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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 15

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Fünfzehntes Kapitel

Morgans und Bradleys zweite Sklaverei. Sie werden getrennt. Für eine Zeit lang geht die Spur unseres Helden verloren, bis er zuletzt in sehr schlechter Gesellschaft wieder auftaucht.

Nach einer glücklichen Fahrt von einigen Tagen tat der Barbadier die Küste in der Nähe von Cartagena an. Nun befahl Sir Paul Plunket, dass alles, was von der ursprünglichen Mannschaft des Schiffes noch vorhanden sei, auf dem Deck bleiben solle. Ohne irgendeinen Grund anzugeben, wählte er eine beliebige Anzahl aus und ließ sie in Fesseln legen. Nachdem dies geschehen war, befahl er auch Morgan und Bradley, ihren reicheren Anzug bis sogar auf die Hemden und Unterbeinkleider abzugeben, worauf er sie gleichfalls in Fesseln schlagen ließ.

Sir Paul tat all dies in der höflichsten, angenehmsten Weise und unter tausend wohlgedrehten Entschuldigungen. Dieser Hohn belustigte die Umstehenden sehr. Aber während Bradley in schreckliche Flüche ausbrach, schien Morgan die Sache leicht und sogar verächtlich zu behandeln.

In Cartagena angelangt, verkaufte Sir Paul alle seine Gefangenen unter der königlichen Flagge von England. Nach vielen Jahren wurden zum ersten Mal Morgan und Bradley getrennt, da sie von verschiedenen Herren angekauft worden waren. Sie schieden in bitterem Schmerz, aber nicht ohne die Hoffnung einer Wiedervereinigung. Wenn sie bei ihrem Lebewohl keine Tränen vergossen haben, so müssen wir dies nicht dem Mangel an gegenseitiger Zuneigung, sondern vielmehr dem männlichen Stolz zuschreiben, welcher sie hinderte, vor Sir Paul und einer Anzahl von Spaniern, welche auf dem Markt waren, eine solche Schwäche blicken zu lassen. Morgan fiel einem Don Jose de Ribidera, einem der reichsten Männer in Maracaibo zu.

Zwei ganze Jahre blieb Morgan in der Eigenschaft eines Fröners auf dem Besitztum des Don. Es schien, als habe ihn sein guter Genius verlassen, denn er tauchte während dieser Zeit nie aus der Dunkelheit eines Sklaven auf, und ihn selbst hörte man später nie auf diese Gefangenschaft anspielen. Ob er auf dem Feld oder im Haushalt beschäftigt war, lässt sich nicht mehr ermitteln. Indes lernte er doch die Lebensweise der südamerikanischen Spanier kennen, und die spanische Sprache nebst den Zungen der Indianer mit der Geläufigkeit eines Eingeborenen sprechen.

Ob Morgan in der langen Zeit von zwei Jahren in finstere Verzweiflung versank, und ob er als Ketzer vielen Misshandlungen ausgesetzt wurde, muss der Nachwelt wohl immer verborgen bleiben. Wir wissen nur so viel, dass er aus seiner Gefangenschaft als ein schlauerer und verhärteter Mann auftauchte.

Während dieser Periode hatten Pen und Venables Jamaika unter nur wenigem Widerstand eingenommen, und Obrist Modiford, welcher gleichfalls dahin gegangen war, wurde zum Gouverneur dieser Insel ernannt. Der Wohlstand von Barbados hatte furchtbar gelitten, denn die strenge Handhabung der Schifffahrtsgesetze war ein Todesstoß für seinen Handel, und Oliver Cromwell benahm sich zu wachsam, um den Schleichhandel aufkommen zu lassen.

Sir Paul Plunket hatte seine Prise, den Barbadier, nach Antwerpen genommen und sie daselbst samt Morgans und Bradleys reichen Kaufmannsgütern veräußert. Durch irgendein Taschenspielerstückchen, an dergleichen er sich von Kindheit an gewöhnt hatte, bejaunerte er seine Offiziere und Matrosen um ihre Anteile und machte sich mit dem ganzen Anteil unsichtbar. Er begab sich nach London und erhielt dort gegen Erlegung von tausend Pfund einen Generalpardon des Staates für alle vor Ausstellung des Dokuments auf hoher See begangenen Vergehungen.

Er nahm jetzt den scheinheiligen Namen Derherrliebtdich Loveall an und nannte sich einen Wiedergeborenen. Indes hatte er in London keine bleibende Stätte, denn sein unruhiger Geist trieb ihn bald wieder zu neuen Abenteuern hinaus. Er stattete ein Schiff aus, belud es für den westindischen Verkehr und segelte nach Barbados, den Pardon in der Tasche mit sich führend, um jeden zufrieden stellen zu können, welcher ihn unter seinen früheren anderen Namen gekannt hatte.

Zu Bridgetown in Barbados angelangt, wurde er krank. Da er fand, dass ihn niemand kannte, so beschloss er, sich hier niederzulassen. Auch brachte er wirklich nach einiger Zeit Morgans und Bradleys Pflanzung für die Hälfte des Preises, um den sie verkauft worden war, in seinen Besitz.

Loveall war ein reicher Mann. Als er den schlechten Zustand der barbadischen Moral bemerkte, gab er sein Der Herr liebt dich auf und änderte seinen Namen in Lordly Lovel. In so ungeordneten Zeiten nahm dies niemand Wunder. Natürlich benamste er sich im Kaufbrief mit der Bezeichnung, unter welcher der Pardon für ihn ausgestellt war, ohne jedoch die verschiedenen Alias, welche das Dokument enthielt, zu wiederholen.

Zu Penabock (denn Morgan hatte die Pflanzung nach der Farm seines Vaters genannt) führte Lovel das ausschweifendste Leben, worin er sein summum bonum fand.

Es gehört nicht in den Bereich dieser Biografie, über das Leben und die Taten der Buccanier, welche damals alle spanischen Besitzungen in Neuspanien unsicher machten, weitere Berichte zu erstatten, als gerade mit dem Leben unseres Helden in Verbindung stehen. Die Führer waren zahlreich, blutdürstig und roh. Sie entfalteten großen Mut im Angriff, führten aber das zügelloseste Leben und verschwendeten in ihrer wilden Gier wie Narren, was sie wie Helden errungen hatten.

Morgan hatte etwas mehr als zwei Jahre im Dienst Don Joses gestanden, welcher sich bisweilen auf dem Land, bisweilen in seiner sehr schönen Wohnung zu Maracaibo aufhielt. Letzteres war eine hübsche, bevölkerte Stadt an der Bay gleichen Namens und enthielt eine große Kirche, vier Klöster und ein geräumiges Hospital. Die Bewohner waren reich und besaßen einen schönen Viehstand nebst ausgedehnten sehr ergiebigen Pflanzungen, die sich fast hundert Meilen landeinwärts erstreckten. Der Verkehr war beträchtlich. Von den viertausend Bewohnern waren nahezu tausend imstande, Waffen zu tragen.

Die Stadt besaß einen großen sicheren Hafen, in welchem jährlich viele Schiffe gebaut wurden. In der Tat war es im Ganzen ein gedeihlicher, schöner und sehr angenehmer Platz. Eines Morgens jedoch sahen sich die Bürger durch eine Flotte von Schiffen unterschiedlicher Größe, welche in der Nähe der Stadt Anker geworfen hatte, in die höchste Bestürzung versetzt. Man konnte sich wohl denken, wer diese unwillkommenen Gäste waren, weshalb denn auch die ganze Einwohnerschaft alles, was sie Wertvolles mit sich führen konnte, aufpackte und durch das Binnenland nach Gibraltar zu flüchten begann.

Bei dieser Flucht wurden Morgans Schultern nicht geschont worden. Er wurde von Bewaffneten gezwungen, sich mit den Übrigen weiter zu placken, aber viele brachen unterwegs ohnmächtig zusammen! Unser Held tat dergleichen, als sei er einer der Allerschwächsten. Man wies ihm nun eine Stelle in den Wäldern an, wo er den größten Teil seiner wertvollen Last verbergen sollte. Dann wurde er nebst den Übrigen mit Speerspitzen vorwärts gedrängt.

Mittlerweile eröffneten die Eindringlinge, welche in der Stadt einen Hinterhalt fürchteten, ein wütendes Feuer auf einen Teil der Wälder, unter welchen die Hälfte ihrer Anzahl in Kähnen gelandet waren. Sie trafen keinen Widerstand und zogen nachher, vortreffliche Ordnung haltend, in die Stadt ein, welche sie ganz verlassen fanden. Obwohl kein menschliches Wesen vorhanden war, um sie willkommen zu heißen, fehlte es doch nicht an der vortrefflichsten Labung. Sie wählten sich die besten Häuser aus, setzten sich nur in den allerbesten Gemächern fest und stellten ihr großes Corps de Garde an der Hauptkirche auf, während ihre Patrouillen ganz wissenschaftlich die Tore besetzten.

Am anderen Tag wurde eine Abteilung von hundertundsechzig Mann ausgeschickt, um in den benachbarten Wäldern nach Schätzen und Leuten zu fahnden. Sie kehrten abends mit zwanzigtausend Piastern, vielen Mauleseln, einer Menge von Kaufmannsgütern und zwanzig Gefangenen zurück, unter denen sich auch Morgan, welcher sich lahm stellte, und sein Gebieter Don Jose befanden. Wie es unser Held beabsichtigt hatte, bot er einen jämmerlichen Anblick. Sein Gesicht war mit Blut und Schmutz entstellt, während ihm sein Hemd und seine Beinkleider, der einzige Anzug, in Fetzen am Leib herunterhingen. Er erreichte seinen Zweck: Man übersah ihn, während jeder gut gekleidete Spanier nach dem liebenswürdigen Brauch dieser Küstenbrüder der Folter überantwortet wurde, damit er bekenne, wo er seine Habe verborgen habe. Indes erzielten sich nicht viel weiter, als Ächzen und Stöhnen.

Diese Bande von Freibeutern stand unter dem Kommando des berüchtigten L’Olonois, eines Franzosen, welcher weit mehr vom Tiger als vom Affen in seinem Charakter hatte. Der Befehlshaber ergriff Don Jose, ließ ihm die Kleider vom Leib reißen, stellte ihn vor alle Übrige hin und begann ganz ruhig, bald auf dieser, bald auf jener Seite mit seinem Säbel an ihm herumzuhauen, wie etwa ein Zimmermann einen Holzblock mit seiner Axt bearbeitet. Wenn der arme Unglückliche zurück oder vorwärts rennen wollte, wurde er durch die Musketenkolben der Piraten wieder an seine Stelle geschoben.

Während dieses schrecklichen Auftritts hielt L’Olonois den übrigen Gefangenen eine Vorlesung über die Torheiten und Vermessenheit, vor ihm Güter verbergen zu wollen, indem er ihnen zugleich bedeutete, er werde sie in derselben Weise, aber mit stumpferem Säbel bedienen, bis er von ihnen erfahren habe, was er zu wissen wünsche.

Endlich war er mit Don Jose fertig. Der arme Spanier war tot zusammengesunken. L’Olonois hatte sich schon den Nächsten auserlesen, als Morgan vortrat und sich in sehr reinem französisch erbot, all die Verstecke zu verraten. Warum er nicht früher sprach, können wir uns nur aus der Vermutung erklären, dass er entweder jetzt nach seinem Grundsatz, sein Glück erwachse aus Menschenblut, zu handeln begann oder dass er für die Grausamkeit seines vormaligen Gebieters Rache nehmen wollte. Morgan wurde mit allgemeinem Zuruf von den Piraten in ihre Reihen aufgenommen und stand bald wie sie bewaffnet und ausgestattet da.

Am anderen Tage führte er die Spähpartie an. Die Spanier hatten jedoch, weil sie argwöhnten, dass sich ihre Kameraden durch die Folter zum Bekenntnis bringen lassen würden, ihre Verstecke gewechselt, sodass nur wenig Beute errungen wurde. Indes war sie doch ergiebig genug, um den Beweis zu führen, dass Morgan kein falsches Spiel getrieben habe. Er stieg in der Gunst seiner Gefährten.

Die Seeräuber blieben fünfzehn Tage zu Moracaibo und verbrachten ihre Abende in Festlichkeiten, während sie den Tag über die Wälder nach Gefangenen und verborgenen Schätzen durchspürten. Als endlich die Lebensmittel und damit auch der Spaß zur Neige gingen, beschlossen sie gegen Morgans Rat, die Stadt Gibraltar, welche weiter innen lag und wohin die Einwohner von Maracaibo ihre Personen und die von den Freibeutern geretteten Schätzen geflüchtet hatten, anzugreifen.

Der Gouverneur von Merida, ein tapferer alter Soldat, hatte sich mit vierhundert Mann regulärer Truppen nach Gibraltar geworfen, sodass ihm mit den waffenfähigen Bewohnern des Ortes eine Mannschaft von achthundert Streitern zu Gebot stand. Er errichtete mit Schanzkorb zwei Batterien, welche die Seeküste bestrichen, die eine aus zwanzig, die andere aus acht Kanonen. Nachdem so die Straße zur Stadt hermetisch verschlossen war, ließ er den Seeräubern einen anderen, schmalen Pass durch die Wälder und über Sümpfe offen, richtete er aber so ein, dass die Kanonen auf den Werken der Stadt den schlammigen Pfad vollständig bestreichen konnten. In der Tat wurden alle Vorbereitungen zu einem gebührenden Empfang dieser Gäste getroffen, welche nicht die geringste Ahnung von all diesen besorgten Aufmerksamkeiten hatten.

L’Olonois behielt Morgan als Ratgeber und Adjutanten in seiner Nähe. Sie fuhren mit ihrer Flotte, an deren Bord sie ihren Gefangenen und ihren Raub eingeschifft hatten, auf Gibraltar zu und fanden bei ihrer Annäherung, dass über der Stadt das spanische Banner flatterte – ein Merkzeichen, dass ihnen hier wohl warme Arbeit bevorstehe. Sie machten daher halt, beriefen einen Kriegsrat zusammen. L’Olonois hielt eine sehr feurige Anrede, in welcher das Wort Ruhm seine gewöhnliche Rolle spielte. Mit mehr Sachgemäßheit sprach er sodann von den Reichtümern, um welche sie von den Bewohnern Maracaibos betrogen worden seien und die hier zu erringen wären. Auch bemerkte er, je mehr im Sturm fielen, desto mehr bleibe für die Überlebenden übrig – ein Argument, das von allen wohl begriffen wurde. Dann fragte er sie, ob sie ihm folgen wollten. Die Antwort lautete bejahend, seine ungnädige Entgegnung aber darauf aber wortgetreu folgen dermaßen: »Recht so, aber lasst es euch gesagt sein. Der Erste, welcher nur die geringste Furcht blicken lässt, erhält von mir eine Kugel ins Gehirn.«

Wenn sich die Sache so verhielt, so war sein Kriegsrat eine etwas überflüssige Maßregel.

Am anderen Tag brachen sie, dreihundertundachzig Mann stark, wohlgemut mit der Sonne auf. Jeder der Seeräuber war gut bewaffnet und mit dreißig Patronen versehen. Morgan diente als Wegweiser und ging mit L’Olonois dem Haufen voran.

Als sie die Straße erreichten, fanden sie dieselbe unbegehbar. Der andere Pass, welcher für sie offen gehalten war, wurde bald von ihnen entdeckt. Sie drangen trotz Morgans Bitten und Vorstellungen darauf vor.

Aber bald steckten sie im Schlamm wie Fliegen in einem Siruptopf. Und dann begann das Feuer der Bastei, welche die Gasse beherrschte, mit wiederholten Ladungen von Wurfmaterial, das wir heutzutage Kartätschen nennen würden, den Pass säubernd.

Gegen einen so mörderischen Empfang war mit Mut wenigauszurichten; aber dennoch hielten die Seeräuber aus. Morgan, den seine Tapferkeit nie zur Übereilung hinriss, trat beiseite und gewann den Schutz eines großen Mahagonistammes, hinter welchem er auch den wütenden L’Olonois zerrte, der, sobald der Kampf einmal begonnen hatte, an nichts anderes als ans Stürmen dachte.

Bei diesem ersten donnernden »Halt«! war für eine Weile an Rückzug nicht zu denken, denn die Seeräuber steckten fast bis an die Hüften im Sumpf. Indes rettete dieser Umstand vielen das Leben, indem sie dadurch kleiner wurden, sodass die Kugelschauer über ihre Köpfe hinwegsausten. Einige bogen nach rechts und links ab. Am Ende gelang es allen Überlebenden, sich aus dieser Falle zu ziehen, ohne dass sie übrigens die Absicht eines neuen Versuches aufgaben.

Das Gebüsch war zwar schwierig zu passieren, schützte sie aber zugleich vor der Beobachtung des Feindes. Obwohl unser Held nachdrücklich zum Rückzug riet, versuchten sie doch bald wieder, sich einen Weg zu bahnen, indem sie zahlreiche Baumäste abhieben und sie im Weiterrücken auf den nachgiebigen Boden warfen. Sie kamen nur langsam und unter großem Verlust vorwärts, bis endlich die Spanier durch ihr rasches Feuer den leichten Wind eingelullt hatten. Die Angreifer blieben daher in einer dichten Rauchwolke verborgen. Unter dem Schutz derselben erreichten sie endlich den festen Grund wieder, wo ihnen nur eine Batterie in den Weg trat, welche viel zu hoch war, als dass sie dieselbe hätten ersteigen können.

Als sie von den Spaniern wieder entdeckt wurden, gebot ihnen eine volle Lage des sämtlichen, mit kleinen Kugeln und zerhackten Eisen geladenen Geschützes abermals Halt. Der Feind benutzte ihre Bestürzung und trieb sie aufs Neue ins Gehölz. Dann kehrten die Spanier wieder nach ihren Batterien zurück, von denen aus sie von Zeit zu Zeit eine einzige mit Kartätschen geladenne Kanone ins Dickicht abfeuerten – ein Verfahren, das hin und wieder Wirkung that, auf alle Fälle aber für die Angreifer sehr belästigend wurde.

Die Seeräuber hatten schon einen großen Teil ihrer Mannschaft verloren und waren noch so weit von ihrem Ziel, als nur je. L’Olonois hatte eine leichte Wunde erhalten, welche seine natürliche Wildheit zu eigentlichem Wahnsinn stachelte. Morgan zuckte gelassen die Achseln und bot alle seine Kraft auf, um für sich selbst Sorge zu tragen.

Die Angreifer gaben sich nun Mühe, einen anderen Ausgang durch das Gehölz aufzufinden. Aber wo das Dickicht passierbar zu sein schien, hatten die Spanier große Bäume gefällt, deren Zweige nach außen gekehrt waren. So blieb ihnen also keine Gasse übrig, als der Sumpfweg, welcher unmittelbar auf die Hauptbatterie hin führte.

Nun sagte L’Olonois zu Morgan: »Mein englischer Freund, rennt mir Euren Säbel in den Leib, denn ich kann keinen Schmerz ertragen und die Schande ist noch schlimmer. Da, nehmt meine Börse – nur macht mir meinen Tod leicht.«

»Mein edelmütiger Wohltäter«, versetzte Morgan, »ich bin nur ein unbedeutendes Individuum und will daher die Gabe eines so berühmten Kommandeurs nicht zurückweisen. Aber lasst uns in einer edleren Weise sterben und schenkt meinem Vorschlag Gehör. Wir wollen dergleichen tun, als zögen wir uns in völliger Unordnung zu unseren Schiffen zurück. Die Spanier werden uns folgen. Sind sie eine ziemliche Strecke von ihren Batterien entfernt, so können wir uns mit dem Säbel in der Hand gegen sie umwenden. Werdet Ihr verwundet oder steht eine Niederlage in Aussicht, so will ich Euch Eurem Wunsch gemäß den Tod geben. Ich bin nur eine geringe wertlose Person, und wenn ich sehe, dass wir am Feind unser Schlimmstes getan haben, werde ich unverhohlen den Rückzug antreten. Für mich ist dies keine Schande – ich bin kein großer Befehlshaber.«

»Wohl gesprochen, Morgan, und ganz nach der Weise eines Sklaven. Sei es darum.«

Die Seeräuber wurden nun aus dem Holz gerufen und erhielten die Weisung, sich tumultuarisch zu zerstreuen, bis sie durch den Kommandoruf zum Umkehren aufgeboten würden. Dann sollten sie mit dem nächsten besten Spanier anbinden und so vielen wie nur immer möglich, die Kehlen durchschneiden. Der Befehl war sehr einfach und konnte nicht missverstanden werden. Als die Spanier den Rückzug bemerkten und ihre Gegner eine Strecke weit jenseits des Gehölzes sahen, begannen sie in derselben Unordnung, in welcher die Seeräuber zu fliehen schienen, die Verfolgung. Endlich mengten sich aber beide Teile zu einem blutigen Gemetzel, und in zehn Minuten hatten die Spanier ungefähr zweihundert Mann durch Messer und Säbel verloren.

Dieser Erfolg war ganz unerwartet. Die überlebenden Spanier flüchteten sich in die Wälder, und die Seeräuber eilten nun Schnurstraks auf die Batterien zu, deren kleiner Bemannungsrest sich unter der Bedingung, dass ihnen das Leben geschenkt werde, ergab. Die Piraten machten alle Personen, die sie trafen, zu Gefangenen und sperrten sie in die große Kirche, welche sie befestigten, indem sie die Geschütze von den Werken der Stadt danach hinbrachten, denn sie fürchteten, die in den Wäldern zerstreuten Spanier möchten sich wieder sammeln und im Laufe der Nacht einen Angriff versuchen.

Am nächsten Tag wurde der ganze Platz in Verteidigungsstand gesetzt, und nun wandten sie ihre Aufmerksamkeit den Toten zu. So unglaublich es auch scheinen mag, fanden sie fast sechshundert erschlagene Spanier auf. Auch waren viele so schwer verwundet, dass an ein Aufkommen nicht zu denken war. Diejenigen, welche nur leichte Beschädigungen erlitten hatten, waren geflohen und in Verstecke gekrochen. Die Leichen der Spanier wurden in zwei große Boote gebracht und mehr als eine Meile weit in die See hinaus genommen, wo man die Boote und Spanier zumal versenkte. Von den Piraten waren nur vierzig gefallen, vierzig weitere aber verwundet, welche, mit Ausnahme von fünf, gleichfalls starben. Ihre eigene Toten bestatteten sie anständig in die Erde. Sie waren nun im Besitz der Stadt und hatten hundertfünfzig männliche Gefangene, nebst mehr als fünfhundert Sklaven und vielen Frauen und Kindern. Alle Reichtümer, welche Gibraltar enthielt, fielen in ihre Gewalt, konnten aber doch, so ungeheuer sie auch waren, die Gier der Räuber nicht zufriedenstellen, denn Letztere durchsuchten stundenweit Wälder und Felder nach verborgenen Schätzen. Sie waren jetzt achtzehn Tage im Besitz der Stadt, während welcher Frist der Hunger einen großen Teil der Gefangenen aufgerieben hatte, weil ihnen die Seeräuber zu ihrem Unterhalt nichts als eine unzureichende Menge von Esel- und Maultierfleisch reichten. Die Frauen, aber welche nur halbwegs gut aussahen, wurden gepflegt und gut genährt, um den Lüsten ihrer Sieger zu dienen.

Nicht alle Gefangenen starben übrigens vor Hunger, den viele hauchten ihr Leben unter der Folter aus, die bei ihnen in Anwendung kam, um sie zur Angabe des Versteckes ihrer vermeintlichen Schätze zu zwingen. Natürlich fuhren diejenigen, welche gar nichts besaßen am allerschlechtesten.

Nachdem L’Olonois und seine Freunde sich achtundzwanzig Tage in der Stadt aufgehalten und alle Mundvorräte verbraucht hatten, schickten sie vier der Gefangenen, welche noch am Leben waren, zu den in den Wäldern verborgenen Spaniern, damit sie denselben erklärten, sie könnten ihre Stadt um den Preis von zehntausend Piastern vor der Brandfackel bewahren.E solle ihnen zum Sammeln und Einbringen dieser Summe eine Frist von achtundvierzig Stunden gestattet sein. Die Zeit verstrich und die Stadt wurde angezündet. Als die wenigen noch vorhandenen Einwohner bemerkten, dass sich ihre Sieger nicht hinhalten ließen, baten sie dieselben, das Feuer wieder zu löschen, und versprachen im Namen ihrer Mitbürger, dass die Brandschatzungssumme augenblicklich erlegt werden solle. Die Seeräuber boten nun allen ihren Kräften auf, um den Flammen Einhalt zu tun, konnten aber doch den einen Teil der Stadt, in welchem die Kirche und das Kloster stand, nicht vor dem gänzlichen Untergang bewahren.

Das Lösegeld langte an, noch ehe die Asche des Brandes verkühlt war, und dann schifften sich die Piraten mit allen ihren Schätzen und vielen Sklaven, welche noch nicht losgekauft worden waren, ein. Mit dieser Fracht kehrten sie nach Maracaibo zurück und ankerten vor dieser Stadt. Die Seeräuber ließen an Land sagen, wenn die Bewohner nicht ihre Häuser mit achttausend Piastern auslösten, so solle der Platz wieder gestürmt und von Grund aus niedergebrannt werden.

Um zu beweisen, wie Ernst es ihnen war, schickten sie einen Haufen ans Land, welcher aus der Hauptkirche sämtliche Bilder, Gemälde und Glocken mitnahmen. Dies setzte die Bewohner bald in Tätigkeit, wie sie sich denn auch ohne Zögern dahin vereinigten, dass sie zwanzigtausend Piaster und fünfhundert Ochsen als Lösegeld für die Stadt und die noch an Bord befindlichen gefangenen Spanier entrichten wollten, vorausgesetzt, dass die Piraten keine weiteren Feindseligkeiten gegen Personen verübten und nach Ablieferung des Geldes und Viehs friedlich abzögen.

Nachdem die Bedingungen erfüllt waren, segelten die Seeräuber zur großen Freude der beraubten Spanier aus; aber denke man sich den Schrecken der Letzteren, als sie ihre Feinde nach drei Tagen wieder in ihrem Hafen sahen. L’Olonois war jedoch nur zurückgekehrt, um einen Lotsen zu verlangen – ein Ansinnen, welchem bereitwillig entsprochen wurde.

Die Piraten langten mit ihrem Raube wohl behalten auf Isla de la Vacha, englisch Ash Island genannt, an, wo sie ihre Ladung an Land brachten und die Prise teilten. Sie hatten allein in barem Geld 260.000 Piaster und außerdem noch Waren von großem Wert erbeutet. Nachher schätzten sie die ungeprägten Silberbarren ab, indem sie je zwölf zu zehn Piastern anschlugen. Dann kam die Reihe an die Juwelen, welche man ganz willkürlich und abgeschmackter Weise bald viel zu hoch, bald viel zu niedrig anschlug. Nachdem die Gesamtteilung vorüber war, wurde jedem, von L’Olonois bis auf den gemeinsten Mann herunter, ein feierlicher Eid abgenommen, dass sie nichts verborgen hätten.

Morgan erhielt seinen Anteil als Offizier und ließ sich denselben, als er die Unwissenheit seiner Kameraden bemerkte, in lauter Juwelen geben, sodass er sich eine sehr beträchtliche Summe realisierte, denn L’Olonois überhäufte ihn mit Geschenken. Nachdem all dies bereinigt war, segelte die Flotte nach Tortuga, wo die Seeräuber ihre ganze, mit Blut erkaufte Beute nach kurzer Zeit in der empörendsten Schlemmerei verjubelt hatten.

Henry Morgan hatte bereits die Hauptzüge in L’Olonois Charakter kennengelernt und den Entschluss gefasst, sich von ihm zu trennen. Es fehlte dem Seeräuberchef an Haltung und Besonnenheit, obwohl er gut dazu passte, in einer verlorenen Hoffnung anzuführen. Dieser Entschluss bewies das gesunde Urteil unsres Helden; denn bald nachher ging sein vormaliger Befehlshaber in einem schlecht entworfenen Angriff auf Nikaragua elend zu Grunde. Die Indianer rissen ihn nämlich lebendig daselbst in Stücke und verbrannten die noch zuckenden Fragmente seiner Glieder vor ihren Augen, ehe er vollends den Geist aufgab.

So war Morgan in die Schule des Seeraubes eingeführt worden. Während seines ganzen Zuges mit den Piraten hatte er einen wunderbaren Scharfblick und eine gute Beurteilung an den Tag gelegt. Er benahm sich vollkommen anspruchslos, gewann aber doch großes Ansehen unter seinen Kameraden, mit denen er seinen Glücksstern nicht fürder zu teilen wünschte, weil sie vorzugsweise aus Franzosen bestanden. Zu Tortuga lebte er nicht nur kostenfrei, sondern er wusste es auch durch seine Geschicklichkeit in allerlei damals üblicher Spielen einzuleiten, dass sein Eigentum beträchtlich vergrößert wurde.

Nachdem sich seine Kumpane völlig zu Bettlern gemacht hatten, begann er auf Veränderung seines Quartiers zu denken. Hiezu fand sich auch bald eine sehr günstige Gelegenheit, denn ein anderer Piratenhaufen hatte eben eine spanische Schebecke, die mit europäischen Manufakturen und Weinen von Cadir herkam, eingebracht. Unter der Zustimmung des Gouverneurs kaufte er dieses Schiff für ungefähr den zehnten Teil seines Wertes und begab sich nach Jamaika.