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Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten – Teil 4

Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten, vorzüglich neuester Zeit
Erzählt und erklärt von Gottfried Immanuel Wenzel
Prag und Leipzig 1793

Die wunderbare Sandale

In einem derjenigen Reiche, wo Lamas, Fakire, Bonzen und Derwische mit dem ewigen zugleich auch das zeitliche Beste der Menschen besorgen und Verstand und Güter derselben gefangen halten, in einem solchen Reich, lebte ein Ehepaar schon mehrere Jahre, ohne einen Erben seines Namens neben sich aufwachsen zu sehen.

Der Geschichtsschreiber, dem ich dieses Geschichtchen abborge, versichert in einer Anmerkung hoch und teuer, dass die Schuld nicht an der Frau Gemahlin liege, und aus dem Bild, das er von ihr aufstellt, erhellt, dass seiner Versicherung allerdings zu glauben sei. Sie war, schreibt der Historiograf, ein allerliebstes Weibchen, rund von Arm, Hüfte und Bein. Sah man ihr ins schmachtende Blauauge, so saß ein Liebesgott auf dem Stern und schielte schalkhaft lächelnd hervor. Das Rot ihrer Wangen war jenes, der ihre Knospe verlassenden Rose, gemäßigt vom blendenden Weiß der Lilie, die zum Schmuck der Unschuld die Götter bestimmen. Ihr Zahn übertraf den Alabaster und die Perlen des Ozeans. Ihr Busen, ja den hättet ihr sehen sollen! Hob er sich wallend empor, dann vergaß man Welten um sich her, war nur Gefühl, nur Empfindung. Und das Füßchen! Es war nur ein Füßchen, aber es tat Wunder.

Cato würde aus seinem philosophischen Gleichgewicht geraten sen, und Diogenes seine Tonne zerschmettert haben, hätten sie das Füßchen gesehen.

So war sie, die verdammt zu sein schien, in den Armen eines frostigen Gatten langsam zu verwelken. Ein Derwisch war ihr Gewissensrat.

Das war ein Derwisch! Die Nase eines Cicero, Schultern, wie sie nur Atlas hat, und Waden kernig und stark, kündigten in ihm das Meisterstück männlicher Schönheit an. Oft besuchte er die schöne Fromme und malte ihr die Freuden des Paradieses.

Der Gemahl, der Derwische großer Verehrer, pries sich glücklich, seine Gattin so gut versorgt und in so heiligen Händen zu wissen. Nie störte er die Betrachtende in himmlischer Entzückung, wenn er von der Gegenwart des frommen Mannes unterrichtet war. Doch einst nötigte ihn ein wichtiges Geschäft am Kabinett der Gemahlin vorbeizugehen. Ein Geflüster in demselben machte ihn aufmerksam. Horchend lauschte er an der Tür, um sich zu erbauen, und hörte Seufzer der Andacht.

Küssen muss ich den Engel!, dachte er und öffnte die Tür. Plötzlich rauschte etwas an ihm vorüber. Es schien ihm, als stürzte es sich zum offenstehenden Gartenfenster hinab. Es war nur Schein, denn deutlich sehen konnte er nicht. Die Kortinen waren herabgelassen. Die Gattin lag auf einem elastisch gepolsterten Sofa, hingegossen, als läge Venus selbst schlummernd da. Ihre Augen waren halb geschlossen und der Blick gen Himmel gewandt. Schweiß, in Perlen gesammelt, glänzte auf ihrer Stirn. Der Busen schwoll. Die Draperie war verschoben.

Langsam näherte sich der Gatte der Entzückten, hob sanft ihre Hand empor und nannte leise ihren Namen. Die Schlummernde erwachte.

»Wie ist dir, fromme Seele? Wagte es vielleicht irgendein Verworfener dir Böses zu tun? Beim Eintritt schien es mir, als rauschte eine fürchterliche Gestalt bei mir vorbei.«

»Fürchterlich war sie nicht, die Gestalt, der Himmlischen einer war es. Mir, der Magd des Propheten, erschien, o unglaublich und doch wahr, erschien der Derwische Stifter, gestaltet wie Seraph …«

»Beim großen Lama! Fahre fort …«

»Du wirst Mutter werden«, floss es von den Lippen des Verklärten. »Ich wollte reden, vermochte es nicht. Der Seraph breitete seine Flügel aus und flog in die paradiesischen Gefilde hinüber.«

»Also stürzte keine Gestalt zum Fenster hinab. Wie doch einen die Sinne trügen!«

Nun küsste und liebkoste der Herr Gemahl seine teure Hälfte und dankte dem Propheten. Die Neugierde zog ihn ans Fenster, zu dem der Seraph hinausgeflogen war. An Gemäuer fand er eine Sandale.

Die Gattin sah die Reliquie. »Ha, das ist sie, jene des Heiligen!«, rief sie.

Einen Strom von Küssen goss der Gatte darau, und bewahrte sie als Heiligtum bis zur Zeit der Entbindung.

Diese kam heran, und ein rüstiger Knabe entwandt sich der Mutter Schoß.

Nun wurde die Sandale in Gold gefasst und mit Kristall umschlossen. Alle Derwische der Stadt erschienen. Die Gattin beschwor die Erscheinung. Notare zeichneten das Wunder in die Annalen der Stadt, und die Derwische trugen mit Sang, Spiel und brennenden Fackeln die himmlische Sandale in Prozession nach der Derwischiade. Seit dem wallen aus dem ganzen Reich alle nach Erben sich sehnende Frauen zum heiligen Halbschuhe und dem großnasigen Derwisch.

Den Aufschluss dieses Wunderwerks geben die zur Liebe geschaffene Gattin, die große Nase, die breiten Schultern und starken Waden des Gewissensrats, die Gegenwart des Geistes bei der Frau Gemahlin, als der Herr Gemahl ins Kabinett trat und die große Portion Blödigkeit, die dieser besaß.

Die Freigeister sagten, die Sandale, die der Gatte am Fenster gefunden hatte, hätte der Derwisch Gewissensrat verloren. Allein das glaube ich nicht.