat zurück, weil wir für die Gesundheit derselben besorgt sein müssen.«

Ein sprechender, halb bittender Blick ruhte bei diesen Worten auf Anne. Katharina bemerkte ihn und senkte bekümmert die Augen zu Boden.

»Wir, meine geliebte Kate«, fuhr Heinrich sich zu ihr wendend fort, und in einem Ton der Zärtlichkeit, der alles Blut wieder freudig in Katharinas bleiche Wangen zauberte, »wir wollen in herzlicher Liebe diese Zeit der Prüfung in unserem Schloss Greenwich, fern von der Welt, zubringen.«

Katharina drückte die Hand des Gemahls in inniger Liebe an ihre Lippen.

Am folgenden Tage reiste Anne nach Never, die königliche Familie nach Greenwich, wo Heinrich wochenlang gewissenhaft die Andachtsübungen mit seiner Gattin teilte. Täglich wohnte er dreimal der Messe bei, stand auch mitten in der Nacht zum Gebet auf, beichtete jede Woche und kommunizierte eben so häufig. Gegen Katharina benahm er sich aufs Zärtlichste, und zwar war ihm diese neu erwachte Liebe vollkommen Ernst; denn sein Gewissen klagte ihn lebhaft seines gegen sie begangenen Unrechtes an. Zu seiner Erhebung brachte er stundenlang mit seinem Leibarzt, Doktor Butts, in dessen Laboratorium zu und erfand eine Unmasse von Rezepten, Heilmitteln, Pflastern etc., wovon eines der Letzteren in der Folge das königliche Pflaster genannt wurde.

Es ist bekannt, dass er dreißigmal während dieser freiwilligen Quarantäne sein Testament machte und es jedes Mal wieder zerriss.

Kaum hatte jedoch die Epidemie nachgelassen, als sich auch sofort Heinrichs Benehmen sowohl gegen seine Gemahlin als auch gegen Gott wieder änderte. Mit erneuter Lebenslust erwachte auch seine Liebe zu Anne und das Verlangen, von seinem ehelichen Bündnis befreit zu werden. Viele und zärtliche Briefe wurden der schönen Favoritin in ihre Einsamkeit gesandt. Seine Leidenschaft steigerte sich jedoch zur Verzweiflung, als er die Nachricht erhielt, dass sie wie auch Sir Thomas schwer von der Plage ergriffen worden seien.

Doktor Butts wurde sofort dorthin abgesandt und ihm die glänzendste Belohnung versprochen, wenn er das teure Leben erhalte.

Lange kämpfte das junge Mädchen zwischen Leben und Tod, und glücklich wäre sie zu preisen gewesen, wenn hier ihre irdische Laufbahn sich geschlossen hätte. Aber ein dunkles Schicksal entriss sie dem sanften Tod in den Armen der Mutter, damit sie ihrer dornenvollen Bestimmung nicht entgehe. Wohl regte sich in der Brust der Genesenden eine Ahnung davon, dass diese schwere Krankheit ihr zur Warnung dienen sollte, aber der Dämon des Ehrgeizes hatte zu fest seine Schlinge um sein Opfer gewunden und zog es langsam, aber sicher dem Abgrund zu.

Eines Morgens saß sie blass am Fenster ihres Zimmers; den noch matten Kopf auf den schönen Arm gestützt. Sie hatte soeben ihr Morgengebet verrichtet und in der heiligen Schrift gelesen. Das Buch lag noch offen vor ihr, ihr Finger ruhte auf einem Vers in dem Buch: »Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon in seinem Herzen die Ehe gebrochen.«

»Du sollst nicht ehebrechen«, murmelten Annes bebende Lippen. »Tue ich das?«, fragte sie entsetzt, »will ich die Gattin trennen? Bin ich schuld, dass Heinrich seine Scheidung will? Nein, nein!«, rief sie sichtlich erleichtert aus. »Ich habe nur einen Zweck, einen Ziel. Wolseys Verderben, seine Ungnade. Rache will ich an dem falschen Heuchler, an dem Wollüstling im Priesterrock nehmen. Ihn in den Staub zu treten, als die Sühne für mein zerstörtes Lebensglück, dazu soll mir Heinrichs Liebe behilflich sein. Gott ist mein Zeuge, mein Herz gehört nur einem Mann an! Oh, Franz, ewig geliebter Mann!«

Sir Thomas unterbrach sie. Er hielt ein Schreiben und ein Paketchen in seiner Hand. Der Brief war offen, das Letztere noch mit dem roten Faden verschlossen.

»Wie befindet sich meine Tochter heute?«, war die Frage, indem er sie zärtlich küsste. »Wie? Ich glaube gar, du hast geweint!«

»Ja, mein Vater«, antwortete Anne. »Diese milde Luft stimmt die eben Genesene weich und reizbar. Ich dachte an alte Zeiten.«

»Jetzt ist Percy frei«, sagte Sir Boleyn, »der Herzog von Northumberland tot! Wenn er nur kurze Zeit standhaft geblieben wäre! Und nun höre ich, dass er immer noch unglücklich ist und seine Gattin selten anders als in Gesellschaft sieht. Doch sieh, soeben ist ein Päckchen an dich angekommen.«

Anne errötete heftig, als sie das Überreichte betrachtete und die Handschrift der Adresse als die des Königs erkannte.

»Anne, mein Kind«, sagte Boleyn ernst, in dem er ihre Hand ergriff, »sei vorsichtig, bringe meine Haare nicht mit Schande in die Grube! Die Gefahr für dich wird immer dringender, denn der päpstliche Legat Campeggio ist in England angekommen und wird den geistlichen Gerichtshof eröffnen, welcher die Geltung von Katharinas Ehe besprechen soll.«

»Vielleicht«, sagte Anne, »entschließt sich die Königin, in ein Kloster zu gehen. Das wäre das Weiseste.«

»Es scheint nicht«, erwiderte Sir Thomas, »denn Wyatt bringt mir die Nachricht, dass Katharina den Vorschlag so entschieden abgelehnt habe, dass Heinrich außer sich vor Wut sein soll. Katharina hat plötzlich ihre Einsamkeit verlassen, gibt Cercles und zeigt sich regelmäßig dem Volk, das sie mit lauten Segenswünschen überschüttet, wo sie sich blicken lässt.«

»Aber ich muss dir eine noch schmerzlichere Nachricht geben, mein Kind. Man hat es dir und mir in der Krankheit verschwiegen: William Carey …«

»Redet, teurer Vater!«, drängte Anne.

»Ist der Epidemie unterlegen. Mary ist eine trostlose, arme Witwe mit zwei Kindern.

Ihre Zukunft macht mir die meiste Sorge, denn du weißt, die Mutter war nie mit der Verbindung einig. Ich glaube nicht, dass ich Mary bei mir wohnen lassen kann.«

»Der König versprach mir, sie nie zu verlassen«, sagte Anne. »Fürchte nichts, Vater, er wird sein Wort halten. Noch heute will ich ihn darum bitten, da ich diesen Brief von ihm beantworten muss. Lasst den Diener sich zur Abreise bereithalten.«

Sir Thomas entfernte sich, und Anne zerschnitt gleichgültig die rote Schnur. Ebenso ruhig hafteten ihre Blicke auf einem kleinen Miniaturbild des Königs, das in ein kostbares Armband gefasst war. Daneben befand sich folgender Brief:4

»Meine Geliebte5 und meine Freundin!

Ich lege mich und mein Herz in Eure Hände, und bitte um Eure Gunst, und dass durch die Abwesenheit Eure Liebe mir nicht entzogen werde. Mein Schmerz würde dadurch nur noch vergrößert werden, was zu bedauern wäre, denn Eure Abwesenheit verursacht ohnehin des Schmerzes genug, und mehr, als ich jemals glauben konnte. Hierbei fällt mir die Tatsache in der Sternkunde ein, dass, je weiter die beiden Pole von der Sonne entfernt sind, desto brennender die Hitze. So ist es mit unserer Liebe: Die Abwesenheit macht Euch mir noch teurer. Euer wohlaffektionierter und zärtlicher Diener

Heinrich Rex.«

Show 5 footnotes

  1. Historisch
  2. Swesting sickness
  3. Der Name dieser Büchsen war Pomawder. Sie enthielten ein Stück Baumwolle, worauf Essenzen getröpfelt waren.
  4. Geschichtlich
  5. Der von König Heinrich gebrauchte Ausdruck Mistress oder Maîtresse hatte zu jener Zeit noch nicht die erniedrigende Bedeutung wie heutzutage, sondern bezeichnete mehr das deutsche, ritterliche Herrin.