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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Skalpjäger – Neues Elend

Thomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Dritter Teil
DreizehntesKapitel

Es war ein höchst eigentümliches Zusammentreffen. Hier waren zwei Gruppen von Menschen, die einander als Todfeind betrachteten, von denen jede aus dem Land der anderen mit Beute beladen und mit einem Gefolge von Gefangenen zurückkehrte! Sie hatten einander auf halbem Weg getroffen und standen in Musketenschussweite da. Sie blickten sich in bitterer Feindschaft an und doch war ein Kampf ebenso unmöglich, als ob zwanzig Meilen zwischen ihnen gelegen hätten.

Auf der einen Seite waren die Navajo mit bestürzter Miene – denn die Krieger hatten ihre Kinder erkannt – auf der anderen Seite standen die Skalpjäger, von denen nicht wenige unter den Gefangenen ihrer Feinde eine Gattin, eine Tochter oder Schwester unterscheiden konnten.

Jede von den Scharen schaute die andere mit feindlichem Herzen und rachsüchtigen Blicken an, und wenn sie einander so auf der Prärie getroffen hätten, würden sie sich bis zum Tod bekämpft haben. Es schien, als ob die Hand Gottes sich eingemischt habe, um das Blutvergießen zu verhindern, welches sicher erfolgt wäre, wenn nicht der Abgrund zwischen ihnen gelegen hätte.

Ich kann die Gefühle, welche mich in jenem Augenblick beseelten, nicht beschreiben. Ich erinnere mich, dass ich plötzlich von neuen Körper- und Geisteskräften beseelt war. Bisher war ich kaum mehr als ein passiver Zuschauer der Ereignisse unseres Zuges gewesen. Ich hatte gehandelt, ohne von einem Beweggrund des Herzens angeregt worden zu sein. Jetzt hatte ich einen, welcher mich zu verzweiflungsvoller Energie aufstachelte.

Es kam mir ein Gedanke und ich eilte zu Seguin, um ihm denselben mitzuteilen. Er begann sich jetzt von dem furchtbaren Schlag zu erholen. Die Leute sollten den Grund seines sonderbaren Benehmens erfahren und umstanden ihn teilweise, um ihn zu trösten.

Nur wenige wussten etwas von den Familienangelegenheiten ihres Anführers, aber sie hatten von seinen früheren Unglücksfällen, dem Verlust seines Bergwerks, dem Verfall seines Vermögens, der Gefangenschaft seines Kindes gehört. Als es jetzt bekannt wurde, dass sich unter den Gefangenen des Feindes seine Frau und Tochter befanden, wurden selbst die rauen Herzen der Jäger von Mitleid für seine ungewöhnlichen Leiden erfüllt. Man hörte unter ihnen teilnehmende Ausrufe, unter welche sich Ausdrücke der Entschlossenheit, die Gefangenen wieder zu gewinnen oder bei dem Versuche zu sterben, mischten.

Ich war in der Absicht, ein solches Gefühl zu erregen, vorgetreten. Es war mein Plan, von meinem kleinen Anteil an den Reichtümern der Welt eine Prämie auf Tapferkeit und Hingebung zu setzen, aber ich sah, dass edlere Beweggründe mir zuvorgekommen waren, und blieb stumm.

Seguin schien über die Anhänglichkeit seiner Kameraden erfreut und begann seine gewohnte Energie zu zeigen. Die Hoffnung hatte sich seiner wieder bemächtigt. Seine Leute drängten sich um ihn, um ihm Ratschläge anzubieten und auf seine Weisungen zu hören.

»Wir können sie ohne Nachteil bekämpfen«, sagte Garey, »es sind nicht über zweihundert.«

»Ohne die Weiber gerade einhundertsechsundneunzig«, fiel ein Jäger ein. »Ich habe sie gezählt – das ist ihre Zahl.«

»Nun, ich rechne«, fuhr Garey fort, »dass zwischen uns ein Unterschied in Bezug auf den Mut existiert; und was an der Zahl fehlt, wollen wir mit unseren Büchsen ausgleichen. Ich fürchte mich nie gegen zwei Indianer auf einmal zu kämpfen und will sogar noch einen kleinen dazu auf mich nehmen.«

»Seht den Boden an, Bill, er ist vollkommen eben. Wo würden wir nach einer Salve sein? Sie würden mit ihren Bogen und Pfeilen den Vorteil über uns haben, hm! Sie würden uns mit ihren Lanzen und Spießen niederstechen.«

»Ich habe nicht gesagt, dass wir sie auf der Prärie nehmen würden. Wir könnten ihnen folgen, bis sie in den Bergen sind und sie zwischen den Felsen einholen. Das ist mein Rat.«

»Ja, und mit jener Herde können sie uns nicht entfliehen, das ist gewiss.«

»Sie haben gar nicht die Absicht, davonzulaufen. Sie werden höchstwahrscheinlich uns angreifen.«

»Das ist es eben, was wir wollen«, sagte Garey. »Wir können dorthin gehen und mit ihnen fechten, bis sie den Bauch voll haben.«

Der Trapper deutete bei diesen Worten auf das Mimbresgebirge, welches etwa zehn Meilen in östlicher Richtung entfernt lag.

»Sie werden warten, bis mehr herankommen. In der Schar eines Oberanführers sind immer mehr als diese. Es waren ihrer beinahe vierhundert, als sie an dem Pinnon vorbeikamen.«

»Wo mögen die Übrigen sein, Rube?«, fragte Seguin. »Ich kann bis an das Bergwerk hinabsehen und sie sind nicht auf der Ebene.«

»Sie werden auch nicht kommen, Cap’tain, das ist ein Glück. Der alte Narr hat eine Abteilung auf einem anderen Weg fortgeschickt. Sie sind auf der falschen Fährte.«

»Warum denkt Ihr, dass sie auf dem anderen Weg gegangen seien?«

»Ei, Cap’tain, das ist ganz natürlich. Wenn sie hinten nachkämen, so würden einige von den Kerlen schon längst zurückgegangen sein, um sie nachzuholen, seht Ihr das nicht? Soviel ich bemerkt habe, ist kein Einziger davongegangen.«

»Ihr habt recht, Rube!«, sagte Seguin, von der Wahrscheinlichkeit der Behauptung des anderen ermutigt. »Was ratet Ihr uns?«, fuhr er gegen den alten Trapper gewendet, dessen Rat er in allen schwierigen Fällen zu suchen gewohnt war, fort.

»Nun Cap’tain, wie die Sache steht, ist sie eine verwickelte und ich habe sie mir noch nicht zu meiner Zufriedenheit auseinandergelegt. Wenn Ihr mir ein paar Minuten gestatten wollt, so werde ich Euch, so gut ich es vermag, antworten.«

»Nun wohl, wir wollen auf Euch warten. Seht nach Euren Waffen, Leute und sorgt dafür, dass sie alle in Bereitschaft sind!«

Während dieser Beratung, die nur einige Minuten in Anspruch genommen hatte, konnten wir sehen, dass der Feind auf der anderen Seite auf gleiche Weise beschäftigt war.

Die Indianer hatten sich um ihren Häuptling versammelt, und wir sahen an ihren Gestikulationen deutlich, dass sie sich berieten, wie sie sich benehmen sollten.

Unser Erscheinen mit den Kindern ihrer vornehmsten Leute als Gefangene hatte sie mit Bestürzung über das, was sie sahen und Besorgnisse einer furchtbaren Art wegen dessen, was sie nicht sahen, erfüllt. Bei der Rückkehr von einem glücklichen Beutezug – mit Raub beladen – und von der Aussicht auf Feste und Triumphe erfüllt – bemerkten sie plötzlich, dass sie in ihrem eigenen Spiel überlistet worden waren. Sie wussten, dass wir ihre Stadt besucht hatten, sie vermuteten, dass wir ihre Häuser ausgeplündert und verbrannt und ihre Weiber und Kinder niedergemetzelt hätten. Sie glaubten, dass nichts Geringeres geschehen sei, denn dies war dieselbe Art, womit sie sich beschäftigt hatten. Ihr Urteil war ihrem eigenen Benehmen entnommen.

Sie sahen überdies, dass wir eine starke Schar waren, welche das, was sie gefangen hatte, verteidigen konnte – wenigstens gegen sie – denn sie wussten recht gut, dass die Skalpjäger mit ihren Feuergewehren ihnen mehr als gewachsen waren, wenn die Zahl nicht übermäßig ungleich genannt werden konnte.

Bei diesen Ideen bedurfte es also auf ihrer Seite so gut wie auf der unseren der Überlegung. Wir wussten, dass es eine Zeit lang dauern müsse, ehe sie handeln würden. Auch sie befanden sich in einem Dilemma.

Die Jäger gehorchten dem Verlangen Seguins, blieben schweigend stehen und warteten, bis Rube seinen Rat gegeben haben würde.

Der alte Trapper stand abseits, halb auf seine Büchse gelehnt, die er mit beiden Händen in der Nähe der Mündung gefasst hielt.

Er hatte den Pfropfen herausgezogen und blickte in den Lauf, als ob er einen Orakelgeist, den er darin eingeschlossen hielt, zurate ziehen müsse. Es war eine von Rubes eigentümlichen Gewohnheiten und diejenigen, welche sie kannten, lächelten, als sie ihn beobachteten.

Nach einigen auf diese Weise zugebrachten Minuten schien das Orakel seine Antwort gegeben zu haben. Rube steckte den Pfropfen wieder hinein und kam auf den Anführer zu.

»Bill hat recht, Cap’tain. Wenn die Indianer bekämpft werden müssen, so lässt es sich am besten da tun, wo es Felsen oder Bäume gibt. Auf der Prärie würden sie uns schlagen, das ist ausgemacht. Nun, es gibt zwei Dinge: Sie werden entweder auf uns zukommen – in dem Fall ist dort unser Terrain.« Hier deutete er auf einen Ausläufer des Mimbresgebirges. »Oder wir werden ihnen folgen müssen und dann können wir es eben so leicht tun, wie von einem Baum fallen. Sie haben ihre Beine nicht ganz frei.«

»Woher sollten wir aber in diesem Fall Mundvorräte nehmen? Wir könnten ohne dieselben nicht durch die Wüste kommen.«

»Nun Cap’tain, das hat keine Schwierigkeit. Wenn die Prärie ebenso trocken ist wie jetzt, so könnte ich die ganze Cavallada ebenso leicht wie eine Büffelherde stampeden und ich denke mir, dass wir dann auch einen Teil davon erhalten würden. Dieses Kind spürt jedoch noch etwas Schlimmeres.«

»Was?«

»Ich fürchte, dass wir auf dem Rückweg mit Dacomas Kerlen zusammenstoßen werden. Das ist es, was ich fürchte.«

»Allerdings, es ist höchst wahrscheinlich.«

»Das ist es – wenn sie nicht etwa in dem Canyon eingeholt worden sind, und das denke ich nicht. Sie verstehen jenen Creek zu gut dazu.«

Die Wahrscheinlichkeit, dass Dacomas Schar bald zu der des Oberanführers stoßen würde, war für alle unverkennbar und warf einen Schatten der Entmutigung auf jedes Gesicht. Sie verfolgte uns ohne Zweifel immer noch und musste bald in unserer Nähe ankommen.

»Nun, Cap’tain«, fuhr der Trapper fort, »ich habe Euch meine Ansicht mitgeteilt, wenn wir zum Kampf gezwungen werden sollten. Aber ich habe Hoffnung, dass wir die Frauen zurückbekommen können, ohne unser Flintenfutter zu verschwenden.«

»Wie? Wie?«, fragten der Anführer und andere eifrig.

»Nun, auf diese Weise«, antwortete der Trapper, welcher mich durch die Weitschweifigkeit seiner Redeweise beinahe erzürnte. »Ihr seht jene Indianer auf der anderen Seite der Schlucht?«

»Ja – ja …«, antwortete Seguin hastig.

»Nun, und Ihr seht auch diese hier?« Der Redner deutete auf unsere Gefangenen.

»Ja – ja!«

»Nun seht Ihr, jene dort drüben haben, wenn ihre Häute auch kupferfarbig sind, doch ebenso gut Gefühl für ihre Kinder wie weiße Christenmenschen. Sie essen sie mitunter, das ist wahr; aber dafür ist ein religiöser Grund vorhanden, den nicht viele von uns verstehen.«

»Und was meint Ihr, das wir tun sollen?«

»Nun, steckt einen weißen Lappen auf eine Stange und bietet ihnen an, die Gefangenen auszutauschen. Sie werden es verstehen und die Bedingungen annehmen, dafür bürge ich. Das hübsche kleine Mädchen, mit dem langen Haar, ist die Tochter des obersten Häuptlings und die Übrigen sind die Kinder der vornehmsten Leute des Stammes. Ich habe sie deshalb ausgelesen. Überdies haben wir Dacoma und die junge Königin hier. Sie werden sich um diese ihre Nägel abbeißen. Ihr könnt den Häuptling aufgeben und ihnen die Königin abhandeln, so gut Ihr vermögt.«

»Ich werde Euren Rat befolgen«, rief Seguin, dessen Augen in der Erwartung eines glücklichen Resultats blitzten.

»Nun, so habt Ihr keine Zeit zu verlieren, Cap’tain. Wenn Dacomas Leute erscheinen, so wird alles, was ich gesagt habe, nicht so viel wert sein wie die Haut einer Sandratte.«

»Es soll kein Augenblick versäumt werden«, sagte Seguin. Er gab Befehl, die Friedensflagge aufzustecken.

»Es würde am besten sein, Cap’tain, wenn Ihr ihnen zuerst sehen ließt, was wir haben. Sie haben Dacoma und die Königin noch nicht gesehen; sie stecken im Gebüsch.«

»Ganz richtig«, antwortete Seguin. »Kameraden, bringt die Gefangenen an den Rand der Barranca. Bringt den Navajohäuptling – bringt die – meine Tochter!«

Die Leute beeilten sich, dem Befehl zu gehorchen, und nach einigen Minuten wurden die gefangenen Kinder mit Dacoma und der Königin an den Rand des Abgrunds geführt. Die Serapen, welche sie verhüllt hatten, wurden abgenommen und sie standen in ihrem gewöhnlichen Kostüm vor den Augen der Indianer. Dacoma trug noch seinen Helm und die Königin wurde durch ihre leichte federgestickte Tunika sofort erkennbar. Auch wurden sie sofort erkannt.

Die Navajo ließen einen eigentümlichen Schrei hören, als sie diesen neuen Beweis ihrer Niederlage erblickten. Die Krieger nahmen ihre Lanzen vom Rücken und stießen sie in ohnmächtiger Entrüstung in den Boden. Einige von ihnen zogen Skalpe aus ihren Gürteln, steckten sie auf die Spitzen ihrer Speere und schüttelten sie über den Abgrund gegen uns. Sie glaubten, dass Dacomas Schar besiegt, wie ihre Weiber und Töchter vernichtet worden seien und bedrohten uns mit Geschrei und Gebärden.

Unterdessen bemerkten wir eine Bewegung unter den gesetzteren Kriegern – sie berieten sich.

Der Kriegsrat ging zu Ende, man sah eine Abteilung zu den gefangenen Frauen, welche weit dahinten geblieben waren, galoppieren.

»Großer Gott!«, rief ich, von einer entsetzlichen Idee ergriffen, »sie werden sie niedermetzeln! Schnell die Flagge in die Höhe!«

Ehe die Fahne aber noch an die Stange befestigt werden konnte, waren die mexikanischen Frauen von den Pferden genommen, ihre Rebozos abgenommen und sie an den Rand des Abgrunds geführt worden.

Es sollte nur eine erwidernde Prahlerei, die Vergeltung eines Schmerzes sein, denn offenbar wussten die Wilden, dass sich unter ihren Gefangenen die Frau und Tochter unseres Anführers befanden. Sie wurden leicht erkennbar an den Rand der Barranca gestellt.