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Der Wolfmensch – Kapitel 7

Elie Berthet
Der Wolfmensch
oder: Die Bestie des Gévaudan
Aus dem Französischen von A. Kretzschmar
Hartleben’s Verlags-Exedition. Pest, Wien und Leipzig, 1858.

Erster Teil
Kapitel VII

Die Wolfsjagd

Am nächstfolgenden Tag strömte während der ersten Morgenstunde eine unzählige Menschenmenge nach Mercoire. Die von den Ständen der Provinz erlassene öffentliche Bekanntmachung, die ansehnliche Belohnung, welche dem glücklichen Jäger versprochen worden war, welcher die Bestie des Gévaudan erlegen würde, und mehr als dies alles der eifrige Wunsch, das Land von dem Ungeheuer zu befreien, welches so viel Schaden anrichtete und so viele Familien in Trauer versetzte, hatten diesen außerordentlichen Anlauf veranlasst. Nach Angabe der vorhandenen Nachrichten hatten sich mehr als dreißig Kirchspiele des Gévaudan, des Rouergue und der Auvergne in Masse erhoben, um dieser Treibjagd beizuwohnen. Ganze Dorfgemeinden kamen fortwährend unter Anführung ihrer Gutsherren oder auch ihrer Pfarrer an und man sah in diesen Gruppen sogar Frauen und Kinder.

Von diesen Jägern trugen einige Flinten, Pistolen und Donnerbüchsen. Dies waren die, welche bei der anzustellenden Hatz auf die Funktionen der Schützen Anspruch machten. Die anderen, weit zahlreicheren, hatten bloß Stäbe und Stangen, um damit auf das Gesträuch zu klopfen, oder auch Ochsenhörner, Schnarren, Trompeten, Trommeln, ja sogar ausrangierte Kochkessel – lauter Instrumente, welche geeignet waren, einen höllischen Lärm zu machen. Diese Leute sollten sich mit den bescheideneren Funktionen der Treiber begnügen.

Übrigens verhielten die Jäger der einen wie der anderen Kategorie infolge des strengen Befehls des Barons von Laroche-Boisseau, der in seiner Eigenschaft als Wolfsjägermeister alle Manöver kommandieren sollte, sich ganz ruhig, bis die Stunde des Handelns kommen würde. Kein Ruf, kein Hundegebell hatte noch die Wachsamkeit der wilden Tiere in der Tiefe des Waldes erweckt.

Man begreift ohne Mühe, dass diese zahlreiche Menge weder in dem Dorf Mercoire noch in dem seit dem vorigen Abend von Besuch angefüllten Schloss ein Unterkommen hatte finden können. Bloß einige Edelleute waren eingeladen worden, sich zu den vornehmen Personen zu gesellen, welche die Gastfreundschaft des Fräuleins von Barjac empfingen. Die anderen Jäger campierten truppweise teils unter den großen Bäumen der Eingangsallee, teils auf einer Art Esplanade, welche sich vor dem Schloss hinzog.

Revierwächter und Piqueure, in die blaue Uniform der Wolfsjägerei bekleidet, gingen unter dieser bunt gemischten Menge umher, um die Ordnung aufrechtzuerhalten.

Da diese wackeren, größtenteils sehr weit hergekommenen Leute ihre Mundvorräte mitgebracht hatten, so wurden diese hier und da auf ausgebreiteten Mänteln ausgepackt, und man frühstückte mit ebenso viel Heiterkeit wie Appetit.

Das Wetter war ziemlich schön, aber bedeckt, und die Sonne hatte Mühe, den Nebel zu durchdringen. Man erkannte nur mit Mühe die Form der nächsten Berge. Dieser Umstand konnte die Jagd vereiteln, weil er dem Wolf vielleicht gestattete, sich den Blicken der Schützen zu entziehen.

Nichtsdestoweniger aber verzweifelte man an nichts. Jeder rühmte sich der Heldentaten, welche er vollbringen wollte, wenn der Zufall ihm günstig wäre, und Treiber und Schützen erwarteten, durch die Erzählung von den blutigen Taten des grausamen Tieres angefeuert, mit außerordentlicher Ungeduld den Befehl, sich in Marsch zu setzen.

Die Zeit aber verging und der Befehl kam nicht. Diese Untätigkeit beunruhigte die am wenigsten Erfahrenen, die nicht begreifen konnten, dass der Erfolg des Angriffs ganz besonders von den vorbereitenden Operationen abhing.

Laroche-Boisseau war schon am frühesten Morgen mit einem vortrefflichen Spürhund und einigen geschickten Jägern aufgebrochen, um den Wald zu machen, das heißt, um sich zu überzeugen, ob das Tier noch in dem Wald von Mercoire sei, und um zu ermitteln, in welchen Teil des Waldes es sich bei Anbruch des Tages geflüchtet habe.

Aber weder der Baron noch einer von denen, welche ihn begleiteten, waren bis jetzt wieder zum Vorschein gekommen, und solange sie nicht wieder da waren, war es unmöglich, etwas zu unternehmen, denn man wäre Gefahr gelaufen, das Resultat des ganzen Unternehmens aufs Spiel zu setzen.

Endlich gegen neun Uhr, wo man schon anfing, zu glauben, dass Jäger und Hunde von dem furchtbaren Tier zerrissen worden seien, kam ein kleiner Trupp von drei oder vier Männern zu Fuß, von welchen der eine einen prächtigen Spürhund an der Leine führte, aus dem Wald heraus und auf die Menge zu.

Sofort war alles in Aufruhr. Man hatte den Wolfsjägermeister selbst an seiner glänzenden Uniform erkannt. Man umringte ihn, man bestürmte ihn mit Fragen. Hatte er das Tier gefunden? In welchem Teil des Waldes war es versteckt? Würde die Jagd gelingen?

Der Baron schien aber weder Zeit noch Lust zu haben, zu antworten. Er begnügte sich, in kurzem Ton seine Befehle an die Piqueure und Revierwächter zu erteilen, welche sich sofort beeilten, sie an die Jäger weiter zu befördern.

Sobald Laroche-Boisseau alles auf den Füßen sah, ging er, ohne sich weiter um die Begrüßungen und die Beweise von Achtung zu kümmern, die man ihm ringsum spendete, und raschen Schritten zum Schloss.

In diesem Augenblick widmete sich die vornehme Gesellschaft von Mercoire der angenehmen Beschäftigung des Frühstücks. Große lange Tafeln waren im Salon und im Speisesaal gedeckt, und die Jäger, schon im Jagdkostüm und teils stehend, teils sitzend, ließen der Mahlzeit auf geräuschvolle Weise Gerechtigkeit widerfahren.

Fräulein von Barjac, die immer noch ihr Amazonengewand trug, ging in bloßem Kopf fortwährend von einer Tafel zur anderen, zur großen Verzweiflung des Chevaliers von Magnac und der Schwester Magloire, welche ihr nicht folgen konnten.

Christine zeigte sich glücklich und stolz über all diese Bewegung, über all dieses Geräusch. Sie plauderte, sie lachte. Ihr frisches gerötetes Antlitz verriet die unverhohlenste Heiterkeit. Sie schien sich nicht im Geringsten mehr des armen verwundeten jungen Mannes zu erinnern, der ihr vor wenigen Stunden so lebhafte Unruhe verursacht und den sie in ihren Armen tragen helfen hatte. Sie verriet bloß eine gewisse Verwirrung, wenn man zufällig ihre plötzliche Entfernung am vorigen Abend erwähnte.

Sobald der Baron von Laroche-Boisseau mit von Schweiß triefender Stirn und mit vom Morgentau feuchten Kleidern erschien, wendeten sich aller Blicke auf ihn und alle Stimmen fragten ihn gleichzeitig.

»Ich bringe eine gute Nachricht, meine liebenswürdige Schlossherrin!«, rief er, indem er Christine begrüßte, welche neugierig wie die anderen auf ihn zukam. »Ich bringe eine gute Nachricht, Ihr Herren Jäger. Ihr habt noch zehn Minuten, um euer Frühstück zu beenden und dann eure Flinten zu nehmen und Euch hinunter auf euren Posten an den sogenannten verbrannten Wald in der Talschlucht der Monadière zu begeben.«

»Ihr habt also das Tier aufgescheucht?«, fragte man begierig.

»Ja, mithilfe Gottes und des heiligen Hubertus, des Schutzpatrons der Jäger«, hob der Baron wieder an. »An dem verbrannten Wald, einem Gehölz von etwa dreißig Acker Umfang, habe ich die Spur eines Wolfes entdeckt, der nach allen Anzeichen zu urteilen groß, alt und von ungeheurem Wuchs ist. Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass das Tier aus diesem Umkreis nicht herausgekommen ist, habe ich das Gehölz in aller Stille umzingeln lassen, damit der Bursche uns nicht etwa mittlerweile entwischt. Jetzt sind nun die Treiber unterwegs zu diesem Terrain, wo mein Erster Revierjäger, Vater Laramée, sie dem Wind entgegen postieren wird. Was uns betrifft, so müssen wir, wie ich Euch schon gesagt habe, in zehn Minuten auf unserem Schießposten sein, denn das aufgescheuchte Tier wäre imstande, uns zu entwischen, ehe wir Zeit gehabt hätten, ihm nahe zu kommen.«

Lautes Vivatgeschrei und allerhand Glückwünsche begrüßten diese Mitteilung. Die Mehrzahl der anwesenden Jäger entfernte sich sofort, um sich zu dem angedeuteten Sammelplatz zu begeben, ohne Zweifel in der Hoffnung, dass die, welche zuerst kämen, auch die vorteilhaftesten Plätze erhalten würden.

Was den Baron betraf, so reckte er als ein Mann, der den Wert der Zeit kennt, den Arm über den Kopf eines hartnäckigen Schmausers hinweg, ergriff ein Stück Brot und Schinken und begann stehend zu frühstücken, während er zugleich in zerstreuter Weise die Fragen beantworten, mit welchen man ihn überhäufte.

Als dieses fast militärische Mahl seinem Ende nahte, kam Fräulein von Barjac mit einem Glas Muskat-Lunell in der Hand auf den Baron zu.

»Ihr erlaubt wohl der Dame des Hauses, Euch den Steigbügeltrunk zu kredenzen, Herr Baron?«, fragte sie, indem sie ihm mit lächelnder Miene das Glas präsentierte. »Ihr habt für ihren Dienst diesen Morgen schon wacker gearbeitet und das Tagwerk wird noch ein schwereres sein, glaube ich.«

Laroche-Boisseau verneigte sich tief und um Christines Höflichkeit anzuerkennen, leerte er das Glas auf einen Zug.

»Ein anderer würde sagen, dass unsere anmutige Wirtin ihre Gäste durch Liebe und Wein berauschen will«, hob er wieder an. »Aber dergleichen Galanterien gestattet sie nicht. Ich will sie daher lieber fragen, ob sie sich noch ihres gestern Abend gegebenen Versprechens erinnert.«

»Montbleu! Ob ich mich dessen noch erinnere! Ist es denn als Herrin dieser Herrschaft nicht meine Pflicht, dem Anführer der Jagd zu folgen? Ich geselle mich zu Euch, Baron, und verlasse Euch nicht mehr.«

Laroche-Boisseau war entzückt von dieser Beharrlichkeit, welche seine geheimen Wünsche erfüllte. Doch trug er Sorge, nichts davon merken zu lassen.

»Fräulein«, hob er wieder an, »mein Posten wird stets vor der ersten Linie der Schützen sein, und an dieser Stelle sind Unfälle leider nicht selten. Ich werde mich jedoch bemühen, Euch vor jedem Schaden zu bewahren. Übrigens«, setzte er mit einem spöttischen Lächeln hinzu, »werdet Ihr ohne Zweifel unter dem Schutz Eurer unerschrockenen Leibwache stehen. Nicht wahr?«

Und er deutete mit einer Bewegung des Kopfes auf den Chevalier von Magnac, welcher vier Schritte hinter seiner jungen Herrin steif und kalt auf seinen langen Beinen dastand.

»Ach, schweigt doch von der Leibwache!«, entgegnete Christine mit gedämpfter Stimme und schmollendem Mund. Laroche-Boisseau blinzelte mit den Augen, als ob er über eine Malice gegen den Zudringlichen nachdächte, und Christine billigte seine Absicht durch ein Lächeln.

»Wohlan, Fräulein«, hob der Baron in seinem leichtfertigen Ton wieder an, »Ihr sagt uns ja nichts von jenem zarten Lamm, welches auf so glückliche Weise dem Zahn des Wolfes entronnen ist, und welches so viel Mitleid einzuflößen scheint. Wie geht es denn heute mit seinem Wehweh?«

»Ich, ich weiß es nicht«, stammelte Christine, indem sie dunkelrot anlief.

»Ich hätte geglaubt, dass Ihr mehr Eifer zeigen würdet, Euch nach ihm zu erkundigen. Gestern begegnetet Ihr ihm mit einer zarten Teilnahme, die unseren Neid in hohem Grade rege gemacht hat. Bei Gott, man ließe sich gern, nicht bloß von einem Wolf, sondern von allen Löwen Arabiens zerreißen, wenn man dafür des Glückes teilhaftig würde, einen Augenblick lang den Kopf an Eure Schulter lehnen zu können.«

»Ich verstehe nicht … ich weiß nicht mehr, was geschehen ist … der Anblick des Blutes hatte mich bestürzt gemacht. Doch Ihr erinnert mich daran, dass ich diesen Morgen vergessen habe, mich nach dem Zustand des armen Verwundeten zu erkundigen. Ja, meiner Treu, über so viele verschiedene Dinge habe ich es vergessen, vollständig vergessen!«

Und indem sie dies sagte, drehte sie sich mit verlegener Miene bald rechts, bald links, um dem durchbohrenden Blick des Barons auszuweichen.

In diesem Augenblick trat der Pater Bonaventura in den Saal, in welchem sich nur noch einige Damen und einige für die Freuden der Tafel allzu empfängliche Gäste befanden. Der Prior hatte mithilfe der Schwester Magloire und der Frauen des Schlosses die Unordnung, in welche seine Kleider geraten waren, wieder beseitigt, und abgesehen von der in seinen wohlwollenden Zügen noch vorherrschenden leichten Blässe verriet nichts in seiner äußeren Erscheinung mehr die geistige und körperliche Anstrengung und Aufregung vom vorigen Abend.

Christine eilte auf ihn zu.

»Guten Morgen, hochwürdiger Vater«, sagte sie. »Mit Vergnügen sehe ich, dass Ihr heute Morgen wieder munter und ausgeruht seid. Doch hier steht Herr von Laroche-Boisseau, welcher von Eurem jungen Verwandten Nachricht zu haben wünscht und ich kann ihm keine geben.«

»Wenn diese plötzliche Teilnahme eine Wiedergutmachung des Unrechts ist, welches er an meinem Neffen und mir begangen hat«, entgegnete der Pater kurz, »so danke ich dem Herrn Baron dafür. Abgesehen von einem kurzen Fieberanfall hat sich der Zustand des armen Knaben viel gebessert und der Arzt versichert, dass binnen hier und wenigen Tagen alles wieder gut sein wird. Aber Ihr, Fräulein«, fuhr er in sanftem Ton zu Christine gewandt fort, »Ihr müsst doch von diesen günstigen Neuigkeiten unterrichtet sein. Die gute Schwester Magloire, welche schon drei- oder viermal in das Zimmer des Kranken gekommen ist, hat Euch doch gewiss gesagt …«

»Achte ich wohl jemals auf das, was Schwester Magloire sagt?«, entgegnete die junge Dame ungeduldig.

»Daran tut Ihr sehr Unrecht, Fräulein, denn die Schwester ist eine gute und umsichtige Person, welche Euch von ganzem Herzen liebt. Es war mir aber, als erkannte ich Eure Stimme heute Morgen in der Galerie vor Leonces Zimmer. Es erwartete jemand die Nonne, so oft sie das Zimmer des Kranken verließ, und erkundigte sich mit Teilnahme …«

»Das bin ich nicht gewesen, das bin ich nicht gewesen«, entgegnete Christine. »Doch gehen wir nun, Herr von Laroche-Boisseau, man wartet nur noch auf uns. Ich werde meine Vorbereitungen treffen, in einem Augenblick bin ich wieder bei Euch.«

Sie grüßte und entfernte sich dann eilig, als ob sie froh wäre, sich einer moralischen Tortur entziehen zu können.

Der Baron und Pater Bonaventura waren einander gegenüber stehen geblieben – der Pater ein wenig gedankenvoll, der Baron vor Freude strahlend und triumphierend.

»Nun, mein hochwürdiger Herr«, hob Letzterer in spöttischem Ton an, »der Wind hat sich seit gestern Abend vollständig gedreht. Die Frauen sind veränderlich, sagte Franz I.«

»Ein Narr nur d’rauf verlässet sich«, entgegnete der Mönch, indem er lächelnd das Sprichwort ergänzte. »Wisst Ihr auch gewiss, Herr Baron, dass der Wind sich gedreht hat?«

Laroche-Boisseau wurde nun seinerseits nachdenklich. »Montbleu! Hochwürdiger Vater«, fragte er endlich zornig, »welche Rolle spielt Ihr, ein Mönch, denn in dieser ganzen Angelegenheit?«

»Die eines demütigen Werkzeuges der Vorsehung, mein Herr, eines Werkzeuges, dessen Gott sich ohne Zweifel bedienen will, um die, welche reinen Herzens sind, gegen die Bösen und Übermütigen zu schützen.«

Und er verließ das Zimmer, um sich wieder zu seinem teuren Verwundeten zu begeben.

Laroche-Boisseau folgte ihm mit den Augen und warf den Kopf empor.

»Er hat vielleicht recht«, murmelte er. »Vielleicht hat diese plötzliche Veränderung in der Tat keinen anderen Grund als die Rückwirkung einer übertriebenen Schamhaftigkeit gegen die übertriebenen Demonstrationen von gestern Abend. Jedenfalls ist keine Zeit zu verlieren und es gilt ein keckes Spiel zu spielen.«

Er wollte ebenfalls das Zimmer verlassen, als er in einem Winkel des jetzt fast ganz leeren Gemachs seinen Freund Legris sah, der ihn zu erwarten schien.

»Legris«, sagte er leise zu ihm, »habt Ihr mir die zweihundert Pistolen mitgebracht, deren ich bedarf, um den Piqueuren und Jagdwächtern Geschenke zu machen?«

»Mein lieber Baron«, entgegnete der Sohn des Wucherers mit verlegener Miene, »ich kann Euch versichern, dass mein Vater …«

»Ein Knauser und schäbiger Geizhals ist«, unterbrach ihn Laroche-Boisseau ärgerlich.

»O, ich bitte, erzürnt Euch nicht. Ihr seid ihm schon so viel Geld schuldigt. Aber wenn auch er Euch untreu wird, bin ich, Euer Freund, nicht stets zu Eurem Dienst? Nun hat mir mein Vater zu meinen kleinen Ausgaben einige vierzig Louis d’or geschenkt, die ich Euch gerne anbiete.«

»Gut, ich verstehe«, sagte Laroche-Boisseau mit leicht verächtlicher Gebärde. »Ich nehme Euer Anerbieten an, Maître Legris. Ihr werdet diese Summe meinem Piqueur Laramée zustellen und ich werde sie Euch das erste Mal, wo ich Glück im Spiel habe, wieder zustellen. Ich muss gestehen, Ihr seid durchaus kein übler Junge, Legris, und habt keine Ähnlichkeit mit Eurem … Wohlan, ich will Euch einen abermaligen Beweis meines Vertrauens geben, indem ich Euch ersuche, mir noch einen guten Dienst zu leisten.«

»Redet, lieber Baron. Um was handelt es sich?«

»Nun hört. Nicht wahr, Ihr habt Euch verbindlich gemacht, Euch während der Jagd fortwährend in Fräulein von Barjacs Nähe zu halten?«

»Allerdings. Es ist dies eine Ehre …«

»Auf welche Ihr verzichten werdet. Ich bitte Euch nämlich im Gegenteil, Euch für heute von unserer schönen Wilden und mir so fernzuhalten wie möglich.«

»Ei, wenn Ihr es verlangt …«

»Dies ich noch nicht alles. Ihr müsst überdies auch diesen unausstehlichen Chevalier von Magnac oder jeden anderen Zudringlichen abhalten, sich als Dritter zu Fräulein von Barjac und mir zu gesellen. Versprecht Ihr mir das, mein Freund?«

»Das ist ein förmliches Opfer, was Ihr da von mir verlangt, denn unsere Wirtin ist ein reizendes Geschöpf! Indessen, ich werde Euch zu Gefallen auf das Glück ihrer Nähe verzichten. Nehmt Euch aber in acht, lieber Baron! Obwohl ich Euren Plan nicht kenne, so scheint es mir doch, als ob Ihr ein gewagtes Spiel vorhättet. Fräulein von Barjac ist von mächtigen Personen und treuen Dienern umgeben. Dieser Chevalier von Magnac namentlich mit seiner steifen Miene und seinen lächerlichen Manieren würde keinen Scherz verstehen, und wenn er nun Verdacht hegen sollte?«

»Dessen hegt er schon und eben deswegen ist Eure Hilfe mir notwendig. Ihr habt mir Eure Freundschaft schon vielfach bewiesen, Legris, und ich weiß, wie fruchtbar Euer Kopf an Auskunftsmittel ist. Deshalb rechne ich auf Euch, dass Ihr diesen Cerberus während der Jagd beschäftigen werdet, und ich habe die Gewissheit, dass meine Hoffnung nicht getäuscht werden wird.«

Diese geschickt berechneten Schmeicheleien hatten den Zweck, den Eifer des jungen Bürgeredelmannes zu entflammen, und Legris versprach, trotz des Widerwillens, den er anfänglich gezeigt hatte, endlich alles, was man wollte, und die beiden Freunde trennten sich.

Wenige Augenblicke später saßen Laroche-Boisseau und Fräulein von Barjac im Schlosshof zu Pferde, er auf einem schönen Tiere von limousinischer Rasse, sie auf ihrem Liebling Buch. Christine trug über ihre Schulter gehängt einen eleganten, mit Gold eingelegten Karabiner, welcher ihrem Vater gehört hatte.

Der Baron war außer mit seinem Hirschfänger in blausamtener, mit silbernen Wolfsköpfen besäter Scheide mit einer schweren Kugelbüchse von Saint-Etienne bewaffnet, welche sich mehr durch ihre Präzision und Tragweite als durch die Kostbarkeit der Zierraten auszeichnete.

Da es sich übrigens nicht um eine Parforcejagd, sondern um eine einfache Treibjagd handelte, so war Befehl gegeben worden, dass alle Jäger sich zu Fuß zum verbrannten Wald begeben sollten – mit alleiniger Ausnahme des Wolfsjägermeisters und der Herrin des Schlosses. Auch diese aber sollten absteigen, sobald man sich der Linie der Schützen näherte, um jedem Anlass zu einem Unfall vorzubeugen.

Dieser Befehl schien dem armen Chevalier von Magnac sehr unangenehm zu sein, weil er aus ihm bekannten Gründen sehr wünschte, seine schöne, unkluge Herrin nicht aus den Augen zu verlieren. Als sie im Begriff stand, sich mit dem galanten Wolfsjägermeister zu entfernen, kam er mit einem Rohrstock in der Hand, während ihm die viel zu weiten Gamaschen um die mageren Beine herumschlotterten, ganz außer Atem herbeigelaufen und fragte in bekümmertem, beinahe untröstlichem Ton: »Fräulein, wo soll ich wieder mit Euch zusammentreffen?«

»Meiner Treu, das weiß ich nicht«, entgegnete Christine, welcher es Mühe kostete, das Ungestüm ihres mutigen Rosses zu zügeln. »Der Herr Baron wird es Euch sagen.«

Der Chevalier richtete dieselbe Frage an Laroche-Boisseau, welcher in zerstreutem Tone sagte: »Irgendwo am verbrannten Wald und überall, wo es nötig sein wird.«

Diese Antwort war nicht geeignet, Herrn von Magnac zufriedenzustellen, und er wollte sich weniger unbestimmte Weisungen ausbitten, aber man ließ ihm keine Zeit dazu. Der Baron gab Christine einen Wink, und beide ließen ihrem Pferd wieder den Zügel schießen und jagten, nachdem sie flüchtig gegrüßt hatten, in geschecktem Galopp weiter. Der würdige Ehrenstallmeister hatte sogar noch den Kummer, die schalkhafte junge Dame, als sie sich entfernte, ein spöttisches Gelächter aufschlagen zu hören.

Der arme Mann seufzte. Dennoch aber verlor er nicht den Mut und beschloss, alles Mögliche aufzubieten, um die Entflohenen so bald wie möglich wieder einzuholen.

Schon setzte er sich mit dieser Absicht in Marsch, als Legris, elegant als Jäger equipiert und mit dem Gewehr auf der Schulter, sich ihm näherte.

»Herr Chevalier«, sagte er in höflichem Ton, »Ihr habt ohne Zweifel ebenso wie ich Eile, unsere edle Wirtin und den Herrn Wolfsjägermeister wieder einzuholen. Wir werden sie unvermeidlich am verbrannten Wald wieder finden. Da ich aber die Gegend nicht kenne und mich daher in diesem ungeheuren Wald leicht verirren könnte, so frage ich, ob Ihr mir wohl die Ehre Eurer Gesellschaft bis zum Sammelplatz gestatten würdet?«

Magnac hatte seine Gründe, gegen Legris misstrauisch zu sein, der, wie er recht wohl wusste, der blindlings gehorchende Helfershelfer des Barons von Laroche-Boisseau war.

Da aber im Grunde genommen in diesem Antrag nichts lag, was nicht sehr natürlich gewesen wäre, so antwortete der Chevalier in zeremoniösem Ton: »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Monsieur. Ich stehe zu Befehl – gehen wir.«

Und um ein gutes Beispiel zu geben, begann er mit ungeheuren Schritten darauf loszumarschieren.

Sie verließen das Schloss und erreichten den Wald, in welchem alle Wege und Stege Herrn von Magnac genau bekannt zu sein schienen. Schon hatte sich die Mehrheit der Jäger an den Ort begeben, wo das Treiben beginnen sollte. Man stieß nur noch auf eine kleine Anzahl von Nachzüglern, und da allen das unbedingteste Schweigen zur Pflicht gemacht worden war, so hatte der Wald von Mercoire sein gewöhnliches, einsames Ansehen wieder gewonnen.

Der Weg war weit, und der Chevalier besaß trotz seines Eifers nicht mehr die Rüstigkeit der Jugend. Deshalb wurden seine Schritte bald etwas langsamer.

Legris, welcher diese Gelegenheit wahrnahm, versuchte eine längere, zusammenhängende Unterhaltung anzuknüpfen.

Anfangs war Magnac auf seiner Hut und antwortete nur mit eisiger Höflichkeit. Seinem Begleiter aber fehlte es, wie wir wissen, weder an List noch an Beharrlichkeit, und er bewog endlich den guten Chevalier nach und nach, sich mitteilsamer zu zeigen.

Eben hatten sie eine schmale und düstere Eichenallee betreten, in welche noch niemals ein Sonnenstrahl eingedrungen zu sein schien, als Legris in seinem einschmeichelnden Ton wieder anhob: »In der Tat, Monsieur, ich habe es immer bewundert, dass ein Edelmann von hoher Distinktion wie Ihr, ein ehemaliger Offizier der Armee des Königs, die untergeordnete Stellung hier annehmen kann, welche Ihr auf dem Schloss Mercoire bekleidet.«

»Eine untergeordnete Stellung!«, wiederholte der Chevalier majestätisch, indem er geradezu stehen blieb und seine hohe Gestalt aufrichtete. »Was versteht Ihr unter diesen Ausdrücken, welche mir nicht ganz angemessen zu sein scheinen? In welcher Beziehung wäre meine gegenwärtige Stellung unter meinem Rang als Edelmann? Habe ich nicht unbedingte Gewalt über das Hauswesen des Schlosses? Gibt es in dem ganzen Umfang dieser Besitzungen einen einzigen Menschen, welcher sich unterstünde, in unehrerbietigem Ton mit mir zu sprechen? Und was meine Funktionen bei Fräulein von Barjac betrifft, heißt es wohl seiner Würde etwas vergeben, wenn man einer jungen, vornehmen Dame dient, welche mir unter allen Umständen Freundschaft und Achtung schenkt? Bei meinem Wort, junger Mann, wenn Ihr nur ein wenig adliges Blut in Euren Adern hättet, so wollte ich Euch den Respekt lehren, der mir gebührt!«

Legris fühlte, dass er einen falschen Weg eingeschlagen hatte, und beeilte sich, den zornmütigen Ehrenstallmeister wieder zu begütigen.

»Ihr habt mich nicht verstanden, Monsieur«, sagte er in sanftem Ton. »Gott verhüte, dass ich auf den Gedanken kommen sollte, den Herrn Chevalier von Magnac herabzusetzen. Ich konnte mir bloß nicht erklären, wie Ihr, nachdem Ihr so lange zu Felde gewesen seid und in den flandrischen Kriegen Lorbeeren geerntet habt, Ihr, einer der tapfersten Soldaten des tapferen Moritz von Sachsen, Euch an das ruhige Leben dieses Schlosses habt gewöhnen können. Man spricht oft sehr rühmlich von Euch, Herr von Magnac, und ich weiß recht wohl, dass Ihr Euch vor einigen zwanzig Jahren in der Schlacht bei Fontenoy höchst wacker gehalten habt.«

Diese Schlacht bei Fontenoy, an welche Legris auf diese Weise erinnerte, war, wie in Mercoire jedermann wusste, ein Punkt, über welchen der sonst so zurückhaltende arme Chevalier niemals verfehlte, sich mit großer Selbstgefälligkeit zu verbreiten.

Auch zuckte Magnac bei diesem Namen zusammen. Seine Züge wurden plötzlich wieder glatt und er antwortete, indem er sich wieder auf den Weg machte: »In diesem Fall, Monsieur, tut es mir leid, dass ein Missverständnis … Wir sind in unserer Familie einmal lauter Hitzköpfe, aber dieses Mal habe ich unrecht, das gebe ich zu. Ja, junger Mann, man hat Euch Wahrheit gesagt, ich war in Fontenoy und wenige Menschen haben gesehen, was ich gesehen habe, denn es war eine furchtbare Affäre und die, welche mit dabei waren, fangen heutzutage an, nicht mehr sehr zahlreich zu sein.«

Und nun begann er eine unendlich lange Erzählung von den Märschen und Contremärschen der Franzosen vor der Schlacht, von der Tapferkeit und Gewandtheit des Marschalls Moritz von Sachsen, von der entscheidenden Rolle, welche das Haus des Königs bei dem Sieg des Tages gespielt hatte.

Die ruhmreiche Epopöe war von ihrem Ende noch weit entfernt, als man eine Art Lichtung erreichte. Einige mit Flinten bewaffnete Leute hielten sich hinter den Gebüschen versteckt. Man war endlich an der Linie der Schützen angekommen.

Der Chevalier unterbrach sich sofort und dachte nur noch an seine Pflichten gegen seine Herrin. Während er mit den Augen nach jemanden suchte, um sich zu erkundigen, trat ein Jagdwächter, welcher in diesem Teil des Waldes Autorität zu haben schien, höflich heran.

»Meine Herren«, sagte er leise, »Ihr dürft nicht auf diese Weise sichtbar bleiben, denn Ihr könntet das Tier beunruhigen, welches hier in diesem Dickicht steckt.«

»Gut, gut, Pierre«, antwortete der Chevalier, indem er einige Schritte zurücktrat. »Wir suchen Fräulein von Barjac und den Herrn Baron von Laroche-Boisseau. Wo sind sie denn jetzt?«

»Eben haben sie die Schlusslinie passiert, Monsieur, und müssen jetzt bei den Vier Ecken sein.«

»Gut.«

Magnac gab Legris einen Wink und wollte längs des Waldes hingehen, um sich zum bezeichneten Ort zu begeben, als der Jagdwächter ihn zurückhielt.

»Dorthin nicht, Herr Chevalier«, sagte er. »Ihr würdet die Schützen stören und Gefahr laufen, von einer Kugel getroffen zu werden. Der Herr Baron hat das Überschreiten dieser Grenze ausdrücklich verboten. Ihr müsst den Weg über den roten Hügel nehmen.«

Magnac erstickte einen Seufzer, aber er begriff die Angemessenheit dieser Bestimmungen zu gut, als dass er sich hätte beikommen lassen, sie zu übertreten. Er kehrte daher um und ging dann in der angedeuteten Richtung weiter.

Der Umweg war ein ziemlich langer.

Nach Verlauf einiger Augenblicke fragte Legris in bittendem Ton: »Aber Herr Chevalier, Ihr fahrt so nicht in Eurer Erzählung fort, welche mich so lebhaft interessiert hat. Ihr wart bei dem Augenblick stehen geblieben, wo Euer Regiment, das Regiment von Navarra, sich anschickte, den Posten bei der Windmühle zu nehmen.«

Auf diese Weise wieder zur Erinnerung an seine Heldentaten zurückgerufen, fuhr der Chevalier in seiner Erzählung fort. Er war aber jetzt zerstreut und in Gedanken noch mit etwas anderem beschäftigt, denn er sah sich unaufhörlich um und unterbrach sich häufig, um zu horchen. Diese Zerstreutheit war ohne Zweifel die Ursache, dass er sich in eine unendliche Menge nutzloser und weitschweifiger Einzelheiten verlor. Wenigstens hielt der Feind immer noch Stand, als beide Jäger an dem Kreuzweg anlangten, welchen man die Vier Ecke nannte.

Hier sahen sie sich wieder auf der Linie der Schützen. Auf dem Kreuzweg selbst hielten ein Piqueur und mehrere Diener die Pferde des Barons und des Fräuleins von Barjac. Der Kommandant der Jagd aber und die schöne Schlossherrin waren, wie diese Dienstleute sagten, seit länger als einer halben Stunde zu Fuß weiter gegangen.

»Und nach welcher Seite haben sie sich gewendet?«, fragte der Chevalier.

»Meiner Treu, das weiß ich selbst nicht recht«, antwortete der Piqueur, in dessen Ton etwas Sarkastisches lag. »Es schien mir aber, als ob sie den Abhang der Monadière erstiegen.«

Er zeigte nachlässig auf einen benachbarten Berg. Der Chevalier schaute aufmerksam nach dieser Seite hin. An den Wänden der Monadière wurden die Bäume selten und hörten noch weit unterhalb des Gipfels auf, welcher kahl und von steilen Felsen gekrönt war. Unglücklicherweise umhüllte eine weiße unbewegliche Wolke den oberen Teil des Berges und gestattete nicht, menschliche Gestalten in dieser Entfernung zu unterscheiden.

»Hm!«, sagte Legris zu seinem Führer, nachdem er sich einige Minuten lang umgeschaut hatte, »ich glaube, unsere Jäger werden wohltun, sich zu beeilen. Diese Dünste, welche sich auf dem Berg sammeln, verkünden mit Gewissheit ein Gewitter für heute Abend. Ihr kennet das Sprichwort in hiesiger Gegend:

Setzt die Monadière ihr Hütchen aufs Ohr,

so sucht der Schäfer den Mantel hervor.«

Der Chevalier bekümmerte sich jedoch um dergleichen Prophezeiungen nicht, denn es gingen ihm ganz andere Sorgen im Kopf herum. Er wusste nicht mehr, nach welcher Seite hin er seine Nachforschungen weiter fortsetzen sollte, als plötzlich von der Monadière her ein Schuss fiel – dicht am Rande jener Wolke, welche die Bewohner der dortigen Gegend den Hut des Berges nennen.

»Das ist das Signal«, sagte der Piqueur in gedämpftem Ton. »Herr von Laroche-Boisseau hat geschossen. Jetzt Achtung! Das Treiben wird beginnen.«

In der Tat erhob sich aus der Tiefe des Tales ein noch fernes, aber seltsames, misstönendes wildes Getöse, welches immer stärker wurde und allmählich zu einer ungeheuren, riesigen Katzenmusik anwuchs. Die Treiber setzten sich in Bewegung, um das Tier aus dem Dickicht, in welchem es sich versteckt hielt, aufzuscheuchen und es nach der weniger geräuschvollen, aber weit furchtbareren Linie der Schützen hinzutreiben.

Diese, mit wachsamem Auge und Ohr, den Finger am Abzug ihrer gespannten Büchse, versteckten sich schweigend hinter den Büschen und Baumstämmen, und nur der Chevalier und Legris blieben mitten in der Lichtung stehen.

Der Piqueur sagte in ungeduldigem Ton zu ihnen: »Ihr könnt nicht hier stehen bleiben, meine Herren. Euer Anblick würde vielleicht den Wolf bestimmen, sich wieder in das Dickicht hineinzuwerfen und sich gegen die Treiber zu kehren. Wir haben es mit einem schlauen Tier zu tun, welches alle Finessen seines schändlichen Handwerks kennt. Versteckt Euch daher, oder …«

»Wir gehen«, sagte Magnac, »ich habe mir die Stelle des Berges gemerkt, von wo Herr von Laroche-Boisseau das Signal gegeben hat, und ich weiß, wo ich meine junge Gebieterin wiederfinden werde. Kommt Ihr auch mit, Herr Legris? Oder wollt Ihr hier bleiben und sehen, ob Ihr Gelegenheit bekommt, Eure Büchse auf die furchtbare Bestie des Gévaudan abzuschießen?«

Legris kam in gewaltige Versuchung. Indessen erinnerte er sich der dringenden Empfehlungen seines Freundes, des Barons, und zauderte nicht.

»Ich verlasse Euch nicht«, entgegnete er, »wäre es aber nicht besser …«

Eine zugleich gebieterische und bittende Gebärde des Piqueurs unterbrach ihr Gespräch und sie beeilten sich, wieder in den Wald hineinzukommen.

Sie folgten einem schmalen Steg, der sich zum Rücken der Monadière hinaufschlängelte. Unmerklich wurde der Wald um sie herum lichter, so wie der Abhang schroffer und steiler zu werden schien. Das hohe Dickicht verwandelte sich in Unterholz, das Unterholz in Gestrüpp und Sträucher und endlich erreichten die Wanderer einen offenen Raum, von welchem aus sie die ganze Gegend mehrere Meilen in der Runde überschauen konnten. Aber deswegen waren sie nicht viel weiter gekommen. Unter ihnen lagen Berg und Tal durch das üppige Laubwerk versteckt. Über ihren Köpfen wölbte sich wie ein Dom die weiße leuchtende Wolke, durch welche hindurch man den unregelmäßigen, zackigen Gipfel der Monadière schimmern sah.

Während die beiden so immer weiter hinausstiegen, dauerte der Lärm am Fuß des Berges fort. Zuweilen schien er weniger stark unterhalten zu werden. Ohne Zweifel hatten dann die armen Treiber, in dem Dickicht beengt, welches sie Zoll für Zoll durchklopfen mussten, weniger Freiheit, sich den Freuden der Musik zu widmen.

Bald aber begann das Getöse mit neuer Kraft. Es war, als ob das wütende Heer, von welchem die Sage erzählt, den Wald durchzöge. Man vernahm durch den allgemeinen Chor hindurch dröhnende Kesselsolos, Ochsenhörnerduette und kühne virtuosenhafte Pizzicatoleistungen auf der Schnarre.

Es war ein Spektakel geeignet, die Tauben noch tauber zu machen.

Vonseiten der Schützen dagegen blieb alles still. Man hörte keinen Schuss, keinen Anruf. Ohne Zweifel erriet der Wolf, wenn er nämlich überhaupt sein Versteck verlassen hatte, mit einer bei wilden Tieren gar nicht seltenen Feinheit des Instinkts die Taktik seiner Feinde und vermied es so lange wie möglich, sich den mörderischen Kugeln preiszugeben.

Herr von Magnac und Legris blieben einen Augenblick stehen, um auf einem kleinen Plateau, welches sich ungefähr zu Beginn des letzten Drittels der Berghöhe befand, ein wenig zu verschnaufen.

Hier begann die Wolke, von welcher wir gesprochen haben und mit der sich unaufhörlich leichte Nebelstreifen ver- schmolzen, welche aus den unteren Schluchten heraufstiegen. Eine Achtelmeile tiefer unten streckte sich die äußerste Spitze des Waldes hin und man sah hinter einem kleinen Ginstergesträuch versteckt den letzten Schützen der Linie.

Mit Ausnahme dieses einzigen Schützen, der unbeweglich in seinem Hinterhalt stand, war niemand auf dem Berg und an nichts ließ sich erraten, zu welchem Punkt der Baron und Fräulein von Barjac ihre Schritte gelenkt hatten.

Plötzlich ließ sich ein schwacher Laut von menschlichen Stimmen aus dem Nebel heraus vernehmen.

Der Chevalier drehte sich rasch herum und zeigte mit dem Finger auf eine Art Durchhau in der Bergwand, ein wenig oberhalb der Stelle, auf der sie standen.

»Hierher!«, rief er eilig. »Ich hatte die Eberschlucht vergessen, wo Jeannots Hütte steht. Dort werden wir sie finden, denn ich habe soeben die Stimme meiner jungen Herrin gehört.«

Er begann sofort mit der ganzen Geschwindigkeit seiner langen Beine weiter hinaufzusteigen.

»Aber wo führt Ihr mich denn hin?«, fragte Legris, welcher Mühe hatte, ihm zu folgen.

»Ihr werdet es gleich sehen … sie sind dort, sage ich Euch.«

Es dauerte nicht lange, so sahen sie sich am Rand der Schlucht, welche von unten wenig sichtbar war, aber jetzt vor ihren Füßen wie ein Abgrund dalag. Sie schien durch die von den Gipfeln der Monadière dann und wann herabstürzenden Regenwasserströme gebildet worden zu sein.  Ihr Boden war mit Felstrümmern besät. Dennoch aber gestatteten die mit Gras und Farnkraut bewachsenen Seitenwände das Hinabsteigen ohne große Mühe.

Was Legris ganz besonders Wunder nahm, war, zu sehen, dass ein menschliches Wesen gewagt hatte, seine Wohnung in dieser schauerlichen Umgebung aufzuschlagen. Auf der entgegengesetzten Seite der Schlucht war eine in den Felsen gehöhlte Art Grotte durch eine Einhegung von Baumstämmen geschlossen, in welche man eine Tür und zwei Luken gehauen hatte, welche die Stelle der Fenster vertraten.

Man konnte sich nichts Traurigeres und Erbärmlicheres denken, als diese weit von dem Verkehr der Menschen in der Region der Stürme und der Raubvögel gelegene Wohnung.

Während Legris noch dieses seltsame Bauwerk, welches mehr der Höhle eines Bären als der Wohnung eines menschlichen Wesens glich, betrachtete, ließ das Geräusch von Stimmen, welches man schon einmal vernommen hatte, sich von Neuem hören und dieses Mal schien es aus der geheimnisvollen Behausung zu kommen.

»Ich irrte mich nicht«, hob der Chevalier wieder an. »Hier ist es. Ich bin davon überzeugt. Rasch! Rasch! Es ist, als ob man riefe.«

Und Legis beim Arm fassend, zog er ihn an dem grasigen Abhang der Schlucht weiter hinab. Schon berührten sie den Boden derselben, in welchem sich schwerfällig einige Nebelstreifen hinzogen, als rasche Sprünge ganz in ihrer Nähe den Boden erschütterten.

Ehe sie noch Zeit hatten, sich umzudrehen, stürzte sich ein ungeheures Tier mit gähnendem Rachen und feurigen Augen auf sie, riss sie durch den Anprall, ein dumpfes Knurren ausstoßend, über den Haufen und setzte dann, ohne ihnen weiter etwas zuzufügen, seinen Weg zum äußersten Ende der Schlucht fort.

Kaum hatte das wilde Tier aufgehört, sichtbar zu sein, so erscholl ein furchtbares lautes Gelächter. Man wusste nicht, woher, als ob ein schadenfroher Dämon sein Wohlgefallen an dem Missgeschick der beiden Jäger hätte ausdrücken wollen. Erst ein wenig später aber erinnerte sich der Chevalier und Legris dieses letzten Umstandes. Betäubt durch den ungestümen Anprall des Tieres, dessen Flucht sie, ohne es zu wollen, gestört hatten, blieben sie ausgestreckt auf der Erde liegen, ohne dass es ihnen eingefallen wäre, sich wieder zu erheben.

Endlich entschlossen sie sich dazu, und Legris war der Erste, welcher seine Geistesgegenwart wieder erlangte und sich aufmachte, um seine Flinte aufzuheben, welche zehn Schritte weit von ihm hinweggeflogen war.

»Das war die Bestie des Gévaudan«, sagte er mit vor Gemütsbewegung halb erstickter Stimme. »Verteidigen wir uns!«

»Ja, das ist die Bestie«, entgegnete der Chevalier, indem er die Hand an sein blutrünstiges Gesicht legte, »und der Teufel hole es! Es hat mir eine gehörige Ohrfeige gegeben. Aber wie kommt es, dass kein Jäger hier steht, um diese Passage zu bewachen?«

Er wurde durch ein durchbohrendes Geschrei unterbrochen, auf welches bald ein gellender Ausruf folgte, der aus der Hütte kam, von welcher wir bereits gesprochen haben.

Magnac und sein Begleiter fuhren zusammen.

»Das ist die Stimme meiner Herrin!«, rief der Chevalier.

»Ich habe auch die des Barons erkannt«, sagte Legris.

Plötzlich flog die Tür der Waldhütte auf und Fräulein von Barjac erschien auf der Schwelle. Christine war in bloßem Kopf, mit fliegendem Haar und rot flammendem Antlitz. In der Hand hielt sie einen Hirschfänger, dessen Klinge von Blut troff.

Als sie sich Magnac und Legris gegenüber sah, verriet sie weder Überraschung noch Furcht. Sie betrachtete sie bloß mit düsterer Miene und sagte mit irrem Blick: »Ihr kommt zu spät … ich habe ihn getötet … geht da hinein! Ihr werdet darin Euren schönen Jäger finden.«

Sie warf den blutigen Hirschfänger zu den Füßen der beiden vor Schreck erstarrten Männer und begann mit wilder Hast wie eine Wahnsinnige den Berg hinabzueilen.

 

Ende des ersten Teils