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Die Gespenster – Zweiter Teil – Zweiundzwanzigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Zweiundzwanzigste Erzählung

Von den Spukereien unbegreiflicher Naturkräfte. Mit dem Aufschluss des Herrn D. Karsten

Unstreitig liegen in der Natur noch mehr Kräfte verborgen, womit Betrüger, denen zufällig die eine oder andere davon bekannt wird, sich in den Ruf der Zauberei zu bringen versuchen. Es gibt zum Beispiel Kräuter, welche Schlangen entweder einschläfern und unempfindlich machen oder ihnen so zuwider sind, dass sie eilig entfliehen, sobald sie dieselben wittern. Sie können zum Beispiel den Geruch des Bisams nicht vertragen, und eine chinesische Bisamkatze tötet bloß durch ihre Ausdünstungen die ungeheuersten Schlangen. Diese erstarren und bleiben sinnlos liegen, sobald sie sich jenem Tier nähern. Die chinesischen Holz- und Kohlebauern tragen deshalb beständig einige Bisamkörner bei sich, wenn sie auf den Bergen und in Wäldern arbeiten, wo sich viele Schlangen aufhalten. Unter dem Schutz dieses Mittels schlafen sie nach dem Essen ruhig ein. Nähert sich eine Schlange den Schlafenden, so wird sie durch den Geruch des Bisams auf eine gewisse Weite so betäubt, dass sie liegen bleibt. Wenn es nun gegenseitig auch Künstler gäbe – und es gibt deren in der Tat, welche die Schlangen anderweitig beherrschen, sie besänftigen, aus ihren Höhlen hervorrufen und zu Hunderten um sich her sammeln, so würden wir allerdings sehr eingeschränkt urteilen und fehlschließen, wenn wir diese Künstler für zaubernde Schlangenbeschwörer halten wollten. Allein auch die Naturkräfte, sofern der eingeschränkte Mensch Empfänglichkeit hat, sie zu fassen und durch sie anscheinend zum Wundermann erhoben zu werden, haben ihre Grenzen. Wir müssen in der Tat viele Vorsicht anwenden, um nicht prahlerischen Gauklern und versteckten Betrügern in die Hände zu fallen, indem wir es bloß mit Männern zu tun zu haben glauben, die größere Naturkundige als wir selbst sind. Dies als Einleitung zu Folgendem:

Im Jahr 1767 studierte zu Jena ein junger Mann, namens N …, der sich auf die in der Tat höchst wunderbare und geheime Kunst verstand, ohne Beihilfe einer Zauberlaterne und überhaupt ohne allen optischen Betrug, ein und dieselbe Person an zwei verschiedenen Orten zugleich sichtbar zu machen und dann die gespensterartige Erscheinung dergestalt wieder verschwinden zu lassen, dass sie mit der wirklich lebenden Person, welche sie verdoppelt hatte, sichtbar wieder in eins zusammenfloss. Ob er diesem höchst merkwürdigen Erfolg im Einverständnis mit Geistern oder eingeweiht in die Geheimnisse der Natur bloß mit Benutzung der ordentlichen Naturkräfte bewirkt habe, das wird aus den Schlussbemerkungen dieser Erzählung sich auf eine Art ergeben, wie man es freilich nicht hätte vermuten sollen.

N … war im Begriff, die Universität zu verlassen. Zuvor aber wollte er noch die Bitte seiner Freunde unter den Studierenden erfüllen und die Ungläubigen und Zweifelsüchtigen durch Tatsachen überzeugen, dass es mit seiner geheimen Kunst in Absicht des Doppelerscheinens seine völlige Richtigkeit habe. Am Ende bat er die Freunde zu sich und schloss sie ohne Mitwissen seiner absichtlich verschickten Aufwärterin in ein neben seiner Studierstube befindliches Zimmer ein. Man konnte aber aus diesem in jene eintreten, ohne dadurch einige Zugluft zu verursachen. Die Aufwärterin selbst sollte dieses Mal der Gegenstand sein, welcher doppelt erscheinen sollte. Sie durfte daher von den Vorbereitungen und deren Zwecken nichts wissen. Bei ihrer Rückkehr ins Haus gab N … vor, er werde auf einige Stunden ausgehen, und befahl ihr währenddessen in seiner Studierstube verschiedene Sachen, die er absichtlich in Unordnung gebracht und umhergeworfen hatte, wieder aufzuräumen. Zugleich verbot er ihr auf das Strengste die Fenster und Türen zu öffnen und das Zimmer auszukehren.

Darauf entfernte sich N … dem Anschein nach, kehrte aber, von der Aufwärterin nicht bemerkt, in seine Wohnung zurück und begab sich durch eine Seitentür in das Nebenzimmer, worin die guten Freunde der Dinge harrten, die da kommen sollten.

Die Magd tat sogleich, was ihr befohlen war, begab sich auf das unordentliche Studentenzimmer, wo sie sehr tätig und eilfertig aufräumte. Um ihre Neugierde zu reizen, hatte N … in eine gewisse Gegend dieser Stube absichtlich einige Sachen gelegt, von denen er vorher wissen konnte, sie würden ihre Aufmerksamkeit so an sich ziehen, dass sie daselbst verweilen und ausdünsten könnte. Alles dieses geschah auch wirklich, wie die in dem Nebenzimmer heimlich eingeschlossenen Herren mittels der innen mit Gardinen behangenen Glastür deutlich beobachteten.

Die Aufwärterin verließ hierauf das Zimmer. Aber kaum war sie zur Tür hinaus, so bemerkten N…s Freunde, die noch nicht in das Studierzimmer eintreten durften, mittels der Fenstertür einen ganz eigenen Kampf der Luftarten in demselben. Es war, als ob die Ausdünstungen der Magd jetzt sichtbar würden und in der Gegend des Zimmers, wo die Neugierige am längsten verweilt hatte, in ein Ganzes wirbelnd zusammenflössen. Die Dünste glichen anfangs den Ausdünstungen eines erwärmten tierischen Körpers, so wie dieselben sichtbar werden, wenn dieser bei einer reinen Luft in strenger Kälte sich befindet.

Es währte nicht lange, so sah man die Aufwärterin, die sich aus dem Zimmer entfernt hatte, ohne zurückgekehrt zu sein, leibhaftig in der Gegend stehen, wo sie selbst persönlich vor wenig Minuten ihre Neugierde befriedigt und währenddessen stark ausgedünstet hatte. Die Freunde des N… erstaunten über diese Unbegreiflichkeit und wollten ihren Augen kaum trauen. Um sich völlig von der Wirklichkeit dessen, was sie alle mit gesunden Augen von Anfang bis zum Ende beobachtet hatten, zu überzeugen, führte N… sie durch die Seitentür, durch welche er gekommen war, in das unterste Stockwerk zur Aufwärterin Nr. 1. hinab. Sie fanden sie in der Küche bei einem weiblichen Geschäft, berührten ihren Körper und sprachen mit ihr. Unmittelbar darauf gingen sie auf dem kürzesten Weg zum Spukzimmer zurück und fanden da, wo sich vorhin aus wirbelnden Dünsten das weibliche Etwas zusammengesetzt hatte, die Aufwärterin Nr. 2 in eben der Gestalt, wie sie diese in der nämlichen Minute in der Küche gefunden hatten.

Nach einiger Zeit öffnete N… die Stubentür und ein ihr gegenüber befindliches Fenster, sodass ein Luftzug entstand. Nun verwandelte die Luft den Körper der Magd Nr. 2 in einen bläulichen Dampf, der sich wie Tabakrauch wirbelte und in einer geraden Linie zur Stubentür hinaus über den angrenzenden Saal zur Küche zog und sich mit der lebendigen Magd wieder zu vereinigen schien. Übrigens empfanden während dieser Doppelerscheinung weder die Magd noch die Zuschauer irgendetwas Widriges. Wir finden das Wesentliche dieser, dem Anschein nach höchst rätselhaften Wundererzählung in zwei öffentlichen Druckschriften.

Da deren eine in die Hände des Volkes kommt, so ist es gar nicht gut, dass man sie nicht auch auf eine der Vernunft angemessene Art erklärt hat. Zwar ist den erzählten Unbegreiflichkeiten daselbst eine Art von Erklärung hinzugefügt, aber diese könnte man richtiger eine Verdunkelung der Volksbegriffe nennen, indem sie aller naturhistorischen Kenntnis und allem philosophischen Wissen Hohn spricht. Ich werde sie hierher setzen und zur Minderung des nachteiligen Einflusses, den sie auf eine gewisse Klasse von Lesern haben könnte, mit Anmerkungen begleiten:

Der Jenaer Student N…, heißt es in den unten namhaft gemachten Schriften, hatte die Natur überhaupt und das Steinreich insbesondere zu seinem Lieblingsstudium gemacht. Da er ein Mann von guten Vermögensumständen war, so hatte er eine nicht unbedeutende Sammlung von Steinarten angelegt. Die vorzüglichste Merkwürdigkeit seiner Sammlung war ein kleines Stück Spurstein, welches einem schwarzen Schiefer glich. Dieser Stein soll im Orient als eine Seltenheit gefunden werden. Er wird dem Diamanten gleich geschätzt. N… hatte ihn für ein ansehnliches Kapital an sich gekauft und zeigte ihn wegen seiner bewundernswürdigen Eigenschaft selbst seinen besten Freunden nur mit Vorsicht.

Man sagt, die Jesuiten hätten sich des Spursteins bedient, um gelegentlich allerlei Wunder damit zu bewirken. Unter anderen sollen sie durch denselben auch Familien unfruchtbar gemacht haben. Allein seine auffallendste und unbegreiflichste Eigenschaft ist immer Folgende:

Wenn man einen Teil des Spursteins pulverisiert und in ein Zimmer streut, wo eine Person stark ausdünstet, so zieht er deren Ausdünstungen an sich, sammelt sie zu einem Ganzen, und bildet aus diesen menschlichen Atomen auf dem Platz, wohin er gestreut war, einen Luftkörper, der denjenigen völlig gleicht, den er verdoppelt darstellt.

Ich genoss damals (1767) die Freundschaft dieses jungen Gelehrten, fährt der Verfasser dieser Wundernachricht fort, war aber als Jüngling zu leichtsinnig, um sie in wissenschaftlicher Hinsicht zu nutzen. Indessen hat mir das wenige, welches ich aus seinen Unterhaltungen behalten habe, beim Nachdenken über die Natur mancher Geistererscheinungsgeschichte, Veranlassung zu folgender Hypothese gegeben:

Haben alle organische Körper unzählige Samenteile in sich, so kann vielleicht der kleinste Atom eines Körpers einen Samenteil zu jenem verklärten Körper enthalten, der durch unbekannte Kräfte langsam oder geschwind entwickelt werden kann. Vielleicht hat der Spurstein diese Kraft der geschwinden Entwickelung, vielleicht befindet sich auf manchem Kirchhof und an den Orten, wo Geister erscheinen, ein spursteinartiges Mineral, welches die aufgelösten Säfte eines Körpers geschwind zu einem Luftkörper entwickelt und durch bewegte Luft wieder verschwinden lässt.

Daher sieht man vielleicht Erscheinungen an Orten, wo ein solches Mineral liegt, und sieht es anderwärts nicht, weil kein solches Mineral daselbst vorhanden ist. Vielleicht enthalten die Ausdünstungen eines toten Körpers gleichsam die Samenteile des verklärten? Werden alle Körper aufgelöst, ihre Teile wieder mit den Elementen vereinigt, wieder von anderen genossen und in andere Körper verwandelt, so kann wohl schwerlich der bloß anschauliche Teil eines menschlichen Körpers bei der Auferstehung den Stoff zum verklärten Leib hergeben, sondern es liegt in ihm ein geistiger Samenteil, aus welchem dereinst durch höhere Kräfte ein verklärter Leib gebildet wird.

Noch mehr: In Leipzig lebte vor einiger Zeit ein tiefdenkender Gelehrter, der Doktor Crusius. Bei seinem Leben trug man sich mit der Erzählung, er habe seinen Diener zu sich in das untere Wohnzimmer gerufen und ihm befohlen, ein Buch aus seiner Studierstube zu holen, wo dann der Diener den Herrn Doktor in der nämlichen Gestalt am Pult sitzend wiedergefunden habe, wie er ihn eben im Wohnzimmer verlassen hatte. Damals hielt man die Sache für ein Märchen oder schwieg aus Achtung für diesen würdigen Mann. Aber vielleicht ist in der Wand der Stube ein dem Spurstein ähnliches Mineral vorhanden gewesen? Vielleicht enthielt der gewöhnlich in die Stube gestreute Sand dergleichen Bestandteile, welche die kurz vorher vom Doktor Crusius ausgedünsteten Atomen zu einem Luftkörper bildete, sodass also der Diener dennoch recht gesehen hat?

Die Möglichkeit dieser geschwinden Entstehung eines Luftkörpers wird selbst aus ganz gemeinen Bemerkungen der Natur wahrscheinlich. Zersägt man zum Beispiel einen Baum, so bemerkt man durch das Vergrößerungsglas auf der platten Oberfläche unzählige Poren (Durchgänge), die das Blatt oder die Frucht des Baums bilde. Spritzt nun durch jeden dieser Durchgänge ein Tröpfchen Saft, so kann auch der Ungelehrte einsehen, wie diese aufsteigenden Tropfen durch Luft und Sonne die Gestalt des Blattes oder der Frucht enthalten. Können nicht ebenso in dem in der Fäulnis liegenden Körper ähnliche Durchgänge befindlich sein, woraus die darunterliegende Steinart einen Luftkörper bildet?

Schließend bemerke ich noch, dass der Besitzer des Spursteins zu Jena beim Herrn Professor Walch, dem Jüngeren, dem die Sache wahrscheinlich auch bekannt sein muss, wohl gelitten war.

Soweit die sogenannte Erklärung der oben erzählten Doppelerscheinung jener Studentenaufwärterin. Ihr zufolge wird vielleicht mancher Leser denken, hätte es ja nun also doch wohl seine Richtigkeit mit so mancher Erzählung von Spukgeschichtchen und Geistererscheinungen? Denn wenn es Kräfte in der Natur gibt, mittelst welcher die Ausdünstung eines Menschen wieder gesammelt und zu einer spukhaften Schreckensgestalt, ihrem Urbild völlig ähnlich, nachgebildet werden können, so sind also auch dergleichen Geistererscheinungen weder unmöglich noch übernatürlich, sondern gehören in die ordentliche Reihe der Dinge. So kann also auch der Glaube an Gespenster nicht mehr ein bloß kindisches Vorurteil sein?

Mit Recht würde man so folgern, und die Gespensterleugner mit dergleichen Fragen in die Enge treiben können, wenn wirklich ein Spurstein mit den ihm nachgerühmten Eigenschaften auf unserem Erdenrund zu finden sein sollte. Allein man denke: Das ganze Geschichtchen vom Jenaer Spurstein ist ein Studentenmärchen, ein schädlicher Schriftstellerscherz, eine freche Lüge! Es ist nach der Versicherung unserer berühmtesten Physiker und Chemiker nichts in der Natur bekannt, woran man die dem Jenaer Spurstein nachgerühmte possenhafte Wirkung im Geringsten wahrgenommen hätte.

Herr D. L. G. Karsten, Dr. der Welsweisheiten und königlicher Bergkadett zu Halle, gibt uns mit wenigen Worten völligen Aufschluss über dieses angebliche Jenaer Spursteinwunder. Es war mit eine Veranlassung zu seiner Reise nach und über Jena gewesen. Er schrieb darüber Herrn Bibliothekar Biester unter anderen Folgendes: »Drei Tage blieb ich in Jena, forschte und fragte nach dem berühmten Spurstein, nach den Zeugen, welche dem Versuch beigewohnt hätten, nach dem Gegenstand dieses Versuchs, nach der merkwürdigen Stelle, wo er vorgegangen sein sollte. Denken Sie sich meine Betrübnis, als ich von all diesem nicht das Geringste erfahren konnte, und noch dazu an mehreren Orten ein profanes Gelächter der Spötter erschallen hörte.«