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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 22

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

22. Wie Rübezahl den Leuten auf eine andere Art eine gute Lehre gibt.

Wieder einmal geschah es, dass ein paar Wandergesellen übers Gebirge reisten und hatten auch ein paar Taschen in ihren Kleidern. Es war aber nichts drinnen, und war Holland in Nöten. Wie sie nun so in Kummer und Sorgen dahin schritten, sahen sie vor sich eine Kutsche und dachten, den, der da drinnen saß, den wollten sie ansprechen. Sie baten also um einen Zehrpfennig. Indem sprang ein vornehmer Herr aus dem Wagen, schnitt jedem von ihnen aus dem Gesträuch am Wege mit dem Messer einen Stab ab und sagte, damit sollten sie vorliebnehmen, sie würden dadurch schon auf die Beine kommen. Die Gesellen bedankten sich, Rübezahl stieg wieder in den Wagen und fuhr davon. Etwas unwirsch zottelten nun die Wanderer auf dem Wege fort und sprachen über den Herrn und sein sonderbares Geschenk.

Einer aber, darüber unwillig, sagte: »Ei, was soll mir der Stab, den hatte ich mir selbst abschneiden können.« Er wirft ihn weg.

»Bruder«, sagte der andere, »warum so wunderlich! Ich will meinen Stab behalten. Wer weiß, wozu er noch gut ist, und zum wenigsten soll er mir ein Andenken sein daran, dass mir ihn ein so vornehmer Herr selbst abgeschnitten hat.«

So kamen denn die beiden vom Gebirge herunter, kehrten in einer Herberge ein und stellten ihre Stäbe in die Ecke. Über eine Weile, wie der Geselle zufällig dahin schaute, da glitzerte aus dem Winkel. Wie er darauf losging und seinen Stab anfasste, war er so schwer, dass er ihn kaum anheben konnte, und war eitel gediegenes Gold.

»Halbpart, Bruder«, rief der andere, »nun ist uns geholfen.«

»Ich dachte, was mich bisse«, versetzt der Erstere. Er war aus der Lommatscher Pflege. »Nur mir ist geholfen. Warum hast du deinen Stab weggeworfen, du Narr!«

Der Bursche lief nun zwar gleich den Weg zurück, um den Stab zu suchen, hatte ihn aber freilich nimmer gefunden und war zeitlebens den Ärger nicht losgeworden.

Auf eine ähnliche Weise ging es einer armen alten Frau, die sich im Wald verirrt hatte. Zu der kam der Berggeist in Gestalt eines Jägers. Sie bat ihn, er möchte ihr doch den Weg nach Giersdorf zeigen. Sie habe, sagt sie weiter, ein Häuflein kleiner Kinder, die kein Brot mehr gehabt hatten. Deshalb sei sie ausgegangen, um Wurzeln zu suchen, die sie zu Geld machen könne. Der Jäger hörte ihr aufmerksam zu und sagte endlich, sie solle die Wurzeln nur wegschütten. Er wolle ihr dagegen ein Laub zeigen, welches leichter sei und in der Stadt mehr gelten würde als die Wurzeln. Als die Frau nicht wollte, so streifte er von einem Strauch das Laub ab und legte es ihr in den Korb. Wie aber der Jäger weg war, so schüttete sie das Laub aus und dachte: Was nützt dir das Laub. Sie ging hierauf auf dem Giersdorfer Weg, wohin sie der Jäger gewiesen hatte, fort, und kam glücklich nach Hause.

Wie sie nun hier die Wurzeln aus dem Korb herausnahm, fielen etliche Laubblättlein zwischen den Wurzeln hinunter auf den Boden. Da erzählte sie denn den Leuten, dass ihr ein Jäger Laub in den Korb gesackt, das sie aber herausgeworfen habe, weil es ihr doch nichts nutz sei. Indem sie noch erzählte, war sie auf dem Boden und sah die Blättlein liegen, und waren alle von eitel Gold. Da erschrakt sie und lief eben so wie obiger Handwerksbursche wieder zurück, aber von den Blättern fand sie keine Spur mehr. Hätte sie nun die Blätter behalten, so wäre sie eine reiche Frau geworden.

Merke also aus diesen Märchen: Geschenke, wären sie auch gering, muss man immer in Ehren halten, denn sie sind Zeugen einer gütigen, wohlwollenden Gesinnung.