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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 19

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Neunzehntes Kapitel

Morgan wird einziger Admiral, rüstet eine Flotte aus, hält eine Rede und nimmt eine spanische Stadt, benimmt sich ungemein schlecht und erringt nur sehr wenig Beute, kehrt nach Jamaika zurück und lässt einen seiner Gefährten hängen.

Nie zeigte sich Morgans Charakter vorteilhafter, als bei dieser Krise. Nach dem Tod des Admirals war die Mannschaft des Schiffes, welche hauptsächlich aus Franzosen oder Volk aus den Niederlanden bestand, durchaus nicht geneigt, unter Morgan zudienen oder überhaupt zu dienen, bis sie in jeder nur denkbaren Schlemmerei den Gewinn ihres letzten Feldzugs verschwendet hätte. Dazu kam noch, dass, abgesehen von diesen Hindernissen, die Flotte zusammenzuhalten, Tortuga eine französische Ansiedlung war und einen französischen Gouverneur hatte, sodass also auch das Gewicht amtlicher Autorität gegen ihn wirkte.

Obwohl die Schiffe unbemannt und meistens abgetakelt im Hafen lagen, so erschlaffte doch Morgan keinen Augenblick in seinen Bemühungen, Mannschaft und Mittel beizubringen, um den Bukaniern den bleibenden Besitz der Insel St. Catharinazu sichern. Er schickte Erbietungen und Schreiben nach allen Richtungen aus, lud Ansiedler zur Einwanderung ein und schilderte das Klima, den Boden und die Eigenschaften des Platzes in den glühendsten Farben. Bei dieser Gelegenheit entwickelten sich die Talente seiner verkleideten Negerin in hohem Grade. Den ganzen Tag über war sein weiblicher Sekretär mit Korrespondenzen zu den entlegensten Orten beschäftigt. Ihr Ehrgeiz glich ganz dem ihres Geliebten, und ihre Fähigkeiten standen den seinen nur wenig nach.

Wo immer Engländer sich angehäuft hatten, liefen auch Morgans Gesuche und Versprechungen ein, und namentlich hatte er dabei die Ansiedler Neu-Englands und Virginiens im Auge. Mehrere sehr einflussvolle Personen, reiche Kaufleute und andere begannen schon Einleitungen zu treffen, um Morgans Plan zu begünstigen,als mit einem Mal der ganze Entwurf vereitelt und alles bisher Geschehene abgebrochen wurde, weil sich die unwillkommene Kunde von der Übergabe der Insel an die Spanier verbreitete.

Nun wurde die Feder hastig beiseitegeworfen, um dem Schwert Platz zu machen. Durch seinen Eifer gelang es Morgan bald, sein eigenes Schiff auszurüsten und vollzählig zu bemannen. Zugleich bot er jeden, dem es möglich war, auf, ein Gleiches zu tun. Das Beispiel war einmal gegeben. Durch die Armut gedrängt, schloss sich ein Schiff nach dem anderen an und der Hafen begann wieder ein kriegerisches Aussehen zu gewinnen.

Die so gesammelte Flotte wurde natürlich unter seinen Befehl gestellt. Als er alles bereit sah, berief er die Hauptkommandeure zu einem Kriegsrat und erklärte ihnen, ohne seinen schließlichen Plan kundzutun, bloß, dass sie sich an einem gewissen Teil der Insel Kuba versammeln müssten.

Über die Gesetze, welche sich die Küstenbrüder auflegten, sind viele übertriebene Berichte und Erfindungen in Umlauf gekommen, weshalb wir hier in Kürze angeben wollen, welchem Kodex sie unbedingten Gehorsam leisteten. Die herrschenden Irrtümer verdanken ihre Entstehung Schriftstellern, welche dramatisch schreiben und gern vermittelst des Schrecklichen Eindruck machen wollten. Viele dieser Angaben sind abgeschmackt, lächerlich und der tapferen Kameraden, welchen sie zugeschrieben werden, durchaus unwürdig.

Die Seeräuberei war in jenen Tagen ein sehr achtbarer Beruf, und diejenigen, welche sich damit abgaben und Vorteil daraus zogen, nannten ihn Patriotismus.

Nehmen wir an, dass sich eine Flotte von fünfzehn oder zwanzig Schiffen verschiedener Größe gesammelt habe und zu ihrem Kommando ein Admiral ernannt sei, dessen Macht, da sie bloß in der öffentlichen Meinung beruht, nach Maßgabe seiner Fähigkeiten beschränkt ist oder despotisch wird. Wenn alles seefertig ist, wirdein Kriegsrat an Bord des Admiralschiffs berufen. Hier bereinigen sie zuerst, welche wirkliche Bezahlungen an gewisse Personen geleistet werden sollen, die ihr Kapital und ihre Geschicklichkeit bei der Spekulation auszubeuten gedenken, ehe von der eigentlichen Verteilung der Prise die Rede ist. Der Kapitän, welcher fast stets Schiffseigentümer ist, erhält zum Beispiel so und so viel Geld für sein Schiff, je nach dessen Größe, keineswegs aber im Verhältnis zum Wert desselben, denn ein Schiff, das fünf oder sechstausend Pfund wert ist, bringt dem Kapitän nur hundert oder im höchsten Fall hundertundfünfzig ein, weil man dabei die Natur einer Miete im Auge hat. Der Wundarzt erhält stets ein Salair und ungefähr fünfzig Pfund für seine technischen Bedürfnisse. Der Zimmermann bezieht gleichfalls Lohn nebst einemErsatz für seine Werkzeuge. In Bezahlung aller Übrigen gilt die alte Regel: Keine Beute, kein Geld. Sie erhalten vom Admiral abwärts – ein Matrose einen einfachen Teil und die Offiziere mehr, je nach ihrem Rang in der schriftlichen Übereinkunft. Die Knaben trifft nur ein halber Anteil.

Das unveränderliche Gesetz für persönliche Beschädigungen lautete folgendermaßen: Der Verlust eines rechten Armes oder rechten Fußes berechtigte den Verwundeten zu hundertfünfzig Pfund Sterling oder einem fünffachen Anteil; der des linken Armes oder Fußes zu hundertfünfundzwanzig Pfund oder einer vierfachen Portion. Ein zerstörtes Auge wurde mit fünfundzwanzig Pfund oder einem vierfachen Anteil bezahlt. Ein Finger hatte den gleichen Preis wie das Auge. Andere Körperteile standen im Verhältnis zu dieser Skala. All dieses Schmerzensgeld wurde stets zuvor von der Beute abgezogen und an die Verwundeten ausgezahlt, ehe es an eine Teilung der Gesamterwerbung ging.

Wenn die Zeit der Teilung herankam, musste jeder öffentlich einen feierlichen Eid ablegen, dass er nichts verborgen habe. Es kam kaum je der Fall eines Meineids vor.

In der Regel standen sie untereinander im besten Einvernehmen. Sie waren gegenseitig freigebig und, wenn die Aufregung des Kampfes vorüber war, stets schonend ihre Gefangenen gegenüber, die farbigen ausgenommen, welche sie zu Gefangenen machten und nach der Sitte der Zeit und des Landes verkauften. Für einen Haufen gesetzloser Vagabunden führten sie in der Tat ein recht heiteres, glückliches Leben. Da sich jeder unter ihnen an den Gedanken gewöhnt hatte, dass ihm nur ein kurzes Dasein beschieden sei, so betrachteten sie jeden Abend auch nur einen einzigen, weiteren frohen Tag als Gewinn.

Morgan als Admiral und Mr. John Smith als der Kapitän und Sekretär seines Schiffes kamen, ohne irgendeinem Abenteuer zu begegnen, zuerst unter den Kais an der Südseite von Kuba, einem gewöhnlichen Zufluchtsort der Piraten, vor Anker. Die übrigen Fahrzeuge trafen gleichfalls bald ein. Nun war Henry Morgan zum ersten Mal in seinem Leben der Oberkommandeur von zwölf Segeln, die übrigens zum Teil wenig besser als einfache Boote waren, und von siebenhundert rüstigen, verzweifelten Kerlen, die vor Begier nach Schlachten zu Wasser und Land brannten. Er musterte sie am Ufer und fand zu seiner großen Befriedigung, dass alle vortrefflich bewaffnet waren, denn jeder führte seine Muskete und viele waren noch außerdem mit Brustpanzern versehen.

Nach beendeter Musterung versammelte sich der große Rat unter einem geräumigen Zelt und verhandelte natürlich die Frage, wie eine so rüstige Streitmacht am vorteilhaftesten verwendet werden konnte. Sie glaubten, nichts sei zu schwierig, was sie nicht ausführen könnten. Es wurde daher der Vorschlag gemacht, Havanna, dieses großartige Emporium der Reichen im spanischen Westindien, anzugreifen. Morgan ließ diese Tollheit sich legen und machte nur hin und wieder in seiner ruhigen, nachdenkenden Weise auf die unübersteiglichen Schwierigkeiten aufmerksam, denen ein so großartiges Unternehmen notwendig unterliegen müsse. Als er endlich bemerkte, dass niemand mehr mit einem weiteren Vorschlag bereit war, redete er seine Offiziere und Kameraden etwa in folgender Weise an: »Es macht mir große Freude, meine Brüder, unter meinem Kommando Männer zu finden, die nicht nur fähig sind, große Taten auszuführen, sondern auch sie zu entwerfen. Es ist sehr wahr, dass wir es mit diesen schurkischen Spaniern inpunkto der Grausamkeit nicht genau nehmen dürfen, denn von allen Nationen sind sie selbst die grausamsten und blutdurstigsten. Ja, ihren Schaudertaten allein hat man es zu verdanken, dass auf diesen schönen Inseln der weiße Mann sogar noch schlimmer angesehen ist, als der Teufel selbst. Monsieur Dunoirs Vorschlag, durch Überrumpelung die Pfaffen, Frauen und Kinder der Stadt Havanna gefangen zu nehmen und sie durch schreckliche Foltern zu Tode zu bringen, um die Übergabe der Zitadelle zu erzwingen, ist ein weiser, sehr tugendhafter Plan und in jedem Betracht des Kopfes und Herzens eines redlichen Bukaniers würdig. Lasst Euch für Euren Antrag umarmen, Monsieur. Zuverlässig könnte er bei keinem anderen Volk als nur eben bei diesen elenden Spaniern fehlschlagen. Ich kenne die Zitadelle gut. Der Versuch würde wenigstens fünfzehnhundert Mann fordern. Wenn wir sie nicht gewinnen, können wir die Stadt keine halbe Stunde behaupten oder nur eine halbe Meile weit mit unserer Beute einen sicheren Rückzug antreten. Ihr könnt alle Pfaffen, Frauen und Kinder ermorden, ehe die Einwohner nur mit einem einzigen Piaster ausrücken. Ich habe nichts gegen eine spanische Aderlässe einzuwenden; aber sie bloß um des Vergnügens und unter Gefährdung unseres eigenen Lebens vorzunehmen, meine lieben Freunde, ist mehr, als euer Führer und Bruder gutheißen kann. Hier ist mein würdiger Sekretär, ein junger Mann, aber doch gut im Rat, der es auch beim Handeln an nichts fehlen lässt. Sprecht, Mr. Smith, ist Euch kein Plan eingefallen, durch welchen wir uns ebenso gut mit Ehre als mit Gold bereichern könnten?«

Die im Voraus unterrichtete Zoabinda begann sich nun über den Reichtum und die geringen Verteidigungsmittel der Stadt Puerto del Principe zu verbreiten. Einen der größten Empfehlungsgründe fand sie darin, dass er, als zu fern von der Seeküste, noch nie von Plünderern heimgesucht worden sei. Die Einwohner führten stets ihren Handel in barem Geld und ständen in einem beharrlichen, einträglichen Verkehr mit Havanna. Da die Leute des Platzes keineswegs kriegerisch waren, so zollte man diesem Vorschlag großen Beifall und nahm ihn augenblicklich an. Morgan erteilte daher Befehl, dass sich alles augenblicklich an Bord begeben und die Anker lichten sollte, um mit aller Behändigkeit nach el Puerto de Santa Maria zu segeln – einem Ankerplatz, welcher dem Ziel ihrer beabsichtigten Plünderung am nächsten gelegen war.

So schlau sonst die Piraten im Allgemeinen waren, konnten sie sich doch nicht gegen allen Unstern sicher stellen. Sie hatten an Bord ihrer Flotte mehrere Gefangene, darunter einen Spanier, welcher die französische und englische Sprache nicht zu verstehen vorgab. Dieser stürzte sich in der Nacht, in welcher die Flotte ankerte, in die See, schwamm an Land und machte in der Stadt Puerto del Principe Lärm.

Der Gouverneur bot augenblicklich die ganze Streitkraft des Platzes, sowohl Freie als auch Sklaven auf, verbarrikadierte die Hauptzugänge mit gefällten Bäumen, stellte an allen wehrbaren Punkten Posten auf und legte an mehreren Orten Hinterhalte, all diese Vorbereitungen mit Feldstücken deckend. Seine Mannschaft belief sich auf mehr als achthundert gut bewaffnete Leute, die er hälftig an den Außenposten verteilte, während er die übrigen auf einer geräumigen Ebene vor der Stadt in Schlachtordnung aufziehen ließ.

Er hatte den Piraten eine ebenso große Überraschung zubereitet, als die war, mit welcher er von ihnen bedacht wurde.

Unsere Freunde rückten unter der ritterlichen Anführung Morgans vor, mussten aber finden, dass die Wege unbegehbar waren und die aufgeworfenen Verteidigungsmittel nicht im Sturm genommen werden konnten. Aber die Vorsichtsmaßregeln der Spanier gereichten den Piraten nur zur Sicherheit und zum Triumph. Sie bahnten sich einen Weg durch die Wälder, umgingen so die Hinterhalte und rückten unmittelbar der spanischen Streitkraft gegenüber in die Ebene ein.

Die Savannah war ein Platz, auf welchem die Reiterei höchst wirksam manövrieren konnte. Sie erhielt daher den Auftrag, die aus den Wäldern auftauchenden Bukanier anzugreifen. Sie waren übrigens zu langsam in ihren Bewegungen und gestatteten dadurch dem Feind, bei Trompeten- und Trommelschall mit flatternden Fahnen einen gut geordneten Halbkreis zu bilden.

Die Spanier versuchten mehrere Male vergeblich, die Linie zu durchbrechen, wichen aber bald zurück, weil sie bemerkten, dass jeder Schuss des Feindes Wirkung tat. Die Piraten schoben nun den rechten Flügel ihres Halbkreises vor und brachten sich endlich zwischen die Kavallerie und die Stadt, sodass Erstere zum Wald gedrängt wurde, aus welchem sie selbst hervorgekommen waren.

Die Spanier wurden durchbrochen, der Gouverneur getötet. Ihre Niederlage war vollständig. Da sie sich nicht durch den Wald Bahn brechen konnten, so fanden sie fast samt und sonders den Tod, während die Piraten nur einen unbedeutenden Verlust erlitten, obwohl die Schlacht mehr als vier Stunden gedauert hatte. So lange auf der Ebene gestritten wurde, hatten das Fußvolk und die Truppen der Außenposten und Hinterhalte die Stadt gewonnen und sich in den größten Häusern festgesetzt. Von hier aus schossen sie auf Morgans Leute, welche in den Straßen auf- und abliefen und in Menge fielen. Jetzt versuchte es Morgan mit dem Parlamentieren und erklärte den Spaniern, wenn sie nicht aufhörten und sich nicht augenblicklich auf Gnade und Ungnade ergäben, würde er sie alle mit Weib und Kind lebendig in ihren eigenen Häusern braten. Dies erwirkte unverweilt die Übergabe.

Nun begann die Plünderung samt ihren Schrecken. Sie schlossen sämtliche Spanier, Männer, Weiber, Kinder und Sklaven in mehrere Kirchen ein, stellten starke Wachen davor und hielten sie in enger Haft. Dann durchspürten sie das umgebende Land mit gutem Erfolge, indem sie viele Gefangene, Mundvorrat und beträchtliche Beute zurückbrachten.

Nachdem alles in Sicherheit war, handelte unser Held – ja, er war ein Held – in einer Weise, die leider keine Entschuldigung zulässt. Dass die Sieger allen Ausschweifungen die Zügel ließen, kann ihm vielleicht nicht ausschließlich als Verbrechen zugerechnet werden, obwohl er daran teilnahm, denn viehische Rohheit und die rückhaltsloseste Wollust ließ sich wohl von der siegestrunkenen Rotte erwarten, welche er nur dem Namen nach kommandierte. Aber die scharfsinnigen Foltern, welchen die Spanier unterworfen wurden, um sie zu Entdeckung von Schätzen zu zwingen, die ihnen bekannt oder nicht bekannt waren, müssen stets ein Flecken in Morgans Charakter bleiben – ein um so tieferer, blutigerer Flecken, wenn man bedenkt, dass sich die Spanier mit den Waffen in der Hand als Kriegsgefangene ergeben und daher alle Ansprüche auf den Schutz und die milde Behandlung ihrer Sieger hatten. Die peinlichsten Qualen kamen in Anwendung, und wir enthalten uns einer Schilderung, da sie nicht nur die Gefühle der Menschlichkeit, sondern auch die Gesetze des Anstands aufs Gröbste verletzen müsste. Der Leser mag sich das Schlimmste erdenken, was in einem Zeitalter geübt wurde, in dem die Tortur eine Art Wissenschaft geworden war und Geschicklichkeit darin fast als etwas Ehrenvolles galt.

Diese Schrecken beschränkten sich nicht allein auf die Männer, sondern auch auf Weiber und Kinder, die man in den Kirchen eingesperrt verhungern ließ. Die Szene war schaudervoll. Viele Säuglinge starben an den milchlosen Brüsten ihrer verzweifelnden Mütter, während manche unglückliche Frau, welche den Anblick ihres ausgehungerten Kindes nicht mehr länger ertragen konnte, sein Gehirn an den Altären der heiligen Jungfrau zerschmetterte, welche ihnen nicht helfen konnte oder sie verlassen hatte.

Die Stadt war nicht so reich, als man geglaubt hatte, denn sie gab sich mehr mit dem Ackerbau als mit dem Handel ab. Ihr Hauptverkehr bestand in rohen und verarbeiteten Häuten – ein Artikel, der für die Freibeuter fast wertlos war. Sie hatten alles erhalten. Nun wurde aber auch der Mundvorrat selten. Sie konnten nicht umhin, aus diesem letzten Wink zu entnehmen, dass es Zeit zum Aufbruch sei.

Morgans Forderungen waren nun ebenso ungeheuer als sein früheres Benehmen. Obwohl er den Spaniern den letzten Heller abgepresst hatte, verlangte er doch von ihnen als Preis seines Abzugs ein doppeltes Lösegeld, eines für die Personen, das andere für die Stadt. Konnten sie das Erstere nicht leisten, so sollten sie alle als Gefangene nach Jamaika deportiert werden. Wurde das Letztere nicht entrichtet, so wollten die Piraten die ganze Stadt in Asche legen.

Die Spanier konnten auf dieses maßlose Ansinnen keine andere Antwort geben, als dass sie außerstande seien, demselben zu entsprechen. Indes wollten sie sehen, ob ihre Landsleute in den benachbarten Städten nicht bereit wären, ihnen zu Erlegung des Geldes behilflich zu sein. Vier erhielten die Erlaubnis, diese Sendung anzutreten; aber ehe sie aufbrachen, ließ Morgan vor ihren Augen mehrere ihrer Nachbarn fast auf den Tod foltern, um der Deputation zu beweisen, dass es den Piraten Ernst sei. Auch erklärte man derselben, ihre Landsleute, Männer und Weiber sollten jeden Tag dieselbe Behandlung erleiden, wenn sie nicht mit dem Lösegeld zurückkehrten.

Dies war eine vollendete Grausamkeit, die sich keines anderen Urhebers als Morgans rühmen konnte. Die Spanier waren jedoch so hart gegen die Leiden ihrer Freunde und Verwandten, als die Piraten, welche dieselben verhängten. Sie beeilten sich nur wenig mit ihrem Auftrag.

Unser unheroischer Held nahm nicht teil an den wilden Ausschweifungen seiner Raubgenossen, denn er war mäßig im Essen und noch weit mäßiger im Trinken. Die verschiedenfarbigen Schönheiten des Platzes hatten keinen Reiz für ihn. Die einzige Leidenschaft, welche schrankenlos ihren Zepter über ihn schwang, war der Geiz – die einzige Erholung, welche er sich gestattete, das Spiel, in welchem er stets gewann.

Endlich kehrten die spanischen Emissäre zurück, berichteten, dass alle ihre Bemühungen erfolglos geblieben seien, und baten um weitere Frist. In einer ungewohnten Anwandelung von Milde genehmigte Morgan dies und versprach, das Foltern einzustellen.

Inzwischen machten kleine Haufen in das benachbarte Land Ausflüge, und einer derselben brachte nebst beträchtlicher Beute auch einen Neger ein, den sie mit Briefen des Gouverneurs von St. Jago an die vornehmsten Bewohner von Puerto Prinzipe aufgegriffen hatten.

Letztere erhielten in dem Schreiben die Weisung, allen möglichen Vorwänden aufzubieten, um die Zahlung des Lösegelds für die Stadt und für Personen zu verzögern, denn der Gouverneur werde ihnen zuverlässig in ganz kurzer Zeit zu Hilfe kommen.

Diese Kunde bewog Morgan, alle seine Beute unverweilt einschiffen zu lassen und den Spaniern anzudeuten, wenn das Lösegeld nicht am anderen Tage einlaufe, so würde die Stadt in Brand gesteckt werden. Morgan wusste übrigens wohl, dass dies unmöglich war. Da er die erhaltene Nachricht verheimlicht hatte, so konnte er sich wohl anstellen, als neige er sich zur Milde hin. Er ermäßigte seine Forderung auf fünfhundert Ochsen mit einer zureichenden Menge Salz, um das Fleisch einzupöckeln, vorausgesetzt, dass sie das Schlachtvieh selbst an Bord brächten. Mit dankbarer Bereitwilligkeit versprachen die Spanier dieses Ansinnen zu erfüllen, worauf er die Stadt verließ und nur sechs der vornehmsten Einwohner als Geiseln mit sich nahm.

Am anderen Tag brachten die Spanier das Vieh und das Salz zu den Schiffen hinunter; aber Morgan weigerte sich, seine Gefangenen herauszugeben, bis sie seinen Leuten geholfen hätten, dasFleisch einzusalzen. Auch dazu zeigten sich die Spanier bereit. Die Geiseln wurden zurückgegeben, und Morgan, der sich nicht überraschen lassen wollte, beschleunigte seine Abfahrt.

Nun scheint es aber, dass die Markknochen der Ochsen, welche die Engländer so leidenschaftlich lieben, nur zu oft zu Zankknochen werden müssen. Ein John Bull stahl einem Franzosen das saftige Bein, welches ihm zugewiesen worden war, weil er den Ochsen selbst geschlachtet hatte. Es kam zu hohen Worten und zu einer Herausforderung auf Degen. Die Duellanten fanden sich an dem anberaumten Platz ein und wir bedauern, sagen zu müssen, dass der Engländer den Franzosen rücklings auf der Stelle totstach, noch ehe dieser Zeit gehabt hatte, sich in Wehrverfassung zu setzen.

Dieses verräterische Benehmen hatte einen Aufstand sämtlicher Franzosen gegen die Engländer zur Folge. Ohne Morgans Geistesgegenwart würden die Piraten zuverlässig einander selbst aufgerieben habe, oder doch die siegende Partei so geschwächt worden sein, dass die ganze Flotte leicht den Spaniern zur Beute geworden wäre. Morgan stürzte in das Handgemenge, ergriff den Meuchelmörder und ließ ihn augenblicklich gefesselt an Bord seines Schiffes bringen, indem er zugleich versprach, Gerechtigkeit zu üben, sobald sie in Jamaika angelangt wären.

Dies beschwichtigte die Franzosen vorderhand, und sie alle segelten gemeinschaftlich zu einer von den kleinen Inseln der Keys südlich von Kuba, wo sie ihren Raub teilen wollten. Dieser belief sich nicht höher als auf zwölftausendfünfhundert Pfund – eine Bagatelle, welche allgemeines Missvergnügen und Murren erregte, da sie lange nicht zureichte, um die Wirtshausschulden der Mehrzahl zu tilgen. Morgan hielt eine Anrede an sie und tat sein Äußerstes, um sie zu einem einträglicheren Unternehmen zu bereden; aber die Franzosen wussten allerlei Beschwerden anzubringen und trennten sich zuletzt von den Engländern. Dies geschah übrigens unter gegenseitigen Zuneigungsbezeugungen und mit allen äußerlichen Merkmalen der Freundschaft, indem ihnen Morgan noch zum Abschied versicherte, er wolle dafür Sorge tragen, dass dem Mörder sein Recht widerfahre. Er hielt sein Versprechen, denn er ließ ihn einige Monate später, als er zu Jamaika anlangte, aufknüpfen. Esquemelin bemerkt höchst possierlich, dies sei alle Genugtuung gewesen, welche die französischen Piraten erwarten konnten.

Diese Tatsache beweist, dass unsere Landsleute und ihre Behörden Morgan und seine Gefährten schon um jene Zeit als gesetzlich autorisierte Krieger betrachteten, denn der vorgedachte Verbrecher wurde gesetzlich gerichtet, verurteilt und hingerichtet. Man nahm also an, dass die ganze Bande unter der Gewalt der Gesetze stehe, was doch nicht wohl hätte der Fall sein können, wenn man sie nur als Räuber und Piraten angesehen haben würde.