Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Atlantis Teil 40

Guy Rouse saß in seinem Arbeitszimmer. Er war allein. Eben hatten ihn drei befreundete Abgeordnete verlassen. Sie waren gekommen, wie um einen Freundschaftsbesuch zu machen, wie um ihre unwandelbare Ergebenheit, Anhänglichkeit wieder zu beteuern. Doch Rouse hatte sie durchschaut.

Der eine, der Wortführer Teddington, hatte vergeblich versucht, in der Unterhaltung wie beiläufig Fragen einzuflechten, die mit der Börse, den Kanalaktien, zusammenhingen.

Er hatte sie entlassen, hatte durchblicken lassen, dass der hohe Stand der Kanalaktien noch keineswegs der höchste sei. Die Männer waren gegangen, Miller und Struck den Kopf voller Gedanken, wo Geld hernehmen, wo borgen, um noch mehr Aktien zu kaufen, Teddington ebenso fest entschlossen, noch heute zu verkaufen.

In der letzten Woche hatte der Aktienkurs eine schwindelnde Höhe erreicht. Rouse überflog die Börsenberichte Amerikas, verglich sie mit den Kursen der übrigen Welt. Die amerikanischen hatten immer einen kleinen Vorsprung. Dieser war heute größer denn je.

»Es ist höchste Zeit«, murmelte er vor sich hin. »Man scheint anderenorts misstrauisch zu werden. Auch ohne diese überraschende Nachricht meines Agenten, dass die Kanalsohle nach zuverlässigen Messungen an verschiedenen Stellen sich um beinahe dreihundert Meter gehoben hat. Ein glücklicher Zufall, dass es nicht irgendeinem Kapitän einmal einfiel, die Messungen des Schifffahrtsamts nachzuprüfen.«

Rouse saß am Tisch und schrieb. Ein chiffriertes Telegramm an seine Vertreter an den Hauptbörsen der Welt. Er schrieb es zwanzigmal in zwanzig verschiedenen Chiffren, übergab die Schriftstücke einem Sekretär zur Besorgung.

Der Auftrag: Den Restbestand seiner Aktien morgen noch bestens zu verkaufen. Es waren viele Aktien, die Guy Rouse besaß, die er durch diese Aufträge auf die Börsenmärkte warf. Der Kurs der Aktien musste durch diese Transaktion erschüttert werden. Die Aktien mussten daraufhin zweifellos nachgeben. Aber was bedeutete das gegenüber dem Sturz, der kommen musste, wenn er das Steigen des Kanalbetts der Öffentlichkeit in geschickter Weise bekannt gab. Am Tag nach diesen Pressenotizen musste an allen Börsen eine Deroute in Kanalaktien ausbrechen. Dann würden seine Börsenvertreter in der ganzen Welt unter der Hand riesenhafte Rückkäufe machen. Schon am Abend dieser Rückkäufe, die weit über sein Barvermögen hinausgehen sollten, würden neue Pressenotizen, gestützt auf wissenschaftliche Gutachten, die Veränderung der Kanalsohle unbedenklich, als letzten Beruhigungsvorgang des gequälten Erdbodens hinstellen. Der Kurs würde sich wieder heben, zumal er, der Präsident der Gesellschaft selbst, dann offen, wenn auch nur mit bescheidenen Summen, als Käufer auf den Markt treten würde. Durch weitere Pressemeldungen und Gutachten würde dafür gesorgt werden, dass der Aktienkurs sich wieder vollständig erholte.

Das Steigen der Kanalsohle – im ersten Augenblick hatte die Nachricht wie ein Donnerschlag auf ihn gewirkt. Unablässig hatte er über den rätselhaften Vorgang nachgedacht, nach einer Erklärung gesucht. Hatte dem Agenten Order zugehen lassen, durch fortgesetzte Lotungen die Bewegungen des Kanalbettes zu verfolgen. Die letzte Nachricht des Agenten, vor einer Stunde war sie eingegangen: kein weiteres Steigen.

Ausgleichserscheinungen mussten es gewesen sein, die jetzt zum Stillstand gekommen waren. Gut für seine Pläne. Das Ende der Riesentransaktion … wie schon so oft würde es einen Riesengewinn für ihn bedeuten.

 

*

 

Die Sterne am Himmel verblassten. Ein leichter Schimmer im Osten kündete den neuen Tag. Der einsame Mann in Saltadera ließ sich am Arbeitstisch nieder. Das energetische Bild des Kanals erschien am Schirm.

Die in der Sialscholle eingesprengten Magmamassen … größere, kleinere. Ihre glutflüssigen Massen mit Wasser in Berührung! Eruptionen, große, kleine … Tod, Vernichtung bringend! Wie es vermeiden?

Tage und Nächte hatte er gesonnen. Es war nicht möglich. Menschenleben vernichten bei seinem Werk, konnte das Schicksal das auch wollen?

Seine Finger bewegten einen kleinen silbernen Tokschor. Die Blätter der Trommel glitten langsam an seinem Auge vorbei. Er schüttelte den Kopf.

Nichts! Nichts! Das Schicksal geht seinen Weg unbeirrt, rücksichtslos. Menschenleben auf seinem Weg … Das Rad geht darüber hinweg. Ihr Schicksal!

Er prüfte die große Apparatur im Hintergrund des Raumes. Prüfte Teil für Teil ihres komplizierten Baues. Es war alles in Ordnung.

Der kleine Apparat … klein im Verhältnis zu den Riesenenergien, die er lösen und steuern konnte. Er war sein Meister, der ihn gebaut hatte nach dem Geheimnis des Tokschors, der ihm von der Mutter übergeben war. Schicksalswendung! Er, der Erbe des Geheimnisses, das einmal das Schicksal drei Männern anvertraute, als es galt, Millionen Menschen vor Not und Tod zu bewahren. Drei Männer … drei Ringe. Jeder trug einen von gleicher Arbeit. Zwei davon zusammengefügt an seiner Hand. Sein Auge ging zum Finger der Rechten. Wie die Windungen einer Schlange ein doppelter Ring goldener Spiralen. Zu schwer für den schmalen, bleichen Finger. Die Hand, wie wenn sie das Gewicht des Ringes nach unten zog, war vom Tisch gesunken.

Zu schwer die Last, die das Schicksal, einst auf drei verteilt, auf meine Schultern legte … der dritte Ring?

Sein Leben, was war es von den Tagen an, bis zu denen die Erinnerung zurückging? Die Mutterarme … die einzige glückliche Erinnerung … kurz, zu kurz! Auch sie war von ihm gegangen.

An dem Tag, an dem sie starb, war ein Fremder gekommen, ein alter, greiser Mann, hatte ihn mitgenommen, weit fort von der Heimat. Dorthin, wo die ewige Wiege der Menschheit stand. Und dort, kaum noch, dass er denken konnte, hatte sein Schicksal begonnen, die Schule des Schicksals, hart, unerbittlich hart.

Nichts von den Freuden der Jugend, des Lebens. Die Jahre waren verstrichen, bis der Tag kam, an dem der Alte die Bürde auf seine Schultern legte, die Schultern so schwach, so gebrechlich. Er hatte sich gesträubt, sich gewehrt. Der Alte hatte seine Hand ergriffen, zwei Ringe über den Finger gestülpt. Zu groß, viel zu groß. Der Greis hatte leise darübergestrichen, und dann saßen sie fest an seinem Finger, als wären sie angeschmiedet. Festgeschmiedet wie die Ringe an den Füßen der Galeerensträflinge.

Wie hatte er geseufzt und gestöhnt unter ihrem Druck. Das Blut der Jugend bäumte sich auf. Da, als er verzweifelnd an sich, an seiner Kraft, das Leben von sich werfen wollte, hatte der alte Lehrer ihm erzählt von jenen dreien. Erzählt von dem einen, der sein Vater war, erzählt von dem anderen, der, der Stärkste unter ihnen, doch zu schwach gewesen, die Last zu tragen, dessen Geist der Versuchung erlag, der starb im Kampf … im Kampf mit dem Schicksal selbst, ein Abtrünniger, Verlorener.

Der Alte hatte ihn eines Tages von sich geschickt, zurück zu den Stätten der Geburt, der Heimat. Er war in das fremde Leben getreten, war darin gewandelt, ein Fremder unter Fremden. Einer! Das Schicksal ging seine Wege, unbegreiflich für Menschenherzen. Einer hatte ihn, den Träger, den Boten des Schicksals, vom Tode gerettet. Dieser war sein Freund geworden, war es geblieben. Würde es bleiben bis zur letzten Stunde.

Freundschaftsdienst war es, den er jenem erwies, als er die Schicksalsmacht benutzte, um ihm zu helfen, als der die Frau suchte, nach der sein Herz schrie. Er hob das Atoll. Ein kleines Spiel war das für ihn. Aber hatte er die Macht nicht missbraucht?

Sein Blick ging zu dem leuchtenden Bild an der Wand.

Das verschwand. Die Fläche des Kanals erschien, wie sie das optische Bild gab. Da fuhr er, der Freund! Mit der Geretteten. Ein glücklicher Mensch, glückselig im Besitz dessen, was sein Herz wünschte. Würde er seiner jetzt noch so gedenken wie früher? Würde er nun ganz allein stehen auf der Erde? Ohne Liebe, ohne Freundschaft? Das Schicksal, wollte es auch das?

Das U-Boot hatte den Kanal hinter sich. Ans Werk! Eine Stimme im Inneren rief es ihm zu.

»Mein Werk!« Er deckte beide Augen mit den Händen, saß, sammelte sich zur Tat. Er trat zum Tisch. Vor ihm gleißte der silberne Glanz des Tokschors. Er ergriff ihn, drückte ihn an seine Brust. Dann berührten seine Finger den Apparat. Die Blicke glitten von ihm zu dem Bild an der Wand und wieder zurück. Die Tiefen der Erde taten sich vor ihm auf.

Ein letzter Hebelgriff am Apparat. Dessen Kräfte, freiwerdend, begannen zu spielen. Hunderte Kilometer tief unter der Sohle des Kanals arbeiteten sie. Die trägen Simamassen gerieten in Bewegung. Sie pflanzten sich fort nach allen Seiten. Die Massen dehnten sich aus, wurden leichter in der Ausdehnung, strebten, Ausweg suchend, nach oben, hoben die Decke, sprengten, sie. Sie barst. Die Sialmassen zerrissen, wichen dem Druck. Die Erdrinde kochte. Die eingesprengten Magmamassen, dem Druck folgend, öffneten ihre Arme dem einströmenden Wasser. Wasser und Feuer, sich verbindend zu unheilschwangerer Ehe. Hoch auf flog der dampfende Gischt. Die Erschütterungen der Explosion, kreisend, zitternd nach allen Seiten, stürzend das, was noch von früher her stand auf den Zungen des Isthmus.

Der Isthmus, mitgetroffen, mitgerissen von den unterirdischen Kräften, strebte zitternd, bebend zur Höhe. Berge taumelten, in sich zusammenstürzend. Das Bild des Isthmus, schon einmal durch die Eruption bei der Kanalsprengung verändert, zerstört, zeigte jetzt erneut ein Chaos.

Menschenleben – das Rad des Schicksals rollte darüber hinweg. Menschenleben. Der, dessen Hand den Strahler lenkte, sah sie untergehen. Sah es, und die schmale Gestalt sank zusammen unter der Last des Unheils, des Schicksals.

Die Hände ließen ab. Er sank auf einen Stuhl, barg sein Gesicht in den Händen. In seiner Seele schrie es: »Zuviel! Du Schicksal!«

Und dann war es ihm, als stünde er neben ihm, der Alte. Er legte die Hände über seine Stirn, strich darüber. Dessen Mund flüsterte Worte in sein Ohr. Die Worte von einst, tausendmal hatte er sie gehört dort drüben.

Er richtete sich auf und starrte um sich. Der Tokschor! Er war in seiner Hand, seine Finger hatten ihn umklammert.

Schicksal! Die Hände glitten wieder zum Strahler, bewegten seine Kräfte.

Der Kanal! Der Isthmus! Hoch … höher als je! Die Sohle des Kanals wasserlos! Ein steiniger Pfad von Norden nach Süden.

Er schreckte zusammen. Die Hände umklammerten den Strahler, die Augen bohrten sich in das energetische Bild.

Zuviel?

Fieberhaft arbeiteten die schmalen Finger. Die Bewegungen in den interirdischen Massen ließen nach. Der gehobene Isthmus sank, ein Ruck … er stand.

Das Bett des Kanals, da lag es wieder, ein blaues Band, die Ozeane vereinend. Kleiner, schmaler, so wie es Menschengeist sich geträumt. Verbindungsweg für Osten und Westen, ungehinderter Pfad für die Weltwirtschaft. Die Wunden der Erde, von verbrecherischer Hand geschlagen, geheilt.

Das Bild glitt zurück. Einen Augenblick zitterte seine Hand. Der Freund! Der Golfstrom?

Ein wütendes Anprallen an der neuen Schranke. Die Wasser des Stromes tobten, wühlten an der Sperre. Die stillen Fluten der Karibischen See waren nun ein aufgewühltes, stürmisches Meer.

Neuer Tod, neue Vernichtung für das, was sich da befand.

Der Freund … in Überwasserfahrt?

Wie im Fieber ging die Hand zum energetischen Fernseher. Die Oberfläche des kochenden, schäumenden Meeres. Darunter die Wogen des Golfstroms bis in ihre tiefsten Tiefen aufgewühlt. Ein Unterseeboot darin. Bald hoch, bald tief rissen es die Strudel. Mit starren Augen verfolgte er jede Bewegung des Bootes. Jetzt fast an der Oberfläche, jetzt hinabgerissen in Tiefen, deren Druck die Wände des Bootes unmöglich lange standhalten konnten.

Seine Hand ging zum Strahler. Dessen Kräfte wirkten in den Tiefen der aufgewühlten See, beendeten die Wirbel, zähmten die Strudel.

Kurs Nord zu Nordost hätte er ihnen zuschreien mögen. Da glitt das Boot Nord zu Nordost heraus aus den Strudeln des Stromes, während diese, sich im wütenden Schwall an der Barre brechend, nach Norden umbiegend, den alten Weg nahmen … Weltwende!

Das Werk vollendet! Der Strom im alten Bett! Das Boot in glücklicher Fahrt auf ihn zu nach Saltadera. Kaum noch konnten seine Finger den Strahler und Fernseher zur Ruhe setzen. Mit Mühe schritt er ins Freie. Am Stamme einer Pinie sank er um, fiel zu Boden.