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Die Skalpjäger – Die Waffenstillstandsflagge

Thomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Dritter Teil
Vierzehntes Kapitel

Sie hätten sich die Mühe ersparen können. Wir hatten den Schmerz bereits gefühlt; aber es erfolgte jetzt eine Szene, welche uns neue Leiden bereitete.

Bis zu diesem Augenblick waren wir von den uns nahestehenden Teuren nicht erkannt worden. Die Entfernung war für das unbewaffnete Auge zu groß gewesen und unsere gebräunten Gesichter und reisebefleckten Kleidungsstücke waren an sich schon Masken.

Aber die Instinkte der Liebe sind schnell tätig und scharf und die Augen meiner Verlobten ruhten auf mir. Ich sah sie vorwärtsspringen, ich hörte einen schmerzlichen Ruf, zwei schneeweiße Arme wurden ausgestreckt und sie sank ohnmächtig auf die Klippe nieder.

In demselben Augenblick hatte Madame Seguin den Anführer erkannt und rief ihn bei seinem Namen. Seguin schrie ihr eine Antwort zu und forderte sie in flehendem Ton auf, geduldig und ruhig zu bleiben.

Mehrere von den anderen Frauenzimmern, die alle jung und hübsch waren, hatten ihre Geliebten und Brüder erkannt. Es erfolgte eine ergreifende Szene.

Aber mein Auge war auf sie geheftet. Ich sah, dass sie aus ihrer Ohnmacht wieder zu sich kam. Ich sah den Wilden in der Husarenuniform absteigen, sie auf seine Arme erheben und auf die Prärie zurückbringen.

Ich folgte ihnen mit ohnmächtigen Blicken. Ich sah, dass er ihr freundliche Aufmerksamkeiten bewies, und dankte ihm beinahe dafür, obwohl ich wusste, dass es nur die selbstsüchtige Galanterie des Liebhabers war.

Nach Kurzem erhob sie sich wieder und stürzte zu der Barranca zurück. Ich hörte über den uns trennenden Zwischenraum meine Namen erschallen. Der ihre wurde zurückgerufen; aber in demselben Augenblick umringten die Wächter sowohl Mutter als auch Tochter und führten sie auf die Prärie zurück.

Unterdessen war die weiße Flagge befestigt worden und Seguin hielt sie in die Höhe und stellte sie vor uns.

Wir blieben stumm und warteten begierig auf Antwort.

Unter den zusammengetretenen Indianern trat eine Bewegung ein; wir hörten sie eifrig sprechen und sahen, dass unter ihnen etwas vorging.

Nach Kurzem kam ein hoher hübscher Mann aus ihrer Mitte hervor und hielt in seiner linken Hand einen weißen Gegenstand in die Höhe. Es war eine gebleichte Hirschhaut: In seiner rechten Hand trug er eine Lanze.

Wir sahen ihn die Hirschhaut auf die Lanzenspitze stecken und sie emporhalten. Unser Friedenssignal wurde dadurch beantwortet.

Seguin gebot seinen Jägern Schweigen, erhob darauf seine Stimme und rief laut in der Sprache der Indianer: »Navajo! Ihr wisst, wer wir sind. Wir haben euer Land durchzogen und eure Hauptstadt besucht. Es war unser Zweck, unsere teuren Verwandten zu suchen, die sich, wie wir wussten, gefangen in eurem Lager befanden. Einige haben wir wiedererlangt – aber viele andere haben wir nicht finden können. Damit diese uns später wiedergegeben werden mögen, haben wir, wie ihr seht, Geiseln genommen. Wir hätten noch viele andere mitnehmen können, aber diese hielten wir für genug. Wir haben eure Stadt nicht abgebrannt – wir haben weder euren Frauen noch euren Töchtern oder Kindern ein Leid zugefügt. Mit Ausnahme dieser unserer Gefangenen werdet ihr alle noch eben so finden, wie ihr sie zurückgelassen habt.«

Durch die Reihen der Indianer lief ein Murmeln. Es war ein Ausdruck der Zufriedenheit. Sie hatten sämtlich geglaubt, dass ihre Stadt zerstört und ihre Weiber niedergemetzelt seien. Die Worte Seguins brachten daher eine eigentümliche Wirkung hervor.

Wir konnten unter den Kriegern freudige Ausrufe und Reden hören. Das Schweigen wurde aber endlich wieder hergestellt, und Seguin fuhr fort: »Wir sehen, dass ihr in unserem Land gewesen seid. Ihr seid rote Männer. Rote Männer können für ihre Verwandten ebenso gut fühlen wie weiße. Wir wissen dies und aus diesem Grund habe ich die Fahne des Friedens erhoben, damit jeder dem anderen sein Eigentum zurückgeben kann. Es wird dem großen Geist gefallen und uns beiden Zufriedenheit geben. Denn das, was ihr habt, ist für uns von größtem Wert und das, was wir haben, ist nur euch teuer. Navajo, ich habe gesprochen, ich erwarte eure Antwort.«

Als Seguin zu Ende war, sammelten sich die Krieger unter dem obersten Häuptling. Wir konnten sehen, dass unter ihnen eine eifrige Debatte stattfand.

Offenbar gab es unter ihnen missbilligende Stimmen; aber die Debatte war bald vorüber und der oberste Häuptling trat vor und gab dem Mann, welcher die Flagge hielt, einige Instruktionen.

Der Letztere antwortete mit lauter Stimme auf Seguins Rede Folgendes: »Weißer Häuptling! Du hast gut gesprochen, und deine Worte sind von unseren Kriegern erwogen worden. Du verlangst nicht mehr, als was recht und billig ist. Es würde dem großen Geist gefallen und uns befriedigen, wenn unsere Gefangenen ausgetauscht werden könnten. Aber wie vermögen wir zu beurteilen, ob deine Worte wahr sind? Du sagst, dass ihr unsere Stadt nicht zerstört, unseren Weibern und Kindern kein Leid getan habt. Wie können wir wissen, ob das wahr ist? Unsere Stadt ist weit entfernt und unsere Weiber ebenfalls, wenn sie noch leben – wir können sie nicht fragen, wir haben nur dein Wort – es ist nicht genug.«

Seguin hatte die Schwierigkeit bereits vorausgesehen und einen von den Gefangenen, einen intelligenten Burschen, herbeizubringen befohlen.

Der Knabe erschien in diesem Augenblick an seiner Seite.

»Frage ihn!«, schrie er, auf den gefangenen Knaben deutend.

»Und warum sollen wir nicht unseren Bruder – den Häuptling Dacoma fragen? Der Knabe ist jung – vielleicht versteht er uns nicht. Der Häuptling könnte uns bessere Sicherheit geben.«

»Dacoma war nicht mit uns in der Stadt – er weiß nicht, was mit uns geschehen ist.«

»Lass das von Dacoma beantworten!«

»Bruder«, sagte Seguin, »du hegst einen unrechten Verdacht; aber du sollst seine Antwort haben.« Und er richtete einige Worte an Dacoma, welcher neben ihm auf dem Boden saß.

Die Frage wurde hierauf direkt von dem Sprecher an Dacoma gestellt. Der stolze Indianer, welcher von der demütigenden Lage, in welche er sich versetzt sah, auf das Tiefste erbittert zu sein schien, antwortete mit einer zornigen Handbewegung und einem kurzen Ausruf verneinend.

»Nun Bruder«, fuhr Seguin fort, »Du siehst, dass ich die Wahrheit gesprochen habe. Frage den Knaben, was du zuerst vorgeschlagen hattest.«

Der Knabe wurde hierauf befragt, ob wir die Stadt verbrannt und die Frauen und Töchter gemordet hätten. Auf diese beiden Fragen gab er ebenfalls eine verneinende Antwort.

»Nun Bruder«, sagte Seguin, »bist du zufriedengestellt?«

Es erfolgte lange Zeit keine Antwort. Die Krieger hatten sich abermals zur Beratung zurückgezogen und gestikulierten eifrig und energisch. Wir konnten sehen, dass es unter ihnen eine Partei gab, welche friedlichen Maßregeln abgeneigt war und offenbar den anderen riet, sich auf das Glück einer Schlacht zu verlassen. Dies waren die jüngeren Krieger, und ich bemerkte, dass derjenige, welcher die Husarenuniform trug, und wie uns Rube sagte, der Sohn des obersten Häuptlings war, der Anführer dieser Partei zu sein schien.

Wenn nicht der oberste Häuptling beim Ausgang so tief beteiligt gewesen wäre, so würden die Ratschläge dieser Partei vielleicht die Oberhand behalten haben; denn die Krieger wussten nur zu gut, welcher Spott ihrer unter den benachbarten Stämmen warten würde, wenn sie ohne Gefangene zurückkehren sollten. Überdies befanden sich viele unter den Indianern, welche ein anderes Interesse an ihrer Festhaltung fühlten. Sie hatten die Töchter des Rio del Norte geschaut und gesehen, dass sie schön waren.

Aber die Ratschläge der älteren Partei behielten endlich die Oberhand und der Wortführer antwortete: »Die Navajokrieger haben überlegt, was ihnen zu Ohren gekommen ist. Sie glauben, dass der weiße Häuptling die Wahrheit gesprochen hat, und willigen ein, ihre Gefangenen auszutauschen. Damit dies auf passende und gehörige Weise geschieht, schlagen sie vor, dass auf jeder Seite zwanzig Krieger ausgewählt werden – dass diese in Gegenwart aller ihre Waffen auf die Prärie legen, dass sie darauf ihre Gefangenen an den Übergang der Barranca an dem Bergwerk führen und dort die Bedingungen ihres Austausches festsetzen – dass alle übrigen auf beiden Seiten jetzt bleiben, wo sie sind, bis die unbewaffneten Krieger mit den ausgetauschten Gefangenen zurückkehren werden, dass dann die weißen Fahnen niedergelegt und beide Seiten von dem Vertrag frei sein sollen. Dies sind die Worte der Navajokrieger.«

Es dauerte einige Zeit, ehe Seguin diesen Vorschlag beantworten konnte. Er schien billig genug und doch war eine Manier dabei, welche uns veranlasste, eine geheime Absicht zu argwöhnen; wir überlegten ihn einen Augenblick.

Die Schlussworte deuteten die Absicht der Feinde an, einen Versuch zur Wiedererlangung ihrer Gefangenen zu machen; aber wir kümmerten uns darum nur wenig, wenn wir sie nur erst auf unserer Seite der Barranca hatten.

Es war nicht mehr als billig, dass die Gefangenen von Unbewaffneten an die Stelle des Austausches geführt werden sollten, und zwanzig war eine passende Zahl. Aber Seguin wusste recht gut, wie die Navajo das Wort unbewaffnet auslegen würden, und mehrere von den Jägern erhielten leise den Auftrag, sich in das Gebüsch zu begeben und ihre Messer und Pistolen unter ihren Jagdhemden zu verbergen.

Wir glaubten, auf der entgegengesetzten Seite mit den Tomahawks unserer Gegner ein Ähnliches zu bemerken.

Wir konnten nur wenig gegen die vorgeschlagenen Bedingungen einwenden. Da Seguin wusste, dass es von Wichtigkeit war, so eilte er, sie anzunehmen.

Sobald dies den Navajo angekündigt war, traten zwanzig, ohne Zweifel bereits auserwählte Männer auf die offene Prärie, stießen ihre Lanzen in den Boden und lehnten ihre Bogen, Köcher und Pfeile daran. Wir sahen keinen Tomahawk, obwohl wir wussten, dass jeder Navajo diese Waffe führte. Sie hatten alle die Mittel, sie an ihren Körpern zu verbergen, denn die meisten trugen die Kleidung des zivilisierten Lebens in den geraubten Gewändern der Ranchos und Haziendas. Wir kümmerten uns wenig darum, da auch wir hinlänglich bewaffnet waren.

Wir sahen, dass die ausgewählte Schar aus kräftigen Männern bestand. Tatsächlich waren es die ausgesuchten Krieger des Stammes.

Die unseren waren auf gleiche Weise gewählt. Unter ihnen befand sich El Sol und Garey, Rube und der Stierkämpfer Sanchez. Auch Seguin und ich gehörten zu der Zahl, die meisten von den Trappern. Einige von den Delawaren vervollständigten die Abteilung. Die Zwanzig waren bald gewählt und wir traten, wie es der Feind getan hatte, auf den offenen Boden und stellten unsere Büchsen in Gegenwart des Feindes zusammen.

Unsere Gefangenen wurden sodann auf Pferde und Maultiere gesetzt und zum Aufbruch bereit gemacht. Die Königin und die mexikanischen Mädchen befanden sich unter ihnen.

Dies Letztere war eine Kriegslist Seguins. Er wusste, dass wir Gefangene genug besaßen, um auch ohne diese einen gegen den anderen auszutauschen. Aber er sah, gleich uns allen ein, dass, falls wir die Königin zurückließen, die Unterhandlungen unterbrochen und vielleicht gänzlich fruchtlos gemacht werden würden.

Er hatte daher beschlossen, sie mitzunehmen, indem er sich darauf verließ, an Ort und Stelle bessere Bedingungen für sie zu erhalten. Wenn dies misslänge, so konnte es nur eine Berufung geben – die auf die Waffen. Er wusste, dass unsere Schar sich auf diese Alternative gut gerüstet hatte.

Beide Teile waren endlich bereit und begannen, auf ein gegebenes Signal der Barranca entlang auf das Bergwerk zuzureiten. Die übrigen Mitglieder der beiden Gruppen blieben zurück und betrachteten einander quer über den Abgrund hinweg mit Blicken des Misstrauens und des Hasses. Kein Teil konnte sich bewegen, weil es der andere sah, denn die Ebenen, auf welchen sie sich befanden, waren, wenn auch auf der entgegengesetzten Seite der Barranca, doch nur Abschnitte desselben horizontalen Plateaus. Ein Reiter, welcher von der einen oder anderen Abteilung entsendet worden wäre, hätte von den anderen viele Meilen weit gesehen werden können.

Die Waffenstillstandsflaggen flatterten immer noch, und die Speere der Indianer waren in den Boden gesteckt; aber jede von den feindlichen Gruppen hielt ihre Pferde gesattelt und gezäumt, und war bereit, bei der ersten Bewegung der anderen aufzusteigen.

Ende des dritten Teils