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Deutsche Märchen und Sagen 5

Johann Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

5. Jan der Dieb

Es war einmal eine blutarme Frau, die hatte nur einen Sohn namens Jan, aber der machte ihr nicht viel Freude, denn er war so langfingerig, dass er von allen, die ihn kannten, nicht anders geheißen wurde als Jan der Dieb. Die Frau hielt ihm häufig vor, dass er sein Leben ändern und sich bessern müsse, wolle er nicht zuletzt mit Seilers Tochter Hochzeit halten, aber das half alles nichts und Jan blieb stets der Alte. Der letzte und einzige Trost, der dem armen Weib blieb, war unser lieber Herrgott. Alle Tage sah man sie in der Kirche, wo sie um nichts anders betete, als dass Gott doch ihrem Jan einen anderen Sinn geben solle. Einmal hatte sie auch wieder lange gebetet und geweint. Endlich seufzte sie wie in halber Verzweiflung: »Ach, ach, was soll aus meinem Jan doch noch werden!«

Der Küster saß aber zufällig hinter dem Altar. Als er den Seufzer hörte, antwortete er: »Dieb, großer Dieb, allzeit Dieb.« Da erschrak die arme Frau über die Maßen, denn sie meinte, unser Herrgott selber hätte ihr das zugerufen, doch fasste sie sich bald und sprach: »Herr, dein Wille geschehe.« Und ging mit rot geweinten Augen nach Hause.

Da kam Jan ihr just entgegen. Als er ihre Augen ansah, fragte er, warum sie denn wieder so betrübt wäre? Sie erzählte ihm offenherzig, was ihr begegnet war, und sagte ihm dabei, dass sie ihm lieber auf den Rücken sähe, denn es tue ihr zuleid, ihn immer Dieb nennen zu hören und das selbst von unserem Herrgott. Jan war des zufrieden, sie gab ihm noch eine tüchtige Kruste Brot und ein Kännchen Wasser mit auf den Weg, und so zog er in die weite Welt.

Nach langem Wandern, und als von seinem Brot schon längst kein Krümchen mehr übrig war, kam er eines Tages an einen Bauernhof, ging da dreist hinein und fragte, ob sie keinen Knecht nötig hätten. Der Bauer sprach, er hätte wohl einen Knecht nötig, aber er könne ihn doch nicht so aufs Geratewohl nehmen und müsse doch wissen, wer er wäre.

»Wenn Ihr das wissen wollt, das kann ich Euch wohl sagen«, antwortete Jan, »alle, die mich kennen, heißen mich Jan den Dieb.«

»Hm, hm, Dieb, Dieb«, brummte der Bauer, »und du baumelst noch nicht am Galgen?«

Darüber lachte Jan und sprach: »Ihr sprecht vom Galgen, ja davor nehme ich mich wohl in Acht, dem bin ich zu klug.« »Bist du wirklich so klug«, sprach der Bauer, »dann will ich es mit dir wagen. Ich nehme dich in Dienst, aber unter drei Bedingungen. Kannst du damit fertig werden, dann gebe ich dir noch dazu meine Tochter zur Frau. Du musst nämlich in der Zeit von drei Wochen dem Pastor all sein Geld, meiner Frau das Hemd vom Leibe und die Pferde unter den Knechten, die drauf sitzen, wegstehlen. Kannst du das, gut, dann weißt du, was du bekommst. Bringst du es aber nicht fertig, dann lasse ich dich hängen.«

»Ganz gut«, antwortete Jan, setzte sich zu Tisch, aß und trank tüchtig und ging alsdann an seine Arbeit.

In den ersten Tagen wusste er noch nicht recht, wie er es angreifen sollte, um hinter dem Pastor sein Geld zu kommen. Endlich aber fiel ihm etwas ein. Er ging hin und stahl dem Bauer zwei Hühner vom Hof, machte sie tot und rupfte ihnen die Federn aus. Dann trug er sie zu Markte und schlug sie für gutes Geld los. Von dem Erlös kaufte er sich einen Topf Sirup und schlenderte nach Hause zurück. Des Nachmittags nun ging er in die Vesper und verbarg sich in der Kirche in einem Beichtstuhl, wo er still sitzen blieb bis gegen Abend. Dann zog er seine Kleider aus, bestrich sich den Leib mit dem Sirup und wälzte sich in den Federn herum, sodass er aussah wie ein Engel, tat drei Züge an der Glocke und stellte sich schnell auf den Hochaltar. Als der Pastor die Glocke läuten hörte, schrak er zusammen, denn er wusste wohl, dass es noch nicht Morgen war. Weil er aber dachte, dass Diebe in der Kirche sein könnten, zog er sich schnell an und lief hin. Kaum hatte er die Türe aufgeschlossen, als Jan von dem Hochaltar herab rief: »O du frommer und tugendsamer Hirte dieser Pfarre. Lange genug hast du deines Amtes mit Sorgen und Mühen gepflegt. Gott sendet mich, dich in den Himmel zu führen. Zuvor aber will er dein Herz noch prüfen, ob es nicht am Irdischen hänge. Darum gebietet er dir durch mich, dass du all dein Geld hier auf den Hochaltar bringst, auf dass es nach deinem Hingang unter die Armen verteilt werde.«

Dem Pastor hüpfte das Herz im Leibe vor Freude über seine bevorstehende Himmelfahrt, doch gefiel es ihm nicht ganz, dass der Engel ihm sein Geld abfragte. Da er aber fürchtete, durch Zweifeln oder Zögern den Zorn Gottes auf sich zu laden, bat er den Engel nur zu warten, und lief nach Hause zurück, um das Geld zu holen. Jan, der sich für jeden Fall sicher stellen wollte, sprang schnell vom Altar herab und folgte ihm, sah genau zu, was er tat, und eilte wieder zurück auf den Altar. Gleich darauf kam der Pastor und stellte zwei Geldsäcke auf den Altar, sprach, da wären all seine Schätze.

Aber Jan wusste besser, wie es stand, und antwortete: »O du, dessen Herz noch so sehr am Irdischen hängt, wie magst du einen Engel Gottes belügen wollen. Hast du nicht noch einen Geldsack in deiner Kiste zurückgelassen?«

In seinem ganzen Leben hatte der Pastor keinen größeren Schreck bekommen, wie in diesem Augenblick. Rot bis hinter die Ohren lief er, auch den dritten Geldsack zu holen, denn er meinte, sonst gewiss und sicherlich für ewig verloren zu sein. Als er damit zum Altar kam, lobte Jan seine Treue und sprach: »Nun bereite dich zu deiner Himmelfahrt. Damit ich aber gemächlicher mit dir stiegen könne, krieche in diesen Sack. Ich lade dich dann auf die Schulter.«

Der Pastor folgte und Jan sprang vom Hochaltar, lief mit ihm die Turmtreppe hinauf, ließ sich am Glockenseil herunter und schritt mit großen Schritten zum Pfarrhaus.

»Hier wären wir an der Tür«, sprach er, »aber wo mag Sankt Peter sein? Warte einen Augenblick, ich gehe zu ihm, den Schlüssel zu holen. Hüte dich aber zu sprechen oder anderes Geräusch zu machen, denn das könnte dir übel bekommen. Das Fegefeuer ist gleich hierbei.«

Mit den Worten lief Jan weg, holte das Geld in der Kirche und trug es zu dem Bauer, der vor Verwunderung stumm und steif stand.

Als die Köchin des Pastors morgens früh die Tür öffnete und den Sack sah, stieß sie einmal mit dem Fuß daran, um zu fühlen, was darin wäre. Als sich aber nichts darin regte noch bewegte, schmiss sie ihn einmal herum.

Dadurch fiel der arme Pastor so arg auf den Kopf, dass er unmutig rief: »So lasst mich doch in Ruhe, ihr stoßt mir den Kopf entzwei. Ein Engel hat mich hierher gebracht und holt eben die Schlüssel bei Sankt Peter.«

Da lachte die Köchin laut auf, öffnete den Sack und ihr Herr kroch heraus. Man kann sich leicht denken, was der für Augen machte, als er sich statt an der Himmelstür an seiner Haustür fand.

Das zweite Diebesstückchen von Jan war viel schwerer, aber er verlor doch den Mut nicht. Er hatte gemerkt, dass der Bauer jeden Abend in die Schenke ging, sein Gläschen zu trinken, und um im Wiederkommen niemand im Schlaf zu stören, die Tür seiner Kammer nur einklinkte und nie fest schloss. Des folgenden Abends schlich er ein wenig vor der Zeit, wo der Bauer zurückzukehren pflegte, in die Schlafkammer und legte sich ruhig zu der Frau ins Bett.

Er lag aber noch keine fünf Minuten da, als er mit halber und heiserer Stimme sprach: »Frau, tu ein anderes Hemd an, ich habe gesehen, es ist gar schmutzig, das ist keine Reinlichkeit und dem Dienstvolk ein schlechtes Vorbild.«

Die Frau wollte noch Einreden machen, aber es half nichts. Als sie das frische Hemd nun anhatte, nahm Jan das andere still zu sich und brummte, er müsse noch einmal in den Hof gehen, ging aber, in sein Fäustchen lachend, in seine Kammer zurück. Spät abends erst kam der Bauer nach Hause.

Als er in die Kammer trat, schaute die Frau groß auf und fragte verwundert: »Warum hast du dich denn wieder ganz angezogen und wo bist du so lange geblieben?«

»Wieder angezogen?«, fragte der Bauer verwundert. »Ich habe mich diesen Abend noch nicht ausgezogen. Wie kannst du von wieder Anziehen sprechen?«

»Ei, du wirst mir doch nicht weismachen wollen, dass ich geträumt habe. Soeben bist du im Hemd herausgegangen und nun kommst du in deinen Kleidern wieder herein.«

Obwohl der Bauer nicht mehr nüchtern war, begriff er doch, dass da etwas anderes im Spiel sein müsse, fragte die Frau näher aus und erkannte, dass Jan sein zweites Stückchen auch fertiggebracht hatte. Er ging zu ihm und Jan gab ihm das Hemd der Frau.

Um so mehr versuchte der Bauer nun zu verhindern, dass Jan auch das dritte Stückchen gelänge. Er passte so gut auf, dass der letzte Tag vor den festgesetzten drei Wochen da war, ohne dass Jan zum Ziel gelangt wäre. Des Abends rief er gar die Knechte zu sich und befahl ihnen, nicht nur in dem Stall zu bleiben, sondern selbst auf den Pferden sitzend die Nacht zu durchwachen. Das gefiel Jan schlecht, doch verlor er den Mut nicht.

Gegen Abend begann es so schrecklich zu hageln und zu schneien, dass man keinen Hund vor die Tür hätte jagen sollen. Als es dunkelte, gingen die Knechte alle zusammen in den Stall, zündeten eine Laterne an und setzten sich auf die Pferde. Sie hatten noch nicht lange da gesessen, als es an die Tür klopfte. Anfangs schwiegen sie und gaben keine Antwort. Als das Klopfen aber kein Ende nahm, rief endlich einer von ihnen: »Wer ist da?«

»Ach, ein armer Einsiedel«, war die Antwort, »der rund geht, sich ein Almosen zu erbetteln. Die Nacht hat mich überfallen, nirgends sehe ich mehr Licht wie hier, und ich bin ganz steif vor Nässe und Kälte. Gebt mir doch ein Eckchen, wo ich die Nacht durchbringen kann.«

»Nichts da, nichts da«, riefen die Knechte, »es geht jemand darauf aus, diese Nacht hier die Pferde zu stehlen und am Ende seid ihr selbst der Spitzbube.«

»Ach Gott, ich ein Spitzbube«, antwortete der Einsiedel, »wie könnt ihr doch so hartherzig sein, mich bei meinem Leid noch zu beschimpfen. Öffnet mir nur und seht dann zu, ob ich ein Spitzbube sein kann. Ich will im Gegenteil euch wachen helfen und euch beistehen, so etwa ein Dieb in der Nähe sein sollte. Lasst mich doch nur ein.«

Da ließen die Knechte sich bewegen und gingen hin, zu öffnen; denn, dachten sie, ist der Einsiedel wirklich auch der Dieb, er kann doch nichts gegen uns alle ausrichten.«

So machten sie denn die Tür auf und ein stockalter Einsiedel trat ein, grüßte sie alle und kroch alsdann in ein Hüttchen, wo er sich mit ein wenig Stroh zudeckte. Den Knechten fiel die Zeit gewaltig lang auf den Pferden. Darum begannen sie bald ein Gespräch mit dem Einsiedel. Der erzählte ihnen von allerhand, sodass sie ihm endlich recht gut wurden. Als er nun aber eine Zeit lang erzählt hatte, da zog er ein Fläschchen aus der Tasche, setzte es an den Mund und tat einen tüchtigen Zug daraus. Das hatten die Knechte nicht sobald gesehen, als sie auch schon neugierig fragten, was das denn wäre, was er tränke.

»Ach, das ist nicht viel«, antwortete der Einsiedel, »ich stehe stets so viel Kälte aus auf meinen Wallfahrten, dass ich schon seit lang immer etwas mit mir trage, um mich zu erwärmen.« Das machte den Knechten den Mund wässern und sie baten ihn, doch ihnen etwas davon mitteilen zu wollen.

»Ich habe zwar nicht viel«, antwortete der Einsiedel, »aber ich teile doch gern mit euch, weil ihr mir so viel Freundschaft bewiesen habt.«

Mit den Worten reichte er ihnen sein Fläschchen und sie tranken jeder einen tüchtigen Zug daraus. Es dauerte kein Viertelstündchen mehr und die Augen fielen ihnen langsam zu. Nach einer halben Stunde schnarchten sie wie Bären.

»Nun bin ich weit genug«, sprach Jan, denn wer anderes konnte der Einsiedel fein, »und mein drittes Stückchen ist gespielt.« Damit nahm er den einen und setzte den rittlings auf die Vorderwand der Krippe. Dem anderen legte er einen Sattel auf eine Mistgabel und dem Dritten einen auf einen Rechen. Dann koppelte er die drei Pferde an einen Strick und ging mit ihnen zum Haus, wo der Bauer noch in der Küche saß. Als der Bauer den Einsiedel sah, erschrak er gewaltig.

Aber Jan half ihm bald daraus, indem er seinen Bart abriss, die Kapuze hintenüber warf und laut lachend rief: »Da, da stehen die Pferde vor der Haustür.«

»Und wo sind denn die Knechte?«, fragte der Bauer erstaunt.

Jan antwortete: »Geht nur in den Stall, da könnt Ihr sie auf wunderlichen Pferden sehen.«

Da ging der Bauer mit Jan in den Stall. Wie er da gelacht haben muss, das ist leicht zu denken.

»Heda, der Stall brennt!«, schrie der Bauer und alle drei Reiter fielen zugleich von Krippe, Mistgabel und Rechen herab, rafften sich aber bald zusammen und liefen mit all ihren Beinen weg, so schnell sie konnten; denn sie schämten sich in den Tod, dass sie sich so hatten anführen lassen.

Jan heiratete aber des Bauern Tochter, wurde ein reicher Mann und lebt vielleicht noch, wenn er nicht gestorben ist.