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Gold Band 3 – Kapitel 1.4

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 1
Die mexikanische Flagge
Teil 4

Hetson war bei der Fahne zurückgeblieben und nur Hale, der Sheriff, war bei ihm geblieben. Kaum hatten sich aber die Übrigen zerstreut, als er auf seinen Vorgesetzten zuging, dessen Hand ergriff und herzlich schüttelte und dabei sagte:

»Mr. Hetson – strafe mich Gott, wenn es mir nicht schmählich leid ist, Ihnen unrecht getan zu haben …«

»Mein lieber Hale …«

»Nein wahrhaftig, Sir … ich … ich habe Sie für eine Memme gehalten, und … und möchte mich jetzt selbst dafür prügeln.«

Hetson lachte, aber ein wehmütiger Zug umzuckte doch dabei seine Lippen und er sagte endlich: »Es gibt manches, lieber Hale, was mich ernst und vielleicht auch weich gestimmt hat – weicher vielleicht, als sich mit Ihren Ansichten von männlicher Festigkeit vertragen mochte. Dass ich nicht wirklich feige bin, werde ich Ihnen heute beweisen.«

»Aber Ihre Frau, Sir … wenn uns nun doch … etwas Menschliches begegnen sollte.«

»Wir stehen alle in Gottes Hand, Hale«, sprach der junge Mann, »und ich bin in dieser Hinsicht Fatalist.«

»Fata … was?«, fragte der Sheriff, dem ein Gedanke durch das Hirn schoss, als ob das vielleicht eine neue Art von Lebensversicherung sein könnte.

»Fatal ist«, gab aber Hetson lächelnd wieder, »das heißt: Ich glaube, dass, wenn ich heute sterben soll, der Tod mich ebenso gut hier in meinem Zelt erreichen könnte.«

»Mit den Frauen ist es aber immer eine böse Sache.«

»Mit der meinen nicht, Hale. Sie ist charakterfest und selbstständig und würde selbst in diesem – dem schlimmsten Fall – ihren Weg nach San Franzisko schon finden. Dort kennt sie mein Bankhaus, und die Rückkehr in die Heimat stände ihr immer offen.«

Ein eigenes bitteres Gefühl überkam ihn. Er dachte eben daran, ob es seine Frau überhaupt als ein Unglück ansehen würde, ob sie nicht vielleicht – er mochte den Gedanken nicht ausdenken, und unwillkürlich fuhr er sich mit der Hand an die Stirn.

»Es wird ja nicht gleich so arg werden, Mr. Hetson«, flüsterte der Sheriff, der diese plötzliche Bewegung einer ganz anderen Ursache zuschrieb. Wenn alle Kugeln träfen, gebe es längst keine Soldaten mehr. Wollen Sie aber nicht hineingehen und ihr … und ihr sagen, dass wir … Na, zum Teufel, dass wir den Mexikanern die Jacke ausklopfen werden?«

»Nein, Hale«, erwiderte aber Hetson, »ich bin jetzt gerade in der rechten Stimmung und möchten mich nicht unnötigerweise weich machen. Da kommen auch unsere Freunde schon wieder. Die Zeit verfliegt, und die freche Flagge dort drüben hat schon viel zu lange geweht. Aber was bringen die Leute dort angeschleppt? Können Sie erkennen, Hale, was die davon tragen?«

Der Sheriff lachte.« Tolles Volk ist es und bleibt es«, rief er aus, »und diese westlichen Burschen laufen zu einem richtigen Kampf gerade so mutwillig, als ob sie eben nur zum Tanz gingen.«

»Aber was bringen sie dort?«

»Ein paar Kindertrommel und einem Gong oder Tamtam, wie die Kochzelte sie hier benutzen, ihre Gäste mittags zu Tisch zu rufen. Es scheint, dass sie entschlossen waren, sich auf die eine oder andere Weise Musik zu verschaffen.«

»Vortrefflich!«, rief Hetson freudig aus,« und einen glücklicheren Gedanken hätten sie nicht haben können.«

»Hurra, Squire«, schrie der Boyles, der mit einer kleinen Kindertrommel, seinen langen Büchsenkolben nach hinten auf der Schulter, angesprungen kam. »Hier bringen wir den rechten Stoff, die Ratten auszutreiben. Hurra für Old Amerika, aber ohne Yankee Doodle können wir doch unmöglich ins Feld rücken.«

»Hu – Pih!«, gellte zugleich ein langer Arkansasmann seinen Jagdschrei und setzte dann eine kleine Kindertrompete an die Lippen, aus der er die wunderlichsten Töne herausstieß. »Jammerschade, dass wir über die verdammten Löcher da draußen nicht mit unseren Pferden hinüber können. Wenn es aber einmal zu Fuß sein muss, wollen wir es sie aber auch sojer fashion heben lassen.«

»Bang, bang!«, schmetterte dabei der dröhnende Schlag des Tamtam dazwischen, und die kleinen Trommeln wirbelten, die Trompeten quietschten, und einer der Schar hatte sogar eine blecherne Kaffeekanne mitgebracht, in der er mit einem hölzernen Kochlöffel herumklapperte. Die Leute waren überhaupt so ausgelassen wie Kinder, die sich aus allen Ecken das Material zusammengesucht haben, einmal nach Herzenslust Soldaten zu spielen. Doch trugen sie auf den Schultern die scharf geladenen Büchsen und wussten, dass sie zu einem wahren tollkühnen Kampf einer Übermacht entgegen gingen, die sie im ersten Ansturm schon erdrücken konnte.

Hetson aber musterte die tolle Schar mit einem freudigen und zugleich trotzigen Lächeln. Doch alle Unruhe, aller Schmerz war aus seinen Zügen gewichen, in denen feste Entschlossenheit allein jetzt thronte. Das Banner hoch emporhebend ordnete er dann den wilden Trupp zu entschlossenem Zug, als Boyles, der Ausgelassenste von allen, jauchzend schrie:« Hallo Jungens, die Musik gehört voran – hierher, meine Herzblätter! Wo ist der Pfeifer? Wo ist unser Baby?«

»Hier Sir«, antwortete eine feine Stimme. Ein kleiner Bursche von höchstens 13 Jahren sprang vor. Er trug bloß Hemd, Hose und einen breiteren dicken Wachstuchhut, aber jedes Stück verriet, dass er einem Kriegsschiff davongelaufen und die blauen Wogen mit den grünen Bergen vertauscht habe. Der breite zurückgeschlagene Hemdkragen mit dem blauen Streifen darum wäre nicht einmal nötig gewesen, ihn als ein Kind der See zu zeichnen. Nur das breite Hutband hatte er abgelegt, das früher den Namen seines Schiffes getragen hatte. Mochte er doch den Leuten nicht einen so genauen Anhalt geben, ihn wieder einzufangen.

»Das Kind dürfen wir nicht mitnehmen«, wandte da Hetson ein. »Leute, glaubt um Gotteswillen nicht, dass wir einer Spielerei entgegengehen. Wir wollen einen Feind angreifen, der uns an Stärke zehnfach, ja, wenn sich die Indianer dazu schlagen, dreißigfach überlegen ist.«

»So Sir?«, rief da der kleine Bursche keck zu den Alkalden aufschauend, »ich bin 13 Jahre alt, wenn Sie es nicht übel nehmen, und habe schon im vorigen Jahr die Mexikaner prügeln helfen, und das ist das Lange und Kurze von der Sache. Wenn sie das Recht haben, hier unsere alten Sternen und Streifen ihnen in die Zähne hineinzutragen, darf ich Ihnen auch den Yankee Doodle in die Ohren blasen, und verdammt will ich sein, wenn ich zurückbleibe.«

»Hurra für Jim!«, schrien die Männer jubelnd um ihn her, und Hetson musste sich ihnen, die achselzuckend, fügen.

Wie sie sich aber eben ordneten, kamen zwei Männer, augenscheinlich Franzosen, auf sie zu, während aus einem der französischen Zelte 40 oder 50 andere hervordrängten, am Eingang stehen blieben, um den wunderlichen Trupp der Amerikaner zu beobachten.

»Aha, da schicken uns die Franzosen ein paar Gesandte«, flüsterte daher Hale dem Alkalden zu.« Wenn wir die in den Rücken bekämen, könnte die Geschichte unbequem werden.«

Hetson erwiderte ihn ihm nichts. Mit der Flagge in der Hand trat er aber den beiden Leuten, die ihn freundlich grüßten, entgegen und schien ihre Anrede zu erwarten. Hale hatte sich auch nicht geirrt, in der einer von ihnen, der vollkommen fertig Englisch sprach, wenn auch mit einem etwas fremdartigen Akzent, sagte: »Sir, wollen Sie uns offen und frei eine Frage beantworten, die vielleicht dazu dienen kann, weitere Störungen, weitere Unzufriedenheit vorzubeugen?«

»Von Herzen gern, wenn ich dazu imstande bin«, sagte Hetson ruhig.

»Es geht das Gerücht hier in den Minen um«, fuhr der Franzose fort, »dass die Amerikaner, wie es schon einige an Chinesen und Mexikanern versucht haben, alle Fremde aus ihren Claims und von ihren Arbeitsplätzen vertreiben wollen, trotzdem dass ihnen die Regierung der Vereinigten Staaten schon dadurch das Recht eingeräumt hatte, hier zu graben, indem sie nur eine enorme Taxe von ihnen verlangt. Ist das der Fall?«

»Monsieur«, erwiderte Hetson ruhig, während sich die Amerikaner um ihn her drängten, »das Gerücht ist falsch. Dass sich einige von meinen Landsleuten strafbare Übergriffe erlaubt haben, ist mir zu Ohren gekommen. Seien Sie aber versichert, dass wir die Ruhe gegen Fremde nicht belästigen werden. Und wo ein solcher sich über einen Amerikaner zu beklagen hat, mag er sich getrost an mich wenden. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass ihm sein Recht werden soll.«

»Wer hat die Fremden überhaupt hierher gerufen«, schrie Briars dazwischen. »Wir brauchen sie hier nicht und können …«

»Ihr schweigt, Sir!«, donnerte ihn da Hetson an. »Was ich gesagt habe, das will ich aufrecht halten, solange ich hier wenigstens Alkalde bin. Sollte es nichtswürdiges Gesindel unter meinen Landsleuten geben, die über den Schwachen herfallen, sich durch Raub zu bereichern, so schwöre ich es bei Gott, dass sie dafür büßen werden, ob sie amerikanischen oder fremden Boden durch ihre Geburt entehrt haben.«

Die schlanke schmächtige Gestalt des Mannes hob sich dabei unwillkürlich und sein helles Auge blitzte den sonst so frechen und übermittelten Burschen so zornig an, dass er scheu zurückwich.

»Bravo, bravo!«, klang es aber von anderer Seite dem Alkalden zu.« Es ist eine Schande für uns, den Fremden gegenüber, wenn wir das leiden.«

»Es freut mich, das zu hören, Gentlemen«, sagte da der Franzose, seinen Hut vor ihnen abnehmend. »Und nun die Taxe, Sir?«

»Die Taxe es ganz einfach, mein Herr«, antwortete Hetson wieder mit seiner früheren Ruhe. »Was wir selber hier in den Minen auch über die Taxe denken mögen, ob sie zu hoch oder gar vielleicht ungerecht auf die Fremden drücken möge, es bleibt sich gleich. Das Gesetz ist einmal von der Regierung unserer Staaten gegeben und muss aufrechterhalten werden, unter jeder Bedingung. Wer sich als Fremder weigert, die Taxe zu bezahlen, muss die Minen verlassen. Und wie ich Ihnen mein Wort gegeben habe, dass ich die Fremden gegen jede Unbill schützen will, so gebe ich es Ihnen wieder, dass ich das Gesetz aufrechterhalten werde, und müsste das mit meinem eigenen Blut geschehen.«

Der Franzose sah ihm einen Augenblick ernst und fest ins Auge. Dann aber reichte er ihm plötzlich die Hand und sagte: »Sie sind ein Ehrenmann, Sir. Was in meinen Kräften steht, werde ich tun, Sie bei meinen Landsleuten zu unterstützen. Fürchten Sie auch nicht, dass einer von diesen etwas Feindseliges gegen Sie unternehmen wird. Hüten Sie sich aber mit ihrer schwachen Zahl von Leuten in die Flat hinauszuziehen. Die Mexikaner sind zum Äußersten entschlossen.«

»Wir wollen ihnen nichts zuleide tun und uns nur ihre Flagge hier hereinholen«, gab Hetson lächelnd von sich. »Übrigens«, setzte er ernster hinzu, »stehen wir in Gottes Hand, und nun vorwärts, meine Burschen.«

»Hurra«, jubelte die Schar.« Yankee Doodle voran! Spiel uns den Yankee Doodle, Jim!«

Die Straße heraufgaloppiert kam ein Pferd, und als sich die Leute danach umsahen, sprengte ein alter Mann, seine lange Büchse auf der Schulter, mitten zwischen sie hinein.

»Heda, Jungens, wo wollt ihr hin?«

»Ho, Nolten, hurra, alter Bursche. Ihr kommt gerade zur rechten Zeit!«, jubelten ihm die Leute entgegen. »Herunter von der alten Kracke – wir wollen uns die Fahne da draußen holen.«

»Da gehe ich mit, Kinder«, sagte der Alte, indem er mit einem Sprung aus dem Sattel war. »Ich habe freilich nur eine Stunde Zeit, denn meine Leute warten drüben auf mich, die aber kann ich auch nicht besser anwenden.«

»Stellt Euer Pferd irgendwo ein«, rief ihm Boyles zu, »und legt den Sattel in mein Zelt.«

»Ist nicht nötig, mein Junge«, sprach der Alte und lachte dabei, indem er Sattel und Saum abwarf und frei auf die Straße legte, das Pferd aber laufen ließ. »Mein Schimmel geht nicht fort, und mein Reitzeug liegt da ebenso sicher wie in einem Zelt. Aber macht nur, dass wir bis Mittag wieder hier sind, denn ich bin noch nüchtern.«

Noch während er sprach, hatte sich der Zug, immer vier Mann nebeneinander, geordnet. Hetson, der die kleine Schar mit einem Blick überflog, zählte 25 Mann.

»Und nun vorwärts, Kinder«, rief er mit leuchtendem Blick. »Das aber, bei eurem Leben, keiner von euch einen Schuss tut, bis die Feinde selber den Angriff machen. Der erste Schuss, der erste Schlag, der von ihrer Seite fällt und drauf und dran. Dass ihr nicht ins Blaue abdrückt, brauche ich euch kaum zu sagen. Seid ihr bereit?«

»Hurra!«, jubelte die kleine Schar in die Luft hinein und schwenkte die Hüte.

»Hetson!«, flüsterte da eine Stimme an seiner Seite. Als er sich umschaute, stand Jenny neben ihm. Aber nicht Angst oder Furcht drückte der Blick aus, nein, mit leuchtenden Augen hatte sie das männliche, kräftige Auftreten ihres Gatten beobachtet, und jetzt nur, als er zum Aufbruch rufen wollte, trat sie an ihn heran.

»Liebes Kind«, war da der Mann verlegen, »dies ist kein Platz für dich.«

»Und du böser Mann willst ohne Abschied von mir gehen?«

»Wir kommen bald zurück, es ist ja nur …«

»Lebe wohl – ich halte dich beim Wort. Komm bald zurück«, sagte da die Frau, indem sie ihm ihre Hand reichte und dann rasch beiseitetrat. »Gott sei mit euch!«

»Hurra!«, jubelten die Burschen wieder. Jim stimmte in diesem Augenblick auf einer kleinen Pickelflöte in raschen schrillen Tönen den Yankee Doodle an, und mit schmetternden Schlägen, in und außer dem Takt, vielen Kindertrompeten, Trommeln, Blechkannen und Tamtam ein.

Nur Boyles hatte sein Instrument noch nicht wirksam bearbeiten können, denn seine lange Büchse war ihm dabei im Wege. Aber er wusste sich zu helfen.

»Hier, Tom, trage meine Büchse ein bisschen«, rief er seinem Hintermann zu, während er sie ihm in die Hand drückte. »Nur so lange, bis ich hier das alte Trommelfell eingeschlagen habe. Bleibe aber dicht bei mir, dass ich sie gleich fassen kann, wenn es losgeht.«

Und nun, mit beiden Armen frei, rasselte er in den allgemeinen Lärm hinein, der nur insofern Takt hielt, den scharf und grell daraus hervortönenden Yankee Doodle nicht zu stören.