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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Spion – Kapitel 3

Balduin Möllhausen
Der Spion
Roman aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, Suttgart 1893

Kapitel 3

Der Zugüberfall

Der Bahnhof der Ansiedlung bestand aus einer kurzen Strecke doppelter Gleise, auf welchen zwei Züge einander auszuweichen vermochten. Dazu gehörte eine Bretterbude zum Abfertigen der Reisenden nebst entsprechender Schankgelegenheit, ferner ein offener Schuppen zur Aufnahme der eintreffenden und abgehenden Güter. Die Bahn selbst lief in der Nachbarschaft und Hauptrichtung eines Baches, welcher, in der Tiefe von etwa dreißig Fuß, mit der gelegentlichen Wasserfälle nicht nur sein Bett, sondern auch über dessen Ufer hinaus sein Tal erweitert hatte.

Stellenweise licht bewaldet oder mit Strauchwerk überwuchert, erschien die Sohle der Schlucht wie eigens dazu geschaffen, einer Truppenabteilung das heimliche Heranschleichen an die Ansiedlung zu ermöglichen. Begünstigt wurde ein solches Unternehmen dadurch, dass Bach wie Talgrund unablässig Windungen beschrieben, infolge dessen die gegen eine derartige Truppe entsendeten Späher ihrer nicht früher ansichtig wurden, als bis sie beinahe neben ihr eingetroffen waren.

Die erste Nachricht von der Nähe der Bande, die von einem Hirten vollen Laufs überbracht wurde, verursachte, dass der bereitstehende Zug seinen Aufbruch beschleunigte. Nur vereinzelte Fahrgäste befanden sich in der aus vier Güterwagen bestehenden Reihe. Der Lokomotivführer, verwirrt durch die von allen Seiten sich kreuzenden Warnungen und Ratschläge, trachtete zunächst, aus der gefährlichen Nachbarschaft zu entkommen, und nutzte die Dampfkraft in einer Weise aus, dass schon nach den ersten hundert Ellen die Wagen mit rasender Schnelligkeit einherzurollen begannen. Von Besorgnis erfüllt, achtete er weniger auf die Bahn selbst, als auf die zu beiden Seiten sich ausdehnenden Gefilde und Talsenken. Es entging ihm daher, dass von der nahen Schlucht aus mehrere schwere Steine so auf die Schienen gelegt worden waren, dass sie vor den Schwellen einen festen Halt fanden. Seine Besonnenheit ging aber gänzlich verloren, als noch vor jenem Hindernis plötzlich sechs oder sieben Männer aus der Tiefe auftauchten und mit angelegten Musketen ihm ein gebieterisches Halt zubrüllten. Zu Tode erschrocken wähnte er, jetzt nur noch in schleuniger Flucht sein Heil zu finden, und bis zum Bersten der Rohre presste er den Dampf in dieselben ein.

»Halt! In des Satans Namen, halt!«, hieß es nach der mit Windeseile einherdonnernden Wagenreihe hinüber, und Schuss auf Schuss krachte von dem Uferrand her, wo immer neue zerfetzte, zottige Gestalten hervorbrachen.

»Halt! Halt an!«, gellte es hinter dem enteilenden Zug, und der Maschinist mochte sich schon als gerettet betrachten, als plötzlich wildes Hohnlachen sich mit dem Sausen der ihm nachgesendeten Kugeln vereinte. Dann noch einige Sekunden, und es erfolgte ein furchtbarer, von Zersplittern und Krachen begleiteter Stoß, der ihn samt dem Heizer, und zwar zu ihrem Heil, im weiten Bogen kopfüber von ihrer Plattform hinunterwarf. Die Lokomotive hatte sich hoch aufgebäumt. Vorn durch die Hindernisse aus den Gleisen geschleudert, von den mit unwiderstehlicher Gewalt nachdrängenden Wagen dagegen umgeworfen, wühlten die unteren drehenden Räder sich mit letzter Kraft in das Erdreich ein. Wo eben noch der Zug mit stolzer Eile seinen Weg verfolgte, da erblickte man jetzt einen Trümmerhaufen, aus welchem Stöhnen, Klagen und Schreien grauenhaft hervortönten. Grauenhafter aber noch im Gegensatz zu den Ausbrüchen des Entsetzens und körperlicher Qualen erschallte das Hohnlachen, Jauchzen, Fluchen und Brüllen der vertierten Unholde, die nunmehr haufenweise auf dem Schluchtufer erschienen und sich, heißhungrigen Bestien ähnlich, auf die Szene einer grässlichen Verwirrung stürzten.

Das Öffnen der verschlossenen Wagen verursachte ihnen keine Mühe mehr. Sie brauchten nur die Bretter der eingedrückten Wände fortzuräumen, um zu ihrer Beute zu gelangen. Sogar Kisten waren aufgesprungen, wie um ihren Inhalt den gierigen Blicken zur Prüfung darzubieten. Sobald man aber unter den gefüllten Tonnen eine entdeckte, die bei dem schweren Aufprall ein Leck davongetragen hatte, welchem streng duftender klarer Whiskey entrieselte, da folgte ein Gellen, Kreischen und ohrenbetäubendes Frohlocken, als ob die Hölle sich geöffnet habe, um ihre verworfensten Elemente zum Schrecken der Menschheit auszuspeien. Unbekümmert um die fünf oder sechs Reisenden, die trotz der erlittenen Beschädigungen unter den Trümmern hervorkrochen und zu der Ansiedlung zu entkommen versuchten, bildete sich binnen kürzester Frist um das triefende Fass ein Gewühl von Männern, die in ihrer Gier nach dem berauschenden Getränk die letzte Spur einer gewissen, auf Gleichartigkeit der verrotteten Gesinnungen begründeten Kameradschaftlichkeit verloren hatten.

In dem wütenden Trachten, die Feldflaschen zu füllen, verwandelte das Drängen sich in Stoßen und Schlagen, bis endlich Schüsse dazwischen knallten und Messer drohend geschwungen wurden. Immer neue Gestalten in abgetragenen Uniformstücken, auf den verwitterten staubigen Physiognomien den Stempel aller nur denkbaren Laster, brachen sich in dem Gedränge gewaltsam Bahn, die Verwirrung und den Höllenlärm auf den Gipfel treibend, bevor man darauf verfiel, anderen Fässern den Boden einzuschlagen und in der Beteiligung an dem Raub eine gewisse Ordnung herzustellen.

Reihenweise entstiegen immer mehr dieser Unholde der Schlucht, um sofort an die Stelle derjenigen zu treten, die mit vollen Feldflaschen oder anderen Gefäßen sich dem hässlichen Knäuel entwanden, um in Gruppen ringsum lagernd sich der leicht gewonnenen Beute zu erfreuen. Widerwärtig ertönten aus dem Gewühl um die Tonnen die Ausbrüche wilden Haders; widerwärtiger noch das triumphierende Lachen und durch lästerliche Flüche bekräftigtes Lobpreisen des Getränkes der bereits Befriedigten. Und so bot die aus Hunderten von Köpfen bestehende Bande das grausige Bild eines Chaos, in welchem alle erdenklichen verbrecherischen Leidenschaften gärten und durcheinander wogten, um jedem verderblich zu werden, der sich in ihre Nähe wagte.

Sogar Quinch, der Befehlshaber der entmenschten Schar, besaß keine Gewalt mehr über sie. Nahe dem Schluchtrand hielt er auf einem unansehnlichen Pferd, neben sich seinen vierschrötigen Adjutanten. Dieser mit seinem Sträflingsgesicht schien eben dem Zuchthaus entsprungen zu sein. Wie sein Kommandeur unterschied auch er sich durch eine weniger zerfetzte Uniform und vollständigere Bewaffnung von den übrigen Mitgliedern der Bande. Beide waren darüber einig, dass die Leute zurzeit nicht in der Stimmung seien, irgendwelchen Zwang über sich ergehen zu lassen, sondern dass erst eine Art Übersättigung eintreten musste, bevor man es unternehmen durfte, die wilde Meute auf die Ansiedlung loszulassen.

Das Knäuel begann sich endlich ein wenig zu entwirren, und was nicht lag, das stand in lärmenden Gruppen beieinander, als der junge Vaquero sich von dem Städtchen her näherte.

Quinch, ein etwa 54-jähriger Mann von gedrungener Gestalt, mit dichtem, schwarzen, mit grau gemischten Vollbart und einem vom Laster gebrandmarkten, sonst aber wohlgebildeten Gesicht, war vom Pferd gestiegen. Im breiten Gurt zwei Revolver und ein Bowiemesser, an der Seite einen schweren Dragonersäbel, überwachte er gemeinschaftlich mit dem Adjutanten eine Anzahl Männer, welche in der Tiefe eine Herde mit Beute und Lagergerät beladener Pferde und Maultiere der Ansiedlung zutrieben, wo sie einen bequemeren Weg nach oben zu finden erwarteten.

Auf den herbeireitenden Vaquero achtete niemand. Wer ihn aber sah, kümmerte sich nicht um ihn. Jeder hatte genug mit sich selbst zu tun. Ohne die Bewegungen seines Pferdes zu mäßigen oder zu beschleunigen, hielt er sich in der Entfernung von höchstens zwanzig Schritten von der verrohten Gesellschaft. Anscheinend gleichmütig schweiften seine Blicke über das hässliche Gewirr hin. Trotzdem suchten seine Augen zwischen den abschreckenden Gestalten mit einer Spannung, als hätte es sich um Leben und Sterben gehandelt. Allmählich gelangte er in gleiche Höhe mit dem Kommandeur. Zweimal hatte er über das ihn von demselben trennende Gewühl hinweg gespäht, ohne ihn zu bemerken. Als seine Blicke ihn aber zum dritten Mal streiften, wendete Quinch das mit einem grauen Filzhut bedeckte Haupt eben zur Seite, infolgedessen er dem Vaquero sein Profil zukehrte. Nur eine flüchtige Aussicht auf dasselbe erhaschte dieser. Trotzdem war die Wirkung eine derartige, dass er krampfhaft in die Zügel griff, jedoch das Pferd, welches auf den unwillkürlichen Druck stehen blieb, bald wieder in seinen gewohnten Gang versetzte. Dann sah er, um sein Antlitz nicht fremder Aufmerksamkeit preiszugeben, zu der anderen Seite hinüber. Dasselbe war totenbleich geworden. Zugleich aber beherrschte ein unheimlicher Ausdruck zügellosen Hasses die bräunlichen knabenhaften Züge. Seine Augen erglühten seltsam, während die Lippen, wie um einen Aufschrei zurückzudrängen, sich fester aufeinanderlegten. Und weiter ritt er, sorgfältig Bedacht darauf nehmend, dass sein Gesicht dem Kommandeur, der fortgesetzt die alte Stellung behauptete, verborgen blieb. Doch auch ihm schenkte kaum noch jemand Aufmerksamkeit. Die Tracht eines mexikanischen Vaqueros mochte ihn gegen Belästigungen schützen. Man hielt ihn eben für einen unbedeutenden Gesellen, von dem nichts zu holen und der froh war, ungestört seines Weges reiten zu dürfen.

»Hallo, Jungens!«, drang des Bandenführers Stimme zu ihm herüber, als er sich den letzten der Schlucht entsteigenden Nachzüglern beinahe gegenüber befand, »nehmt noch ‘nen ordentlichen Schluck und seid verdammt! Dann aber vorwärts in die Stadt in des Teufels Namen, oder ihr erlebt es, dass der letzte Dollar und der letzte Schinken ihren Weg ‘ne gute Manneslänge tief in die Erde hineingefunden haben und ihr leere Taschen und Vorratskammern findet!«

Rohe Flüche und Verwünschungen dienten als Antwort. Dutzendweise wurden verschiedene Meinungen durcheinandergeworfen, ohne dass jemand Miene gemacht hätte, der Aufforderung Folge zu leisten.

Der junge Vaquero hatte sich beim ersten Ton der Stimme des Kommandeurs wieder abgewendet. Sein Gesicht verzerrte sich förmlich. Man hätte ihn mit einem verkappten Rachegeist vergleichen mögen, der zur Erde entsendet worden war, um mit aller ihm zu Gebot stehenden Macht die unter das Menschengeschlecht zerstreuten verworfenen Elemente durch Gift und Stahl zu vertilgen. Das war kein halb reifer Jüngling mehr, der aus dem hageren, tückisch schauenden Steppenpferd saß, sondern ein Mann, dem in Verfolgung eines bestimmten Ziels das eigene Leben wie das anderer nicht höher galt, als der unter den Hufen seines Tieres knirschende Sand.

»Hallo, Bursche!«, tönte es dem Vaquero jetzt von vier Männern entgegen, die, um ihm den Weg zu verlegen, sich von den Gefährten getrennt hatten und ihn erwarteten. »Was in der Hölle Namen sucht hier ‘ne Brut, der erst der Bart um das verdammte Kinn wachsen soll?«

Der Vaquero beachtete die Zurufe nicht. Anstatt eine andere Richtung einzuschlagen oder seinem Pferd die Sporen einzusetzen, was ihm unfehlbar einige nachgesendete Kugeln eingebracht hätte, ritt er seines Weges unbeirrt weiter. Gleich darauf hielt er vor den halb trunkenen Räubergestalten, die ihn mit einem Ausdruck betrachteten, wie etwa der gesättigte Wolf ein Präriehündchen, dem er spielend einige Schritte freien Raum gibt, um es bald wieder mit den Zähnen zu packen. Ruhigen Blickes prüfte er jeden Einzelnen von der formlosen unsauberen Kopfbedeckung bis zu den ausgetretenen zerrissenen Schuhen oder Stiefeln hinunter. Seine Unerschrockenheit schien die rohen Mordgesellen zu befremden.

Es verstrichen wenigstens einige Sekunden, bevor ein stierhäuptiger flachshaariger Kerl die Faust auf den Zügel des Pferdes legte und mit Branntwein heiserer Stimme anhob: »Höre, mein Bürschchen, ich will mich heute noch an ‘nem festen hanfenen Strick drehen, wenn ich dich freigebe, bevor du mir über dein Woher und Wohin Auskunft erteiltest.«

»Das Fragen steht Euch ebenso frei, wie mir das Antworten«, erwiderte der Vaquero kaltblütig, und seine beweglichen Blicke schossen von einem zum anderen, jedes Einzelnen Angriffsfähigkeit abschätzend. »Um mich in Frieden von Euch zu trennen, räume ich ein, dass ich vom Süden herauf wanderte. Da kampiert nämlich ein Handelstrain, zu dem ich gehöre, und ich ritt voraus, um auszukundschaften, ob es in dieser Gegend Geschäfte zu machen gebe. Ich befinde mich jetzt auf dem Rückweg.«

»Dumm genug, dass du deinen Train nicht gleich mitbrachtest«, hieß es unter erneuertem Gelächter, »hättest unter uns verdammt feine Abnehmer für deine Waren gefunden. Aber du gefällst mir, Schlingel, mit deiner Unverschämtheit«, fuhr der Flachshaarige fort, »und da möchte ich dir raten, als Rekrut bei uns einzutreten. Ich bin nämlich Werbekorporal – und solch unverzagtes junges Blut können wir gerade gebrauchen. Auch bei uns werden Geschäfte abgeschlossen, wenn dir viel daran liegt, verhenkert feine Geschäfte, bei welchen man ohne große Auslagen einen ordentlichen Profit in die Tasche schiebt. Da könntest du bald ein ganzer Mann sein.«

Gellendes Lachen lohnte abermals seine Beredsamkeit.

»Weshalb sollte ich nicht?«, fragte der Vaquero gelassen zurück, »ich vermute, der Plan scheitert an dem Umstand, dass ihr eine Richtung verfolgt, die gerade entgegengesetzt von der meinen ist.«

»Bei allen sieben Todsünden, Bursche«, polterte der Korporal grimmig, »für Unsereins ist jede Richtung gut genug, um so mehr für ein Bündel Lederflicken von deiner Größe, oder ich will den letzten Tropfen Whiskey über die trockene Zunge gegossen haben.«

»Ich denke anders«, hob der Vaquero an, besann sich und fuhr fort: »Euer Vorschlag wäre freilich zu überlegen, wenn ihr mir nur anvertrauen wolltet, wohin euer Weg führt. Das muss ich wenigstens wissen, bevor ich mich entscheide. Doch zunächst die Frage: Wie heißt euer Captain?«

»General Quinch«, lautete die bereitwillig erteilte Auskunft, »ein Kerl, der den Teufel in der Hölle nicht fürchtet, und besäße er statt des einen Pferdehufes dreimal so viele, wie deine Mähre zählt. Verdammt, mein süßes Jüngelchen, unter dem zu dienen, ist eine Ehre, aber auch ‘ne Lust. Man braucht ihm nur zu folgen, und die Dollars regnen einem in die Tasche. So viel für deine Neugierde; und jetzt die Gegenfrage, und ‘ne richtige Antwort gib von dir, wenn deine gesunde Windpfeife dir noch ‘ne Kleinigkeit mehr wert ist, als ein Strohhalm. Mit wem hältst du es in diesem lustigen Krieg?«

»Mit wem anders, als mit Leuten, von denen ich nie einen Harm erfuhr? Ich meine die des Südens; stamme ich selber doch aus dem Süden.«

»Gut, Schlingel«, nahm der Korporal das Verhör unter den geräuschvollen Beifallsbezeugungen der Gefährten bald wieder auf, »wenn die Sachen so stehen, scheue ich nicht, dir über unsere Marschrichtung gebührend Auskunft zu erteilen. Zunächst quartieren wir uns drüben in der Ansiedlung ein, wo auch du samt deinem Gaul einen guten Platz findest. Dort legen wir uns auf so lange fest, wie die elende Brutstätte noch ‘nen Tropfen Whiskey von sich gibt. Danach geht es an den Kansas und an demselben stromaufwärts, und zwar so weit, wie sich da Unionistennester mit goldenen Eiern drinnen ausnehmen lassen.«

In den klugen Augen des Vaqueros leuchtete es verstohlen auf. Er begriff, dass der Korporal in seinem Branntweintaumel mehr verraten hatte, als es im nüchternen Zustand geschehen wäre.

»Das ist ein zu großer Umweg für mich«, erklärte er unbefangen, »doch ich will einen Vorschlag machen. Vier Tage brauche ich, um zu meinen Leuten zurückzukehren. Mit denen will ich zuvor reden und meinen rückständigen Lohn einziehen. Komme ich in Güte mit ihnen auseinander, so bin ich nach abermals vier Tagen wieder hier, oder ich folge euren Spuren nach.«

»Du bist der verdammteste Gauner, der je ‘nen ehrlichen Mann an der Nase herumzerrte«, versetzte der Korporal nunmehr erbittert, und wie eine böse Drohung lugte es aus seinen heftig geröteten Augen. »Entweder du bleibst jetzt gutwillig bei uns oder ich peitsche dir das Fell in Streifen von deinem Galgenrücken herunter.«

»Was hätte mich gehindert, euch aus dem Weg zu reiten?«, fragte der Vaquero furchtlos mit beinahe kindlichem Ausdruck. »Ich meinte hier mit Gentlemen zusammenzutreffen. Wollte ich die aber in der Nähe betrachten, ist‘s sicher kein Unglück.«

»‘Ne feine Ausrede«, erklärte der Korporal boshaft grinsend, »sie rettet dich wenigstens vor ‘ner Tracht Schläge.«

»So gebt mir mein Pferd frei«, unterbrach der Vaquero ihn ruhig, »ich habe nicht Lust, hier solange zu halten, bis das ganze Regiment sich um mich versammelt und mich angafft, als wäre ich ein Walfisch.«

»Dein Pferd freigeben?«, schnaubte der Korporal, und er brach in gellendes Lachen aus. »Mein Pferd wolltest du sagen, du Ausgeburt des Fegefeuers. Mein eigenes Pferd, das hinfort meine ehrenwerte Person tragen wird. Und so befehle ich dir an: Steige ab von der Mähre und scher‘ dich zum Teufel! Du hast deine jungen Beine, die meinen sind mindestens doppelt so alt – und die tragen dich ebenso flink dahin, wohin dein Sinn steht. Nebenbei magst du mir‘s danken, so billig davongekommen zu sein mit deiner Großmäuligkeit!«

»Das ist ‘n Gedanke, Korporal!«

»Gebt dem Schlingel die Hölle!«

»Setzt ihn auf den Sand und zeigt ihm die Mündung der Muskete, und Ihr werdet erstaunen, wie er mit seinen jungen Beinen ausgreift!«, brüllten und höhnten die anderen im wilden Durcheinander.

Der Vaquero, seine volle Kaltblütigkeit bewahrend, warf einen forschenden Blick um sich. Er sah, dass von den auf dem Schluchtufer Versammelten sich einzelne Männer trennten, und sein Entschluss war gefasst.

Mit unmerklicher Bewegung schob er die rechte Hand unter die Klappe des Revolverfutterals, während er mit der linken Faust die Zügel fester packte. Dann neigte er sich, anscheinend, um abzusteigen und sich in das Unabänderliche zu ergeben, dem Korporal zu, seine glühenden Blicke mit eigentümlicher Schärfe in dessen Blut unterlaufenen Augen senkend.

»Gebt mein Pferd frei, Mann«, sprach er mit seltsam tiefer zitternder Stimme.

»Hurra für den bissigen Jungen!«

»Der hat die Haare auf den Zähnen, anstatt ums Kinn!«

»Gib‘s ihm, kleine Kröte!«, höhnten die ahnungslosen Genossen, während es in dem aufgedunsenen Gesicht des über den Spott erbitterten Korporals Unheil verkündend aufflackerte.

»Was ist los?«, riefen die anderen aus dem Hintergrund, »hängt die freche Brut an ihrer langen Mähne auf!«

»Gönnt dem verdammten Schlingel den Gaul nicht!«

»Herunter mit ihm vom Sattel!«

»Frei geben?«, röchelte der Korporal in unbezähmbarer Wut, und einem angeschossenen Eber ähnlich schäumend, spähte er nach einem Halt, wo er den Vaquero am sichersten würde packen können. »Frei geben, du giftiges Gewürm? Eher will ich verdammt sein.«

»So sei verdammt!«, ertönte des Vaqueros helle Stimme. Bevor jemand die dem schlanken Burschen nimmermehr zugetraute Absicht erriet, hatte er den Revolver hervorgerissen, dessen Mündung beinahe auf die Stirn des Korporals gesetzt und abgedrückt. Erst der Knall und das Zusammenbrechen des Erschossenen belehrten die Umstehenden über den Ernst der Lage. Erstaunen über die Verwegenheit des jugendlichen Reiters fesselte die Zungen aller. Es war, als hätte das Bestreben, das sich blitzschnell vollziehende Ereignis mit den Blicken zu erfassen, den übrigen Sinnen die Tätigkeit geraubt gehabt.

Der Korporal aber hatte mit dem Oberkörper den Erdboden noch nicht berührt, als das heftig gespornte Pferd sich wild aufbäumte, dadurch den Zaumriemen der erschlaffenden Faust des Erschossenen entreißend, mit einem mächtigen Satz nach vorn schoss und wie ein die Luft durchschneidender Falke davonstürmte.

»Schießt ihn vom Sattel!«

»Gebt ihm die Hölle!«

»Zielt auf den Gaul!«, hieß es hier und dort, wo man die Waffen nachlässig zur Seite gelegt hatte. Diejenigen aber, die ihre Musketen mit sich führten, bedurften bei ihrer durch den Branntweingenuss erzeugten Ungewandtheit der Zeit, sich schussfertig zu machen. Als sie endlich dem von seinem Pferd mit Windeseile davongetragenen Reiter ihre Kugeln nachschickten, da befand dieser sich außerhalb des Bereiches einer auch nur annähernd sicheren Zielweite. Um sich dagegen im Wettlauf mit dem erprobten Renner zu messen, besaß man keine geeigneten Pferde. Und wer hätte sich überhaupt der Mühe des Nachsetzens unterziehen mögen? Gewissermaßen als einen derben Scherz betrachtete man das ganze Ereignis. Keinen gab es, der sich um den Erschossenen viel kümmerte; höchstens dass man seine Taschen umkehrte und die noch brauchbaren Stiefel gegen schlechtere vertauschte. Dann sah man kaum noch auf ihn hin. Ob ein Verbrecher mehr oder weniger in den Reihen der Bande: Wer fiel, der fiel. Mochten Wölfe und Aasgeier seine Knochen aus dem Fleisch schälen. Ihn traf nichts Ärgeres, als vielleicht jedem anderen bevorstand.

Als der Kommandeur sich nach der Ursache des Lärms erkundigte, hieß es, der Korporal sei von einem Knaben erschossen worden. Dazu zuckte er die Achseln, indem er gleichmütig bemerkte: »Konnte er sich nicht gegen ein Kind verteidigen, so war‘s am ratsamsten für ihn, schleunigst zur Hölle zu fahren und dort Quartier für euch alle zu machen, wenn ihr euch nicht bald entschließt, anstatt hier herumzuliegen, drüben in der Ansiedlung vor gedeckten Tischen Platz zu nehmen.«

Das war seine Art, mit den verworfenen Abenteurern und Verbrechern zu verkehren, aus welchen seine Truppe zusammengesetzt war. Selbst ein aus der menschlichen Gesellschaft Ausgestoßener kannte er deren Neigungen, und er war der Mann dazu, sie auszunutzen.

In Begleitung seines Adjutanten John Kay, der aufgrund seiner Grausamkeit zu dieser Stellung berufen worden war, ritt Quinch zu der Ansiedlung hinüber. In langer, ungeordneter Reihe folgten seine Bluthunde. Auf dem Bahnhof wurde haltgemacht. Man entledigte die Packtiere ihrer Lasten, worauf sie zum Grasen wieder an den Bach hinuntergetrieben wurden; dann erst erfolgte der Einmarsch in das Städtchen. Es geschah unter Singen, Johlen, Brüllen und Verwünschungen, welche den abtrünnigen Unionisten galten, ein Lärm, der die Einwohner bis ins Mark hinein erbeben machte.