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Der Spion – Kapitel 12

Balduin Möllhausen
Der Spion
Roman aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, Suttgart 1893

Kapitel 12

Im Lustigen Rekruten

Die am Mississippi hinführende breite Werftstraße war die einzige, welche fast die ganze Nacht hindurch reges, sogar geräuschvolles Treiben aufzuweisen hatte. Auf der einen Seite in der ganzen Länge der Stadt und darüber hinaus von einer Reihe dicht nebeneinanderliegender, meist seit Jahren zum Nichtstun herabgewürdigter Dampfer begrenzt, erhoben sich auf der anderen hoch hinaufragende Häuser, die vorzugsweise dem Geschäftsverkehr dienten. Während die oberen Stockwerke zum Teil von Lagerräumen und Kontoren nebst dazugehörigen Wohnungen eingenommen wurden, wechselten in den niedrigen Erdgeschossen offene Läden mit lustigeren Trinkhallen und räucherigen Kneipen ab.

Von Letzteren namentlich gingen Licht und Leben aus, welche auf der Werftstraße die Nacht eigentlich nie recht zur Geltung kommen ließen.

Diese Geschäfte waren es auch, welche in ihrem Betrieb durch den herrschenden Krieg am wenigsten beeinträchtigt wurden. Im Gegenteil, sie schienen durch denselben noch zu gewinnen; denn keine Stunde des Tages oder der Nacht verstrich, zu welcher daselbst nicht gutes Gold in fuseligen Whiskey, braun gefärbten Rum und sonstige Getränke umgesetzt worden wären. Und Geld gab es ja genug, denn wer hätte nicht mit Fleiß danach getrachtet, von den Millionen, welche die Regierung der Vereinigten Staaten täglich verausgabte, so viel, wie nur irgend möglich, in die eigene Tasche gleiten zu lassen. Kein Wunder daher, wenn es Leute gab, die den Krieg heimlich einen Segen nannten und ihm eine ewige Dauer wünschten.

Es war um die Mitte der zweiten Morgenstunde, als Nicodemo und Fegefeuer, nachdem sie sich von Oliva getrennt hatten, der Werftstraße stromabwärts folgten. Sie hielten sich auf dem vor den Häusern hinlaufenden breiten Bürgersteig, wo sie in kurzen Zwischenräumen an offenen Türen und Fenstern vorüberkamen, aus welchen ihnen wüster Lärm, gedämpfte rötliche Beleuchtung und eine mit ätzendem Tabakrauch und Branntweinduft gefüllte Atmosphäre entgegenströmte. Soldaten in den verschiedensten Uniformen, welche ihre kurze Anwesenheit in der Stadt, bevor es überhaupt mit allen irdischen Genüssen vorbei war, nach besten Kräften ausnutzten, saßen bunt durcheinander mit Werftarbeitern und Heizern, die nichts Eiligeres zu tun hatten, als den Tagesverdienst wieder an den Mann zu bringen. Da sah man verwitterte Gestalten in Lederröcken, die aus dem Norden heruntergekommen waren, und mexikanische Vaqueros und Packknechte, welches die Prärien im Dienst kluger Spekulanten mit Schlachtvieh gekreuzt hatten. Auch Halbindianer in fantastischen Trachten erblickte man und vereinzelte Vollblütige im bunten Federschmuck, denen der Whiskey nicht weniger mundete als den Farbigen, vom kohlschwarzen Negrid herunter bis zum lichtbraunen Quardronen; kurz alles mögliche, was durch die rauen Zeiten von Ort zu Ort getrieben wurde und sich überall gleich heimisch oder fremd fühlte, war hier vertreten.

»Da ist die rote Laterne«, erklärte Fegefeuer, nachdem er eine Weile an Nicodemos Seite einhergetrottet war; »das ist der Ort. Ich kenne ihn erstaunlich genau, und drinnen gewesen bin ich ebenfalls mit meines Vaters Bruder. Der ist nämlich ein grausam kluger Schwarzer.«

»Ich weiß, Schlingel«, unterbrach Nicodemo ihn streng, aber doch gutmütig, »Du hast weiter nichts zu tun, als deine Augen offen zu halten und deine Polsterlippen zwischen die Zähne zu klemmen, damit du nicht anders redest, als ob ich dich um etwas befrage.«

»Ich kann mächtig schweigen, wenn es an der Zeit ist«, versetzte Fegefeuer lebhaft, »und wo es nicht hindert, da rede ich gern für drei. Ich liebe den Master Nicodemo; ich liebe alle Männer erstaunlich, die gegen die Südlichen sind. Die haben nämlich meinen Vater gehängt und meine Mutter gepeitscht, dass sie dran starb, weil sie einem flüchtigen Nördlichen auf den Weg halfen. Und mein Vater war ebenfalls ein schwarzer Gentleman erster Klasse. Als wir ihn vom Baumast abschnitten – zwei Jahre ist es her, und die Sklaven waren noch nicht frei um ihn in die Erde zu legen, da weinte ich eine Woche lang Tag und Nacht. Zu jener Stunde schwor ich mir, ich wollte es den Südlichen heimzahlen auf die eine oder die andere Art, und kostete es mich das Leben.«

»Nun ja, Fegefeuer, das verarge ich dir nicht, und du bist sicher nicht der Erste, der durch Rachedurst vor der Zeit zum Mann wurde. Zu bedenken gebe ich dir aber, dass jeder Mensch nur ein einziges Leben zu verlieren hat. Fällst du in die Gewalt der im Finsteren schleichenden Rebellen und sie erkennen in dir einen getreuen Diener der Union, so gebe ich keinen Cent für deine gesunde Windpfeife.«

»Die fangen mich nicht«, wendete Fegefeuer lachend ein. Zum Beweis schlug er während des Einherschreitens neben Nicodemo dreimal hintereinander ein Rad. »Kein Mauseloch ist mir zu eng, um mich vor den Schurken zu verkriechen, und heißt es erst rennen – hahaha!« Abermals schlug er mit unglaublicher Gewandtheit ein dreifaches Rad.

»Schon gut, Schlingel«, bemerkte Nicodemo mit ernsterer Entschiedenheit, »ich weiß jetzt, was du verstehst, und habe dich gern, weil hinter deinem schwarzen Fell mehr Treue und Zuverlässigkeit wohnen, als in manchem weißen Senator. Jetzt aber sei verständig, wenn wir gute Freunde bleiben sollen.«

Fegefeuer lachte verstohlen vor sich hin, gab sonst keinen Laut mehr von sich. Nach wenigen Schritten gelangten sie vor die weit geöffnete Tür unterhalb der roten Laterne.

Zum lustigen Rekruten, hieß die Kneipe, wie das zwischen Türrahmen und Laterne angebrachte umfangreiche Schild besagte. Verdeutlicht wurde die Inschrift für diejenigen, die des Lesens nicht kundig, durch das Bildnis einer Glas und Flasche schwingenden uniformierten fratzenhaften Gestalt, die mit zum Tanz auseinander gebreiteten Beinen in der Luft schwebte.

Beim Eintreten mussten Nicodemo seine Augen zuvor an die rötliche nebelhafte Beleuchtung gewöhnen, bevor es ihm möglich war, sich in einen Winkel durchzudrängen, wo er sich ungestört würde niederlassen können. Doch um bis dahin zu gelangen, gab es Schwierigkeiten zu besiegen. Wie ein Wall umlagerten die verschiedenartigsten Gestalten den beinahe über die ganze Breite des Raumes reichenden Schanktisch. Von dort aus verteilten sie sich in alle Richtungen in lärmende lichtere Gruppen, jedoch nicht licht genug, um beim Einherschreiten die Berührung mit dieser oder jener gänzlich zu vermeiden. So hatte Nicodemo, Fegefeuer dicht vor sich und die dem Schanktisch gegenüberliegende Wand im Auge, die ungefähre Mitte der Halle erreicht, als plötzlich ein vom Kopf bis zu den Füßen in befranstes Leder gekleideter Mann von ungewöhnlich kräftigem Gliederbau mit zottigem gelben Lockenhaupt und wirrem verblichenen weißlichen Bart, sich nach ihm umdrehte. Kaum aber wurde er Fegefeuers ansichtig, der ihn beim Bahnbrechen vielleicht unsanft gestreift hatte, als er ihn mit einem grimmigen Fluch im Genick packte und wie ein Bündel Flicken hoch emporhob.

»Verdammte schwarze Kröte!«, rief er wütend aus, »wie kommst du hierher unter eine Gesellschaft so feiner weißer Gentlemen, wie nur je einer eine Pinte rohen Whiskey über die trockene Zunge goss!« Er schickte sich an, das unglückselige Bürschchen an die Wand zu schleudern, als er seinen Arm mit einer Gewalt ergriffen fühlte, dass er Fegefeuer fallen ließ. Ein neuer Fluch zwängte sich zwischen seinen Zähnen hervor. Die wasserblauen Augen mit Unheil verkündendem Funkeln auf Nicodemo gerichtet, schien er nach einer Gelegenheit zu spähen, sich des ihn noch immer haltenden, offenbar ebenbürtigen Gegners endgültig zu entledigen. Gleichzeitig verstummte das Singen, Johlen, Fluchen, Lachen und Gläserklirren. Nur hier und da wurde noch eine Stimme laut, die in toller, schadenfroher Weise den bevorstehenden Kampf begrüßte und die Gegner anfeuerte.

»Wer will mir wehren, als Fremder einen Führer nach meinem Geschmack zu wählen und ihn mitzunehmen, wohin es mir gefällt?«, fragte Nicodemo nun mehr mit scharfer Stimme. Seine Kraft schien in demselben Maß zu wachsen, in welchem der trotzige Fallensteller sich von seinem Griff zu befreien versuchte. »Wer aber meinen Führer misshandelt, gleichviel, von welcher Farbe seine Haut, der beleidigt mich selber.«

»Ein schlechter Kerl, der seinen Weg nicht ohne Führer findet!«, schnaubte der Fallensteller unter dem Jubel aller Anwesenden. Dadurch noch mehr gereizt, fuhr er brüllend fort: »Vor vier Tagen erst kam ich vom oberen Missouri herunter, und verdammt will ich sein, wenn ich seitdem einen einzigen Fehlschritt tat! Als ehrlicher Mann brauchte ich nur die Nase in den Wind zu strecken und der Witterung des Brandys nachzugehen. Wären Sie aber mehr als einen Schuss Pulver wert, da hätten Sie es ebenso gemacht, oder ich will verdammt sein! Und jetzt, Mann, gib meinen Arm in Güte frei, wenn du nicht flinker zur Hölle fahren willst, als der beste Rechenmeister bis zehn zählt!«

Nicodemo stand wie ein Felsen. Jeder Zollbreit an ihm war Entschlossenheit und kaltblütige Überlegung. Wie ein gereizter Panther, der seinen Angriffssprung berechnet, bohrte er die Blicke in die sich rötenden wasserblauen Augen. Der sorgenvolle Ernst, der ihn in seinem Verkehr mit Oliva auszeichnete, war bis auf die letzte Spur verschwunden.

»Wohlan, frei will ich Sie geben«, sprach er in versöhnlichem Ton, »zuvor aber verlange ich Bürgschaft, dass sowohl mein Führer als auch ich selber von ferneren ungerecht fertigten Belästigungen verschont bleiben. In Frieden bin ich gekommen, in Frieden will ich von hier scheiden.«

»Eher will ich verdammt sein«, keuchte der Fallensteller unter den Beifallsbezeugungen der vor der Wand allmählich einen Halbkreis Bildenden. Mit dem letzten Wort ließ er sich zur Erde fallen, dadurch seinen Arm dem Griff Nicodemos leicht entwindend. Fast ebenso schnell stand er wieder auf den Füßen. Zwei Schritte trat er zurück, wobei die rechte Faust nach dem auf seinem Rücken im Gurt steckenden Messer suchte. Bevor jemand seine Absicht recht erkannte, schwang er die Hand in gleicher Höhe mit der Schulter nach vorn. Wie ein Blitz zuckte es durch die Luft. Ein dumpfer Stoß folgte, und als alle Blicke sich neugierig auf Nicodemo richteten, sah man, beinahe in gleicher Linie mit seinem Haupt, ein Schlachtermesser in der Wand stecken. Dicht an seinem rechtzeitig ausweichenden Kopf vorbei hatte es sich mit der Spitze tief in die Holzverkleidung eingegraben.

Nicodemo runzelte die Brauen, das einzige Merkmal der Erbitterung über die leichtfertige Art, in welcher er gewissermaßen zu einem Zweikampf gezwungen wurde. Solange die Beifallsrufe über die Geschicklichkeit des Fallenstellers anhielten, überwachte er diesen ruhigen Blickes. Es entging ihm nicht, dass er die Hand auf den Kolben seines Revolvers legte, und hielt sich bereit, ihm nötigenfalls zuvorzukommen. Sobald er aber mit seiner Stimme durchzudringen vermochte, hob er an: »Ich rufe alle Anwesenden als Zeugen auf, dass ich den Streit nicht anzettelte. Aber auch dafür, dass ich den gut gemeinten Wurf nicht mit einer Pistolenkugel bezahlte, wie es verdient gewesen wäre. Was soll überhaupt Blutvergießen um eine Kleinigkeit? Nur eines verlange ich: Der Gentleman da im Lederrock soll hier an meine Stelle treten und die Hand mit gespreizten Fingern auf die Wand legen. Nagele ich dann mein Messer nicht zwischen seinen Zeige- und Mittelfinger in das Holz, ohne ihn zu berühren, so mögen wir den begonnenen Zwist mit den Revolvern ausfechten.«

Wilder Jubel lohnte diesen Vorschlag und bewies, dass Nicodemo die gute Meinung aller für sich gewonnen hatte. Missmutig schaute der ernüchterte Fallensteller drein. An einer Fortsetzung des gefährlichen Wettspiels war ihm offenbar nicht gelegen, zumal er der Sicherheit des Gegners nicht traute. Zugleich aber fühlte er, dass er nicht zurüc treten durfte, wollte er nicht in der nächsten Minute unter Hohngelächter kopfüber auf die Straße hinausgesendet werden. Er nahm daher unter dem tollen Frohlocken der Umstehenden die vorgeschriebene Stellung ein, worauf Nicodemo ihm aus sechs Schritte Entfernung gegenübertrat. Es wurde so still, dass man ein Blatt hätte fallen hören können.

Nicodemo hatte sein Messer gezogen. Flüchtig prüfte er dessen Spitze. Es so in die offene Hand legend, dass die Klinge über den Mittelfinger hinausragte, schwang er den Arm leicht nach hinten. Dieser Bewegung folgte er mit dem Oberkörper und dem rechten Fuß. Indem er diesen aber gleichzeitig mit dem bewehrten Arm nach vorn warf, entglitt das Messer seiner Hand. Wie durch die auf ihn zusausende Klinge geblendet, bog der Fallensteller den Kopf zur Seite, jedoch ohne die Hand zu rühren. Ohrenbetäubender Lärm erfüllte den räucherigen Raum, als man das Messer genau zwischen den beiden bezeichneten Fingern in das Holz eindringen sah.

»Und nun, mein Freund«, wendete Nicodemo sich an den herzlich auflachenden Fallensteller, sobald das Toben einigermaßen nachgelassen hatte, »werden Sie einräumen, dass ich Ihnen auf den ersten Angriff mit gutem Willen eine harte Antwort ersparte. Habe überhaupt das Ganze mehr als einen Scherz betrachtet, und ist es Ihnen recht, so trinken wir auf den Schrecken einen abkühlenden Eisgrog, so gut der Wirt ihn herzustellen vermag.«

»Und ich will des Henkers sein, wenn ich auf den Vorschlag nicht mit Freuden eingehe!«, rief der verwilderte, ursprünglich gutmütige Fallensteller aus und reichte Nicodemo die Hand. »Schade wäre es um jeden Tropfen Blut gewesen, den wir uns gegenseitig abgezapft hätten; aber auch schade um jeden Tropfen Brandy-Punsch, der zwischen uns ungetrunken bleibt.«

Damit war der heitere Zwischenfall erledigt und vergessen. Die übrigen Gäste, welchen derartiges nichts Neues zu sein schien, nahmen die kurz zuvor abgebrochenen Unterhaltungen wieder auf, als ob nichts Ungewöhnliches vorgefallen wäre. Während aber der Fallensteller das Messer aus dem Holz löste, holte Nicodemo zwei volle Gläser herbei. In dem nächsten, der Beleuchtung weniger ausgesetzten Winkel vor einem Tischchen sich niederlassend, tranken sie sich bald gegenseitig gutes Glück zu.

»Also vom oberen Missouri kommen Sie herunter?«, eröffnete Nicodemo das Gespräch, nachdem er Fegefeuer angewiesen hatte, sich hinter seinem Stuhl aufzustellen.

»Sogar vom Yellowstone River«, erwiderte der Fallensteller bereitwillig, »und obendrein in Begleitung eines Ballens Otter- und Biberfelle vom letzten Winter, wie sie kostbarer schwerlich jemals einen weißen Ladynacken warm hielten. Verdammt! Die sind so gut wie Bargeld, und ich will nicht Kit Andrieux heißen, wenn sie hier am Ort nicht durchschnittlich fünfzehn Dollar das Stück einbringen, während man da oben froh ist, deren vier oder fünf herauszufeilschen und in schlechter Ware obendrein, anstatt in hartem Silber.«

Wie dasselbe auf seinen Wert prüfend, betrachtete Nicodemo das verwitterte Gesicht des höchstens 35-jährigen leichtfertigen Jägers aufmerksam. Dann hob er wie beiläufig an: »Da sind Sie weit herumgekommen in der Welt. Vielleicht begegneten Sie auf Ihren Fahrten einem gewissen Markolf Durlach, einem jungen deutschen Blut, dem nicht wohler ist, als ob er mit der Büchse auf dem Rücken einer warmen Wildfährte nachschleicht?«

»Was?«, rief Andrieux freudig erstaunt aus und schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser tanzten und klirrten. »Den Durlach meinen Sie? Den eisernen Mark, wie wir ihn rufen? Bei Gott, Mann, wer kennt den nicht da oben? Habe zusammen mit ihm gearbeitet in Fort Pierre, und manche Fahrt machten wir zusammen, wenn es galt, den Indianern Pelzwerk und Wildhäute abzutauschen. Verdammt! Keine drei Wochen ist es her, da feierten wir noch einen feinen Abschied, als ich mich anschickte, auf St. Louis zu halten. Ich redete ihm zu, mich zu begleiten, aber da sagte er, hier am Ort müsste er bei den schlechten Zeiten notgedrungen feiern, wenn er nicht für eine Sache, die ihn nichts anginge, seine Knochen wolle entzweischießen lassen. Doch um alles Guten willen, Mann, wie kommen Sie selber zu der Freundschaft mit dem eisernen Mark?«

»Von Angesicht zu Angesicht kenne ich ihn nicht«, antwortete Nicodemo etwas lebhafter, als es sonst seine Art war. »Ich hörte nur durch seinen Bruder, den Captain Durlach, von ihm. Da schwebte mir vor, dass es eine große Freude für beide wäre, sich nach Jahren einmal wiederzusehen. Trennten Sie sich aber erst vor drei Wochen von ihm, so kann er unmöglich allzu hoch im Norden weilen.«

»Richtig kalkuliert, Mann. Nicht mehr da oben, sondern in den Council Bluffs auf der Pelztauscherstation Bellevue haust er«, erklärte Kit Andrieux förmlich begeistert. »Glauben Sie dagegen, dass er seinen Bruder wer weiß wo aufsuchen möchte, so täuschen Sie sich, wie eine junge Hand, die ihre Stahlfalle mit Honig anstatt mit Bibergeil verwitterte. Der geht überhaupt fürs Erste nicht wieder von den Council Bluffs fort, denn … ich will es Ihnen nur anvertrauen …« Hier blinzelte Kit listig. »Er hat sich bis über den Kopf in eine junge Halbindianerin verliebt und geht mit dem Gedanken um, sie zu freien, sobald er in auskömmliches Land eingerückt ist.«

»Eine Indianerin?«, fragte Nicodemo nachdenklich, und er vergegenwärtigte sich den Captain Durlach, wie der vielleicht diese überraschende Kunde begrüßen würde.

»Eine Halbindianerin, sagte ich, die Wiesenblume der Council Bluffs nennen wir sie, und ein Mädchen ist es obenein, wie nicht leicht ein zweites gefunden wird, so schön, so sanftmütig und freundlich. Sie brauchen also nicht zu argwöhnen, dass es eine Squaw von jener Sorte ist, die mit bunt angestrichenen Gesichtern und einwärts gestellten Füßen einhertrottet, nein, bei Gott nicht. Denn auf der Mission in den Council Bluffs wurde sie von einem presbyterischen Geistlichen erzogen. Der und seine Frau haben ihr, so jung sie sein mag, nicht nur einen ordentlichen Vorrat von Gelehrsamkeit beigebracht, sondern auch eine Lady aus ihr herausgebildet, die sich an der Seite eines weißen Mannes schon sehen lassen kann. Und an dem Mark hängt sie, wie die Kletten am Pelz eines schwarzen Bären, die gleich eine Handvoll Haare mit fortnehmen, will man sie losreißen, und kommt die Heirat zu Stande, ist es beiden von Herzen zu gönnen. Verdammt, Mann, da reden wir von dem eisernen Mark mit trockener Zunge, und des Henkers will ich sein, wenn der Bursche das verdient.« Er griff zum Glas und klirrte es an das Nicodemos, indem er fortfuhr: »Gut Glück dem eisernen Mark, einem Jäger, Fallensteller und Pelztauscher, mit dem jeder gern Halbpart geht.«

Er leerte sein Glas und setzte es schallend auf den Tisch. Nicodemo folgte seinem Beispiel und schickte Fegefeuer ab, um beide wieder füllen zu lassen, worauf er bedachtsam anhob: »Ich schätze den Captain Durlach sehr hoch und gestehe offen, was auch immer in den Council Bluffs schweben mag, so gönne ich ihm dennoch die Freude, seinen Bruder wiederzusehen, bevor im Staat Missouri die nächsten Schlachten geschlagen werden und er dort wohl gar sein Ende findet. Solch ein Wiedersehen würde aber auf weniger Schwierigkeiten stoßen, als Sie vielleicht wähnen. Captain Durlach befindet sich nämlich zurzeit in Kansas City, wo er voraussichtlich im Auftrag seines Kommandeurs noch einige Wochen bleibt.«

In diesem Augenblick stellte Fegefeuer die beiden vollen Gläser auf den Tisch. Indem er sich auf seinen alten Platz zurück begab, benutzte er die Gelegenheit, Nicodemo verstohlen am Rock zu zupfen. Dieser verstand ihn, hob sein Glas, was ihm nachzutun Kit Andrieux sich beeilte. Langsam trinkend, ließ er seine Blicke im Kreis schweifen, bis sie auf einem Mann haften blieben, der sich eben, in der Hand ein volles Glas, aus dem Gedränge zurückzog. Derselbe, nach Gesichtsfarbe, Haar und Bart zu schließen, ebenfalls ein Mexikaner, jedoch nach Art der Werftarbeiter gekleidet, bewegte sich mit einer Sicherheit einher, als ob er im Lustigen Rekruten bereits heimisch geworden wäre. Nur wer seine Hände aufmerksam prüfte, die am wenigsten an schwere Arbeit erinnerten, hätte vielleicht erraten, dass er ursprünglich nicht dorthin gehörte. Sobald er freien Raum gewonnen hatte, trank auch er, wobei er scharf zu Nicodemo hinübersah. Dieser stellte sein Glas nieder, zog die Uhr. Sich von dem Stand der Zeit überzeugend, nickte er einige Male vor sich hin, für jenen ein Zeichen, dass er bemerkt worden war.

»Also in Kansas City«, nahm Kit Andrieux das Gespräch bald wieder sorglos auf. Mit der Rückseite der Hand entfernte er die Punschtropfen aus seinem Schnurrbart. »Bei Gott, Mann, für unsereins mit einem guten Steppengaul zwischen den Knien ein Katzensprung von einer Woche. Aber des Henkers will ich sein, wenn ich begreife, wie man die beiden darüber verständigt, dass sie sich gegenseitig aufsuchen.«

»Man müsste die betreffende Botschaft zu gleicher Zeit nach den Council Bluffs sowie nach Kansas City senden«, meinte Nicodemo. Mit heimlichem Wohlgefallen hingen seine Blicke an dem hünenhaften trotzigen Jäger.

»Keine leichte Aufgabe«, erklärte dieser gleichmütig, »denn der Teufel mag komfortabel reisen, wenn er sich zwischen Unionisten und Sezessionisten hindurchwindet, wo er Gefahr läuft, von beiden Teilen für einen Spion gehalten und aufgeknüpft zu werden. Ich weiß davon zu erzählen. Traf ich nicht auf eine Dampfergelegenheit, so möchte ich heute noch zusehen, wie ich mit meinen Gäulen und Pelzwaren aufs Trockene käme. Die Tiere musste ich freilich bei einem guten Freund zurücklassen.«

»Die Sache will allerdings überlegt sein«, versetzte Nicodemo, »auch eilt sie noch nicht. Um aber von Ihnen zu reden, da scheint es mir, als hätten Sie zu keiner ungünstigeren Zeit nach St. Louis kommen können.«

»Weshalb?«

»Zunächst, weil Sie gezwungen sind, Ihre Ware zu einem Lumpenpreis hinzugeben, und dann, weil für einen Mann Ihres Schlages nicht alle Tage sich eine gute Gelegenheit zum Broterwerb findet.«

Kit Andrieux tat einen Zug aus seinem Glas, wühlte mit beiden Fäusten in seinen wirren Schläfenlocken und erwiderte mürrisch: »Sie sind ein Gentleman, und da will ich es Ihnen nur eingestehen: Seitdem ich St. Louis betrat, war ich noch keine Stunde ordentlich nüchtern. Bin sonst kein Säufer, trinke aber, weil ich nichts Besseres zu tun weiß und stets so eine Art Gefühl habe, als müssten die hohen Häuser ins Schwanken geraten und auf mich hereinstürzen. Geht das so fort, verdammt, dann sind meine Pelzwaren vertrunken, bevor ich sie verkaufte. Da war der Mark schlauer. Der blieb, wo er war, behielt seine Dollars in der Tasche und schert sich den Henker um Krieg und sonstige Lumpendinge.«

»Was hindert Sie, zu den Council Bluffs zurückzukehren?«

»Weiter nichts, als dass es mit dem Verkauf meiner Ware nicht so glatt geht, wie ich erwartete.«

Abermals sah Nicodemo zur Uhr. »Meine Zeit ist abgelaufen«, sprach er, indem er sich erhob. »Ich möchte aber nicht gehen, ohne Ihnen einen guten Freundesrat erteilt zu haben. Hier in St. Louis ergeht es Ihnen wie einer Katze, der man einen Socken über den Kopf streifte. Jeder pflückt an Ihnen herum, solange er noch einen Cent in Ihrer Tasche wittert. Seien Sie daher auf der Hut. Trauen Sie niemand. Trinken Sie nicht mehr, als Ihnen gerade dient. Verkaufen Sie Ihr Pelzwerk gut oder schlecht, und dann eilen Sie wieder dahin, wo Sie sich mehr zu Hause fühlen, so schnell, wie Ihre oder Ihres Gäules Beine Sie zu tragen vermögen.«

Andrieux lachte ingrimmig vor sich hin. »Leicht gesagt, aber schwer ausgeführt«, meinte er kläglich in gleichsam kindlicher Unselbstständigkeit.

»Vielleicht bietet sich früher Hilfe, als Sie glauben«, tröstete Nicodemo. »Sie wohnen hier im Haus?«

»Ich halte mich wenigstens hier auf. Denn Wohnen kann ich es nicht nennen, wenn man sich für seine guten Dollars nachts auf einer Bank ausstreckt und eine wollene Decke über sich hinzieht.«

Nicodemo lächelte ergötzt. In zu großem Widerspruch standen der Kleinmut und die Unbeholfenheit des verwitterten Hünen mit der Kampfeslust und Verwegenheit, die ihm während seines langjährigen Trapperlebens zur anderen Natur geworden war.

»Auf alle Fälle finde ich Sie hier«, bemerkte er darauf, »und sollte ich selbst eine gute Reisegelegenheit für Sie auskundschaften, so erfahren Sie es früh genug. Und nochmals: Entsagen Sie dem übermäßigen Trunk. Verkaufen Sie Ihr Pelzwerk – vielleicht schicke ich Ihnen einen Käufer – und halten Sie sich in einer Verfassung, dass wenn jemand Sie in seine Dienste zu nehmen wünscht, er auch Vertrauen zu Ihrer Nüchternheit und Gewissenhaftigkeit gewinnt.«

Er reichte dem Fallensteller die Hand, der mit einem Gemisch von Achtung, Trotz und Erstaunen zu ihm aufsah und am liebsten mit Sack und Pack gleich mit ihm gegangen wäre. Bevor er aber Worte fand, war Nicodemo, gefolgt von Fegefeuer, auf die Straße hinausgetreten. Dort raunte er diesem einige Worte zu, auf welche hin der Bursche in der Nähe der Tür zurückblieb, während er selbst zur anderen Seite der Straße hinüberschritt und den Schatten einer Anhäufung von Warenballen und Kisten suchte. Einige Minuten später stieß unter Fegefeuers Führung derselbe Mann zu ihm, mit welchem er sich in der Schänke heimlich verständigt hatte. Gemeinschaftlich mit ihm setzte er seinen Weg stromabwärts fort. Fegefeuer ging eine kurze Strecke voraus, befand sich also außerhalb der Hörweite.

»Ich hatte meine Not, Sie in der Verkleidung herauszuerkennen«, eröffnete Nicodemo unverweilt das Gespräch. »Lenkte Fegefeuer meine Aufmerksamkeit nicht aus Sie hin, so wären Sie derselben sicher noch eine Weile entgangen.«

»Ich kann nicht zu vorsichtig sein«, entgegnete Alonso, wie Nicodemo ihn bei der ersten Begrüßung anredete, »schöpft man erst Argwohn gegen mich, zumal in meiner Konsularstellung, so schadet meine Freundschaft Ihnen, anstatt zu nutzen. Ich habe ohnehin die Empfindung, als ob ich auf Schritt und Tritt von den heimlichen Feinden der Union überwacht würde.«

»Sie sahen den Mann, mit welchem ich zusammensaß?«

»Den zottigen Hinterwäldler in dem Lederrock?«

»Denselben meine ich. Ein trotziger Geselle, der nur etwas weniger angetrunken zu sein brauchte, um mir die Klinge seines Messers ins Gesicht zu bohren. Nebenbei ein so knabenhaft unselbstständiger Bursche, wie nur je einer aus den westlichen Wildnissen unversehens in eine Hauptstadt verpflanzt wurde. Im Übrigen gehen Harmlosigkeit und Verschlagenheit bei ihm Hand in Hand. Daneben traue ich ihm ebenso viel Todesverachtung wie Gewandtheit zu, wenn es gilt, die eigene Haut zu verteidigen oder einem Freund beizustehen, gleichviel, ob im Kampf mit dem grauen Bären oder einer Anzahl tückischer Räuber und Wegelagerer. Ich rate daher, ihn im Auge zu behalten. Bietet sich die Gelegenheit, so schließen Sie lieber Freundschaft mit ihm, sodass es uns ermöglicht wird, ihn zu jeder Stunde an uns zu fesseln.«

»Sie trauen mir Allmächtigkeit zu«, versetzte Alonso mit einem Anflug heiterer Laune, »übersehen aber dabei, welche Mühe und Vorsicht es mich kostet, ohne Argwohn zu erregen, mit in Ihr Gewebe einzugreifen.«

»Ich bezweifle es nicht, nein, sicher nicht, und hebe daher nur hervor, dass, um eine Botschaft nach dem Norden zu tragen, wie zu späteren Unternehmen, wir keinen geeigneteren Mann wünschen könnten. Nebenbei ist er befreundet mit dem Bruder des Captain Durlach, der, ebenfalls ein westlicher Jäger, nicht minder eine willkommene Zugabe zu der von uns zu bildenden Gesellschaft wäre.«

»Es sind wieder Zahlungen für Sie eingelaufen. Wie verfügen Sie darüber?«

»Vorläufig genügt mein Kredit in Kansas City. Doch ich möchte wohl wissen, wohin Sie mich führen? Aus Ihrer brieflichen Mitteilung erfuhr ich nicht viel mehr, als dass Sie im Lustigen Rekruten mich aufsuchen würden. Ich vermute, dass Sie auf die Spur jener verrufenen Geheimbündler gerieten. Bis jetzt glaubte ich nicht recht an das Bestehen eines solchen Vereins.«

»Und dennoch besteht er als eine Abzweigung des im Süden wirkenden berüchtigten Klu-Klux-Klans. Unsägliche Mühe kostete es mich, einzelne Fäden in die Hände zu erhalten, die wahrscheinlich bis in seine Höhle führen. Ich hätte mich schwerlich viel um ihn gekümmert, allein ich fürchtete für Sie und Ihre Begleiterin. Sich in tiefes Geheimnis hüllend, besitzt der Bund überall seine Helfershelfer. Unter solchen Bedingungen aber werden Sie und die Sie leitenden Zwecke wohl kaum lange vor ihm verborgen bleiben.«

»Dann wären wir freilich verloren«, gab Nicodemo gelassen zu, »es sei denn, es gelänge uns, ein wirksames Gegenmittel gegen das finstere Treiben dieser Schurken zu entdecken.«

»Ich hoffe es«, erwiderte Alonso, »und zwar noch in dieser Nacht. Wir befinden uns nämlich auf dem Weg nach einer Stätte, auf welcher wir, wenn das Glück uns nur ein wenig begünstigt, Aufschlüsse erhalten, welche möglichenfalls den ganzen Verein in die Gewalt der Behörden liefern.«