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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 17

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Siebzehntes Kapitel

Morgan geht mit seiner schwarzen Schönheit auf einen Liebeskreuzzug, spielt den Schulmeister und ist sehr glücklich. Der Erste in dieser Profession. Die Liebenden treiben ein bisschen Seeraub pour passer le temps, gehen nach Jamaika, richten sich daselbst zugrunde und versuchen aufs Neue, ihr Glück zu machen.

Wir können nicht länger auf dieselbe Teilnahme für den Charakter unseres Helden Anspruch machen. Er hat nun vermessen und höchst grausam sich das Recht der Rache angemaßt und sich für berufen erklärt, Qualen zu verhängen und mit dem Menschenleben zu spielen, das er nicht fürder als eine heilige Gabe der Allmacht, sondern als eine bloße Kategorie des Daseins ansehen wollte, welche er verlängern oder zerstören konnte, je nachdem es seinem Interesse zusagte oder seine Leidenschaften befriedigte. Obwohl er kein Bedenken trug, die grausenvollsten Morde zu begehen, meinte er doch, vollkommen und makellos ehrenhaft zu sein. Nie zuvor war seine Selbstachtung so groß und seine Entschlossenheit, sich einen ruhmvollen Namen zu gewinnen, so fest gewesen, wie zu der Zeit, als er vom Schauplatz dieses doppelten Meuchelmordes in Gesellschaft der Geliebten eines der Ermordeten wegsegelte.

Und Zoabinda? Was war sie? Das ausgesuchteste Musterbild in Ebenholz geschnitzter, menschlicher Schönheit, mit dem Urstoff für einen ebenso überlegenen Geist, welcher nur der Meisterhand harrte, um sich zur Tugend und sogar Größe ausbilden zu lassen. Sie war in allen Dingen höchst unwissend, einige Künste der Gefallsucht ausgenommen. Ihre Religion bestand aus dem kindischsten Aberglauben, ihre Vorstellung von der Seeligkeit eines Jenseits würde nicht einmal einen Anfänger in der Zivilisation, der bloß die Bequemlichkeiten dieses Lebens im Auge hat, zufriedengestellt haben. Und doch sah sie, so weit ihr Gesichtskreis ging, lebhaft und richtig. Das ganze Sehnen ihres Wesens war dem Guten und Schönen zugewandt. Dass sie sich nichts aus einem Menschenleben machte und teilnahmslos auf die Gequälten niederblickte, entsprang nicht einer bösen und grausamen Sinnesart, sondern bloß aus der Macht der Gewohnheit, denn von ihrer frühesten Jugend an war sie unablässig Zeuge gewesen, wie man die herbste Folter verhängte und mit Menschenleben noch verschwenderischer umging, als mit schmutzigem Wasser.

Die vorherrschenden Züge in Zoabindas Seele waren Liebe, Bewunderung sowohl physischer als auch geistiger Gewalt und eine aufopfernde Dankbarkeit. Für ihren vormaligen Gebieter hatte sie nur wenig Liebe und noch weniger Bewunderung gefühlt, folglich konnte sie auch keine Dankbarkeit für ihn im Herzen tragen. Und doch tue ich ihr Unrecht. Bis sie Morgan gesehen hatte, war sie ihm wohl geneigt gewesen, weil er sie reichlich nährte und prächtig kleidete, obwohl er sie bisweilen roh, abwechselnd aber auch mit einer bis zum Wegwerfen gemeinen Verliebtheit behandelte. Als jedoch Morgan erschien, gab sie ihm mit einem Mal ihre ganze Seele für immer hin. Nie zuvor hatte sie etwas so Herrliches in der menschlichen Gestalt gesehen oder auch nur geträumt. Sie hielt die Sonne selbst für weniger strahlend, als die nämliche Schönheit seines Gesichtes. Im Laut seiner Stimme erkannte sie den Ton des Befehls, dem augenblicklich und unbedingt Gehorsam geleistet werden musste. Wenn sich diese Stimme gar zum Geflüster der Liebe ermäßigte, der Liebe zu ihr, so hätte die arme Zoabinda durch die bloße Kraft ihres Willens auf der Stelle sterben mögen, wenn er sie es geheißen hätte. Morgan hatte bereits erfahren, dass Kenntnis Kraft ist, und die Kraft selbst machtlos wird ohne Werkzeuge. Als sie in dem kleinen Fahrzeug schwammen, das fast ganz Kajüte war, setzte er sich eifrig in Tätigkeit, um sie lesen und schreiben zu lehren, desgleichen ihr die Anfangsgründe fast allen nützlichen Wissens beizubringen. Ihre Fortschritte erregten die größte Bewunderung in ihrem zärtlichen, aber doch klugen Lehrer, und die Schnelligkeit ihrer Ausbildung ließ sich bloß mit seiner Begierde, sie zu unterweisen, vergleichen. Morgan zitterte, während er sie unterrichtete. Er bemerkte bald, dass ihre Fassungsgabe die Seine weit überbot, dass ihr Denken viel weiter ging und tiefer eindrang. Kurz, er sah sich oft genötigt, eine Frage mit einem Kuss zu ersticken, da er keine andere Antwort darauf geben konnte. Morgan erkannte wohl, dass der überlegene Geist, wenn man ihm nur ein geeignetes Ziel setzt, zuletzt herrschen muss, und fürchtete daher, seiner schwarzen Geliebten dienstbar zu werden. Sein stolzer Geist wollte sich nicht an diesen Gedanken gewöhnen, denn er vermochte es nicht zu ertragen, jemanden untergeordnet zu sein. Bereits hatte er sich deshalb vorgenommen, Zoabindas Kenntnisse auf eine gewisse Grenze zu beschränken, aber es war eine so angenehme Aufgabe, die außerordentlichen Kräfte ihres umfassenden Geistes auf die Probe zu setzen, dass er seinen Unterricht fortsetzte, in vielen wichtigen Dingen aber seine Schülerin sehr unrichtig belehrte, da er selbst in seiner Erziehung sehr verwahrlost worden war.

Er machte sie zu einer Deistin und einer Zweiflerin an der Zukunft. »Der Mensch«, brachte er ihr bei, »sei seine eigene Vorsehung und keine Handlung in Beziehung auf die ganze Gesellschaft recht oder unrecht, sondern sie müsse bloß in ihrem Verhältnis zu den Personen beurteilt werden, welche sich zu derselben vereinigt hätten.« So hielt er den Seeraub an sich für etwas sehr Gleichgültiges und war der Ansicht, dass die Beraubung eines Fremden kein Verbrechen sei. Dagegen sei es unverzeihlich, wenn ein Pirat den anderen bestehle.

Aber trotz seiner Verachtung gegen alle Glaubensbekenntnisse war doch Morgan sehr abergläubisch, denn er glaubte an den Zufall und meinte zum Unglück für das Menschengeschlecht, es sei ihm zugefallen, erbarmungslos zu sein und eine gewisse Portion Menschenblut zu vergießen. Er erklärte gegen die Negerin, so oft er sich durch einen menschlichen Beweggrund habe beherrschen lassen, seien die Folgen für ihn stets schrecklich gewesen, während er dagegen nicht nur zu Macht und Reichtümern, sondern auch zu hohem Ruf gelangt sei, so oft er ohne Rücksicht auf Menschenleben gerade aus auf sein Ziel losgegangen. Wenn sie in Erwiderung auf alle diese Sophistereien sich über das Glück der Güte und des Wohlwollens verbreiten wollte, pflegte er ihr zu antworten, dass dies nur in Beziehung auf den engeren Kreis, welcher den Menschen umgebe, richtig sei. Wer aber solche Grundsätze auf die weiteren Kreise der Menschheit, auf ein ganzes Land oder auch nur auf eine große Umgebung anwenden wolle, sei ein Narr, der mit Recht alles Unglück verdiene, welches stets aus einer solchen Handlungsweise hervorgehe.

Morgan hatte sein kleines, sehr schnelles Fahrzeug Owen genannt. Es besaß einen einzigen, kurzen, starken Mast, an welchem ein großes lateinisches Segel mit vielen Reffen und ein schweres Klüver, hinten aber nichts weiter als ein Hammelsschultersegel an einer ziemlich hohen, dünnen Spiere aufgehisst war. Bei dieser Ausstattung brauchte der Owen nur wenig Takelwerk und nahm sich, von einiger Entfernung aus betrachtet, mit niedergelassenen Segeln fast ganz unmerklich auf der Wasserfläche aus. In allen Segelstrichen legte er seine Entfernung wie ein Wasservogel zurück. Von allem, was damals auf dem Wasser schwamm, konnte sich nichts mit ihm messen, natürlich stets vorausgesetzt, dass keine so starke Bö blies, um ihn zu versenken. Die Bemannung bestand aus vier Negern und acht Weißen, lauter Vagabunden, die aus den verschiedensten Nationen zusammengelesen waren. Es fehlte nicht an guter Bewaffnung, denn Morgan hatte in seiner Kajüte hinreichend Kleingewehr und Munition, um eine zweimal so starke Mannschaft zu armieren. In dieser Weise über das schöne karaibische Meer segelnd, war es ihm nicht so eilig zu tun, St. Jago de Vega zu erreichen, da er vielmehr seinen Ausflug zu verlängern gedachte.

Unser Held war nun wirklich verliebt. Indes war dies bei ihm kein tändelndes Gefühl, sondern ein Gemisch von Stolz, Vertrauen und Wollust. Dann wandelte ihn auch die Betrachtung an: Warum sollte dies nicht nachhaltig sein? Aber ich und die herrliche Zoe werden zu träumerisch und metaphysisch. Wir bedürfen der Tätigkeit. Ich wünsche sie keiner Gefahr auszusetzen; aber doch würde es ein Hochgenuss sein, der heidnischen Götter würdig, ihr schönes Antlitz in der Begeisterung einer Schlacht oder im Augenblick des Sieges zu sehen. Ich muss sie doch fragen, ob sie ein

Scharmützel zu sehen wünscht. Ich hoffe und fürchte zugleich, sie werde ja sagen.

»He, ihr auf dem Deck da!«, rief er laut aus seiner in Wahrheit schönen Kajüte hinaus, »haltet vier Striche ab und setzt neue Segel. Jedenfalls kann es nicht schaden, das spanische Festland ein wenig zu betrachten. Ich werde dadurch mit den Vorgebirgen bekannt und wenn wir mit einem schläfrigen Don zusammentreffen …«

Wir würden der Dame nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn wir im Gespräch zwischen unserem Helden und Zoabinda die Ergüsse ihrer starken Seele durch den Negerjargon karrikierten, denn erstens war sie keine Küstennegerin, sondern in Abessinien in der Nähe der höheren Nilquelle geboren und besaß vollkommen die Fähigkeit, fremde Sprachen richtig zu erlernen; zweitens unterhielt sie sich mit Morgan stets auf Spanisch, obwohl sie bereits im Englischen und Französischen gute Fortschritte gemacht hatte.

»Meine Schönheitskönigin, lege dein Buch beiseite und höre mir zu«, sagte Morgan, indem er sich zärtlich auf ihre Schulter lehnte.

»Ich höre! O wie gerne hört Zoabinda zu, wenn Henry spricht! Ich möchte nicht, dass mir der Ton von meines Liebsten Stimme je ferne wäre. Er ist es nie, nie.«

»Tyrannin meines Herzens, ist dies nicht in Wahrheit ein angenehmes Leben? Aber wir haben schon lange auf diesen zierlichen Wogen getanzt. Sehnt sich meine Zoe nicht nach frischer Ananas, möchte sie nicht die schönen Früchte einsammeln? Wahrlich, in der Abendstunde ist der Schatten des Palmbaums lieblich, wenn die Sonnenstrahlen im Bund mit der westlichen Brise schräg über die funkelnde See niederfallen.«

»Ja, Pfühl meiner Seele, aber du bist hier, und wir sind allein. Ist nicht alles, soweit wir sehen können, unser Eigentum? Haben wir nicht jeden Tag ein neues Königreich? Nicht einmal der Hain von Zimtbäumen oder der Wasserfall darin wäre mir jetzt so verlockend, Henry. Wie frei sind wir auf diesen teuren Wellen, welche uns gehören! Gleichwohl lass uns an Land eilen. Ich werde dir nirgends Unehre machen. Du sehnst dich nach dem Bann der Häuser und den Stimmen der Menschen.«

»Nein, meine Herrlichkeit, ich will nichts von diesen. Aber ich fürchte, ich könnte zu weichlich werden. Mein Atem wird kurz und mein Körper vom Fleisch überladen. Du könntest das Ungeheuer, zu welchem mich einige Monate üppigen Müßigganges machen würden, nicht länger lieben. Schüttle immerhin ungläubig deinen Kopf, aber mein Geist fordert Tätigkeit. Möchtest du wohl mit ansehen, wie ich ringe in dem glorreichen Getümmel der Schlacht?«

»Ja, ja – nein, nein! Ja, dann, dann wird mein Herz aufhüpfen vor Entzücken, wenn es dich sehen könnte in der Glorie deiner Kraft – nein, denn wenn du verletzt würdest, so müsste ich mich langsam zu Tode härmen.«

»Zoabinda, du bist zu mehr als einem Weib geboren. Würdest du dich getrauen, an meiner Seite zu fechten?«

»Du kränkst mich mit dieser Frage, mein edler Gebieter. Verlass dich darauf, wenn du im Gefecht stehst, werde ich auch da sein. Es ist Zoabinda, die dir diese Versicherung gibt.«

»Gefielest du dir wohl darin, meine schöne Amazona?«

»O Henry«, rief sie, sich in seine Arme werfend und ihn mit Innigkeit an ihre vollen Busen drückend. »Ich bin ein Weib – und doch, und doch – für ein einziges Mal möchte ich wohl ja sagen.«

»Mein herrliches Mädchen!«, entgegnete Morgan, indem er ihre Umarmung ebenso leidenschaftlich erwiderte«, du bist jetzt ebenso sehr Henry Morgan, als er es selbst ist. Du sollst deinen Wunsch erfüllt sehen. Ich wollte nur, dass mir der Zufall hold bliebe. Welch ein Reich könnten wir gewinnen, welch eine Dynastie könnten wir gründen! Aber die Großartigkeit des Gedankens darf uns nicht so blenden, dass wir unsere bescheidenen Mittel übersehen. Zoabinda, ich muss dich den Gebrauch der Waffen lehren.«

»Ah, das wird herrlich sein!«

Bücher und Federn wurden nun beiseitegelegt und unablässige Übungen mit dem Rapier, an dessen Ende Kork eingebracht war, mit dem Dolch, der Pistole und der Muskete vorgenommen. Namentlich brachte sie es in der Letzteren bald zu hoher Vollkommenheit, denn sie war fast stets ihres Zieles sicher. So verbrachten die beiden Liebenden ihre Zeit höchst glücklich. Sie hatten nun schon seit einiger Zeit das spanische Festland in Sicht, aber Morgan nahm sich wohl in acht, sich der Küste allzu weit zu nähern, damit sie nicht auf einige der zahlreichen Guarda-Costas träfen.

Da jedoch endlich sein Mundvorrat und namentlich das Wasser zur Neige ging, so beschloss unser Held, an Land zu fahren, um wenigstens frischen Proviant zu fassen und in Betreff anderer Dinge, die ihm vielleicht in den Weg fallen könnten, auf sein gutes Glück zu bauen. Nachdem er alle Vorbereitungen im Geist bereinigt hatte, rief er seine kleine Mannschaft nach hinten und redete sie mit den Worten an, er wünsche zu wissen, ob sie Memmen seien, ob sie nicht die tyrannischen und grausamen Spanier hassten, ob sie kein Verlangen trügen, einige Hundert Piaster verjubeln zu können, wenn sie wieder nach Jamaika kämen, und vor allem, ob sie die Gesetze der Küstenbrüder kannten und verstünden. Er erinnerte sie an die Heldentaten eines Davis, Scott, Rock, Brasiliano und einiger anderen ähnlichen Würdenträger, dabei sorgfältig die Erwähnung L’Olonois übergehend, und bedeutete ihnen zugleich, dass alle diese Männer mit Fahrzeugen begonnen hätten, welche bei Weitem nicht so groß und so wohl bewaffnet gewesen wären wie der Owen.

Die kleine Bande grinste dieser Anrede einen schrecklichen Beifall zu und erklärte, sie wolle mit ihm zum Teufel gehen. Dann nahm er ihnen mit viel Salbung den Bukaniereid ab und ließ sie sich selbst Gehorsam schwören. So war er denn nun zum ersten Mal der Kapitän eines Korsaren. Seinen Schwarzen hatte die ganze Zeremonie ausnehmend gut gefallen. Schon in der nächsten Nacht landeten sie in einer kleinen Bucht östlich der blühenden Stadt Cartagena. Morgan hisste hier die spanischen Farben auf und erklärte dem Vorstand des Städtchens, sein Schiff sei ein Avisboot von Cádiz und überbringe wichtige Depeschen an den Gouverneur von Cartagena. Er verlange daher im Namen des Königs von Spanien Wasser, Ochsenfleisch und Mundvorrat aller Art. Man willfahrte ihm bereitwillig, und er stellte dafür Quittungen aus, sich für die schleunige Bedienung noch ferner dadurch bedankend, dass er viele selbst fabrizierte Neuigkeiten aus dem alten Spanien mitteilte.

Mit Tagesanbruch lichtete er seine Anker, und nach ein paar Stunden lag er unter kahlen Stengen und mit aufs Deck niedergelassenen Segeln weit in der See draußen, sodass man fast nichts von ihm sah, wenn er nicht gerade unter die Buge eines Schiffes, welches des Weges zog, zu stehen kam. Zwei Tage und Nächte blieb der Owen also in der Fahrstraße nach Cartagena liegen. Am dritten bemerkte Morgan mit der Dämmerung ein Schiff, welches sorglos gegen sie herunterkam.

Die Mannschaft des Owen war im Nu bewaffnet. Morgan schärfte Zoabinda gebieterisch ein, dass sie im Fahrzeug bleiben sollte, erteilte ihr aber zugleich die Erlaubnis, mit ihrer Muskete so viele Spanier niederzustrecken, wie ihrem zarten Herzen gutdünkte.

Die Leute standen auf ihren Posten, und alles war fürs Entern vorbereitet. Der Owen hisste kein Segel auf, hielt sich aber mit seinen Ruder unmittelbar vor dem Fremden, welcher entweder das kleine Fahrzeug nicht sah oder es vielleicht für ein Küstenschiff seiner eigenen Nation oder ein Fischerboot hielt. Im Laufe der Zeit wurden die Ruder eingezogen, die Bootshaken eingeschlagen, geentert und die vier Mann auf dem Deck getötet. So geriet der Fremde in Morgans Besitz. Ein eigentlicher Kampf fand nicht statt. Das Ganze lief ohne viel Lärm ab.

Unser Held war eben im Begriff, den Schädel des spanischen Kapitäns zu spalten, der seinen mit der Nachtmütze gezierten Kopf durch die Luke herausstreckte, um nach dem Grund des Getöses zu fragen, das ihm geweckt habe. Da fühlte er plötzlich seinen Arm festgehalten. Als er sich umschaute, entdeckte er die ungehorsame Zoabinda an seiner Seite.

»Ah, Zoe, das ist kein militärischer Gehorsam«, sagte Morgan.

»Es ist der Gehorsam der Liebe, Henry.«

So blieb das Leben des Kapitäns gerettet. Morgan bedauerte es nicht, denn vier Opfer reichten zu, um seine abergläubischen Begriffe über das, was er für sein gutes Glück nötig hielt, zufriedenzustellen. Das Schiff erwies sich als wertvoll, da es mit allem beladen war, was man in Westindien schätzte. Die überlebenden Spanier wurden mit Wasser, Zwieback, Rudern und einem Kompass in ein offenes Boot gesetzt, um so ihre Fahrt zu beenden.

Vier Mann mussten den Owen schiffen, während Morgan und die Übrigen an Bord der Prise gingen und sie wohlbehalten nach Port Royal brachten, das unter der umsichtigen Sorgfalt und Wachsamkeit des Obristen Madiford außerordentlich aufzublühen begann. In der Tat hatte sich der Platz während der paar Monate von Morgans Abwesenheit so sehr verschönert, dass ihn unser Held kaum mehr erkannte. Sein alter Freund bewillkommte ihn freudig. Die Prise wurde nun vorteilhaft verkauft und der Ertrag ehrlich geteilt.

Henry Morgan fühlte sich nun so gut und glücklich, dass er beinahe ein Jahr lang keine weitere Lust zu einem neuen Abenteuer verriet, sondern ein wildes lustiges Leben führte. Seine Dame wurde das Wunder des Platzes und gab unter der zügellosen Gesellschaft den Ton an, ohne jedoch selbst auch nur im Geringsten zügellos zu sein. Zu ihren Festen eingeladen zu werden, gehörte vorzugsweise zum bon ton. Der Ruf ihrer Schönheit und ihrer hohen Talente führte von den benachbarten Inseln viele Gäste nach Jamaika. Im wilden Leben, das sie umgab, benahm sie sich edel und mit viel Anstand. Ihr Geschmack zielte zwar aufs Prunkvolle, aber sie entwickelte dabei die größte Anmut.

Morgan war mit seiner gegenwärtigen Lebensweise so gut zufrieden, dass er wohl keine anderen gesucht haben würde, wenn seine Hilfsquellen zugereicht hätten, sie fortzuführen. Solange sein Geld ausreichte, dachte er nicht anderes. Erst als seine Kassen erschöpft waren, teilte er seiner schwarzen Schönheit mit dem ruhigsten Gesicht der Welt mit, dass sie nun wieder in See stechen und Geld verdienen müssten.

»Das freut mich. Wir werden wieder in unserem hübschen kleinen Boot in der offenen See herumfahren und abermals ein spanisches Schiff nehmen.«

»Das können wir noch nicht tun. Unser hübsches kleines Boot ist längst verkauft. Zoabinda, ich wollte dich nicht früher aus deinen angenehmen Träumen wecken, wie es unbedingt nötig wäre. Du musst dich nun daraus gefasst halten, anderen Befehlen zu gehorchen als den meinen, meine Prinzessin. Du wirst dein Geschlecht verhüllen, und wir streifen dann gemeinschaftlich umher, bis uns das Glück in die Lage setzt, so zu handeln, wie wir jetzt nicht handeln können.«

In der Zeit, von welcher wir schreiben, trug jeder Kommandeur in wirklichem Dienst teilweise einen stählernen Harnisch. Es war Morgan vollkommen Ernst, dass Zoabinda seine Gefahren ebenso gut teilen sollte, wie seine Vergnügungen, weshalb er für sie einen leichten Kürass und einen vollständigen Anzug von starkem Leder, welches jedem gewöhnlichen Säbelhieb Widerstand leisten konnte, hatte anfertigen lassen. Der Hut jener Zeit mit einer hellroten Feder, ein leichtes Rapier, ein paar große Pistolen – und die Dame war in einen sehr schmucken schwarzen Kavalier, in einen modernen Jubaner verwandelt. Sie hatte inzwischen erträglich geläufig Englisch sprechen gelernt und konnte mit wunderbarer Zierlichkeit und Geschwindigkeit schreiben. Wir sehen uns übrigens genötigt, einzugestehen, dass sie sich auch an verschiedene Dinge gewöhnt hatte, welche man bei dem schwächeren Geschlecht Exzesse nennt, bei dem stärkeren aber nicht nur duldet, sondern sogar ermutigt.

Nachdem das Liebespärchen seine ganze Habe mit Einschluss einiger Sklaven verkauft hatte, machte es sich in aller Stille von hinnen. Zoabinda hatte sich in einen kriegerischen jungen Nubier, den Sklaven und Sekretär ihres Begleiters, verwandelt. Sie schifften sich unter ausgedachten Namen auf einem Schiff ein, welches es eben nicht sehr genau nahm, von welcher Nation es seine Prisen holte. Auf diesem oder ähnlichen Schiffen verbrachten sie zwei Jahre als Offiziere untergeordneten Ranges.

Wir bedauern, dass die gleichzeitigen Berichte uns keinen Aufschluss über die nunmehrigen Bewegungen Morgans und seiner par amour geben. Geschichte und Biografie schweigen sogar über den Namen der Schiffe, auf welchen sie dienten, und es wird von Henry nur gesagt, dass er mehrere Reisen mit einigem Gewinnn und gutem Erfolg machte. Als er jedoch ungefähr dreißig Jahre alt war, finden wir, dass er sich ein hübsches Häufchen Geld errungen hatte. Man ersieht übrigens aus der Andeutung, dass er nur langsam dazu gekommen war und dass das Glück sein goldenes Horn nicht in plötzlicher oder üppiger Weise über ihm ausgeschüttelt hatte.

Nachdem er es endlich herzlich satthatte, anderen zu dienen, und sein Ruf als tapferer zuverlässiger Mann durch das Gerücht weit verbreitet worden war, sammelten noch einen Kreuzzug er und sein Sekretär zu Jamaika mehrere Küstenbrüder, welche unser Held Morgan bewog, ein Schiff anzukaufen und ihn zum Kommandeur, Zoabinda aber zum Schiffskommissär oder Zahlmeister zu ernennen. Nun war er zum ersten Mal der unbestrittene Kapitän eines Kriegschiffes mit einer kriegerischen Mannschaft, gut zu Schutz und Trutz ausgestattet. Es gelang ihm bald, seine Mittel mit großem Vorteil in Anwendung zu bringen. Schon auf seiner ersten Fahrt machte er mehrere wertvolle Prisen, mit denen er triumphierend nach Jamaika zurückkehrte.

Das Geschlecht seiner Begleiterin wurde nicht beargwöhnt, denn als seine Geliebte hatte sie ein sehr abgeschiedenes Leben geführt und nur mit den ersten Personen der Insel Gesellschaft gepflogen, während die Leute, mit denen er nun verbündet war, in Anbetracht ihres Ranges und ihrer Stellungen dem verzweifelten Auswurf aller Nationen angehörten. Wir haben nur wenig Zeit, bei dem Liebesroman dieser Biografie zu verweilen, und wollen daher bloß sagen, dass Morgan mit seinem Geschick zufrieden war, die Negerin aber sich eines weit gedingeneren und aufregenderen Glückes erfreute, als je eine Dame, mochte sie nun die Heldin was immer für eines Romans oder einer Novelle werden. Ohne Zweifel würde sie in dem seltsamen und schrecklichen Treiben, in welches sie sich verflochten sah, eine weit glänzendere Rolle gespielt haben, wenn nicht ihr Ungestüm und ihr Unternehmungsgeist in hohem Grad durch ihre unterwürfige aufopfernde Liebe zu Morgan gedämpft worden wären. Jedenfalls leistete sie Letzterem unberechenbare Dienste nicht nur als Amanuensis, sondern auch als eine besonnene, klarsehende Ratgeberin.