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Die Gespenster – Zweiter Teil – Siebzehnte Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Siebzehnte Erzählung

Das weiße Nachtgespenst, welches seinen Gegner vor die Stirn schlug

In einem Dorf bei Magdeburg war schon einige Wochen die Rede gegangen, dass daselbst der vor Kurzem verstorbene Einwohner Meps des Nachts umher spuke. Man gründete diese Sage auf Erfahrungen, welche mehrere, denen er nächtlich erschienen war, gemacht zu haben versicherten. Man setzte um so weniger den geringsten Zweifel in diese Versicherung, ja allgemeiner dafür gehalten wurde, dass der Geist des Verstorbenen, wegen des geführten gottlosen Lebenswandels, im Tod keine Ruhe gefunden habe.

Freilich hatte Meps in seinem Leben nicht viel getaugt, und man wusste unter anderen beinahe mit Gewissheit, dass er in einer Klagesache vor Gericht einen falschen Eid geschworen hatte. Kein Wunder daher, dass man ihn nach seinem Tod nicht einmal, sondern sehr oft auf dem Kirchhof unweit seiner Grabstätte erblickte. Bald wollte von der Zeit der Abenddämmerung an bis zum neuen Morgen niemand mehr über den Kirchhof gehen. Selbst der Nachtwächter, der doch von Berufs wegen, ein größeres Recht hatte als jeder andere, der Erscheinung zu Leibe zu gehen und den etwaigen Geist zu Rede zu setzen, wagte es verschiedene Wochen hindurch gar nicht mehr, sich der verrufenen Gegend im Dorf zu nähern. Sein Nachtwächterberuf, meinte er, verpflichte ihn nicht, es mit Verstorbenen und bösen Geistern aufzunehmen und ihnen verwegen die Spitze zu bieten.

Eines Abends saßen verschiedene Einwohner in der Schenke beisammen. Der Inhalt ihrer Unterredung war, wie gewöhnlich, wieder das verwünschte Spukding. Ehe man es sich versah, kam Nachbar Barthel ganz außer Atem in die Stube hereingestürzt, sah aus wie eine Leiche und zitterte am ganzen Leibe.

Auf Befragen, was ihm widerfahren sei, gab er stotternd zu verstehen: »Der alte Meps steht leibhaftig im Sterbehemd an der Kirchmauer.«

Die Bauern bekreuzigten und segneten sich. Des Krügers Töchtern schauderte die Haut, sie rückten mit ihren Spinnrädern dichter zusammen.

«Habe ich es nicht gesagt, Gevatter?«, sprach der eine zum anderen. »Du hast mir es immer nicht glauben wollen. Nun hörst du, dass es wahr ist.«

Ein auf der Reise begriffener hallischer Student, der hier übernachtete und beim Ofen in Ruhe sein Pfeifchen rauchte, hatte die lauten Gespräche der Bauern bisher lächelnd angehört, ohne eben Neigung und Beruf zu finden, sich in dieselben einzumischen. Er wusste wohl, dass ein so tief eingewurzeltes Vorurteil, wie der Glaube an Gespenster bei gemeinen Leuten mit bloßen Vernunftgründen selten glücklich bestritten wird. Nun aber, als der einfältige Barthel kam und ihn lüstern machte, die Natur der Erscheinung an Ort und Stelle zu prüfen, ließ er sich mit den Leuten in ein Gespräch ein und versuchte, sie nach Maßgabe ihrer Fassungskraft, von der Eitelkeit der Gespensterfurcht und von der Torheit ihres Wahnglaubens zu überzeugen.

Da er indessen bald merkte, dass er so gut wie in den Wind geredet habe und seine gute Absicht hier in der Stube schwerlich je erreichen werde, so fragte er die Anwesenden, ob denn nicht wenigstens ein beherzter Mann unter ihnen wäre, der Lust hätte, mit ihm zur Kirchhoferscheinung zu gehen und sich daselbst durch den Augenschein zu überzeugen, dass der tote Meps die Lebenden nicht erschrecken könne, und dass die Erscheinung, so wie sie Barthel wahrgenommen haben wolle, unstreitig nichts als eine Wirkung seiner von Furcht erhitzten Einbildungskraft sei. Aber da war vonseiten der anwesenden Bauern an kein Mitgehen, an keine Untersuchung zu denken.

»Sirach sagt«, meinten sie, »was deines Amts nicht ist, da lasse deinen Vorwitz. Darum mag Meps da an der Kirchmauer stehen, so lange er will. Wir wollen ihn nicht beunruhigen, wenn er uns nur in Ruhe lassen wollte.

Zum Glück trat eben jetzt der Schmied des Dorfes herein, der lange Soldat gewesen war und sich im Feld etwas Rechtes versucht hatte.

Man erzählte ihm den Verlauf der Sache und setzte hinzu: »Der Herr da will das nicht glauben. Er will hin zum Gespenst und meint, wir alle oder wenigstens einer von uns möchte doch mit ihm gehen, aber wir werden keine Narren sein, uns ohne Not in einen Streit mit bösen Geistern einzulassen.«

»Ihm aber, Meister Schmied, sehe ich es an«, sagte der Fremde. »Er begleitet mich. Er sieht mir aus, wie ein Mann, dem das Herz an der rechten Stelle sitzt.«

Das half! Ohnehin wusste der ehemalige Schnurrbart, der im Getümmel mancher mitgemachten Schlacht seine Schuldigkeit getan hatte, nichts von kindischer Furcht, und konnte unmöglich zugeben, dass ihm ein zwanzigjähriger Student an Herzhaftigkeit überträfe.

Der Student war hoch erfreut, an dem Schmied einen Mann gefunden zu haben, der den übrigen feigen Memmen nicht glich, und bemerkte mit Vergnügen, dass die Herzhaftigkeit unter gewissen Umständen so gut wie die Feigherzigkeit ansteckend ist. Denn kaum hatte der Schmied in einem festen Ton erklärt, dass er den braven Studenten in jedem Fall zur Untersuchung dessen, was Barthel gesehen haben wollte, begleiten werde, so gesellten sich ihm noch einige junge Burschen hinzu und wollten das Wagestück ebenfalls mit bestehen.

Der Student legte vor Freude darüber zwei Taler zum freien Trunk für diese Beherzten in die Hände des Wirts nieder. Man rüstete sich nun eilig mit tüchtigen Knüppeln zum Marsch zum Kirchhof. Zwar meinten die Töchter des Wirts, es sei doch schade um ihr junges Leben. Die zurückbleibenden Bauern selbst brummten kopfschüttelnd, der Glaube würde ihnen wohl in die Hand kommen; allein der Zug der Abenteurer ging dennoch vor sich.

Der Student erwiderte spöttisch lächelnd: »Auch ich denke, ich will den Geist in die Hand bekommen, und alsdann sollt ihr herzlich lachen.«

Kaum waren unsere Gespensterjäger miteinander an die Ecke des Kirchhofs gekommen, siehe, da stand das große weiße Ding leibhaftig! Der Student selbst stutzte anfangs ein wenig, ging aber doch mutig auf die weiße Gestalt zu. Sein Wer da? blieb unbeantwortet. Seine Drohungen ebenfalls. Wie er herzhaft näher hinzutrat, um die Drohung wahr zu machen, bekam er einen heftigen Schlag vor die Stirn, dass er rückwärts überschlug, und weg war das Gespenst.

Die jungen Helden, welche dem Schmied und dem Studenten vorsichtig langsam nachgeschlichen waren, machten links um und liefen davon, als ob ihnen der Kopf gebrannt hätte. Nicht so die beiden Hauptpersonen. Der arme Student raffte sich geschwind wieder auf. Zwar fühlte er eine Beule vor seiner Stirn und etwas Blut. Allein so wie auf dem Schlachtfeld der im zweideutigen Augenblick des Treffens tödlich verwundete Held mit größerer Freudigkeit stirbt, wenn ihm die seinen noch sterbend den Trost Wir haben gesiegt! mit ins Grab geben, so vergaß der hocherfreute Student seines Schmerzes, sobald er den Schmied ausrufen hörte: »Da haben wir den Popanz!«

Und wer war dieser Popanz? Ein Hemd, das trocknen sollte, und welches die Frau Kantorin vergessen hatte, zur rechten Zeit von der Stange, an welcher es hing, herabzunehmen und in Sicherheit zu bringen. In dem nämlichen Augenblick, in welchem der Schmied mit seinem Besenstiel diesem stummen Gespenst einen tüchtigen Hieb versetzte, um eine Antwort von ihm zu erzwingen, verschwand es, das heißt, die Stange, worauf es hing, zerbrach von der Gewalt des Schlages, und das Hemd fiel auf die Erde.

Aber, wer schlug denn den Studenten vor die Stirn? Er selbst schlug sich mittelst einer Harke oder eines Rechens davor. Die Frau Kantorin hatte diesen zum Unterstützen der Trockenleine gebraucht, und daselbst ebenfalls vergessen. Sie lag der Länge nach so auf der Erde, dass ihr Stiel zum Hemd hinwies und ihre Zähne in die Höhe standen. Im nämlichen Augenblick, wie der Schmied dem weißen Geist eins versetzte, trat der Student auf die Zähne des Rechens und hob dadurch den Stiel desselben dermaßen in die Höhe, dass er ihm gegen die Stirn fuhr. Indessen taumelte der Student nicht sowohl vom Schmerz betäubt als auch vielmehr erschrocken einige Schritte zurück und fiel über einen Grabhügel; denn der Schlag war weniger heftig wie unerwartet.

Man brachte hierauf das Gespenst von Leinwand zur Schenke des Dorfes. Die dortigen Bauern schämten sich nun ihrer kindischen Furcht vor dieser ohnmächtigen Kirchhoferscheinung und schlichen zum Teil ganz im Stillen, und ohne den Lachenden eine gute Nacht zu wünschen, nach Hause.