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Deutsche Märchen und Sagen 12

Johann Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

12. Der fleißige und der faule Fischer

Es war einmal ein Fischer und der war so fleißig, daß es keinem Menschen zu sagen ist. Er fischte vom frühesten Morgen bis in die tiefe Nacht, aber das Glück wollte ihm immer nicht und er blieb ein armer Mann. Was noch mehr war, seine Frau und sein einziges Kind starben ihm in Zeit von einem Jahr und er fühlte sich so allein, daß er meinte, er hätte verzweifeln müssen. Darum ließ er aber das Vertrauen auf Gott den Herrn nicht fahren, dachte immer Was Gott tut, ist wohlgetan und trug alles mit Geduld und Ergebung. Am Vorabend von St. Andreas – der Heilige war nämlich sein Patron – ging er einmal so ganz allein spazieren und dachte seinem argen Schicksal so recht nach, auch, wie er gar nichts Besseres noch vor Augen sähe. Darüber wurde er so betrübt, dass er anfing, laut aufzuweinen. Darüber wurde es dunkler und dunkler. Er war so verloren in seiner Traurigkeit, dass er das gar nicht merkte. Erst als es recht finster war, stand er auf und wollte nach Hause gehen. Aber da sah er plötzlich ein kleines Flämmchen, welches auf dem Meer tanzte, dann ans Land schnellte, an den Resten einer alten Fischerhütte herumfuhr und wieder ins Meer schoss, wo es an einer Stelle hell aufleuchtete und schnell wieder ans Land fuhr. Nun hatte der Fischer zwar häufig sagen gehört, dass solche Flämmchen im Meer versunkene Schätze anzeigten, aber er war doch zu furchtsam, als dass er hätte bleiben mögen. Darum drehte er dem Flämmchen den Rücken und wollte nach Hause gehen. Da rief aber plötzlich jemand seinen Namen und der Fischer kehrte sich um und sah hinter den Hüttentrümmern einen blassen alten Mann in ganz fremdartigen Kleidern stehen, der ihn mit einem so flehenden Auge ansah, dass es dem braven Fischer ganz leid tat.

»Habt ihr mich gerufen, Herr?«, fragte er, »dann sagt mir, was ihr wünschet.«

Da antwortete der Mann: »Andreas, du hast dich so sehr über dein Unglück beklagt. Ich will dich zu einem reichen Mann machen, wenn du tun wirst, was ich dir sage.«

Nun wurde dem Fischer erst recht ängstlich zumute, denn er glaubte, der Mann wäre der leibhaftige Teufel. Er schlug schnell ein Kreuz und sprach: »Nein, ich habe Eure Hilfe nicht nötig. Ich will lieber arm sein, als Geld von Euch nehmen.«

Darüber lächelte der Mann und sprach: »Du meinst, ich wäre der Teufel, aber da irrst du dich. Du kannst nur volles Vertrauen in mich haben und es wird dir gewiss zum Guten ausschlagen. Willst du, dann nimm den Ring hier und komm über drei Tage wieder. Gehe dann um Mitternacht just einen Büchsenschuss weit ins Meer. Da findest du drei umgestülpte Töpfe. Davon musst du den mittleren aufheben, dann ist die darin eingeschlossene Seele eines armen Ertrunkenen erlöst. Gehe aber schnell wieder zurück, kümmere dich auch um nichts, was du auch sehen oder hören magst. Ich werde dich reichlich dafür belohnen und du wirst so glücklich sein wie ein Mensch in der Welt.«

Mit den Worten verschwand der Mann und im selben Augenblick fiel ein alter verrosteter Ring vor die Füße des Fischers. Aber der hatte nicht Mut genug, das Abenteuer zu bestehen und sprach in sich selbst: »Was kümmern mich die Seelen der Ertrunkenen und warum sind sie so närrisch, sich unter einem Topf fangen zu lassen.« Er ging nach Hause und dachte gar nicht weiter an die Geschichte. Daran tat er inzwischen nicht recht und das zeigte sich auch bald; denn in den ersten Tagen nachher verlor er alles Geld, was er sich seit mehren Jahren kümmerlich abgespart hatte, und gleich darauf wurde er krank und blieb neun ganzer Monate im Spital liegen. Als er daraus kam, war er so arm wie ein Job und es blieb ihm fast nichts andres übrig, als zu betteln.

Ohne dass er selbst wusste wie, befand er sich am Vorabend von Sankt Andreas wieder am Meer und an derselben Stelle wie im vorigen Jahr. Das Meer war aber nicht so ruhig wie damals, sondern warf große Wellen und war recht wild. Nicht lange stand er also da und gedachte an die Erscheinung. Wie er hätte glücklich werden können, als er das Flämmchen wieder sah und bald auch seinen Namen wieder rufen hörte. Bald darauf stand husch, wie hergeblasen, das kleine alte Männchen vor ihm und wiederholte seinen alten Vorschlag. Als es verschwunden war, schaute der Fischer auf die Erde und da lag der alte verrostete Ring da. Er nahm ihn schnell auf und steckte ihn in die Tasche; denn er hatte nun fest beschlossen, einmal Mut zu fassen und ins Meer zu gehen. Am dritten Tag um Mitternacht kam er wieder an die alte Hütte und ging mutig aufs Wasser los, aber je tiefer er meinte hinabzusteigen, desto weniger Wasser fand er. Im Gegenteil, er kam auf die schönste Wiese, die man nur mit Augen sehen kann. Dar auf waren Hunderte von Jünglingen beschäftigt, das Gras abzumähen und in große Bündel zu binden, und dazwischen sangen sie lustige Lieder. Der Fischer kehrte sich daran aber nicht, obwohl er unter vielen derselben seit lang ertrunkene Bekannte und Freunde erkannte, und schritt rüstig weiter. Da kam er an ein schönes Haus.

Aus dem Haus stürzte ihm eine schöne Frau entgegen und rief mit einer gar süßen Stimme: »Ach, so kommst du denn endlich und heiratest mich! Ach, wie lang habe ich dich erwartet!«

Da hätte der Fischer bald der Warnung des Männchens vergessen, nämlich dass er auf nichts achten solle, was er auch hören oder sehen mochte. Aber er fasste sich bald wieder, lief schnell weiter zu den drei umgestülpten Töpfen, welche er einige zwanzig Schritte weiter erblickte, und fasste tapp den mittelsten und warf ihn um. Zu gleicher Zeit stieß die schöne Frau einen grausamen Schrei aus und all die Jünglinge von der Wiese stürzten über den Fischer her, aber er wurde von einer mächtigen Hand gefasst und so schnell nach oben gerissen, dass ihm Hören und Sehen verging und er ganz und gar von sich selbst kam. Als er endlich sich wieder erholte, lag er am Gestade an Land und fühlte eine so grässliche Müdigkeit in allen Gliedern, als ob er keine Knochen am Leibe mehr ganz gehabt hätte. Was ihn aber dabei tröstete, das war ein ledernes Säckelchen voll goldener Münzen und kostbarer Edelsteine, welches neben ihm lag. Das steckte er voller Freude zu sich und ging zu seiner Hütte zurück, die er bald niederreißen ließ und ein schönes Haus an ihre Stelle setzte. Nicht lange nachher nahm er sich eine neue Frau und lebte mit der so glücklich und zufrieden wie ein Fisch im Wasser. Alles, was er anfing, gelang ihm prächtig und in Zeit von fünf Jahren war er ein steinreicher Mann und zog in die Stadt, wo er von seinen Renten lebte.

Nun lebte in der Nachbarschaft von Andres ein anderer Fischer, der hieß Peter und war ebenso faul, wie Andres fleißig war. Man brauchte ihn auch nur anzusehen, um zu erkennen, was hinter ihm steckte. Sein Gesicht war so runzlig wie eine alte Pflaume. Er hatte Augen wie eine Katze und einen Bart, der einem Stoppelfeld nicht unähnlich sah. Dabei waren seine Beine nicht dicker wie ein Besenstiel und noch nicht so gerade als eine Sichel. Er war nur einmal am Tag betrunken, nämlich vom frühen Morgen bis zum späten Abend, sodass er selten oder gar nie arbeiten konnte und sicher hätte betteln müssen, wenn er nicht eine so sehr fleißige und brave Frau gehabt hätte. Er hielt aber trotzdem nicht viel auf sie, und das ist nicht schwer zu begreifen; denn wenn die arme Frau den ganzen Tag gefischt hatte und abends meinte, sich etwas zugutetun zu können, dann kam ihr Mann betrunken nach Hause und verlangte, Gott weiß was, zu essen und zu trinken und hatte auch nicht eher Ruhe, bis sie ihn zu Bett prügelte, wo er sie dann zum Danke in die Tiefe des Meeres verwünschte, damit er und die Fische Ruhe vor ihr bekämen. Das ging lange so fort. Eines Abends aber fand er seine Frau nicht zu Hause und bald darauf er zählten ihm heimkehrende Fischer, dass sie ertrunken sei.

Da war nun keiner froher, als der faule Peter, denn nun brauchte er sich nicht mehr zu zanken und bekam auch nicht jeden Abend Schläge, doch stieg bald die Sorge in ihm auf, wovon er denn künftig leben werde.

Selbst wieder fischen wollte er nicht und andere Arbeit kannte er nicht. Als er so darüber nachdachte, ging er langsam aus seinem Haus hinaus und gegen das Meer zu. Da fiel ihm auf einmal bei, was sein Nachbar An dres ihm erzählt hatte von den Seelen der Ertrunkenen, welche auf dem Boden des Meeres unter umgestülpten Töpfen säßen.

Er dachte: So gut wie der eine solche Seele erlöste, kann ich es auch. Auf die Weise bekomme ich ein artig Sümmlein und brauche nichts mehr zu tun und kann trinken vom Morgen bis Abend. Juchhei! Damit sprang er stuhlhoch in die Luft, schwenkte lustig dreimal seinen Hut und ging zur alten Hütte zu, wo er sich auf einen alten Balken niedersetzte. Er saß noch nicht lange da, als das kleine Flämmchen schon erschien, hin und her lief, und bald darauf stand auch das alte Männchen da.

»Aha, Gevatter«, schrie Peter, »seid Ihr da? Dessen bin ich gar zufrieden, denn ich möchte auch einmal gern eine Seele erlösen und mir die Taschen bei der Gelegenheit mit Gold füllen. Geschwind, geschwind, Gevatter, und zeigt mir den Weg, denn ich bin ein Kerl, der Mut im Leibe hat und nicht mit sich spaßen lässt!«

Das Männchen gab keine Antwort, sondern warf ihm nur den Ring vor die Füße und verschwand.

Peter nahm den Ring schnell auf und lief dem Meer zu. Das Wasser wich immer weiter vor ihm zurück. Als er einige fünfzig Schritte getan hatte, da stand er auf der Wiese, wo die Jünglinge noch immer mähten und sangen.

Ach, dachte er, käme nun doch auch die schöne Frau, ich würde mich ganz anders gegen sie benehmen wie der dumme Andreas. Ich heiratete sie auf der Stelle.

Kaum hatte er die Worte aus dem Mund, als die Türe des nahen schönen Hauses sich öffnete und eine Frau herauskam, welche dicker war als die größte Biertonne. Sie hatte einen Mund, der ging nicht weiter als von einem Ohr zum anderen, Augen so groß wie dicke Nadelköpfe, ganz kurze Beinchen und ganz breite und lange Füße.

»Ach, gnädige Frau«, stotterte Peter erschrocken, »wollet Ihr mir wohl sagen, wo denn eigentlich die drei Töpfe stehen?«

»Also du kommst nicht hierher, um mich zu heiraten«, schrie die Dicke, »dann soll dich der Tausend holen.« Damit schrie sie, so laut sie konnte, und stürzte auf den armen faulen Peter los.

Dieser besann sich aber nicht lange, sondern lief weg, bis zu den Töpfen, während die Jünglinge mit der Dicken hinter ihm drein eilten. Unglücklicherweise hatte er aber nie von Andres gehört, welchen von den drei Töpfen der aufgehoben hatte. In seiner Hast, Not und Angst griff er darum aufs Geratewohl nach dem mittelsten und hob ihn auf. Da drang aber ein so grausames Gequake und Gekrähe unter dem Topf hervor, dass Peter vor Schrecken in Ohnmacht fiel. Als er wieder aufwachte, fand er sich im Sand wieder. Er raffte sich zusammen und suchte ringsum nach einem ledernen Sack, mit Gold und Edelsteinen gefüllt, aber er mochte suchen, wie er wollte, er fand nichts.

Halt da, dachte er endlich, vielleicht finde ich ihn zu Hause. Wer kennt das Treiben der Geister, oder weiß Gott, wer sie sind, die da im Wasserspuken. Er machte sich auf den Weg zu seiner Hütte. Schon von fern merkte er, dass die kleinen Fensterlein hell schimmerten, als ob Licht in der Kammer gebrannt hätte, und das war ihm gar verdächtig. Darum schlich er ganz, ganz sachte heran und sah einmal durch eine Türritze, aber da rät nun keiner, was er da sah. Man kann es nicht raten, es ist unmöglich, drum will ich es nur sagen: Er sah seine Frau, die mitten in der Kammer saß, ihre Fische zählte und auf ihren Taugenichts von Mann schimpfte. Es fehlte wenig und Peter wäre von Neuem in Ohnmacht gefallen. Er fasste aber Mut und schlotterte bebend an allen Gliedern in die Kammer hinein und warf sich, ohne ein Wort zu sprechen, aufs Bett, hörte gar auf nichts, was seine Frau ihm auch vorwerfen und nachrufen mochte.

Ich bin an meinem Unglück selbst schuld, dachte er, hätte ich den Topf zur Rechten oder den zur Linken aufgehoben, ich wäre sonder Zweifel ein reicher Mann; aber wer konnte auch denken, dass meine böse Frau gerade in dem mittelsten saß?