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Der Welt-Detektiv Band 6

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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 10

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

10. Wie Rübezahl Badegäste färbt

Einmal saßen im Warmbad eine Menge fröhlicher Badegäste zusammen im runden Probsteibad und waren untereinander Männlein und Weiblein, wie das damals Sitte war, – es sind über zweihundert Jahre her – und war eben darum die Lust größer und auch die Badekur gedeihlicher. Denn damals kannten die Leute noch nicht das Wörtlein Anstand in der Bedeutung, wie man es jetzt nimmt und sich dadurch unschuldige Lebensfreuden verkümmert, die gar nicht gegen den eigentlichen wahren Anstand sind. Saßen also in Scherz und Fröh­lichkeit im Wasser; und der eine sagte dies, der andere das. So meinten sie denn auch, da sie bald auseinander und jedes in seine Heimat gingen, dass es gut sein würde, wenn sie erst die Koppe bestiegen und sich an der Aussicht erfreuten. Also beschlossen sie, am anderen Morgen aufzubrechen, und hatten im Warmbad und in Herischdorf zwölf Rosse bestellt für die sechs Herren und ebenso viele Frauen und Mägdlein; denn damals ritten schwache und bequeme Leute noch auf und übers Gebirge. Der Morgen war schön, und hatten die Reisenden eitel Lust und Lachen, besonders über die Frauen, die des Reitens nicht gewohnt waren, tat ihnen aber gar wohl. Auch hatten sie einige Träger mitgenommen, die Speisen, Ungarwein und Rheinfall, und für die Frauen Malvasier mit sich führten.

So zogen sie in Giersdorf hinauf und bei der Papiermühle links in den Wald, bei zwei Bauden vorbei, und dann weiter oben über ein Brücklein. Hier machten sie ein wenig Halt und stärkten sich aus ihren Kobern. Man hieß es hier bei Topfjokels Birke. Denn damals stand hier eine große Birke, auf welche kurz vorher ein 75-jähriger Mann gestiegen war, und am Wipfel einen Topf mit folgender Aufschrift aufgehängt hatte: Wer hier trinken und nicht lecken will, der steige hinauf und schöpfe mit diesem Topfe. Der Mann aber hatte Jakob oder Jokel geheißen und wegen des aufgehängten Topfes den Beinamen Topfjokel erhalten, und darum nannte man es hier bei Topfjokels Birke.

Nachdem sie hier ausgeruht hatten, ritten sie weiter bis beim Gemsenjürg, der in der Schlingelbaude wohnte. Hier ließen sie sich bei den mitgebrachten Vorräten wohl sein. Die Rosse ließ man im Gras weiden, damit sie das steile Gebirge, welches sich vor ihnen erhob, desto besser ersteigen konnten. Hierauf ging es die steile Lehne hinauf nach Tanlas Baude am Seiffenberg, so heutzutage die Hampelbaude heißt. Da war nun freilich das Meiste überstanden. Sir ließen hier ihre Rosse stehen und wanderten zu Fuß vollends hinauf zum Kamm. Nun brauchte man damals keine Führer auf dem Kamm, denn es war der ganze Kamm mit Knieholz bewachsen, und hatte man auf obrigkeitlichen Befehl Wege in dasselbe gehauen, die nach der Koppe und nach den benachbarten Bauden und Orten führten, sodass niemand leicht irren konnte. Aber früher mochte hier teilweise hoher Urwald gewesen sein, denn bis oben gegen den Kamm hinauf standen noch Leichen – abgestorbene silbergraue Stämme alter Tannen – von gewaltiger Höhe und Stärke. Durch diese Natur hin stiegen die Wanderer. Als sie nun aber hin zur Teufelswiese kamen, da seufzten die Frauen und Mädchen nicht wenig. Denn sie mochten sich auch noch so sehr heraufnehmen, um ihre schönen weißen Strümpfe nicht zu beschmutzen. Es half im Sumpf nicht viel, und wer etwa auf den gelegten Steinen daneben trat, bekam gefärbte Strümpfe. Da wurde denn oft ein plötzliches Gekreische und Gequieke gehört, dem wieder ein allgemeines Lachen der fröhlichen Gesellschaft folgte. Bald stand diese am Fuß der Koppe und freute sich, dass sie so nahe am Ziel ihrer Wanderung wäre und das Wetter so schön; aber es war noch eine saure Stunde da hinauf. Endlich standen sie oben und erblickten im Sonnenglanz die Welt zu ihren Füßen. Da genossen sie denn die Freuden der Natur und lachten scherzten und stimmten dazwischen Lobgesänge an auf den, der das alles so schön und erhaben geschaffen hatte. Wie nun aber so häufig in schönen und seligen Augenblicken das Herz mit dem Kopf davonläuft, so war es auch hier. Denn im Gefühl der Freude ergriff das schönste Mädchen der Gesellschaft, ohne daran zu denken, wo sie war, den Becher und rief: »Aufs Wohlergehen des guten Rübezahl.«

Kaum war das Wort heraus, als aus dem Teufelsgrund ein Sturm und Wetter herausbrachen, dass die ganze Gesellschaft durcheinandergewirbelt wurde und kaum imstande war, sich auf den Füßen zu halten. Unter beständiger Gefahr, in den Teufelsgrund oder in den Melzergrund hinabgestürzt zu werden, traten sie ihren Rückweg an; aber rechts und links aus den sie umjagenden Wolken schallte ihnen bis zum Fuß der Schneekoppe gellendes Gelächter nach, und nur erst am Ende der Teufelswiese hellte sich der Himmel wieder auf. Die Frauen waren vor Angst und Schrecken fast des Todes, und es war gut, dass sie bald darauf Tanlas Baude erreichten.

»Ihr könnt froh sein«, sagte der alte Tanla, »dass euch der Herr des Gebirges nicht den Hals gebrochen hat, denn niemand kann ungestraft auf dem Gebirge den Namen Rübezahl aussprechen, und am gefährlichsten ist es auf der Schneekoppe und in des Teufels Lustgärtlein. Lasst euch das eine Warnung sein!«

Das taten sie denn auch und schliefen die Nacht über gar sanft auf Tanlas duftendem Heu, über welches Jeremias, des Alten Sohn, weiße Linnen gedeckt hatte, und vergaßen da all ihr Leid.

Aber die Geschichte ist noch nicht aus, lieben Leute.

Früh, als die Sonne aufging, wurden die Schläfer durch anmutige Töne aus dem Schlaf geweckt. Als sie mit den Köpfen zum Fenster hinausfuhren, sahen sie den alten Tanla vor der Baude stehen und auf einem langen Horn blasen. Denn seit undenklichen Zeiten war es auf den Bauden üblich, beim Aufgang der Sonne eine Weise auf einem Horn zu blasen, was freilich, wie so vieles alte Gute, seitdem abgekommen war. Und so blies denn auch heute der alte Tanla sein Morgenlied, wodurch die Gesellschaft gar sehr erbaut ward.

Nicht lange darauf traten sie ihren Rückweg an und kamen glücklich im Warmbad an.

Nun bestand damals im Warmbad ein besonderes Badevergnügen für die Männer. Man ließ nämlich das Bad ausschöpfen und setzte sich dann hinein, um, wie man es nannte, mit heraufzuquellen. Bei dieser Gelegenheit gaben die Frauen die Besuchung und schütteten Körbe voll Rosenblätter oder andere wohlriechende Sachen ins Wasser, was damals für eine besondre Ehre gehalten wurde. Der aber, welcher das Bad hatte ausschöpfen lassen, bewirtete darauf die Gesellschaft desselben Tages. Also machte auch einer von obiger Reisegesellschaft bekannt, dass er am anderen Tag werde das Bad ausschöpfen lassen. Den Morgen darauf saßen auch alle wieder ganz lustig im Bad zusammen und erzählten von ihren Abenteuern vom vorletzten Tag und wie sie Rübezahl geneckt hatten.

»Ihr könnt von Glück sagen«, versetzte einer der Mitbadenden, den sie bisher noch gar nicht bemerkt hatten, »dass ihr so gut weggekommen seid, und ist nur zu wünschen, dass euch der Berggeist nicht fürder neckt.«

»Nun, darüber denken wir jetzt hinweg zu sein«, erwiderte der eine und stieg aus dem Bad.

Aber, o Himmel, wie erschrak die ganze Gesellschaft, als der Mann bis an den Hals schwarz gefärbt erschien. Die Frauen auf dem Brunnenkranz schrien laut auf, und die Männer erhoben sich sämtlich aus dem Wasser. Wer schildert jedoch ihr Entsetzen, als sie sich Mann für Mann ebenfalls schwarz gefärbt sahen; denn wenn einer aus dem Wasser heraufstieg, so wurde er auch sogleich schwarz. Dabei schallte dasselbe Gelächter um sie her, wie sie es vorgestern beim Herabsteigen von der Koppe vernommen hatten. Bestürzt fuhren sie in ihre Kleider und nach Hause. Als sie sich da aber auskleideten, sahen sie sich so weiß wie vorher. Und mehr als einer sagte zu sich: Er ist doch ein Spaßvogel, aber ein schlimmer. Wer, mochte jedoch keiner sagen. So gescheut waren sie.