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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 18

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

18. Wie Rübezahl wieder einmal eine Jungfer ist.

Ein jedes Tierel hat sein Manierel, heißt es im Sprichwort. So ein Tierel war auch einmal ein vornehmer Herr. Der Kräuterklauber sagt es nicht, wer es war. Der günstige Leser wird es aber gewiss noch einmal erfahren, denn es bleibt nichts in der Welt verborgen, und es ist nur wegen der Kirchkinder – und hatte eben auch sein Manierel. Denn er war ein Volksfreund, und zwar vom Frauvolk, hatte nur darauf sein Dichten und Trachten, und machte es darin oftmals zu bunt. Das Frauvolk aber – wer es kennt, der weiß es – ist eine zu große Macht und größer als das chinesische Volk und alle fünf Mächte in Europa zusammen.

Er ging also, nämlich der Herr, eines Tages aus Schlesien hinüber in die Lausitz, und zwar zur Kirchweih, und hatte nicht weit zu gehen, so war er drinnen, und auch gleich im ersten Dorf, das hieß Meffersdorf, und dachte, als er hineinging, nicht wie es ihm gehen würde, wenn er drinnen wäre, oder wie ihm sein würde, wenn er wieder hinausginge. Ging aber gar sonderbar, wie der günstige Leser gleich hören wird, obwohl es zur Kirchweih war.

Denn auch Rübezahl hatte sein Manierel, nämlich eine besondere Freude am Kirmsen, und ging er da oftmals weit herum und über sein Gehege hinaus, damit er auch die Kirmeslust genösse, wie gewöhnliche Menschen. Kam also auch nun vom Hochgebirge herunter, zwischen dem Desenhübelstein und Alten Heinrichs Schloss durch, und herunter zum Bierborn und Flinsberg, und war eben beim Egelsdorfer Kretscham. Da fällt ihm ein: »Da hinein gehst du.« Und er ging auch. Drinnen hörte er, in Meffersdorf sei eben Kirchweih, und sein Entschluss war gefasst. Wie er zum Haus hinaustritt, sah er vor sich auf dem Meffersdorfer Weg einen Herrn hinsteigen, erkannte ihn gleich und sagte bei sich: »Da kann ja die Kirmeslust bald angehen.«

Er verwandelte sich also auf der Stelle, und zwar in ein schönes Mägdlein, dass einem jeden das Wasser im Munde hätte zusammenlaufen müssen, wenn er es gesehen hätte, und vollends einem günstigen Leser. Nun, so ging es auch dem Herrn, als er sich umdrehte und den lieben Engel hinter sich sah. Es benahm ihm den Atem und er wurde ganz perplex. Als nun gar das Mägdlein ihn freundlich ansah und anmutig grüßte, da war es um ihn geschehn und es wurde ihm ganz schwurbelig. Er sprach sie also an und fragte sie, wohin sie wolle. Das Mägdlein sagte, sie wolle zur Kirmes, und zwar zum Herrn Schulmeister.

Nichts könne sich schöner treffen, meinte der Herr, gerade zu dem gehe er auch. Da könnten sie ja zusammen lustig sein, soviel sie wollten.

Nun fing er an, ihr schöne Dinge zu sagen und zu kosen. Das Mägdlein war so gut und still, dass er immer kecker wurde und sie um eine Zusammenkunft bat, wenn alles schliefe. Das Mägdlein sträubte sich anfänglich. Wie er aber immer zudringlicher und zärtlicher wurde, so sagte sie, es möge drum sein.

»Aber«, setzte sie hinzu, »das Nähere werde ich Euch schon in der Schule sagen, von wegen Zeit und Gelegenheit.«

Wie sie beim Schloss hinuntergingen, sagte sie, hier habe sie erst zu verrichten, sie würden sich aber auf den Abend schon sehen und nahm Abschied. Der Herr war außer sich vor Freude, und hätte drum bald die Schule nicht finden können, so gut er sonst auch da bekannt war.

In der Schule war das ganze Haus voll Kirmesgäste, darunter viele und schöne Mägdlein aus der Umgebung, denn es waren beim Herrn Schulmeister auch gar liebliche Töchter im Haus. Sonst vergaß der Herr über so etwas alles. Aber an diesem Tag war er ganz zerstreut und bekümmerte sich um alle die schönen Mägdlein nicht mehr, wie die Höflichkeit es erfordert. Als es nun aber dunkel wurde und die Schöne immer noch nicht erschienen war, da hielt es ihn nicht mehr im Zimmer, und er ging hinaus. Richtig, da kam sie den langen Gang her ihm entgegen und flüsterte ihm leise zu: »Da hinein!« In die Gesellschaft käme sie nicht, aber hier – und damit deutete sie auf eine der Türen im Gang, gab ihm einen flüchtigen Kuss und sagte mit einem seelenvollen Blick: »Wenn alles zu Bett ist!« Damit schlüpfte sie die Treppe hinunter. Wer war glücklicher als unser Kirmesgast! Damit er aber die Tür nicht verfehle, ließ er gleich sein Schnupftuch fallen und zählte vom Ende des Ganges her die Türen – denn es war da Kammer an Kammer – und es war die dritte.

Nun weißt du es, dachte er, und wenn du Tür vor Tür fühlst, so kann dir es gar nicht fehlen.

Als er wieder in die Gesellschaft kam, war überall Freude und Lust. Tanz und Pfandspiele wechselten ab, und das Küssen hörte gar nicht auf, denn damals hieß es ländlich, sittlich und ein Küsschen in Ehren, kann niemand verwehren. E ging bei all dem Küssen doch sittlicher zu, als bei den Leuten der steifsten Gesellschaft, obwohl sie den Anstand immer im Mund führen. Der Abend flog dahin in lauter Freude, und es hätte es niemand bemerkt, dass der neue Tag schon anfing. Aber der alte Schulmeister trat unter die Fröhlichen und sagte, die Alten wollten jetzt auch ihre Ruhe haben, und sie möchten nur ihre Lagerstätte suchen, denn in der großen Stube sei eine Strapuze hergerichtet für alle, da möchten sie einander nur in Ruhe und Frieden schlafen lassen. Das junge Volk zog also scherzend und lachend in das Schlafgemach, und jedes suchte sich auf der Strapuze seinen Platz. Zu einer anderen Zeit hätte sich unser Kirmesgast wohl einen anderen Platz gewählt, aber heute legte er sich ganz zuunterst an die Tür, denn er dachte: Da kannst du unbemerkt davonschleichen.

Anfangs wollte vor lauter Neckereien, wie es nun die Jugend macht, keine Ruhe werden, aber endlich lag alles in tiefem Schlaf.

Als die Kirchenuhr zwei schlug, da schlug ganz unten am Ende der Schlafenden auch etwas, dass maus durch die Decke durch in der Unterstube hätte hören können, und das war ein armes verwundetes Herz. Der Inhaber desselben stand leise auf, schlich sich auf Strümpfen zur Tür hinaus und den Gang hinter. Am Ende desselben kehrte er wieder um und strich mit der Hand an der Wand hin. Richtig, da war Nummer eins, hier zwei, und hier, Gott sei es gedankt, war Nummer drei. Der Schlüssel steckte. Er drehte ihn leise um und zappelte schon am ganzen Leib. Endlich stand er in der Kammer und machte die Tür leise hinter sich zu.

»Bst, bst«, lispelte er, »bst, bst.« Aber es rührte sich nichts.

Sie wird schon schlafen, dachte er und steuerte behutsam in den Raum hinein.

Da knirschte und prasselte es unter seinen Füßen und er merkte wohl, dass er auf etwas trat. Was mögen sie nur da untergebreitet haben, dachte er und tappte weiter. »Bst, bst«, lockte er wieder, und abermals keine Antwort. »Du musst erst die Wand suchen«, sagte er bei sich selbst, »dann wirst du ja wohl auch das Bett finden.«

Da trat er auf einmal auf etwas Weiches, und wie er mit dem andern Fuß zur Seite auswich, so sank er mit diesem sogar ein. Nun hatte er zwar endlich die Wand erreicht, aber bald trat er immer wieder auf Hartes, bald auf Weiches, dazwischen sogar auf Schmieriges, und kam so an alle vier Wänden herum und stieß doch weiter auf nichts in der ganzen Kammer.

Du hast die Kammer verfehlt, dachte er, schlich hinaus und fing das Zählen und Tappen von Neuem an. Richtig, es blieb bei Nummer drei. Verdrießlich über sein Missgeschick und in Sorge, dass ihn am Ende noch jemand treffen könne, schlich er in die Schlafstube zurück und legte sich auf seinen Platz. Nachdem er noch eine Weile seinem Verdruss nachgehängt hatte, schlief er endlich ein.

Frühmorgens bei guter Zeit, die Sonne fuhr eben über den Kahlenberg herauf, hörte man im Halbschlafe laute Stimmen draußen auf dem Gang. Es war die Stimme der Frau Schulmeisterin, und dazwischen orgelte der kräftige Bass des alten Schulmeisters Es klang fast wie Eifern und Schelten, sodass bald eins nach dem andern von den Schläfern wach wurde.

Unser Kirmesgast aber lag noch im tiefen Schlaf und rührte sich nicht.

Unterdessen hatten sich draußen auf dem Gange alle Gäste um die lieben Stimmen versammelt und die ihren dazugegeben, sodass man eitel Geschnatter und Lachen hörte, welches sich immer weiter nach der großen Stube zu bewegte, wo der gute Kirmesgast immer noch herzhaft schlief.

»Und«, sagte einer, »die Stapfen gehen zur großen Stube, und seht …« Hier trat die ganze Schar herein. » … seht, da beim Herrn Pfarrer hören sie auf.« Indem er das sagte, betrachteten alle den schlafenden Pfarrherrn und brachen alsbald in ein schallendes Gelächter aus, denn an der einen Fußsohle sah man nichts als Pflaumenmus und an der anderen eitel Quark.

»Herr Pfarrer«, rief der Schulmeister, »was habt Ihr denn gemacht?«

Der Pfarrherr fuhr in die Höhe, rieb sich die Augen und sagte: »Was soll ich denn gemacht haben?«

»Nun«, fuhr der Schulmeister fort, »Ihr habt uns ja unseren Kirmeskuchen kurz und klein getreten.«

»Kirmeskuchen?«, stotterte ganz bestürzt der Pfarrer.

»Ja, ja«, versetzte der Schulmeister, »die Spur geht bis zu Euch. Pflaumenmus und Quark kleben ja noch an Euren Strümpfen. Entweder, Herr Pfarr, habt Ihr Kuchen naschen wollen oder etwas anderes. Die Mägde schlafen gleich nebenan.«

Ein lautes Gelächter begleitete diese Worte.

Der Pfarrer aber wusste vor Beschämung nicht, was er sagen sollte. Also sagte er, er sei etwas mondsüchtig und wandle manchmal. Das müsse ihm im Schlaf passiert sein.

»Wir haben ja aber jetzt gar keinen Mondschein, Herr Pfarrer«, bemerkte lachend einer aus der Gesellschaft.

»Eben drum«, versetzte der Pfarrer, »ich bin es gerade, wenn der Mond nicht scheint.«

In der Tat war der Pfarrer in die Kuchenkammer geraten und hatte da Kuchen und Baben elendiglich in Grund und Boden getreten. Es konnte sich die Frau Schulmeisterin in vielen Wochen über dieses Unglück gar nicht beruhigen. Rübezahl war indessen über alle Berge.

Der Pfarrherr aber hatte für dieses Mal genug und machte bald, dass er fortkam.

Merke: Man muss seine Leidenschaften beherrschen lernen, wenn man vor Spott sicher sein will, und zumal, wenn man ein Pfarrherr ist.