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Der Spion – Kapitel 15

Balduin Möllhausen
Der Spion
Roman aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, Suttgart 1893

Kapitel 15

Unerwarteter Besuch

Im Eifer des Gesprächs abwechselnd stehen bleibend, dann wieder den verschlungenen Kieswegen folgend, waren Margaretha und Houston wieder in die Nähe des Hauses gelangt. Der Hund hatte auf dem Vorplatz kurz zuvor angeschlagen. Sie beachteten es nicht. Außer in der Küche, wo die schwarze Kleopatra sich mit der Herstellung des Abendbrots beschäftigte, herrschte Dunkelheit in allen Räumen des Hauses, wie auf dem nach beiden Richtungen hin offenen Flurgang. Durch diesen hindurch war Martin Findegerns Stimme etwas lauter zu ihnen in den Garten heraus gedrungen. Da seine Worte nicht zu unterscheiden waren, blieb Houston stehen. Argwöhnisch in den Flur hineinspähend, entdeckte er vor dem von der Vordertür begrenzten helleren Hintergrund eine unbestimmte Bewegung.

»Oliva kommt«, sprach er gedämpft zu seiner lieblichen Begleiterin, brach ab, sobald er gewahrte, dass jene Bewegung plötzlich verzögert wurde und erst nach einigen Sekunden sich wiederholte. Gleich darauf traten die Umrisse einer Frauengestalt deutlicher hervor, die auf der Schwelle der Hintertür stehen geblieben war.

»Sind Sie es? Wir warten schon auf Sie!«, rief Margaretha arglos hinüber, indem sie auf das Haus zuschritt.

Eine Antwort erfolgte nicht. Kaum aber hatte Houston ihr »Um Gottes willen, kein Wort mehr« zugeflüstert, als die Gestalt die Stufen hinunterstieg, wo sie bald vom Mondlicht voll überströmt wurde und sich ebenso schnell als Harriet Palmer auswies. Houston fand nur noch Zeit, leise zu raten, so wenig wie möglich zu sprechen und ihm das Weitere zu überlassen, als Harriet vor Margaretha trat.

»Von einem Ausflug zurückkehrend fuhr ich vorüber«, erklärte sie mit lebhafter Zuvorkommenheit, »da benutzte ich die Gelegenheit, selbst zu Ihnen zu gehen und Sie zu bitten, die auf Morgen anberaumte Stunde gütigst ausfallen zu lassen.«

»Gewiss, gewiss, Miss Harriet«, antwortete Margaretha unter dem Eindruck der ersten Überraschung wie der Dringlichkeit der Warnung des Captains. »Sie haben frei über meine Zeit zu verfügen. Ob morgen oder übermorgen, zu jeder Zeit stehe ich zu Ihren Diensten.« Unwillkürlich zögernd legte sie die Hand in die ihr gebotene Harriets.

»Sie sind immer gütig und liebenswürdig«, erwiderte Harriet im süßesten Schmeichelton, ihre Blicke nach allen Richtungen durch den Garten sendend. »Wie die Mondbeleuchtung wunderbar wirkt. Ich kenne die Umgebung kaum wieder. Alles nimmt sich so viel anders, ich möchte sagen, freundlicher, als am Tag aus.«

»Es verschleiert die Dunkelheit die wüsten Strecken, welche im Sonnenlicht das Auge wenig einladend berühren«, nahm Houston schnell das Wort, als Margaretha in der natürlichen Besorgnis, zu viel zu sagen, zögerte. »Einem ähnlichen Eindruck bin ich selbst unterworfen. Da finde ich nach vollbrachtem Tagewerk doppelte Erholung hier in den Abendstunden.«

»Sie widmen sich mit großem Eifer der Erlernung des Tischlerhandwerks, wie ich hörte«, erwiderte Harriet beinahe herzlich, doch glaubte Houston, einen leisen Anflug von Spott aus ihrer Stimme herauszuhören. »Worauf doch die Herren Offiziere verfallen, wenn sie vorübergehend zur Untätigkeit verdammt sind.« Und wieder zu Margaretha gewendet: »Vergegenwärtigen Sie sich meine Überraschung, als ich den Hausflur betrat. In geringer Entfernung sah ich jemand vor mir. Im Wahn, Sie seien es selbst, wollte ich Sie anreden, allein in demselben Augenblick verschwand die Gestalt wie ein Schatten. Nur die Tür hörte ich noch gehen, wie sie hinter der rätselhaften Erscheinung leise ins Schloss gezogen wurde. Erst als ich Sie von der Tür aus an der Seite des Captains erkannte, kam ich von meinem Glauben zurück. Doch auch Sie erkannten mich, bevor ich in den Mondschein hinaustrat. Ihre herzige Frage entzückte mich. Klang sie doch, als wäre ich erwartet worden.« Silberhelles kindliches Lachen folgte den lebhaften Mitteilungen.

Wie Eis fühlte Margaretha es durch ihre Adern rieseln. Sie war so verwirrt, dass sie kein Wort hervorzubringen vermocht hätte. Houston dagegen, ihre Gemütsverfassung leicht erratend, fiel schnell genug ein, um keine auffällige Pause entstehen zu lassen. »Eine seltsame Person, die alte schwarze Aufwärterin. Beim Anblick eines Fremden möchte sie sich in ein Mauseloch verkriechen. Ich wurde ihrer ansichtig, als sie eben zu uns herauskommen wollte. Ihr galt auch die Frage.«

»Wunderliche Menschen, diese Farbigen«, versetzte Harriet sorglos, »seitdem sie frei geworden sind, treten ihre nicht immer lobenswerten Eigentümlichkeiten schärfer zutage. Doch mein Wagen wartet. Gerne, wie ich noch ein Stündchen in ihrer Gesellschaft verbrächte, darf ich die Pferde doch nicht stehen lassen. Es hieße den Unmut meines Vaters herausfordern.«

»So gestatten Sie uns wenigstens, Ihnen das Geleit bis zur Pforte zu geben«, bemerkte Margaretha, die ihre Fassung notdürftig zurückgewonnen hatte. Zuvorkommend und zutraulich dankend ging Harriet bereitwillig auf das Anerbieten ein. Sie bewies überhaupt eine Unterhaltungsgabe und sprühende Schlagfertigkeit sowohl Houston als auch Margaretha gegenüber, dass diese sie kaum wiedererkannte, gleichviel, ob in Anwesenheit des Captains berechnete Gefallsucht sie beseelte oder das Trachten, ihre Entdeckung als vergessen erscheinen zu lassen.

Klingendes Lachen ertönte auf der Veranda, als sie sich von den beiden alten Knaben verabschiedete. Klingendes Lachen, in welches Margaretha, sogar auch Houston mit einstimmten, widerhallte auf dem Vorplatz, bis man sich endlich in der Pforte mit dem Versprechen baldigen Wiedersehens voneinander trennte. Der Wagen fuhr vor. Ein Diener öffnete den Schlag. Dahin eilten die beiden edlen Rosse mit ihrer leichten Last in scharfem Trab.

Schweigend waren Houston und Margaretha zurückgetreten. Erst nachdem Letztere den Schlüssel zweimal im Schloss gedreht und abgezogen hatte, kehrten sie sich dem Haus wieder zu.

Unverkennbar heftig erregt, bemerkte Houston: »Das hätte ich am wenigsten erwartet. Wohl traue ich der Tochter eines erbitterten Sezessionisten vieles zu. Allein in solcher Weise die ihr erwiesene Gastfreundschaft auszunutzen. Bei dem reizvollen, zarten, ätherischen Wesen grenzt es ans Unglaubliche.«

»Sie meinen wirklich, dass nur der Zweck des Kundschaftens sie hierherführte?«, fragte Margaretha beklommen.

»Ich bin fest davon überzeugt. Ich erinnere an meine früheren Warnungen. Jeden anderen mag die junge Dame täuschen können, mich dagegen nicht. Ich sah und hörte zu viel von ihr.«

»Hätte ich die Pforte nur früher geschlossen«, klagte Margaretha, »ich würde es mir nie verzeihen können, erwüchsen aus der Nachwirkung des unvorhergesehenen Ereignisses Schwierigkeiten für Oliva. Ich war entsetzt, als ich Harriets Stimme erkannte. Ob sie Ihrer Erklärung wohl Glauben beimisst?«

»Sicher nicht. Es wäre töricht, bei ihrem durch Fanatismus erhöhten Scharfsinn das noch bezweifeln zu wollen. Schon allein die Art, in welcher sie ihren durch Oliva selbst hervorgerufenen Argwohn zu verheimlichen versuchte, müsste uns darüber belehren.«

Sie waren vor der Veranda eingetroffen.

»Der Besuch sah schon mehr einem Überfall ähnlich«, rief Martin ihnen mürrisch entgegen. »Wie ein Dieb kam die junge Lady angeschlichen. Bevor wir sie recht erkannten, huschte sie an uns vorüber.«

»Es hätte ärger kommen können«, versuchte Houston zu beschwichtigen, »denn bis jetzt ist noch nichts verloren. Aber eine Mahnung erhielten wir zu verschärfter Wachsamkeit, die heilsam für uns alle ist.«

Ein lebhafteres Gespräch hatte eben begonnen, als Kleopatra mit der Meldung erschien, dass das Mahl angerichtet sei. Bevor man sich um den Tisch reihte, begaben sich Margaretha und Houston zu Oliva. Im Finstern saß sie in Margarethas Zimmer.

Als sie eintraten, erhob sie sich. Ihnen beide Hände entgegenstreckend, sprach sie mit geisterhafter Ruhe: »Meine Stunden hier sind gezählt. Wenn Jugend und Schönheit gegen mich in die Schranken treten, so ist die äußerste Grenze erreicht. Freilich …« Unsagbar herb klang ihre Stimme. »… auch ich verleugnete mein Geschlecht, da darf ich mich nicht beklagen. Nur noch wenige Tage der Unsicherheit, und ich befreie Sie von einem gefährlichen Gast.«

»Sie werden bleiben, solange es mit ihren ferneren Plänen vereinbar ist«, versetzte Houston zuversichtlich, »je vertrauter wir mit den uns umringenden Gefahren werden, um so leichter ist es, sie abzuwenden.«

Margaretha hatte Olivas Arm ergriffen und die Freundin in das gegenüberliegende Gemach geführt, wo die beiden alten Knaben bereits vor dem Tisch Platz genommen hatten.

Auch heute verlief das Mahl trotz der verheimlichten Beklommenheit in gewohnter heiterer Weise. Indem man vermied, an den durch Harriet herbeigeführten Zwischenfall zu rühren, erzeugte es den Eindruck, als ob man ihm keinen Wert beilege. Oliva bewahrte fortgesetzt ihren träumerischen Ernst. Nicht mit der leisesten Miene verriet sie Unruhe oder Besorgnis.

Man hatte sich erhoben. Houston schickte sich an, in seine Wohnung in der Stadt zurückzukehren, wogegen Margaretha und Oliva sich zu einem Spaziergang im Garten rüsteten, als kurzes freudiges Bellen abermals Besuch ankündigte.

Oliva sah fragend in Martins blinzendes Beobachtungsauge.

»Kein anderer als Fegefeuer«, beantwortete dieser die stumme Frage. »Nur er versteht es, seinen Weg durch verschlossene Türen hereinzufinden.«

Er sprach noch, als es auf der Veranda polterte und Fegefeuer hereinstürmte.

»Zwei Gentlemen draußen am Tor!«, rief er fast atemlos aus, »der Master Nicodemo und noch einer, der mit ihm befreundet ist. Ich sollte nicht klopfen, da kletterte ich erstaunlich schnell über den Zaun, um den Schlüssel zu holen.« In der nächsten Minute sprang er, den Schlüssel lustig schwingend, wieder davon.

Fragend sahen alle auf Oliva. Diese bewahrte ihre unerschütterliche Ruhe. »Wer Nicodemo begleitet, der kann uns nur willkommen sein«, sprach sie beschwichtigend. »Wer weiß, was er uns bringt. Vielleicht muss ich früher fort, als ich glaubte. Nach den jüngsten Erfahrungen traue ich der nächsten Minute nicht mehr.«

Keiner antwortete. Die Spannung aller wuchs von Minute zu Minute. Mit Licht auf die Veranda hinauszutreten, wagte man nicht. Endlich wurden draußen Schritte laut, dann noch wenige Sekunden, und mit höflichem Gruß trat Nicodemo ein. Ihm auf dem Fuß folgte eine Hünengestalt im Lederrock, und an diese schloss Fegefeuer sich an.

»Mein Freund Kit Andrieux«, stellte Ersterer den etwas blöde dreinschauenden Fallensteller vor, der schnell die erste Scheu überwand, von einem zum anderen ging und jedem treuherzig die Hand reichte. »Ein Mann, dessen Ehrenhaftigkeit mit seinem Leben endet. Die Nachrichten, welche ich von Kansas City erhielt, wie andere Ursachen, die sich hier in St. Louis abspinnen, reiften meinen Entschluss, ihn mit einer Botschaft schleunigst in den Norden zu senden.« Und weiter, nachdem alle sich um den Tisch nieder gelassen hatten, wo es für Kit Andrieux keiner besonderen Einladung bedurfte, unter den noch vorhandenen Speisen zuzugreifen: »Morgen mit Tagesanbruch verlässt ein Dampfer mit Truppen die Stadt, um bis nach Fort Leavenworth hinauszugehen. An dessen Bord sicherte ich einen Platz für unseren neuen Freund. Befindet Captain Durlach sich noch in Kansas City, so wird er ihn ungesäumt aufsuchen. Ich bat ihn, mich hierher zu begleiten, um ihn in die Lage zu versetzen, nach Augenschein über das Wohlergehen aller zu berichten.« Er kehrte sich Margaretha mit den Worten zu: »Hätten Sie die Güte, durch einige empfehlende Zeilen Kit Andrieux bei Ihrem Bruder einzuführen, so würde seine Aufgabe dadurch erleichtert werden.«

»Fegefeuer!«, herrschte Martin Findegern ihm polternd zu, »geh in die Küche und lass dich von deiner Tante füttern. Das ist dir dienlicher, als mit mäßigen Kinnladen hier herumzustehen.« Und weiter zu Margaretha, nachdem Fegefeuer der Aufforderung bereitwillig gefolgt war: »Wenn du dem Maurus schreibst, so vermelde ihm meinen Gruß. Magst hinzufügen, dass er jederzeit eine freie Hobelbank und gutes Handwerksgerät in meiner Werkstatt vorfände. Er sollte nur dafür sorgen, dass er seine gesunden Glieder heimbrächte.«

»Auch von mir einen Gruß«, fügte Krehle würdevoll hinzu, »das genügt. Über den Wert der Tischlerei und der Malkunst wird er auch ohne mein Dazutun ein gesundes Urteil fällen.«

Martin fuhr auf. Die Fäuste kriegerisch hinter den Schürzenlatz gezwängt, war er eben im Begriff, sein Gewerbe mit Nachdruck zu vertreten, als Nicodemo ihm mit den Worten zuvorkam: »Nur nicht zu viel schreiben. Vor allem vermeiden Sie, Namen zu nennen. Es wäre doch möglich, dass der Brief in fremde Hände fiele. Sonstige Nachrichten übermittelt Kit Andrieux gern mündlich.«

Margaretha lächelte matt zu der Zanksucht der beiden alten Knaben, welche sie sogar in ernster Stunde nicht zu zügeln vermochten, und begab sich in ihre Wohnung hinüber.

Oliva hatte unterdessen den Fallensteller, der sich im Essen nicht stören ließ, aufmerksam beobachtet. Es war, als hätte sie, Nicodemos Zeugnis nicht unbedingten Glauben beimessend, in seinem Inneren lesen wollen. Anstatt in das nunmehr folgende Gespräch einzugreifen, wechselte sie nur einen Blick mit Nicodemo; dann verhielt sie sich schweigend. Aus Kit Andrieux‘ abgebrochenen Erklärungen ging hervor, dass es ihm mithilfe unbekannter Freunde gelungen war, sein Pelzwerk einigermaßen günstig zu verkaufen und er den Tag segnen würde, an welchem er den eisernen Mark in den Council-Bluffs wieder leibhaftig vor sich sehe. So weit war er mit seinen Bekenntnissen gekommen, als Margaretha wieder erschien und ihm einen offenen, mit wenigen Zeilen beschriebenen Papierstreifen aushändigte. Eintretend, hatte sie den Namen ihres jüngeren Bruders gehört, und so entspann sich bald ein lebhaftes Gespräch zwischen ihr und Kit Andrieux, an welchem Martin und Krehle sich einträchtig beteiligten.

Diesen Zeitpunkt benutzte Oliva, sich still zu entfernen. Indem sie das Zimmer verließ, schlossen Nicodemo und Houston sich ihr an.

Gleich darauf saßen sie im Garten, wo Oliva die Unterhaltung mit den Worten eröffnete:

»Ein ungeschlachter Geselle, dieser Kit Andrieux; fast zu redselig und offenherzig für eine ernste Aufgabe.«

»Und dennoch ein Mann, wie wir keinen geeigneteren für unsere Zwecke hätten finden können«, versetzte Nicodemo überzeugend. »Bei großer Gutmütigkeit zeichnet er sich durch Verschlagenheit und Todesverachtung aus. Was den von ihm hier erzeugten Eindruck vielleicht beeinträchtigt, das geht verloren, sobald er die heimatlichen Wildnisse wieder betritt. Erreicht er Kansas City wohlbehalten, so sind seine weiteren Bewegungen von unseren Freunden abhängig. Er ist der Mann dazu, sich durch feindliche Einflüsse nicht beirren zu lassen.«

»Auch wir müssen unsere Vorbereitungen zu einem plötzlichen Aufbruch treffen«, bemerkte Oliva nachdenklich. In flüchtigen Umrissen schilderte sie den Besuch Harriets.

»Allerdings böse Anzeichen«, gab Nicodemo zu, »und so bleibt uns nur übrig, ferneren Nachstellungen zuvorzukommen. Es bedarf nur eines Winkes, und wir suchen das Weite. Alles ist so eingeleitet, dass in derselben Stunde, in welcher mir die Nachricht zugeht, wir uns auf den Weg begeben können. Doch die Papiere, sind sie schon in deinem Besitz?«

»Im letzten Augenblick erst darf ich sie abholen. Ich bin von Wachen umstellt. Keiner, der hier aus und ein geht, bleibt unbemerkt. Nur einen Schritt brauche ich über die Palisaden hinauszutun, und das Ärgste steht zu befürchten. Alle unsere Pläne würden zu Wasser, nicht zu gedenken der Möglichkeit, dass man eines Tages unsere Leichen im Mississippi auffischte. Verbreitete sich doch vor einigen Tagen das Gerücht, wie Captain Houston erzählte, dass ein angesehener Bürger neben einem abgebrannten Dampfer aus dem Wasser gezogen worden war. Die Erregung darüber wurde dadurch gesteigert, dass er die untrüglichen Merkmale eines gewaltsamen Todes an sich trug.«

»Lauter Ursachen, welche es ratsam erscheinen lassen, unsere Abreise so schnell wie möglich zu beschleunigen«, erwiderte Nicodemo finster.

»Gewiss«, pflichtete Oliva anscheinend gleichmütig bei, »es hängt nur noch davon ab, wie bald die nächsten Nachrichten von Kansas City einlaufen.«

»Ich halte diesen Zeitpunkt für näher, als Sie vermuten«, beteiligte Houston sich nunmehr an dem Gespräch, »Morgen, spätestens übermorgen erwarte ich einen Kameraden von dorther. Durch ihn erhalte ich zuverlässige Aufklärungen, wie solche eben nur mündlich befördert werden dürfen. Meine nächste Aufgabe wird sein, Sie von allem in Kenntnis zu setzen.«

»Das ist dankenswert«, versetzte Oliva, dem Captain die Hand reichend. »Freilich, wir arbeiten ja an demselben Werk, mögen unsere Wege immerhin weit auseinanderführen.«

»Es würde sich also darum handeln, auch mich auf kürzestem Weg zu unterrichten«, bemerkte Nicodemo, »keine leichte Aufgabe, weil ich mich auf der anderen Seite des Mississippi verborgen halten muss.«

»Einen sichereren Boten wie Fegefeuer gibt es nicht«, antwortete Oliva, »er wird sich selbstverständlich fortgesetzt zur Hand halten.«

»Vermeide aber zu schreiben«, hieß es zurück, »sogar mündliche Benachrichtigungen sind nicht ungefährlich. Sende mir irgendein Zeichen ohne weitere Erklärung, und ich weiß, was ich zu tun habe.«

»Gut. Jeder beliebige unverfängliche Gegenstand, welchen Fegefeuer dir überreicht, sagt dir, dass die Not am höchsten ist. Ich sorge noch um unsere gütigen Freunde. Nach unserem Aufbruch, wenn er erst ruchbar geworden ist, wird man sich an ihnen zu rächen suchen.«

»Sind Sie erst fort, so hindert mich nichts, sie dem Schutz der betreffenden Behörden zu überweisen«, entgegnete Houston beruhigend.

»Es wäre überflüssig«, wendete Nicodemo ein, »die Arme der im Finstern wirkenden Mitglieder des berüchtigten Klans reichen weiter, als die der Behörden. Ich kenne ein anderes Mittel.« Er übergab Oliva das, die auf dem verbrannten Dampfer erbeuteten Papiere enthaltende Päckchen. »Lese alles aufmerksam durch, und du wirst ermessen, welche furchtbare Waffe gegen die heimlichen Feinde der Zufall mir in die Hände spielte. Ziehe den Captain ins Vertrauen. Nachdem er einen klaren Einblick in alle Verhältnisse gewann, vermag er um so leichter zu raten.«

Hier endete die Unterredung. Nur noch kurze Bemerkungen, die nächste Zukunft betreffend, wechselten sie auf dem Weg zum Haus.

Durch ihren Eintritt wurde das lebhafte Gespräch der Hausgenossen und Andrieux‘ unterbrochen. Ein kurzer Abschied folgte; dann begaben Nicodemo und der Fallensteller sich in des Captains und Fegefeuers Begleitung auf die Straße hinaus. Nachdem Letzterer die Pforte wieder verschlossen hatte, eilte er spornstreichs ins Haus zurück, wo er für die nächste Zeit seinen ständigen Aufenthalt nehmen sollte.

Wenige Schritte blieben die drei Gefährten beisammen; dann bogen Nicodemo und Andrieux zur anderen Seite der Straße hinüber, wo sie zwischen zwei getrennt voneinander stehenden Häusern verschwanden.

Houston hatte eben die Ecke des Palisadenzauns erreicht, als ein Mann, hastig um dieselbe herumbiegend, fast mit ihm zusammenprallte. Derselbe schien große Eile zu haben, mäßigte sie aber angesichts des Captains.

»Hallo, Fremder«, redete er diesen in leichtfertigem Ton an, »sollte es mir doch leid tun, jemand angerannt zu haben, der beim Einherschreiten eines Stockes als Stütze bedarf.«

»Keine Ursache zur Entschuldigung«, versetzte Houston, nicht im Zweifel, jemand vor sich zu sehen, dem es oblag, Martin Findegerns Besitztum zu überwachen. »Nein, Herr, keine Ursache. Und wer weiß, wer bei dem Zusammenstoß am meisten gelitten hätte. Trotz meines noch nicht völlig ausgeheilten Fußes stehe ich ziemlich fest.«

Der Fremde lachte, grüßte höflich und schritt in die Richtung davon, aus welcher Houston gekommen war. Auch dieser hatte sich wieder in Bewegung gesetzt, spähte aber noch einmal zurück und glaubte zu entdecken, dass der verdächtige Fremde an der anderen Ecke des Zaunes stehen blieb und nach kurzem Zögern hinter derselben verschwand.

Houston schüttelte den Kopf.

»Ich wollte, das verwegene Mädchen wäre fort. Und in Sicherheit«, sprach er in Gedanken. Weiter wandelte er langsam seiner zeitigen bescheidenen Heimstätte zu. Die Straßen waren verödet. Es hatte eben Mitternacht geschlagen.