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Anne Boleyn Band 1 – Kapitel 7

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Erster Band

7.

Mary Boleyns Verbindung mit William Carey. Heinrichs Gewissensskrupel wegen seiner Ehe mit Katharina.

»Mein teurer Gemahl«, sagte die Königin Katharina schmeichelnd, als dieser sie nach der Tafel in das Nebengemach führte, wo Wein und Konfitüren an Stelle des Kaffees unserer modernen Zeit herumgereicht wurde, »ich habe eine Bitte auf dem Herzen, die ich Euch gern darbringen möchte.«

»Katharina bittet für die ganze Welt, nur nicht für sich!«, war die galante Antwort.

»Dieses Mal doch, mein teurer Herr, denn es betrifft Euren und meinen Liebling, Mary Boleyn.«

Heinrichs Hand zuckte in der ihren.

Die Königin bemerkte es, fuhr aber ruhig fort: »Das Mädchen ist eigentlich aus Gram krank. Ich besuchte sie diesen Morgen …«

Abermals machte Heinrich bei diesen Worten eine ängstliche Bewegung.

»… Und fand sie bitterlich weinend.«

»Was fehlte ihr?«, fragte Heinrich verlegen.

»Sie hat Liebeskummer und entdeckte mir, dass sie seit zwei Jahren ihre Treue an den jungen Carey verpfändet habe.«

»Und nun?«, fragte Heinrich barsch.

»Nun, Carey hat sich von ihr zurückgezogen, wie es scheint, aus Eifersucht. Er missdeutet die Bewunderung Eurer Majestät.«

»Er tut dem Mädchen unrecht, beim Himmel!«, rief Heinrich hastig aus. »Mary ist ein Engel!«

»Das habe ich stets geglaubt«, erwiderte die Königin sanft. »Mein Herz vertraut der Ehre meines Gemahls und seiner edlen, großmütigen Seele! Aber die Stimme der Verleumdung hat auch Euren Engel angetastet, mein Gemahl, und Mary bittet mich, sie in ein Kloster ziehen zu lassen. Sie will als Nonne sterben.«

»Das soll sie nicht!«, entgegnete Heinrich. »Ich will die schönste Blume an unserem Hof nicht verlieren.«

»Dann gibt es nur ein Mittel, sie uns zu erhalten«, warf Katharina etwas befangen ein. »Wenn Ihr sie selbst mit dem Geliebten aussöhnt und ohne Zögern die Vermählung veranstaltet, denn Sir Boleyn ist dem Bund abgeneigt, weil Carey arm ist.«

»Ihr verlangt das Unmögliche von mir«, sagte Heinrich und fuhr sich mit der Hand über die breite Stirn.

»Ich weiß, mit wem ich rede«, sagte Katharina zärtlich, »und dass mein Heinrich sich selbst vergessen kann, wo es gilt, zwei junge Wesen glücklich zu machen. Ich habe bereits dem Mädchen in Eurem Namen den Segen versprochen! O, straft mich nicht Lügen, mein teurer Gemahl. Bei der Erinnerung an unsere eigene Jugendliebe, die mich so inniglich beglückte, erhaltet das holde Kind dem Leben und uns!«

Heinrich schwieg. Ein harter Kampf schien sein ganzes Wesen zu erschüttern. Jetzt wurde ihm die Ursache von Marys Standhaftigkeit plötzlich klar sowie die Überzeugung, dass sie sich ihm nie ergeben würde. Katharinas zartes, großmütiges Benehmen, da, wo manche andere Frau Vorwürfe angewendet haben würde, blieb auch nicht ohne Einfluss auf sein Gemüt. Das Mädchen war offenbar für seine Wünsche unerreichbar. Seine gekränkte Eigenliebe, sein Stolz hieß ihn die Niederlage vor den Augen aller verbergen. Er wandte sich zu seiner ängstlich harrenden Gattin und sagte sanft: »Ich werde mit Carey reden, und wenn er sie noch liebt, mögt Ihr die Hochzeit anordnen, meine Kathy.«

Katharina ergriff seine beiden Hände und drückte sie, sprachlos vor innerer Bewegung, an ihre Lippen.

Zwei Tage später legte Heinrich mit großer Würde feierlich die Hände der Liebenden ineinander mit den Worten: »Empfangt, William Carey, aus den Händen Eures Euch gnädig gewogenen Königs diese reine Jungfrau zu Eurer Gattin. Belohnt durch Liebe ihre Tugend und Treue. Wir aber übernehmen es, die Einwilligung Sir Thomas’ zu erhalten sowie für Eure Existenz zu sorgen. Ihr, Lady Mary, bleibt als Ehrendame in der Nähe unserer viel geliebten Gemahlin und seid fortan wie bisher unserer königlichen Gewogenheit gewiss.«

»Und ich«, nahm Katharina das Wort, »werde bei der holden Braut Mutterstelle vertreten und sie zum Altar geleiten.«

Die Vermählung der schwer geprüften Liebenden fand bald darauf statt. Die Königin befestigte mit eigener Hand den Brautkranz auf dem reizenden Haupt Marys und führte sie, ihrem Wort getreu, an den Altar, wo sie die zarte, bebende Hand in die des glücklichen Bräutigams legte.

Wenig ahnte die edle Frau, dass die Schwester ihres jungen, tugendhaften Schützlings einst sie selbst der Liebe ihres Gemahls und der Krone berauben würde!

Heinrichs Leidenschaft für Mary erwies sich, wie Lady Elvira vorausgesagt hatte, nur als eine Laune, als ein schnell verloderndes Strohfeuer. Neue Gegenstände der Bewunderung zogen seine Aufmerksamkeit von der jungen Gattin ab, und seine spätere Sorge für dieselbe als Witwe legt nur eine brüderliche Teilnahme für sie an den Tag. Aber die scharfen Augen der Hofleute bemerkten nichtsdestoweniger von jenem Tag an eine Veränderung im Wesen des Königs. Auch Katharina entging es nicht, dass er ein Geheimnis vor ihr verbarg. Die öffentliche Anerkennung seines Sohnes, welchen Lady Talbot ihm nach dem Tod ihres Gatten gebar, seine außerordentliche Liebe für denselben sowie sein oft ausgesprochenes Bedauern, dass er ihn nicht als Thronerben anerkennen könne, er- füllte das Herz Katharina´s mit größerer Besorgnis, als sie jemals bei der Untreue des Gatten gehegt hatte. Heinrichs Anliegen schien moralisch- religiöser Natur zu sein, denn er wurde eifriger in seiner Beiwohnung der Messen und blieb stundenlang mit seinem Beichtvater eingeschlossen, ebenso mit seinem Staatsminisier und Vertrauten, Kardinal Wolsey. Katharina wusste, dass der Staatsminisier ihr nicht mehr hold war, seit sie ihm kühn die ungerechte, grausame Hinrichtung ihres treuen Freundes, des edlen Herzogs von Buckingham vorgeworfen hatte, der infolge der Eifersucht und des beleidigten Stolzes diesem geistlichen Tyrannen als Opfer gefallen war. Vergebens versuchte sie lange Zeit dem König sein Geheimnis abzuschmeicheln, bis er ihr endlich mit der Miene der tiefsten Zerknirschung mitteilte, dass seine Seele durch die Bemerkung des Bischof Tarbes erschüttert worden sei, seine Ehe mit der Witwe des Bruders wäre ein Verbrechen und nach den Gesetzen der Kirche ungültig. Die unglückliche Frau stieß einen tiefen Seufzer aus und sank bleich und halb bewusstlos in ihren Sessel zurück.

Heinrich warf seine Arme um sie und sagte liebreich: »Beruhige dich, mein herzliebes Gemahl, der Bischof muss sich irren, denn deine edle Mutter Isabella verschaffte sich eine Abschrift des päpstlichen Dispenses, und mein Beichtvater hat nach Rom geschrieben, um alle Skrupel unseres Gewissens zu heben.«

»Oh, eine tiefe Nacht des Leidens entwickelt sich vor meinen Augen!«, rief Katharina. »Es ist nicht genug mit dem Verlust meiner Kinder, ich werde auch die Liebe meines Gatten verlieren!«

»Wohl ist ihr Verlust eine ernste Mahnung, Kitty. Mir ist, als läge ein Fluch auf meinem ganzen Haus. Aber fürchte dich nicht, nichts soll mich von dir trennen!«

»Trennen?«, rief Katharina entsetzt aus, »wer sprach davon? Mich von Euch trennen, mein Gemahl? Jetzt, nach einer fünfzehnjährigen Ehe seligen Glückes?«

»Nimm das Wort nicht so buchstäblich auf, mein Liebling«, sagte Heinrich, sie zärtlich küssend, »so war es nicht gemeint. Aber du weißt jetzt, was mich quält. Bete für unsere Ruhe!« Er machte sich von ihr los und entfernte sich.

»Wolsey, darin erkenne ich Eure Tücke und Euren Hass gegen mich!«, murmelte die Königin leise vor sich hin. »Aber Gott im Himmel wird mir beistehen und mir Heinrichs Liebe erhalten!«

»Der Würfel ist gefallen!«, sprach der König in seinem Kabinett zum Kardinal, der bereits seinem Herrn die Möglichkeit einer Scheidung zugeflüstert hatte. »Katharina weiß um meine Gewissensskrupel. Ich muss vorwärts, koste es, was da wolle. Ich will einen Sohn zum Erben!«