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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 13

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

13. Wie Rübezahl einen wirklichen Menschen wieder lebendig macht

Rübezahl hatte zwar keine gelehrte Bildung genossen, aber das ist auch für einen Berggeist nicht eben nötig, und hat ein solcher ja gleich alles bei der Hand, falls er etwas braucht. Aber doch war es Rübezahl angenehm, wenn er auf dem Gebirge gescheite Leute traf, mit denen er sich unterhalten konnte, und durften solche Leute immer auf schönes Wetter rechnen und sich keiner Unannehmlichkeit versehen.

So kam denn auch manchmal ein gelehrter und braver Mann aufs Hochgebirge, sammelte Kräuter und allerlei Tierlein, untersuchte die Steine, forschte nach der Witterung und wusste gar viel von den wunderbaren Kräften der Natur und von den geheimnisvollen Wegen, die sie geht, als ob er mit dabei gewesen war, als das alles erschaffen worden. Das gefiel Rübezahl gar sehr, und wenn der Mann kam, so gesellte er sich auch in vielfacher Gestalt zu ihm und ließ sich belehren. Dabei redete der Mann immer die Wahrheit ohne Menschenfurcht, sah weiter als viele andere Leute und tadelte das Unrecht, wo er es nur fand. Eben deshalb nannte man ihn einen Umtriebler. Hatte unter anderem auch gesagt, des Kaisers Bart sei schwarz, so er doch nur dunkelbraun war. Deshalb saßen ihm die Strickreiter auf dem Nacken. Als er nun auch einstmals im Gebirge gewesen war und ins Warmbad kam, ergriffen ihn die Strickreiter und schleppten ihn ins Gefängnis. Hier klagte man ihn von wegen des Kaisers Bart auf Hochverrat an, machten ihm den Prozess und sagten ihm endlich, er müsse am Galgen sterben. Dem Delinquenten war es gar zu unangenehm, dass er am Galgen sterben sollte, und hätte es gern auf eine andere Art abgemacht.

Nun war damals ein anderer Verbrecher eingezogen worden, der irgendwo einen Mord begangen haben sollte, den setzen sie zu ihm. Zwar hatten sie den anfänglich in ein unterirdisches Gefängnis bestimmt. Da er aber hinein sollte, sagte er, das verbitte er sich, er sei ein honetter Mensch und habe gedient, und länger als andere. Als man ihn weiter befragte, ergab es sich, dass das richtig war, denn er hatte sechs Mal im Zuchthaus gesessen. Da hatte denn der Richter ein Einsehen und setzte ihn aus Mangel an Platz zum Delinquenten. Alle Tage kamen nun die Richter ins Gefängnis und vernahmen den Gefangenen. Der aber blieb dabei, er sei unschuldig, und gestand nichts.

Als nun alles nichts bei ihm verfangen wollte, auch kein Zureden, er möchte nur gestehen, wenn er auch den Mord nicht begangen hätte, da sagte der Richter: »wir wollen dich anders kriegen.« Und forderte die Amtsblätter. Er musste nun alle Tage die Amtsblätter lesen und war auch immer jemand zugegen, dass er wirklich las. Wenn er nicht wollte, so bekam er weder zu essen noch zu trinken, aber Hiebe genug. Aus den Hieben, sagte er, mache er sich nichts, die sei er gewohnt, aber die Amtsblätter – und dabei schüttelte es ihn. So trieb er es acht Tage und verfiel sichtlich. Als er am neunten den Fronvestner mit den Amtsblättern hereintreten sah, wurde er ganz schwarz im Gesicht, tat noch einen Mukser und sank um. Es hatte ihm die Kehle zugeschnürt.

Der arme Sünder musste das alles so mit ansehen und litt dabei so viel wie der Gefangene. Als der nun aber tot war, erhob er sich auf einmal aus seinen Träumereien, seufzte tief auf, und sagte: »Ich hab‘s!«

Nun war er ganz still und gottergeben. So blieb er auch weiterhin.

Als er nun den Tag vor seiner Hinrichtung, wie es Brauch ist, gefragt wurde, was er Gutes essen und trinken wolle, er könne fordern, was er wolle, so sagte er, dass ich ein Narr wäre! »Soll ich noch einmal die Freuden der Erde genießen, um desto schwerer vom Leben zu scheiden? Nein, viel lieber wollte ich das Jämmerlichste erfahren, um freudiger aus der Welt zu gehen.«

Hierauf verlangte er die Zeitung, sie hieß damals die Staatszeitung1 – und das war sein Letztes. Man brachte ihm die Staatszeitung, und er las wohl eine Seite lang ganz still vor sich hin. Aber je weiter er las, – er war eben in Deutschland und stammte selber noch aus der guten alten Kaiserzeit her, wo Deutschland noch etwas war, und hatte es gesehen, wie Deutschland einen umgekehrten Pelikan gemacht und mit dem Blut seiner Jungen den Alten wieder aufgeholfen hatte – je weiter er also las, desto arger spielte es ihm mit. Als er nun an den Artikel Hannover kam, da tat er einen lauten Wehschrei, sank zurück und war tot. Es hatte dem armen Mann das Herz abgedrückt.

Indessen war Rübezahl in die Stadt gekommen und hörte hier überall von der bevorstehenden Hinrichtung. Er erkundigte sich näher nach dem armen Sünder. Je mehr er hörte, desto fester wurde er überzeugt, dass der kein anderer sein könne, als sein alter Freund. Er ging zum Gefängnis, eben wie es des armen Sünders Letztes ist. Wie er hinkam, war der bereits tot. Er sagte, er sei ein Verwandter und wolle den Delinquenten noch einmal sehen. Sie ließen ihn also hinein und mit dem Delinquenten allein, wussten aber freilich nicht, dass er tot war.

Rübezahl, wie der ihn leblos vor sich sah, strich ihm etwas auf die Zunge. Da regte sich der Tote, schüttelte sich und dachte, es sei die Staatszeitung. Als er aber vollends erwachte, sagte ihm Rübezahl, wie es stehe und er ihn retten wolle. Zog ihm also seine Kleider an, machte sich selbst unsichtbar, und so gingen beide unangefochten von den Wachen zum Tempel hinaus.

Etwa nach einer halben Stunde ward großer Lärmen im ganzen Städtlein, den armen Sünder habe der Teufel geholt und er sei in dem verschlossenen und unversehrten Gefängnis nirgends zu finden. Nun, der Kräuterklauber meint, wenn es nur auf die Art geschieht, so kann jeder ehrliche Mann damit zufrieden sein.

Merke: Man muss nie um des Kaisers Bart streiten, es ist zu gefährlich.

Show 1 footnote

  1. War aber damals eine ganz andere als die fürtreffliche Staatszeitung, welche jetzt besteht.