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Matthias Bauer – Reiche Ernte

Matthias Bauer
Phantastische Storys Band 8
Reiche Ernte
und andere makabre Geschichten

Horror-Collection, Taschenbuch, Blitz Verlag, Windeck, April 2018, 178 Seiten, 12, 95 Euro, keine ISBN, Titelbild: MtP Art, Mario Heyer
www.blitz-verlag.de

Synopsis

Ein Schriftsteller, der für das Schreiben seiner Thriller eine ganz besondere Atmosphäre braucht. Ein KZ-Kommandant, der an seinen Meister gerät. Ein Professor, der die Zeit verändern will – mit schrecklichen Folgen. Ein Ehepaar, das in einem verlassenen Bergwerk verschüttet wird und alles tun würde, um zu überleben. Nichts ist, wie es scheint, in dieser außergewöhnlichen Story-Collection des erfolgreichen Autors. Die sechzehn Erzählungen folgen den nachtschwarzen Fußspuren von Stephen King, Roald Dahl und Ray Bradbury, finden dabei aber mühelos ihren eigenen Weg. Jede der Geschichten nimmt den Leser an der Hand, lotst ihn über vermeintlich sicheren Boden und wiegt ihn in Sicherheit – um ihm dann nach einem letzten, unerwarteten Haken die Füße wegzureißen und allein in der Dunkelheit zurückzulassen.

Der Autor

Matthias Bauer wurde 1973 in Lienz geboren. Nach dem Studium der Geschichte/Volkskunde war er im Verlags- und Ausstellungsbereich tätig. Er lebt und arbeitet als selbständiger Autor in Tirol. Mit Bastian Zach schreibt er erfolgreich historische Romane. Die Trilogie Morbus Dei: Die Ankunft, Morbus Dei: Inferno und Morbus Dei: Im Zeichen des Aries ist ein Hit bei Kritikern und Publikum, wurde auf Englisch, Spanisch und Russisch übersetzt, als Hörbuch veröffentlicht und für eine internationale TV-Adaption optioniert. Zach/Bauers neues Buch Das Blut der Pikten – Feuersturm erschien im Frühjahr 2018. Ebenso schreiben Zach/Bauer Drehbücher, u.a. zum Horror-Film One Way Trip 3D und zum internationalen Wikinger-Film Northmen – A Viking Saga. Northmen wurde weltweit in über fünfzig Länder verkauft, bei seiner Veröffentlichung in den USA enterte der Film sofort die Top Ten.

Leseprobe

Apokalypse

 

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich hier schon sitze, auf den breiten Stufen des riesigen Gebäudes, gedankenverloren, die Augen geschlossen.

Ich spüre den warmen Sommerwind, der meinen Nacken streichelt, mein Haar zerzaust. Versonnen lasse ich meine Finger über die Treppenstufen gleiten, fühle den glatten Marmor, so kühl und unbeeindruckt von den heißen Sonnenstrahlen. Ich höre Straßenlärm, Gesprächsfetzen, aber alles ist gedämpft, verzerrt und unwirklich, wie ein Traum.

Ich schlage die Augen auf.

Es wird Zeit.

 

10

 

Jeder in der Stadt hatte schon von Professor Eisler und seinen Forschungen gehört.

Der Professor wohnte in einem Haus in der Albrechtstraße, in einem ruhigen Viertel, dessen Straßen von prächtigen Bäumen und großen, etwas heruntergekommenen Villen gesäumt waren. Eislers Haus fügte sich nahtlos zwischen die seiner Nachbarn ein, mit seinen riesigen Fenstern, seinem von Weinranken bedeckten Ziegelbau, den vielen Giebeln und dem schwarzen Schindeldach.

Und doch war da etwas Besonderes, etwas schwer Fassbares, das jeder spüren konnte, der die Hände auf den schmiedeeisernen Zaun legte, welcher das Grundstück umgab, und das Haus betrachtete. Fast schien es, als ob sich das Gebäude hinter den mächtigen Kastanienbäumen und den unzähligen Büschen verstecken wollte. Wenn der Lärm der Aufmärsche aus den übrigen Teilen der Stadt seine Ruhe störte, schien das Haus sich noch mehr zurückzuziehen, und einem zufälligen Beobachter, der sich auf seinem Abendspaziergang befand, mochte es dann erscheinen, als ob ihn durch die Bäume und das dichte Blattwerk hindurch ein resignierter Blick streifte.

Wenn der Lärm der Aufmärsche iiberhandnahm, schien sogar leiser Zorn in diesem Blick zu liegen.

Hans Eisler war groß und schlank, hatte dünnes weißes Haar und braune Augen, die in einem schmalen, von tiefen Furchen durchzogenen Gesicht mit dem Feuer der Wissenschaft brannten. Eisler war einer der bedeutendsten Physiker des Landes, der im Laufe seines Lebens eine schier unglaubliche Anzahl von wissenschaftlichen Erfolgen erzielt hatte. Er beschränkte sich dabei nicht nur auf das Gebiet der Physik, sondern nannte zusätzlich einen Doktortitel in Mathematik und Chemie sein eigen.

Obwohl viele von Eislers bahnbrechenden Forschungen im In- und Ausland strenges Militärgeheimnis geblieben waren, hatten seine „zivilen“ Entdeckungen dafür gesorgt, dass er regelmäßig im Fernsehen und auf den Titelblättern bedeutender Zeitschriften und Magazine zu sehen war. Auch ich hatte für unseren TV- Sender einmal ein Zitat von ihm verwendet, in dem er sich beunruhigt über die Aufmärsche der Bewegung äußerte.

Seine bescheidene, zuweilen spürbar ironische Haltung bei öffentlichen Ehrungen hatte viel zu Eislers Popularität beigetragen. Etwas in dieser Art sagte dem Publikum, dass der Professor sich seiner Bedeutung zwar bewusst war, den damit einhergehenden Ruhm aber nicht allzu ernst nahm. Man spürte instinktiv, dass im Grunde nur seine Arbeit für ihn zählte. Deshalb respektierten ihn die Menschen und sprachen anerkennend über ihn, auch jene, die nur wenig Ahnung von seinen Forschungen hatten.

Eisler hatte auch den Verlockungen der Politik mühelos widerstanden, war stets in höflicher Distanz zu den Lobeshymnen geblieben, welche die schnell wechselnden Regierungen über ihn ausgeschüttet hatten. Während einer TV-Diskussion hatte er als abschließende Bemerkung gesagt, dass er den medusenhaften Anforderungen der modernen Politik wohl nicht einen einzigen Tag gewachsen wäre. Der anwesende Politiker hatte das Gesicht verzogen, die anwesenden Zuschauer hatten laut geklatscht.

Erst im hohen Alter zog sich der Professor von seiner geliebten Universität zurück. Bei seinem Abschied enthüllte man ein Denkmal des Gelehrten und benannte das riesige, altehrwürdige Gebäude, das seit jeher die naturwissenschaftlichen Fakultäten beherbergt hatte, nach ihm. Diesmal war vonseiten Eislers keine Ironie zu spüren, nur tiefe Dankbarkeit. Dem alten Mann waren Tränen über die Wangen gelaufen, während er sich von seinen Kollegen verabschiedete und der kleinen Menschenmenge zuwinkte, die sich auf dem Vorplatz versammelt hatte.

Seitdem lebte er sehr zurückgezogen. Hie und da traf ihn ein Nachbar bei einem seiner seltenen Spaziergänge, wenn Eisler langsam und in Gedanken versunken durch die breiten Straßen ging. Der Professor war immer zuvorkommend und höflich, und doch spürte man die Besorgnis, die ihn umgab, vor allem seit die Bewegung ihre Aufmärsche gesteigert hatte.

Die für das Villenviertel zuständigen Streifenbeamten bemerkten auf ihren abendlichen Kontrollfahrten manchmal die Silhouette des alten Wissenschaftlers, die sich bewegungslos in einem der Fenster seines Hauses abzeichnete. Wenn die Polizisten ihm aus dem Auto kurz zuwinkten, hob auch der einsame Schatten die Hand, um sie gleich darauf rasch, wie ertappt, wieder sinken zu lassen.

 

9

 

Es war kein Zufall, dass sich unsere Wege eines Tages kreuzten. Alles läuft auf bestimmten Bahnen ab, die jeden zu seiner Bestimmung bringen.

Die kleine Buchhandlung lag im ältesten Viertel der Stadt. Es war ein Ort, der vor Atmosphäre schier überbordete, mit seinen verwinkelten, geheimnisvollen Gassen, den schiefen Fenstern und dem abgenutzten Kopfsteinpflaster. Ein Ort, der jeden, der ihn besuchte, zum Träumen einlud; man verlangsamte unwillkürlich seine Schritte, nahm die Stimmung in sich auf und ließ seine Sorgen und Ängste hinter sich, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Denn das Viertel war klein, und schnell, viel zu schnell, befand man sich wieder zwischen den schmucklosen Hochhäusern, die diesen magischen Platz zur Gänze einschlossen und verächtlich auf ihn heruntersahen.

Wann immer mein Beruf es zuließ – was nicht oft der Fall war, weil ich aufgrund der explosiven politischen Lage immer mehr Beiträge für den Sender drehte stöberte ich in der Buchhandlung, die sich in einem jahrhundertealten Laubengang verbarg. Der Besitzer hieß Herzfeld und war ein dicker, alter Mann mit wallendem weißen Haar und gutmütigen Augen. Er kannte mich mittlerweile und freute sich immer, wenn ich wieder einmal seinen Laden betrat.

Drinnen, inmitten der rau verputzten, schiefen Wände, die fast zur Gänze von dunkelbraunen Regalen verdeckt waren, war es angenehm kühl. Es roch nach Papier und Staub, nach Holz und Kerzenwachs. Die Bücher waren keine billigen Taschenbücher, sondern kunstvoll gebundene Schönheiten, und ich vergaß nicht selten die Zeit, wenn ich in ihnen blätterte, aber das war es mir wert.

Es geschah im August, einem der heißesten, seit es Aufzeichnungen gab. Ich saß in der Redaktion des Senders und langweilte mich. Sogar den treuesten Anhängern der Bewegung schien es zu heiß zu sein, und ihren Gegnern wohl ebenso, denn die Straßen waren ruhig.

Mit meinen Beiträgen hatte ich mir die Bewegung nicht gerade zu Freunden gemacht, was zahlreiche Drohanrufe und die eingeschlagenen Fensterscheiben meines Autos bewiesen. Aber das war mir egal, ich besorgte mir eine Geheimnummer und fuhr mit dem Fahrrad. Kontroversen brachten die Leute dazu, unseren Sender einzuschalten, das wiederum brachte dem Sender Geld, und mir auch. Wir hatten also alle etwas davon, dass ich der Bewegung immer wieder auf die Zehen – oder Stiefel – trat.

Die Redaktion war still, die meisten Mitarbeiter waren essen gegangen. Ich starrte auf den Ventilator, der auf meinem Schreibtisch stand, hörte das gleichmäßige, einschläfernde Surren.

Sollte ich heute früher Schluss machen? Ich konnte es mir leisten, vor allem nach den letzten Wochen, die ich fast ausschließlich im Sender oder auf den Straßen verbracht hatte, um die mittlerweile täglichen Aufmärsche und Gegenaufmärsche zu filmen. Alles war besser, als weiter herumzusitzen und Zeit zu Ich fuhr meinen Computer herunter, verließ die Redaktion. Beim Eingang nickte ich dem Polizisten zu, der das Gebäude bewachte, dann trat ich auf die Straße hinaus.

Die Hitze nahm mir den Atem. Alles war grell und staubig, die Hochhäuser flimmerten im stechenden Sonnenlicht. Kraftlos ging ich durch die wie ausgestorbenen wirkenden Straßen. Am westlichen Himmel türmten sich mächtige Gewitterwolken auf, versprachen wenigstens für später Regen und Abkühlung.

Ich bog in das alte Viertel ein und fühlte mich sofort besser. Auch hier, in den verwinkelten Gassen, waren kaum Menschen zu sehen. Es herrschte eine gespenstische Stille, nur meine Schritte hallten über das Kopfsteinpflaster und verursachten schattenhafte Bewegungen hinter staubigen Fenstern.

Als ich den Laubengang mit der Buchhandlung erreichte und die abgetretenen Stufen hinabstieg, ließ ich wie immer eine Welt hinter mir und betrat eine andere.

Was sie heute wohl für mich bereithalten würde?

 

8

 

Herzfeld begrüßte mich überschwänglich. „Guten Tag, Herr Wolf, kommen Sie herein, kommen Sie, hier drinnen ist es kühl, besser als da draußen, viel besser.“

„Danke, Herr Herzfeld. Es tut gut, eine Einladung zu hören, die ehrlich gemeint ist.“

Der alte Mann schüttelte betrübt den Kopf. ,Ja, es ist schlimm. Die Straßen sind nicht mehr sicher, und Sie, Sie machen sich auch keine Freunde. Man kann nur hoffen …”

Während er weiter plapperte, schweifte mein Blick durch den Raum, dessen kleine Fenster aus dickem, gerillten Glas nur wenig Tageslicht hereinließen. Der Laden war nicht breit, zog sich dafür aber tief in das alte Gebäude hinein, und wenn man hindurch ging, stieß man auf eine ehrwürdige alte Tür aus dunklem Holz, die auf einen ruhigen Innenhof hinausführte.

Jeder verfügbare Platz in Herzfelds Laden war mit Büchern angefüllt. Es gab sonst nur wenig Einrichtung, ein paar alte Vasen aus Ton standen herum, dazu ein mitgenommen aussehender Schreibtisch mit einer Registrierkasse, einige wenige Bilder mit Bleistiftzeichnungen von längst vergangenen Städten, und natürlich die große, hölzerne Truhe mit der verblichenen Decke. Hier konnte man Platz nehmen und in Ruhe lesen, solange man wollte.

Das Geplapper hatte aufgehört. Mein Blick kehrte zu Herzfeld zurück, er musterte mich besorgt.

„Sie sehen nicht gut aus, Herr Wolf.“

„Die Hitze, und die viele Arbeit. Ich habe kaum noch für irgendwas Zeit, aber

„Wissen Sie“, unterbrach er mich, „ich glaube, ich habe da was für Sie.“ Er drehte sich um und ging zu dem alten Schreibtisch, öffnete eine der Schubladen und nahm ein Buch heraus. Mit einem verschmitzten Lächeln drückte er mir das abgegriffene Bändchen in die Hand.

„Das hier wird Sie ablenken, da bin ich mir sicher.“

Ich blätterte das Buch auf, sah den Titel und stieß einen leisen Freudenschrei aus. „Meyerinks Golem! Und noch dazu die Erstausgabe von 1915! Herr Herzfeld, Sie sind – danke!“

„Schon gut, schon gut, setzen Sie sich und lesen Sie, ich mache uns inzwischen einen schönen, starken Kaffee.“

Ich setzte mich auf die Truhe und schlug das Buch auf. Sofort war ich in der düsteren Mär versunken, die vom Wesen aus Lehm erzählte, das zu schauerlichem Leben erweckt wurde, im verfallenen jüdischen Getto in Prag, das der Autor so vortrefflich zu schildern verstand.

Ich musterte die missfarbigen Häuser, die da vor meinen Augen wie verdrossene alte Tiere im Regen nebeneinanderhockten. Wie unheimlich und verkommen sie doch aussahen … ohne Überlegung hingebaut, standen die Häuser da, wie Unkraut, das aus dem Boden dringt… an eine niedrige, gelbe Steinmauer, den einzigen standhaltenden Überrest eines früheren Gebäudes, hat man sie angelehnt … dort ein halbes, schiefwinkliges Haus mit zurückspringender Stirn, ein andres daneben, vorstehend wie ein Eckzahn … unter dem trüben Himmel sahen sie aus, als lägen sie im Schlaf, und man spürte nichts von dem tückischen,

feindseligen Leben, das zuweilen von ihnen ausstrahlt, wenn der Nebel der Herbstabende in den Gassen liegt und ihr leises, kaum merkliches Mienenspiel verbergen hilft …

Plötzlich fühlte ich eine Hand an meiner Schulter. Ich zuckte zusammen, aber es war nur Herzfeld, der mir einen alten Keramikbecher mit einer pechschwarzen, kochenden Flüssigkeit überreichte. Ich bedankte mich mit einem Kopfnicken, nippte vorsichtig an der heißen Brühe, die wohl Kaffee sein sollte, und stellte den Becher dann behutsam auf die Seite, um weiterzulesen.

Mir war, als starrten die Häuser alle mit tückischen Gesichtern voll namenloser Bosheit auf mich herüber – die Tore, wie aufgerissene schwarze Mäuler, aus denen die Zungen ausgefault waren, Rachen, die jeden Augenblick einen gellenden Schrei ausstoßen konnten, so gellend und hasserfüllt, dass es uns bis ins Innerste erschrecken müsste …

In dem Menschenalter, das ich nun hier wohne, hat sich der Eindruck in mir festgesetzt, den ich nicht loswerden kann, als ob es gewisse Stunden des Nachts und im frühesten Morgengrauen für die Häuser gäbe, wo sie erregt eine lautlose, geheimnisvolle Beratung pflegen, und manchmal fährt da ein schwaches Beben durch ihre Mauern, das sich nicht erklären lässt, Geräusche laufen über ihre Dächer und fallen in den Regenrinnen nieder, und wir nehmen sie mit stumpfen Sinnen achtlos hin, ohne nach ihrer Ursache zu forschen …

Die Tür ging auf und schloss sich wieder. Leises Stimmengemurmel war zu hören, doch ich achtete nicht darauf, war völlig in das Buch versunken.

Oft träumte mir, ich hätte diese Häuser belauscht in ihrem spukhaften Treiben und mit angstvollem Staunen erfahren, dass sie die heimlichen, eigentlichen Herren der Casse seien … dann wacht in mir heimlich die Sage von dem gespenstischen Golem, jenem künstlichen Menschen, wieder auf, den einst hier im Getto ein kabbalakundiger Rabbiner aus dem Elemente formte und ihn zu einem gedankenlosen automatischen Dasein berief, indem er ihm ein magisches Zahlenwort hinter die Zähne schob …

„Gefällt Ihnen das Buch?“

Die Stimme klang sympathisch, aber ich war ärgerlich wegen der Störung und blickte unwillig auf.

Sah ein Paar kluge Augen und einen weißen Haarschopf, und erkannte natürlich sofort, wer sich da interessiert über mich beugte.

„Professor Eisler!“ Ich wollte aufstehen. „Es ist mir eine Ehre!“

„Bleiben Sie nur sitzen, Herr Wolf.“ Als er mein Erstaunen bemerkte, deutete er zu dem alten Buchhändler, der sich diskret in die gegenüberliegende Ecke des Raumes zurückgezogen hatte und vergeblich versuchte, Ordnung in einen fast mannshohen Stapel Bücher zu bringen. „Ich kenne Max schon lange, er hat mir ein wenig von Ihnen erzählt. Außerdem sind mir natürlich Ihre, hm, erfrischend ehrlichen Beiträge im Fernsehen bekannt.“

„Kommen Sie oft hierher, Herr Professor?“

„Seit meinem Ruhestand schon.“ Er blickte auf das Buch, das ich immer noch in den Händen hielt. „Der Golem sagt Ihnen zu?“ „Sehr!“

„Erstaunlich … es ist auch eines meiner Lieblingsbücher.“

Ich klappte das Buch zu, legte es auf die Truhe. „Die Beschreibungen des alten Prag sind sehr eindrucksvoll.“

Eisler nickte. „Meine Großeltern lebten dort, sie haben es noch so erlebt. Irgendwer hat einmal gesagt, dass Prag die Stadt ist, in der Wirklichkeit und Traum verschmelzen und Träume voll von Schrecken sind…”

Ich sagte nichts.

Er sah mich prüfend an. „Schön, nicht?“

„Schön morbide. Aber nicht mehr ganz zeitgemäß, Herr Professor. So wie der Golem selbst, auch wenn der Mythos wunderbar ist.“

„Wer weiß.“ Eisler lächelte und wischte Bücherstaub von seinem dunkelblauen Anzug. „Sagen Sie, der Journalismus erlaubt Ihnen wohl eine relativ freie Zeiteinteilung? Ich meine, wo Sie jetzt, also untertags, hier sind?“

„Ganz so ist es nicht …” Ich druckste herum und ärgerte mich insgeheim darüber, dass ich mich wie ein ertappter Schulschwänzer benahm. „Diese Woche, und besonders heute, ist nicht viel geschehen, und deshalb „Ich bitte Sie!“ Der alte Mann sah mich fast bestürzt an. „Sie haben mich völlig missverstanden, ich wollte auf keinen Fall andeuten … Es ist nur so, dass ich gerne mit Ihnen gesprochen hätte, gewissermaßen einen Rat brauche.“ Er zögerte kurz. „Eigentlich ist es fast eine Fügung Gottes, dass wir uns hier getroffen haben. Flätten Sie vielleicht Zeit, mit mir eine Tasse Tee zu trinken, in meinem Haus? Es wäre mir wirklich sehr lieb.“

Ich blickte den Professor an, neugierig und ein wenig geschmeichelt. Im Hintergrund öffnete Herzfeld eines der kleinen Fenster. Fernes Donnergrollen durchbrach die Stille im Raum. „Sehr gerne, Herr Professor, ich habe Zeit …“

Veröffentlichung der Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des Verlages