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Die Gespenster – Zweiter Teil – Dreiundzwanzigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Dreiundzwanzigste Erzählung

Ein spukendes Wesen verriegelte sich innerhalb eines Zimmers und machte sich unsichtbar, als man die Tür von außen gewaltsam öffnete.

Im Juli 1793 machte ich aus dem preußischen Lager bei Cisoin, einem französischen Städtchen zwischen Lille und Condé, eine Reise nach St. Trinité, dem höchsten Berg der dortigen Gegend, um auf dem Gipfel desselben ein Augenzeuge vom Bombardement der unglücklichen Stadt Valenciennes zu sein. Ich erlebte unterwegs ein spukhaftes Etwas, das mich in das größte Erstaunen setzte. Ich konnte denselben Tag nicht ins Lager zurückkehren und beschloss daher in Tournay zu bleiben. Den ehrwürdigen Abt der dortigen Martinsabtei und den Klosterbruder Ildephons hatte ich schon vorher als denkende Köpfe kennen, schätzen und lieben gelernt. Wie hätte ich also ihre zuvorkommende, freundschaftliche Aufforderung, nicht im Wirtshaus, sondern bei ihnen zu übernachten, nicht gern annehmen sollen? Wir verplauderten unseren Abend höchst angenehm. Unsere Unterhaltung über Tagesneuigkeiten und Kriegsbegebenheiten ging, ich weiß nicht mehr wie, bald auf wissenschaftliche Gegenstände und namentlich auf die Lehre von Geistern und Geistererscheinung über. Ich sah mir gegenüber denkende Verteidiger der Letzteren und wunderte mich nicht darüber. Denn hier, wo in Vergleichung mit dem inneren Deutschland der Geistesanbau in mancher Hinsicht noch großer Vervollkommnung fähig ist, hier kann man zu den denkenden Köpfen des Landes gehören und doch in einzelnen Stücken noch von handgreiflichen Irrtümern und groben Vorurteilen beherrscht werden.

Man erzählte mir ein Paar abenteuerliche Gespenstergeschichten, bei deren Anhörung manchen vielleicht die Haare zu Berge gestanden haben würden. Während diesen grausenerregenden Erzählungen schlug die Stunde, welche den Bruder Ildephons und die übrigen Insassen der Abtei in ihre Zellen rief. Man hatte mir zum Übernachten im zweiten Stock eine Stube angewiesen, welche zwei Ausgänge nach entgegengesetzten Richtungen hatte. Bevor ich mich zu Bett legte, untersuchte ich, wie ich beim Übernachten in einem fremden Haus gewöhnlich zu tun pflege, ob sich nicht eine Katze oder Ähnliches mit hineingeschlichen und irgendwo verkrochen habe. Es schläft sich dann ruhiger, und man kann so nicht leicht von jenen natürlichen Gespenstern gestört werden, die ich allein fürchte.

Der durchsuchende flüchtige Überblick des Zimmers war bald getan. Da fand sich auch nicht einmal die Spur von einem lebenden Wesen um mich her. Ich verriegelte hierauf von innen die eine Tür. Die andere aber, durch welche ich gekommen war und die statt des Riegels einen Überhang hatte, hing ich zu und legte mich darauf zu Bett.

Die mit der Abendunterhaltung rege gemachten Spukgedanken beschäftigten mich nicht mehr. Ich war eben ruhig und unbefangen eingeschlafen, als mich plötzlich ein lautes, aber undeutlich vernommenes Getöse erweckte. Da ich das Licht ausgelöscht hatte, so konnte ich der Quelle dieses Geräusches, welche mein musikalischer Wohlklang in verhallenden Akkorden nachtönte, nicht nachspüren. Auch schien mir das Ereignis, so unerklärbar es mir auch war, doch zu unbedeutend, als dass ich deshalb das Licht wieder hätte anzünden und vielleicht unnötiges Aufsehen erregen sollen. Mir blieb also nichts übrig, als ruhig liegen zu bleiben und die Enträtselung des Zufalls, der mich im ersten Schlaf störte, vom wohltätigen Licht des nächsten Tages zu erwarten.

Ich hatte wohl eine halbe Stunde wach gelegen, als sich unerwartet ein abermaliger, ziemlich starker Laut dicht neben mir hören ließ. Ich fuhr erschrocken auf und horchte klopfenden Herzens. Die verhallenden musikalischen Töne ließen sich auch jetzt wieder hören, jedoch minder stark als das erste Mal. Woher das alles kam, begriff ich nun so wenig wie vorhin. Nur davon wurde ich nun fester überzeugt, dass die veranlassende Ursache des spukhaften Geräusches innerhalb des Zimmers zu suchen war.

Ich sprang aus dem Bett und suchte nach dieser Ursache fühlend umher, so viel es sich im Finstern tun ließ. Aber hier, wo ich kurz vor dem Zubettgehen mit dem brennenden Licht in der Hand kein lebendiges Wesen im ganzen Zimmer hatte finden können, hier war nun noch viel weniger an eine Entdeckung zu denken, die mir einen Aufschluss in dieser rätselhaften Sache hätte geben können. Ich gestehe, dass mir die Haut zu grausen anfing, bin aber auch so eitel, zu glauben, dass es Tausenden in meiner Stelle nicht besser gegangen sein würde.

Die Weisheit des Schöpfers selbst scheint diese Furcht (nicht sowohl vor Gespenstern, als vielmehr vor gespenstähnlichen uns bedrohenden, gefährlichen Dingen) zu rechtfertigen, indem sie diese absichtlich mit der Natur des Menschen verwebte, um unter anderen auch auf diese Art für die Erhaltung unsers Lebens zu sorgen. Wie wäre es sonst möglich und erklärbar, dass anerkannt unerschrockene und in Absicht des Gespensterwesens vorurteilslose Krieger im Finstern vor einem ihnen unbegreiflichen spukhaften Etwas, oft heftiger zusammenschaudern, als in dem drohendsten Schlachtgetümmel? Und dies ist doch in der Tat gar nichts Seltenes.

Indessen entschloss ich mich in dieser unangenehmen Verlegenheit, meinen vielleicht schon schlafenden Freund Ildephons, dessen Zelle mir bekannt war, um Licht zu bitten. Zum Glück war er noch auf den Beinen und sogleich bereit, mit dem Licht in der Hand die Sache untersuchen zu helfen. Zu unserem Erstaunen fanden wir die Tür meines Schlafgemachs, durch welche ich soeben gekommen war, und die ich, weil mir die Hacken lang wurden, hinter mir zugeschlagen hatte, von innen mit dem daran befindlichen Überhängsel zugehangen vor. Es schien also dennoch jemand im Zimmer zu sein, den ich in seinem geheimen Schlupfwinkel beim ersten Nachsuchen nicht bemerkt haben musste.

Ildephons eilte zur anderen Tür des Zimmers, um durch diese in dasselbe einzudringen. Er wusste nicht, dass ich sie von innen verriegelt hatte, und kehrte daher unverrichteter Sache zu mir zurück. Er verlangte vom Eingesperrten in einem sehr ernsthaften Ton, dass ihm augenblicklich das Zimmer geöffnet würde, widrigenfalls er Lärm machen und zu dessen Öffnung gewaltsame Maßregeln ergreifen müsse. Allein die Türen blieben verriegelt und übergehangen. Auch erfolgte nicht einmal eine Antwort. Dass das Schloss der von mir zugeschlagenen Tür nicht etwa durch einen bloßen Zufall hinter mir zugesprungen oder bloß verschlossen war, sondern wirklich von innen übergehangen sein musste, konnten wir mit unfehlbarer Gewissheit daher wissen, weil sich der Schlüssel dazu außen befand, und wir in diesem Fall nur hätten aufschließen dürfen.

Was uns noch mehr Gewissheit hierüber gab, war der Umstand, dass sich die Tür noch einkerbig aufmachen ließ, weil der Überhang sie nicht ganz fest verschloss. Wir hoben daher diesen von außen mittelst eines Messers aus dem Haken, und so war nun das Spukzimmer geöffnet.

Mit forschenden Blicken suchten wir den Polterer und fanden ihn nirgends. Durch die andere Tür konnte er uns nicht entwischt sein, denn sie war von innen noch verriegelt. Die Veranlassung des zweimal gehörten plötzlichen Geräusches aber zeigte sich uns bald. Man hatte zwei sogenannte Studentenmausefallen aufgestellt. Die eine stand unter meinem Bett, die andere auf dem Deckel eines am Kopfende des Bettes stehenden Klaviers. Zu der Letzteren hatte man statt eines Steines einen Folianten genommen, dessen schiefe Lage und diesmalige Bestimmung meine Neugierde nicht gereizt hatte. Sowohl er als auch der ganz übersehene Stein unter dem Bett bedeckten jeder eine gequetschte Maus. So lagen uns also in den beiden Leichnamen die Urheber des Spukens unverkennbar vor Augen. Der durch den Folianten veranlasst harmonische Nachhall und der Resonanzboden des musikalischen Instruments, worauf er lag, waren unstreitig sehr vereinbare Dinge. Unser absichtlich wiederholtes Fallen lassen dieses Buches brachte das ganze nämliche Getöse hervor, welches mich aus dem Schlaf aufgeschreckt hatte.

In Absicht des vernommenen Geräusches hatten also ohne allen Zweifel die Mäuse gespukt. Aber wer in aller Welt hatte denn nun den Überhang der Tür von innen im menschenleeren Zimmer hinter mir zugehangen? Wer? Das Gespenst, welches so oft spukt – der Zufall!

So wie ich, um Licht zu holen, die Tür geschwind öffnete und am Ende den Überhang aus dem Haken hob, muss jener zufällig in einer Richtung nach oben stehen geblieben und beim Zischlagen der Tür aus seiner stehenden Lage gerade so umgefallen sein, dass seine Öse in jenen Haken fiel. Wir versuchten innerhalb der Stube, ob sich dieser in der Tat seltene und höchst sonderbar Zufall zum zweiten Mal ereignen würde. Es gelang uns auch damit, aber erst nach einigen vergeblichen Versuchen.