Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Gold Band 3 – Kapitel 2

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 2
Der Angriff

Ein wunderlicher Zug hatte noch nie einen so ernsten Marsch unternommen, und trotzdem, dass die Leute ganz genau wussten, welcher Gefahr sie entgegen gingen, schien sich eine förmlich wilde Ausgelassenheit ihrer bemächtigt zu haben.

Selbst bewaffnet waren sie nicht übermäßig. Nur zwei Drittel etwa führten lange Büchsen, die anderen Revolver, aber fast alle jene langen schweren Jagd- oder Bowiemesser, in einem Kampf Fuß an Fuß die furchtbarste Waffe. Und so, die wehende Flagge, das heilige Banner ihres Vaterlandes voran, zog der kleine Trupp im Sturmmarsch mit dem wilden Konzert an der Spitze lachend, schreiend, jubelnd die Straße hinauf und bog rechts durch die Zelte ab, quer durch die Flat hin, gerade auf das Lager der Mexikaner zu.

Was gab ihnen diese Zuversicht, diesen fröhlichen Mut? Was machte ihre Herzen, wenn auch rascher, doch wahrlich nicht zaghafter schlagen, als sich jetzt vor ihnen der weite Schwarm der Mexikaner ausbreitete und die Indianer in dunklen Scharen näher von den Bergen in die Flat hinunter rückten, während die in der Stadt zurückgebliebenen Fremden erstaunt dem kleinen kecken Häuflein nachschauten?

Es war das Gefühl dieser Flagge – das Bewusstsein, dass sie einer Nation angehörten – einer Nation, die, wenn sie auch im Kampf jetzt unterlagen, ihren Tod doch rächen und diese Flagge fester als je in den Boden stoßen würde.

Oh, es muss ein hohes, ein herrliches Gefühl sein, einer solchen großen Nation anzugehören, ein Vaterland zu haben, dass fest und einig im Inneren, auch fest und einig nach außen seine Rechte wahrt, dass nicht nur mit Dokumenten und höflichen Redensarten um sich wirft, sondern auch den Willen und die Kraft hat, ein Schwert zu schwingen und den Feind zu züchtigen, der ihm frech entgegen tritt. Oh, im Geist sehe ich die beiden Menschen vor mir – den Amerikaner in seinem schlichten Rock, das gehobene Banner seines Vaterlandes in der Linken, nur den Versuch zu züchtigen, seine Flagge zu beleidigen, und müsste er ihn mit dem eigenen Leben zahlen – und dagegen den geschmeidigen Diplomaten mit gesticktem Frack, dreieckigem Hut und seidenen Strümpfen, die Brust mit Orden bedeckt, die er bei Geburtsanzeigen und Hoffesten bekommen hatte, höflich und rücksichtsvoll gegen die ganze Welt, nur das eigene Volk, die eigene Flagge unter die Füße treten, die daheim in den Winkeln und auf Böden moderiert hatte.

Fort mit dem Bild – unter dem blauen Himmel flattert das Sternenbanner, und die grellen Töne der Pfeife spielen das Nationallied, dessen Volk schon zu 100 Schlachten geführt hatte. Nicht allein die wilden Laute der Kindertrommeln und Trompeten, der Blechkannen und Tamtam schlagen dabei den Takt zu demselben Lied, nein, auch die Herzen der Männer, die ihm entgegenjauchzen und die Waffen gehoben haben. In welchem lustigen Mut springen sie über den rauen Boden hin, über die gegrabenen Löcher, klettern über die aufgeworfenen Erdhaufen, vorwärts vor vorwärts, ihrem kecken Ziel entgegen.

Die in der Flat arbeitenden Fremden sahen erstaunt den tollen Zug an sich vorüber stürmen. Hoch auf schauten die Mexikaner, als sie den Lärm näher und näherkommen hörten. Wenn sie aber auch am Anfang geglaubt haben mochten, die Franzosen kämen von dort herüber, um sich ihnen anzuschließen, belehrte sie der Sternenbanner, belehrten sie die grellen Töne des nur zu gut gekannten Schlachtliedes bald eines Besseren.

Einzelne warfen sich auf ihre Pferde, und flogen in gestrecktem Carrière den Bergen zu, an denen die Indianer hielten, während die Masse in breiter Reihe sich ordnete, den ersten ebenen Platz besetzend, der gleich hinter dem aufgewühlten Boden der Flat begann. Selber unschlüssig aber drängten die Führer der Schar zwischen ihnen hin, nur die Leute ermutigend und sie auffordernd standzuhalten. Was konnte auch die Handvoll Amerikaner gegen sie ausrichten.

Aber näher und näher schallten die schrillen Töne des Yankee-Doodle, schon konnten sie die wilden, bärtigen, sonnengebräunten Gesichter erkennen, die trotzigen Augen sie anblitzen sehen. Gerade auf die mexikanische Fahne zu flog der Zug, je näher er kam, seine Eile nur noch verdoppelnd.

Dem kleinen Burschen, der die Pfeife blies, war der Atem schon fast ausgegangen, aber trotzdem hielt er den Takt noch ein vom Lied und wich nicht von der Seite Hetsons, der voran, die Fahne in der Linken, in der Rechten aber den gespannten Revolver, jetzt das letzte Hindernis übersprang, das ihn noch von den Gegnern trennte.

»Guarda!«, schallte es ihnen hier wohl aus hundert Kehlen zugleich entgegen.

»Hütet Euch selbst!«, schrie sie aber Hetson mit donnernder Stimme in ihrer eigenen Sprache an. »Wer eine Waffe hebt, ist ein Kind des Todes, und sein Fleisch soll die Kojoten in den Wäldern füttern. Nieder mit Eurer Flagge, Ihr Hunde, die Ihr es wagt, den Boden hier mit ihren Lügenfarben zu schänden!«

Eine Anzahl der Mexikaner sprang mit gezogenen Säbeln herbei, die Fahne zu verteidigen, aber Hetson stand schon mit gehobenem Revolver vor der Stange. Die eigene Fahne dem kleinen Matrosen Jim in die Hand drückend, der sie jubelnd emporhob, fasste er den Schaft der feindlichen mit der linken Hand und riss sie aus der Erde.

»Nieder mit ihm! Schlagt ihn zu Boden!«, brüllten die Mexikaner um ihn her, aber der gespannte Revolver mit seinem sechsfachen Tod schreckte die Nächsten zurück, während die Entfernteren vergebens anzudrängen suchten. Im nächsten Moment hob sich der Schaft aus der Erde, einen Augenblick wehte die mexikanische Flagge noch hoch hinaus, selbst über der amerikanischen hin, aber nur, um im Folgenden gefasst und mit Jubelgeschrei der Amerikaner unter die Füße der Nachstürmenden getreten zu werden.

Noch war kein Schuss gefallen, aber jeder fühlte, dass der nächste Moment der entscheidende sein müsse.

Die Amerikaner, so klein ihr Häuflein sein mochte, bildeten eine kompakte Masse, die mit Revolvern und Büchsen fest im Anschlag lag. Die Mexikaner wussten, dass der Tod in den Rohren lauere, und die Nähe, in der sich die Feinde gegenüberstanden, machte die Gefahr noch furchtbarer.

Da, während Hetson die eigene Flagge wieder aufgegriffen hatte und selbst den tollkühnen Hinterwäldlern das Herz in der Brust lauter klopfte, stimmte auf einmal der kecke Bursche Jim, den Mexikanern gerade in die Zähne hinein, mit seinen schrillen Pfeifentönen wieder den Yankee-Doodle an. Wie ein Zauber wirkte das Lied nach beiden Seiten.

In ein wildes Hurra! brachen die Amerikaner aus, während die Mexikaner scheu die Waffen senkten und in finsterem Trotz nur auf die Feinde blickten.

»Jetzt ist es Zeit«, flüsterte da Hale Hetson leise zu, »einen besseren Moment für unseren Rückzug finden wir nicht, und die Fahne ist in unserer Gewalt.«

»Noch nicht, Sheriff«, sagte aber Hetson mit fester Stimme, indem ein eigenes wildes Feuer aus seinen Augen blitzte. »Diese Burschen haben noch ihre Waffen, und beim ewigen Gott, ich verlasse den Platz nicht, bis sie abgelegt sind.«

»Nehmt Euch in Acht«, warnte Hale, »die Indianer da drüben haben sich schon in kaum fünfhundert Schritt Entfernung herangezogen. Werden wir in die Löcher zurückgedrängt, so sind wir verloren.«

»Dann müssen wir eben vorwärts«, gab der junge Mann trotzig lachend von sich. Und sich wieder in der spanischen Sprache, deren er vollkommen mächtig war, an die Gegner wendend, rief er ihnen mit donnernder Stimme die Worte entgegen: »Ihr habt gegen die Autorität unseres Landes die Fahne, Ihr habt Eure Waffen erhoben und seid dem Gesetz verfallen. Totschießen könnten wir Euch hier wie die Hunde oder in die Berge jagen, aber unsere Regierung gestattet dem Fremden, der friedlich seine Arbeit hier verfolgen will, ungeschmälerten Aufenthalt. Nur der Bewaffnete ist ihr Feind und wird bestraft. So nieder mit Euren Waffen, die Ihr missbraucht habt. Wer sich widersetzt, stirbt von meiner Hand!«

»Verdamm es«, brummte Briars leise seinem Nachbar zu, »das ist going the whole hog with a vengeance.«

Die Mexikaner schwiegen, wirklich stumm vor dieser Kühnheit. Hetson aber, die eigene Flagge in dasselbe Loch stoßend, in der noch vor wenigen Minuten die mexikanische geweht hatte, schritt mit dem gehobenen Revolver auf den ihm Nächsten, einen riesigen fast braunen Burschen zu. Ihm die sechsläufige Pistole vor die Stirn haltend, griff er nach dem Säbel, den jener noch fest in der Faust hielt.

»Ihr habt kein Recht, uns unsere Waffen abzufordern«, zischte dabei der Bursche. Der Blick, den er dem Amerikaner zuwarf, sprühte Gift.

»Bei Gottes Tod, Bursche«, rief aber Hetson, »es zuckt mir schon im Finger. Ich zähle drei, und wenn du nicht loslässt, bist du eine Leiche. Eins .. zwei …« Er fühlte, wie sich der Griff des Mannes löste. den Säbel ihm entreißend, warf er ihn neben der Flagge nieder. Schon aber hatte er einen zweiten gefasst. Hale, selber zu jeder kecken Tat leicht bereit, war an seiner Seite, ihn zu unterstützen.

Die Mexikaner wichen jetzt unschlüssig einige Schritte zurück, aber die Amerikaner ließen ihnen keine Zeit, sich zu besinnen. Die mit Büchsen Bewaffneten blieben im Anschlag, während die anderen mit vorgehaltenen Pistolen an Waffen fortnahmen, was sie erreichen konnten – und nicht ein Schuss fiel. Wie aber die feigen Burschen nicht den Mut hatten, sich selbst diesem kleinen Trupp entschlossener Männer zu widersetzen, so stahlen sich von den entfernter Stehenden nach und nach schon einige fort, gingen zu ihren Tieren, sprangen in die Sättel und galoppierten den Bergen zu.

Säbel, Pistolen und Flinten nahmen indessen die Amerikaner an sich, soviel sie deren erreichen konnten. Drohend flatterte darüber das Sternenbanner, höhnisch schrillten die neckischen Töne des unharmonischsten aller Nationallieder, des Yankee-Doodle, und zeigten den näher gekommenen Indianern deutlich genug, wer hier gesiegt, wer dasFeld behauptet habe.

Für den kleinen Trupp der Amerikaner war aber nur der Beginn des Unternehmens, den Gegnern die Waffen abzufordern, gefährlich gewesen. Ein Ausbruch da, und wenn sie auch eine Anzahl niedergeschossen, hätten sie dann doch rettungslos der Übermacht erliegen müssen. Nur erst aber diesen ersten Schritt überstanden, die Ersten und Rädelsführer des Trupps durch ihren moralischen Mut mehr als durch wirkliche Gewalt eingeschüchtert, und schon wagten die Übrigen nicht mehr auch nur an Widerstand zu denken. Allein alle die, die sich noch mit guter Manier zurückziehen konnten, wichen den Gegnern aus. Hetson war zu klug, dadurch seinen gewonnenen Vorteil wieder aufs Spiel zu setzen, dass er seine Leute und Kräfte zersplitterte.

Was sich zurückzog, blieb unbelästigt, und selbst davon, dass sich wieder eine Strecke am Hügelhang hinauf ein Trupp sammelte und stellte, nahm er keine Notiz. Mit der Abnahme der Waffen, und wenn sich dem auch nur ein Teil gefügt hatte, waren sie so gedemütigt worden, dass er von ihnen nichts mehr zu fürchten hatte. Hetson wusste recht gut, dass die Leute, die sich unter solchen für sie mehr als günstigen Verhältnissen ihre Flagge nehmen und vor ihren Augen in den Staub treten ließen, nie selber einen Angriff wagen würden – aber eine schlimmere Demütigung war noch für sie aufgespart.

»Das ist jetzt schon recht«, sagte Hale, der mit innigem Vergnügen ihr Resultat, die aufgeschichteten Waffen, betrachtete, »wenn wir nur mit der Bagage auch schon im Lager wären. Werfen wir aber die ganze Bescherung hier in eine der Gruben und schütten sie zu, so graben es die Burschen über Nacht wieder heraus. Schleppen ist auch unbequem, besonders über den aufgerissenen Boden hinüber.«

»Wenn wir ein Maultier bekommen könnten, Hale«, sagte da Hetson.

»Wisst Ihr was, Jungens«, rief da der alte Nolten. Ich springe hinüber ins Lager und hole mein Pferd. Wenn ich auch den Umweg oben herum nehmen muss, die Indianer lassen mich schon ungeschoren. Tun sie es nicht, so ist es ihr eigener Schade.«

»Denen wollen wir noch selber einen Besuch abstatten, Mr. Nolten«, sagte da Hetson lächelnd, »wenn Sie mich nämlich alle begleiten wollen.«

»Begleiten?«, rief Nolten und griff des jungen Mannes Hand, die er wie in einem Schraubstock zusammendrückte. »Squire, mit Euch ginge ich durch die Hölle, und soviel kann ich Euch sagen, Ihr habt meinem alten Herzen heute eine große Freude bereitet. Wir Amerikaner hier dürfen stolz auf Euch sein, und ich werde Euch das im Leben nicht vergessen.«

»Ich habe nicht mehr getan, wie Sie alle miteinander«, erwiderte Hetson, »und das, dass keiner von uns das Maß überschritten hat, keiner, trotzdem, dass wir die Büchsen im Anschlag hielten, einen Schuss feuerte, sicherte uns mehr den Sieg, als wenn wir uns wild in einen verzweifelten Kampf gestürzt hätten. Und doch gehörte mehr Mut dazu, hier zurückzuhalten, als anzugreifen.«

»Ich weiß doch nicht«, hob Nolten lachend an, »wir standen in einer kitzligen Situation. Einmal die Büchse abgeschossen, ist es sehr die Frage, ob uns die Señores wieder Zeit zum Laden gelassen hätten. Mit der Aussicht bleibt es dann gerade keine große Kunst, seinen Schuss zurückzuhalten. So eine Kugel fährt verwünscht schnell aus dem Rohr hinaus, ist aber verwünscht langsam wieder hinuntergeschoben. Wo will denn der Junge hin?«

Die Frage galt dem kleinen Pfeifenbläser Jim, der sein Instrument in die Tasche geschoben hatte, und blitzschnell von den Amerikanern fort, gerade auf die Mexikaner zusprang.

»He, Jim!«, riefen ihm wohl ein paar der Leute nach, »sei kein Narr und bleibe hier.«

Der kleine Bursche hörte aber nicht, und sprang keck auf ein paar dort noch angebundene Maultiere zu, deren eines er ohne Weiteres von seinem Lasso freimachte.

Der Eigentümer des Tieres, der nicht weit davon stand, lief allerdings hinzu und wollte Einspruch tun. Jim aber, mit ein paar aufgefangenen Worten Spanisch und außerdem durch lebhafte Gestikulation machte dem Mann begreiflich, dass er das Tier nur borgen, und hierher zurückbringen würde, ließ sich dabei aber keineswegs zurückhalten, das Maultier wirklich mit fortzunehmen. Da Boyles und zwei andere Amerikaner, die für den kecken Burschen fürchteten, auf ihn zugingen, fügte sich der Mexikaner. Wenige Minuten später war Jim auch mit dem so erbeuteten Maultier richtig bei der Flagge angelangt und begann nun, ohne erst weiter einen Befehl abzuwarten, die verschiedenen Waffen zusammenzulegen und in ein festes Bündel zu schnüren.

Lachend sahen ihm Hetson, Hale und Nolten zu, während ihn andere dabei unterstützten. Bald war der ganze Vorrat auf dem Packsattel des Maultieres so befestigt, dass sie transportiert werden konnten. Nur die wenigen geladenen Gewehre hatte man unten gelassen; teils um eine Selbstentladung zu verhüten, teils auch, weil die von den Amerikanern, die noch keine Büchse trugen, sich selber damit bewaffnen wollten.

»Und wohin jetzt?«, fragte Hale. »Durch die aufgerissene Flat können wir mit dem bepackten Maultier nicht fort, und unten herum ist es ein weiter Weg, sähe auch beinahe aus wie ein Rückzug.«

»Und der liegt nicht in unserem Plan«, erwiderte Hetson. »Gentlemen, wir haben unser Tagewerk noch nicht vollbracht, denn es bleibt uns noch übrig, die Probe zu machen, wie es wirken soll. Wir müssen den Indianern da drüben zeigen, was sie von ihren beabsichtigten Bundesgenossen, den Mexikanern, zu erwarten haben. Also her mit deren Flagge.«

»Was wollt Ihr tun, Hetson?«

»Sie verkehrt unter der unseren befestigen und damit gerade gegen die Indianer marschieren. Geht Ihr mit?«

»Hurra für Hetson!«, schrien die Leute jubelnd auf. Im Nu war die entehrte Flagge von ihrem Fahnenstock gerissen und unter die amerikanische gebunden.«

»Und nun Eure Musik wieder voran«, sprach der Alkalde und lächelte dabei. »Ordnet Euch wieder zu festem Zug. Doch keinen Schuss gegen die Indianer. Sie werden uns überdies schwerlich belästigen. Sollten sie aber wahnsinnig genug sein, wirklich einen Angriff zu versuchen, so ist es dann immer noch Zeit genug, sie zurückzuweisen. Ich will kein indianisches Blut vergossen haben.«

Rasch ordnete sich der Zug mit Jim voran, der ganz ausgelassen einhersprang. Die weggeworfenen Instrumente wurden wieder hervorgesucht. Wie sich die amerikanische Flagge aufs Neue hob, fiel der tolle Lärm, den nur die Töne der Pfeife einigermaßen im Takt hielten, ärger ein als vorher.

Die Indianer hatten sich in ihren einzelnen Trupps, wahrscheinlich die jedes Mal zusammengehörigen Stämme, wie schon vorhin erwähnt, mehr gegen die Flat zu hinabgezogen, als die Amerikaner gegen die Mexikaner vorrückten. Es war keinem Zweifel unterworfen, dass sie tätigen Anteil an einem etwa ausgebrochenen Kampf genommen hätten. Da sich aber die Mexikaner so ganz untätig verhielten, da ihre Flagge verschwand und kein Schuss fiel, ja ein Teil von ihnen sich bald darauf zurückzog und in die Berge ritt, wussten sie auch nicht, ob sie unter solchen Umständen die, die sie bisher für ihre Bundesgenossen gehalten hatten, unterstützen sollten. Noch stutziger aber wurden sie, als sich die verhassten Fremden sogar wieder sammelten und auf sie zumarschierten.

Erst waren sie unschlüssig, ob sie standhalten oder fliehen sollten. Der kleine Trupp mit seinem wilden jubelnden Lärm kam aber näher und näher, und so gerade auf sie zu, dass sie endlich langsam, wenn auch immer noch zögernd, zurückwichen. Möglich, dass ihnen dazu der Befehl von ihrem Häuptling gegeben war, aber mehr und mehr zogen sie sich vor der nahenden Schar gegen die bewaldeten Hügel, ihre eigene und eigentliche Heimat zu. Hier erst hielten sie hinter Büschen und Bäumen stand und schienen erwarten zu wollen, ob man beabsichtige, sie anzugreifen oder nicht.

Eine offene Feindseligkeit gegen sie lag aber gar nicht in Hetsons Plan. Der junge Mann wusste recht gut, wie diese braunen Söhne der Wildnis von seinen Landsleuten gereizt und unterdrückt waren, und konnte ihren Hass gegen sie wohl rechtfertigen. Nur zeigen wollte er ihnen, wie gerüstet die Amerikaner gegen jeden Angriff, wie bereit sie wären, jeden Eingriff in ihre nun einmal eroberten und gehaltenen Rechte zu bestrafen. Das erreichte er mit diesem Zug vollkommen. Die Mexikaner wagten nicht, ihnen zu folgen, die Indianer zogen sich in die Berge zurück und um die Flat herum. Dicht, selbst in Pfeilschussnähe am Gebüsch vorüber, das die roten Horden barg, zogen sie, bis sie den breiten, zum Paradies einbiegenden Weg wieder erreichten, und lustig in die kleine Zeltstadt hinein marschierten.

Indessen hatten sich fast alle fremden Goldwäscher, wenigstens alle die, welche in unmittelbarer Nähe der Zelte arbeiteten und Zeugen des Angriffs gewesen waren, in das Paradies hineingezogen, den rückkehrenden Trupp zu sehen. Die Franzosen besonders waren zahlreich vertreten. Wenn sie sich auch über die Feigheit der Mexikaner ärgerten, konnten sie doch dem kleinen Häuflein der Amerikaner, das sich so wacker benommen hatte, ihre Bewunderung nicht versagen. Wussten sie doch am Besten den Wert eines solchen kühnen Angriffs zu würdigen.

Mit lautem Hurraruf kamen den Rückkehrenden jetzt auch die amerikanischen Händler, die sich ruhig in ihren Zelten gehalten hatten, entgegen. Fast unwillkürlich stimmten selbst die Fremden mit in den Ruf ein, als die amerikanische Flagge wieder, rasch von ihrem Fahnenstock befreit, mit der mexikanischen verkehrt darunter, an ihrer alten Stelle emporstieg und noch einmal so stolz und fröhlich da oben auszuflattern schien.

In demselben Augenblick trat auch Jenny aus ihrem Zelt. Ein liebliches, freundliches Lächeln stahl sich über die bleichen Züge der jungen Frau, als sie ihren Gatten gesund und unverletzt vom gefährlichen Zuge zurückkehren sah.

»Gott sei Dank, dass du da bist«, flüsterte sie nur leise und streckte ihm, nicht imstande, mehr zu sagen, die Hand entgegen.

»Du hast dich doch nicht meinethalben geängstigt, Herz?«, fragte lächelnd ihr Gatte. »Es war keine Gefahr dabei, kein Schuss ist gefallen, kein Schlag geführt worden.«

Jenny erwiderte nichts und sah nur fragend zu ihm auf.

Der alte Nolten aber, der neben ihm stand, rief: »Glauben Sie es ihm nicht, Madame. Ein Schuss ist allerdings nicht gefallen und niemand verwundet worden, aber einen keckeren Zug hat noch niemand unternommen, und ihn wackerer durchgeführt und mehr Mut und kaltes Blut dabei gezeigt, wie Hetson da draußen heute Morgen in der Flat.«

»Mein lieber Mr. Nolten …«

»Papperlapapp, junger Freund«, fuhr aber der Alte fort, »ich bin auch nicht von gestern und habe meine Nase schon in mancher Sache gehabt, aus der ich sie viel besser draußen gelassen hätte. Ich weiß deshalb aber auch ungefähr, was ein einzelner Mann imstande ist, zu leisten. Das, Hetson, habt Ihr heute Morgen in reichem Maß getan. Ihr habt Euch brav und tapfer, wie ein echter Amerikaner benommen. Ich sehe deshalb nicht ein, weshalb Ihr das Eurer Frau verheimlichen wollt.«

Hetson errötete leicht über das doch so wacker verdiente Lob, das ihm der alte Mann gab, aber lächelnd nahm er die Hand seiner Frau und sagte: »Er will mich eitel machen, Jenny. Glaube ihm nicht die Hälfte von dem, was er da sagt. Wir sind nur den Mexikanern zu Leibe gerückt und haben ihnen die Fahne abgenommen. Das war alles.«

Die Augen der Frau leuchteten, als sie auf den edlen, von der raschen Bewegung erhitzten und lebensfrischen Zügen des Gatten hafteten. Sie sagte mit leiser, aber herzlicher Stimme: »Du hast dich gewiss schon meinetwegen in keine Gefahr gestürzt, Frank, die dir deine Pflicht nicht gebot. Dass du das aber so wacker durchgeführt hast, freut mich recht aus tiefster Seele. Vielleicht kannst du nun auch mir bald eine halbe Stunde schenken, denn ich habe dir manches zu sagen, was ich nicht länger aufschieben möchte.«

»Jetzt noch nicht, mein liebes Kind«, bat sie aber der Mann. »Du siehst, wie ich jetzt in Anspruch genommen bin. Sobald ich kann, komme ich zu dir. Verlass aber das Zelt nicht, denn die Berge schwärmen von Indianern. Sie werden nach dem, wie wir heute vor ihnen vorbeigezogen sind, gerade in keiner besonders guten Laune sein. Ha, Siftly«, unterbrach er sich da plötzlich selbst, als der Spieler auf seinem Pferd die Straße herab geritten und auf ihn zukam. Die Frau zog sich, als sie ihn erblickte, in ihr Zelt zurück. »Du bist heute Morgen anderweitig beschäftigt gewesen und konntest dich uns nicht anschließen?«

»Wie ich sehe, so habt Ihr Euch die mexikanische Flagge hereingeholt«, sagte der Spieler gleichgültig. »Das war recht. Was tun die Burschen da draußen mit der Spielerei.«

»Betrachtet Ihr die Flagge als solche, Sir?«, sagte der alte Nolten, der den Burschen mit einem eben nicht freundlichen Blick maß.

»Allerdings«, konterte Siftly lachend, aber vollkommen unbekümmert, »für was denn sonst?«

»Meiner Meinung nach hättet Ihr heute unter die Eure gehört«, entgegnete der alte Mann finster, »wenn Ihr Euch überhaupt für einen Amerikaner ausgebt.«

»Der bin ich nur der Geburt nach«, sagte Siftly, indem er nachlässig von seinem Pferd herunterstieg und es am Zügel nahm, »sonst aber im Ganzen Kosmopolit. Wer mir abends sein Gold zu meinem Tisch bringt, ist mein Freund, solange er eben Gold hat.«

Der alte Amerikaner wandte ihm verächtlich den Rücken zu und sagte laut genug, dass jener es verstehen konnte: »Wenn alle ehrlichen Amerikaner dächten wie ich, so sollte Euer Gelichter bald den Platz hier räumen.«

Siftly hatte jedenfalls die Worte verstanden. Er warf aber dem Alten nur einen höhnischen Blick nach und sagte dann, sich zu Hetson wendend: »Apropos, ich habe dir auch etwas zu sagen, was dich interessieren wird, wenn die Bande da nur erst einmal mit ihrem verwünschten Yankee-Doodle, ihren Tamtams und Trommeln aufhört. Es ist ja ein Lärm, einem die Ohren zu zersprengen.«

»Da du an unserer Sache so wenig Interesse nimmst, Freund«, erwiderte ihm da Hetson kalt, »ist es vielleicht besser, du gehst dem Yankee-Doodle aus dem Weg.«

»Ich danke dir«, gab Siftly lachend von sich, »noch bin ich aber mit dem Paradies nicht fertig. Übrigens, Kamerad«, setzte er mit leiserer Stimme hinzu, indem er sich zu Hetsons Ohr beugte, »solltest du gerade der Letzte sein, der mir Mangel an Teilnahme vorwürfe, denn wenn ich heute Morgen im Lager fehlte, geschah es nur in deinem Interesse.«

»In meinem Interesse?«, wiederholte Hetson ungläubig, »und wie hast du in dem gewirkt?«

»Er ist da … ist hier!«, flüsterte ihm Siftly zu.

Hetsons Gesicht wurde totenbleich. Er fühlte, wie seine Knie, wie sein ganzer Körper zitterte. »Woher weißt du …«, stammelte er, des Mannes Arm ergreifend.

»Ich habe ihn gesehen und gesprochen«, sagte Siftly gleichgültig, indem er der Bewegung des Alkalden folgte, der ihn einige Schritte von seinem Zelt fortführte.

»Hier im Ort?«

»Nein, etwa eine halbe Stunde von hier an einem schattigen Waldfleck«, antwortete der Spieler lächelnd, »wo er sich mit einer alten Bekannten und ihrer Freundin ein Rendezvous gegeben hat.«

»Das lügst du, Siftly«, stöhnte Hetson, der die Worte kaum über die bebenden Lippen brachte.

»Hör einmal, Hetson«, sagte da der Spieler ruhig, »ich bin gern bereit, deinem aufgeregten Zustand viel zugute zu halten, aber sei doch auch nicht zu ungeniert in deinen Äußerungen. Ich spreche nichts, was ich nicht beweisen kann.«

»Beweisen? Womit?«

»Mit deiner Frau selber. Sage es ihr auf den Kopf zu. Wenn sie, was ich nicht glaube, ihre Farbe nicht verändert und wirklich leugnen sollte, dann lass mich meine Worte in ihrer Gegenwart wiederholen.«

Hetson erwiderte nichts, aber seine Hände ballten sich krampfhaft zusammen. Der Schweiß stand ihm in großen Tropfen auf der Stirn. »Und sie war dort?«, stöhnte er endlich.

»Mit der spanischen Dirne, der Tochter Don Alonsos, die ihr wahrscheinlich dazu geholfen hat. Das spanische Blut kann derlei nicht verleugnen. Apropos, Hetson, ich habe mit ihrem Vater einen Akkord abgeschlossen, dass sie mir allabendlich ein paar Stunden in meinem Zelt spielt. Das unverschämte Ding weigert sich allerdings, aber ich weiß darin die Gesetze auf meiner Seite und werde sie schon zwingen. Übrigens kann ein entschiedenes Wort von dir die ganze Sache leicht und rasch erledigen.«

Hetson hörte gar nicht, was er sprach. Als er völlig benommen an des Spielers Seite die Straße hinab schritt, haftete sein Blick stier und doch unstet an der Erde oder streifte über die ihm Begegnenden hin, ohne dass er sie gesehen hätte.

»Nimm dir das übrigens nicht zu sehr zu Herzen«, fuhr da endlich Siftly fort. »Die Sache hat im Grunde genommen gar nichts zu bedeuten, ja, es ist eigentlich recht gut, dass wir den Burschen endlich Auge zu Auge und Fuß an Fuß haben. Verlass dich auch dabei auf meine Unterstützung. Es ist wahrhaftig ein Glück, dass ich gerade jetzt in das Paradies gekommen bin. Besser hätte sich die Sache gar nicht treffen können.«

»Und er ist noch hier?«

»Jedenfalls. Glaubst du, dass der den Platz hier so rasch und allein wieder freiwillig verlassen würde. Ich denke aber, ich finde ein Mittel, ihm auf die Füße zu helfen, wenn wir ihm die Füße nicht lieber unter dem Leibe fortziehen.«

Hetson hatte indessen, fast wie in einem Traum, an Siftlys Seite seinen Weg fortgesetzt, bis sie die letzten Zelte schon hinter sich gelassen hatten. Wie der Spieler aber innerlich frohlockte, das Mittel jetzt in Händen zu haben, den Mann ganz seinem Willen fügsam zu machen und in seiner Gewalt wenigstens so lange zu behalten, bis er all seine Zwecke ausgebeutet hatte, ging in Hetsons Seele eine eigene Veränderung vor.

Charles Golway war ihm die letzten Monate nur immer ein Phantom, ein furchtbares Schreckgebilde gewesen, das bloß von fern gedroht, ihm keinen Halt daran erlaubt und seinen Geist dadurch fast bis zum Wahnsinn getrieben hatte. Während er sich Tag und Nacht mit dem Gedanken peinigte, wo und wie der Mann einmal seine Bahn kreuzen und sein liebstes Glück zerstören würde, rieb er sich selber in mutwillig ausgemalten Schreckgebilden auf und fühlte dabei, wie diese Furcht an seinem inneren Mark zehrte und seine besten Kräfte langsam, aber desto sicherer versiegen machte. Jetzt war er da, plötzlich erschienen, und hatte schon, ehe er seine Nähe nur ahnte, die Hand ausgestreckt, den stillen Tempel seines Glückes zu zerstören. Aber er war doch da. Das Phantom war zu Fleisch und Blut geworden. Die Gefahr, die ihn bis jetzt unsichtbar in der Luft bedrohte, war herunter auf die Erde gestiegen, sich ihm Auge in Auge zu stellen. Mit dem Bewusstsein kam eine eigene Ruhe, eine Zuversicht über ihn, die er bis dahin selber nicht für möglich gehalten.

»Er ist da!«, flüsterte er nur leise vor sich hin, wie um sich selber die Gewissheit zu geben, dass er ihm jetzt nicht mehr ausweichen könne. »Er ist da!«

»Und was schadet es, Kamerad?«, sprach Siftly, der den Worten eine ganz andere Bedeutung gab, indem er die Hand auf seine Schulter legte. »Dass ich dein Freund bin, werde ich dir jetzt beweisen. So schlage dir nur alle Sorgen aus dem Kopf und verlasse dich ganz auf mich. Der Bursche soll bald wünschen, das Schiff, mit dem er dir gefolgt ist, wäre lieber an irgendeinem freundlichen Felsen gestrandet, als dass sein Fuß hier je kalifornischen Boden betreten hätte. Nun? Was hast du?«

»Lass mich einen Augenblick allein«, bat ihn da Hetson, »die Nachricht hat mich doch überrascht. Ich möchte mich sammeln, ehe ich in mein Zelt zurückginge, möchte mir die Sache überlegen.«

»Schön«, sagte Siftly, ihm die Hand reichend, »sei aber nicht zu hart mit deiner Frau. Meiner Meinung nach ist die spanische Dirne an der Geschichte mehr schuld als sie. Also dabei bleibt es, was ich dir vorhin sagte?«

»Bitte, lass mich jetzt, der Kopf wirbelt mir, und ich weiß nicht, wo mir in diesem Augenblick die Gedanken bleiben.« Hetson hatte sich von ihm abgewandt.

Siftly aber, indem er spöttisch vor sich hin lächelte, sagte: »Good bye, wir sehen uns nachher im Lager wieder.« Er schritt rasch die Straße zurück, die er mit ihm gekommen war.