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Der Welt-Detektiv Band 6

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Jacob von Molay, der letzte Templer 29

Franz Theodor Wangenheim
Jacob von Molay, der letzte Templer
Dritter Teil
König Philipp
Verlag von Joh. Fr. Hammerich, Altona, 1838

Viertes Kapitel

Jacob von Molay war von Poitiers zurückgekehrt. Halb gerüstet, in der heftigsten Bewegung schritt der Meister auf und nieder im Gemach, während Boulogne und Montroyal einander bedeutungsvolle Blicke zuwarfen. In seiner Rechten hielt der Meister einen zusammengeknitterten Brief, der ihm von unbekannter Hand zugeschickt worden war. Ob der Brief Wahrheit enthielt oder nicht, das konnte der Meister weder bejahen noch verneinen. Unterschrieben war er mit ein Ritter vom Hospital und enthielt Folgendes:

An Jacob Bernhard von Molay, Großmeister der Tempelherren.

Brüderlicher Gruß zuvor. Zwar bekenne ich mich nicht zu Eurem löblichen Orden, doch halte ich es für Pflicht, Euch von der Verletzung Eurer Ordensregel in Kenntnis zu sehen, da wir dieselbe miteinander gemein haben. Seitdem Ihr nach Frankreich herübergekommen seid, hält sich ein Greis in Paris auf – man weiß nicht, ob er Christ oder Heide sei. Eine Dirne, von ausgezeichneter Schönheit, eine Ungläubige, wohnte bei ihm. Ihr Name: Selma. Den Dauphin von Auvergne, einen von Euren Großkomturen, hatte eine sündige Liebe zu dem Mädchen erfasst, und er entblödete sich nicht, in verschwiegener Nacht zu ihr zu schleichen. Man belauschte ihn, ertappte ihn sogar. Zwei Männer waren es, die ihm nachgeschlichen waren, und da sie ihm Vorwürfe machten, kam es zwischen den dreien zu Tätlichkeiten, bei welcher Gelegenheit des Dauphins weißer Mantel in ihren Händen zurückblieb. Gefällt es Euch, so mögt Ihr das Ordenskleid bei dem Beichtvater des Königs abfordern lassen. Der Greis mit der Verführerin hat leider schon Paris verlassen, sie sind daher der gerechten Strafe entronnen.

»Wäre es nur das, nur das allein«, rief der Meister, stets noch auf- und abschreitend und den Brief noch fester zusammenkrampfend. »Wäre es nur das, bei unserer lieben Frau! Es würde mich nicht hart berühren. Aber Boulogne!

Montroyal! Man treibt mit uns ein Knabenspiel! Papst und König, jeder will nur Vorteil von uns ziehen und uns nicht einen Vorteil gewähren. Ich sehe es ein, man zieht uns die Hospitaliter vor. Wir werden zurückgesetzt, unsere Privilegien werden nicht geachtet und am Ende wird man uns unsere Rechte schmälern. Wo ist Peyraud? Ist er etwa schon wieder beim König? Der scheint auf sehr gutem Fuß mit dem König zu stehen! Man soll nach ihm schicken. Augenblicklich will ich ihn sprechen; er soll stracks daherkommen.«

»Herr und Meister«, bedeutete ihm Montroyal, »der König ließ ihn rufen …«

»So rufe ich ihn vom König ab! Der Ritter vom Tempel, und stehe er noch so hoch, muss mir gehorchen und nicht dem König. Schickt nach ihm – ich will und muss ihn haben.«

Montroyal gehorchte. Der Meister war allein mit Boulogne.

»Was denkst du davon, Boulogne? Antworte schnell, ehe Montroyal zurückkehrt!«

»Gar nichts«, sprach jener eintönig, – »es wird sich alles erklären«, sagte er mit einem tiefen Seufzer hinzu.

»Draußen«, meldete Montroyal, »steht Prinz Robert. Er wünscht Euch zu sprechen, Meister.«

»Jetzt nicht! Ich kann ihn jetzt nicht sehen … und doch, doch lasst ihn kommen, dass die kindlich frommen Züge, die schönen unschuldigen, mich besänftigen mögen.«

Der königliche Knabe wurde hereingeführt. Zarter an Gestalt, als sein Alter vermuten ließ, umschloss ihn das blaue seidene Wämschen, verbrämt mit goldenen Fransen. Auch ein blaues Barettchen mit weißen Federn schwebte, wie es schien, auf den goldenen Locken des Knaben, der dreist auf den würdigen Meister zueilte und ihm die Hand reichte. Der Meister aber nahm ihn mit beiden Händen auf vom Boden und küsste ihn auf die Stirn.

»Und du kommst so allein, mein Knabe?«

»Nein, Vetter, ich bin nicht allein hieher gekommen. Das Fräulein von Valiere brachte mich. Sie blieb drüben in dem alten grauen Haus bei einer Freundin, deren Diener mich die kleine Strecke trug. Ich habe dir auch etwas mitgebracht, doch darf ich nicht sagen, von wem. Ich glaube, es ist Veilchenzucker darin.« Und der Knabe zog ein viereckiges Päckchen aus seiner Brusttasche. Es war zierlich und künstlich genug mit Seide umwunden, dass es der Neugier trotzen konnte. Mit vieler Mühe löste der Meister die seidenen Fäden. Und der Knabe hatte recht: Veilchenzucker war darin; nichts anderes. Des Knaben Augen glänzten vor Freude, da er den Leckerbissen sah. Er wusste ja wohl, dass er etwas davon bekommen würde. Aber der Meister brach den Zucker nicht, denn er misstraute dem Geschenk, besann sich eine Weile und legte es dann zur Seite. Den Knaben wusste er zu beschwichtigen, befahl Boulogne flüsternd, einen kundigen Mann zu besorgen, damit er dieses Stück Zucker untersuche, ob es vielleicht vergiftet wäre. Nichts schien so gewiss als diese Vermutung, und sowohl Boulogne als auch Montroyal verließen den Meister, der in Gegenwart des Knaben doch nicht weiter mit ihnen sprechen konnte.

Es war ein eigener Anblick, als sich der Meister auf einen Sessel niederließ und den holden Knaben auf seinem linken Knie schaukelte. So manche Gedankenfolge knüpfte sich an dieses Bild. Des Meisters Augen erglänzten, wie von Vaterfreude und man betrachte das Gelübde, welches er abgelegt hatte. Ist es möglich, dass eine Seelenstimmung gerade im Gegensatz mit der Schwingung des Geistes stehe? Konnte Jacob von Molay so väterlich, so liebend den Knaben betrachten, ihn auf seinem Knie schaukeln, wenn er überzeugt gewesen, dass Gattenliebe oder auch eine andere ein Abscheu des Ordens wäre? Wie so herzig der Knabe dem Meister in die großen dunklen Augen schaute, wie der stille Vorwurf, dass er ihm das Stückchen Veilchenzucker vorenthielt, sich so treu und wahr in des Knaben Augen malte, da wurde der Meister hingerissen von dem lieblichen Spross des ihm nun feindlich gesinnten Königs.

Alle Sorgen waren plötzlich geschwunden und nachahmend das Kind sprach der Meister zum Kind: »Möchtest wohl das Stückchen Zucker haben, Robert? Nicht wahr, du kleiner Prinz? Wir wollen sehen, was damit zu machen sei. Halte dich fest an meinem Kleid, dass du nicht vom Knie fällst, dann will ich den Zucker brechen.«

Der Meister nahm das Stück und schon hatte er beide Daumen darauf gelegt, um es mit dem Knaben zu teilen, da stieg der gräuliche Verdacht wieder in ihm auf, und er sprach vor sich hin: »Es wäre schrecklich, wenn wir beide davon genössen – ich, sein Feind und dieses hier sein leibliches Kind. Sieh, klar wie Kristall die Masse … ihres Erfinders würdig … des Kaisers Friederich.«

Während dieser Worte war das Licht des Fensters durch den Veilchenzucker gefallen. Der Meister entdeckte darin ein scharf geschnittenes dunkleres Viereck. Er sah noch einmal hin, um es deutlicher zu erkennen, prüfte es genauer, und rief, indem er den Knaben von seinem Knie hob: »Bei unserer lieben Frau! In diesem Zucker steckt etwas ganz anderes, als ich vermutet habe.«

Darauf nahm er den Knauf seines Dolches, zerbröckelte damit die glasähnliche Scheibe. Und siehe da! Ein Blättchen enthielt sie in ihrem Inneren, ein Blättchen Papier, von einer Frauenhand beschrieben. Nicht ohne Mühe entzifferte der Meister die Schriftzüge. Eine zitternde Hand, so schien es, hatte sie dem Papier anvertraut.

Großmeister der Tempelherren – so lauteten die wenigen Zeilen, flüchtet ans Frankreich! Flieht, so weit der Kiel eines Schiffes Euch tragen kann. An einem Haar hängt das Schwert über Euch und über den ganzen Orden.

Das Blättchen entfiel der erschrockenen Hand, der Meister starrte vor sich hinaus, und Robert, der Knabe, langte nach dem zerbröckelten Zucker.

Doch plötzlich donnerte des Meisters Befehl durch die Gänge des Tempels. »Boulogne«, rief er, »und Montroyal! Geh, geh, mein Robert«, sprach der Zurückkehrende sanft zu dem Knaben.

»Bald besuche ich dich. Bringe deiner Mutter meinen herzlichen Gruß. Sage ihr, den Veilchenzucker würde ich ihr nie vergessen.«

»Nicht meine Mutter hat ihn mir gegeben, Vetter, sondern die schöne Margot. Sie steckte mir ihn zu, als Valiere und ich von ihr Abschied nahmen.«

»Margot! Wer ist diese Margot? Kennst du sie, Robert? Hast du sie öfter wohl gesehen? Hat sie nicht noch einen anderen Namen? Besinne dich einmal.«

»Das weiß ich nicht, lieber Vetter, aber wo sie wohnt, das will ich dir wohl sagen.«

Niemals wohl hatte Jacob von Molay sich angelegentlich nach einem Weib erkundigt wie jetzt. Niemals wohl hatte er mit einem Kind mehr Worte gewechselt. Und der Knabe beschrieb ihm alles so genau, dass er Margot nicht verfehlen konnte. Auch die letzten Krumen des Veilchenzuckers wurden nun dem Knaben zuteil. In seiner kindlichen Einfalt schwatzte er mehr, als der Meister zu wissen begehrte, und schimpfte endlich auf einige Damen der Königin, welche die schöne Margot immer nur die Waffenschmiedstochter von Beziers nannten. Das Erstaunen des Meisters wurde durch den Eintritt der beiden Gerufenen unterbrochen. Er ließ alsbald den Knaben dem harrenden Diener übergeben und nötigte die beiden, sich niederzulassen. Er aber hatte das Blättchen wieder vom Boden genommen. In einen Sessel geworfen, heftig die Stirn reibend, wusste er nicht zu Worte zu kommen.

»Was ist es, Herr und Meister«, fragte endlich Boulogne, »das uns hierher gerufen? Des Tempels Wände erdröhnten von der Macht Eurer Stimme, und, obwohl weit entfernt, schlug sie dennoch an unser Ohr.«

»O, Boulogne!«, brach der Meister hervor, »es tagt furchtbar in meiner Seele! Montroyal, man spielt mit uns nicht mehr wie mit Knaben. Nein! O, nein! Das Spiel ist nicht für einen König von Frankreich. Das Spiel wird blutig enden! Wer es verliert, nur das ist noch die Frage.«

»Herr und Meister«, versetzte Montroyal, »so habe ich Euch noch nie gesehen! Mochten auch tausend Sarazenenspeere um uns sausen, im wildesten Kampfgewühl wart Ihr Euch gleich geblieben. Es muss schrecklich sein, was Euch widerfahren ist.«

»Wohl schrecklich, Montroyal! Schrecklich genug, dass es einen alten Mann erschüttern könne. O, warum habe ich den Rat treuer Freunde verworfen und blieb nicht auf Zypern! Dort konnte ich sagen: Komm an! Komm an! Ich halte vor!«

»Und warum denn nur auf Zypern?«, entgegnete der Kühne. »Warum nur auf Zypern und nicht auch in Frankreich? Sind wir nicht Männer hier wie dort? Ist man so feindlich gegen uns gesinnt, dass das Spiel blutig enden werde. So wollen wir doch sehen, auf welcher Seite das Blut fließe! Schickt Reitende ab in alle Provinzen! Was sich zum Orden bekennt, versammle sich in dieser Stadt Paris, und trotzig stehen wir da, Mann an Mann, Rücken an Rücken, einer stärker durch den anderen. Lasst sie kommen die Nattern, die uns im Finsteren umschleichen! Der Fußtritt der Tempelherren wird sie zermalmen!«

»Was ist es denn?«, trat Boulogne mit seiner gewohnten Ruhe dazwischen. »Was ist es denn, das so plötzlich Euch erschreckt hat, Meister? Lasst doch sehen, Ihr tragt ein Blättchen in Eurer Hand. Lasst es mich doch einmal lesen.«

Der Meister reichte es ihm schweigend. Kein Zug in Boulognes Gesicht veränderte sich. Er gab es zurück.

»Meine Ahnung ist erfüllt.«

Eine tiefe Stille senkte sich auf die drei Männer hernieder. Ein jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken nach.

Jacob von Molay nur sprach halblaut zu sich selbst: »Es ist klar, man hat mich hergelockt nach Frankreich, mich und meine besten Mannen, um uns zu verderben. O, Kardinal! Kardinal! Du hast mit gleisnerischer Rede mich betört, und du, Papst …! Doch, bei Gott! Bei dem Herrn der Heerscharen! Bei der heiligen Mutter sei es geschworen«, rief er plötzlich mit dem ganzen Grimm eines verwundeten Löwen. »Ihr sollt Euch verrechnet haben! Herbei werden sie strömen von Ost und West und Süd und Nord, ihren Meister zu beschützen, sei es mit Schwert und Lanze. Diese Hallen werden erdröhnen von dem Klang der Waffen, von dem Rasseln der unzähligen Harnische. Komm an, falscher König, wir wollen uns wehren, dass man in Blutes Strömen sich baden könne! Kommt her, Ihr zierlichen Ritterlein, wir wollen Euch die minnigen Gedanken aus den Köpfen treiben … Eitel Notwehr ist es und nichts weiter … die Regel bleibt unverletzt, denn nicht wir zucken das Schwert gegen Christen!«

Eine flammende Röte hatte des Meisters Gesicht übergossen. Erschöpft von der Aufwallung war er wieder in den Sessel gesunken. Jetzt erst trat Boulogne dicht zu ihm hin, legte ihm die Hand sanft auf die Achsel und bat ihn leise, dass er Montroyal entlassen möchte. Wie aus einem schweren Traum erwachend schaute der Meister seinen treuen Boulogne groß an, und erst, nachdem dieser zweimal die Bitte wiederholte, hatte ihn Jacob von Molay verstanden.

»Entfernt Euch, Montroyal«, sprach er matt, »ich werde Euch rufen lassen, wenn ich Eurer bedarf«

»Richte dich auf«, sprach Boulogne, als sie allein waren. »Richte dich auf, Jacob von Molay. Bleibe ein Mann, verzage nicht. Aber glaube mir, es ist notwendig, alles jetzt ins Auge zu fassen. Kein Vorwurf von meinen Lippen soll dich jemals kränken, Freund. Nur um eines bitte ich dich: Nimm all deine Seelenkraft zusammen. Ich weiß mehr, als du denkst. Meinst wohl, jener Waffenschmied von Beziers, der Prior von Montfaucon und Rosso Dei seien unsere Ankläger. Bis heute habe ich geschwiegen, denn unnütz wäre es gewesen, etwas zu sagen, was ich nicht beweisen konnte. Nur Zwietracht hätte ich unter die Mitglieder des Ordens gesät, und das wollte ich nicht, zumal in Paris, wo uns Tausende lauschend umschleichen. Nun aber ist es Zeit zu reden und zu handeln. Du selbst, Jacob von Molay, hast mit leichtem Sinn, wie er weder für dein Alter noch für deine Weisheit passt, unseren Feinden das Spiel erleichtert. Längst bin ich ungesehen den Schritten des Dauphins gefolgt – du und er, und er und du, ihr habt euch fangen lassen. Er ist jung, leider empfänglich für eines Weibes Schöne, und – eine Schäferstunde hat schon manches Geheimnis enthüllt. Jener Greis, dem das Mädchen angehört, bekennt sich selbst zum Orden vom Hospital. Wer weiß, wie vielen Anteil der Orden an unserer misslichen Stellung hat!«

»Ja, du hast recht«, sprach der Meister nach einigen Sinnen, indem das sorgenvolle Haupt auf- und niederschwankte. »Du hast recht, Peter, wir sind umlauert von tausend und abermal tausend Feinden. Nun erst sehe ich ein, warum Villaret nicht gekommen ist. Man beneidete uns. Das war ihnen noch nicht genug – man musste uns auch erst hassen. Den Neid konnten wir wohl verlachen; dem Hass aber müssen wir die trotzige Stirn entgegenstellen!«

»Nicht doch, Jacob, nicht doch. Mit Trotz ist hier nichts anzufangen. Ruhiges Nachdenken wird einen besseren Schluss herbeiführen. Wer weiß auch, ob es sich gar so arg verhält – das muss die Folge lehren. Man wird sich nicht erkühnen, uns widerrechtlich anzutasten. Wir können uns ruhig auf unser gutes Recht stützen, und ich vertrete den Orden vor der ganzen Christenheit. Von den Anklagepunkten habe ich schon gehört – das Volk trägt sich mit ihnen herum. Abgeschmackt sind sie, erlogen, unerweislich. Was die Übertreter der Ordensregel anbelangt, über solche richten wir selbst, kein anderer. Was kann es uns kümmern, ob das Ordenskleid des Dauphins sich in den Händen eines Wilhelm von Paris befindet?

Der Pater kann höchstens sein Ankläger werden, nicht aber sein Richter.«

»Du willst mich beruhigen, Peter«, seufzte der Meister tief auf. »Aber niemals war ich so unruhig, wie jetzt in diesem Augenblick …«

Ein Bruder trat herein und meldete Wilhelm von Paris, den Beichtvater des Königs.

»Bleib in der Nähe«, flüsterte der Meister, »dort, durch jene Tür. Sie ist aus dünnem Holz geschnitzt und wird den Schall nur dämpfen.«

Boulogne eilte an den bezeichneten Ort.

Des Meisters Seelenstimmung zu berechnen, wäre ein kaum lösbares Rätsel. Bald wollte er kühn der Übermacht trotzen und bald warf ihn der Gedanke an die Gefahr darnieder. Der Pater konnte daher keinen gelegeneren Zeitpunkt treffen. Er, der schlaue, umsichtige Priester, der den König und den ganzen Hof am Gängelband führte, der selbst der Macht des Papstes Trotz bieten durfte, denn er konnte sich dreist auf Philipp stützen, und wie Philipp mit Päpsten verfuhr das wusste die ganze Welt. Nicht, wie damals, als er in der Audienz beim Großmeister erschien, kam der Pater heute. Als ob er ein gar wichtiges Geschäft mit ihm abzumachen hätte, so trat er mit einem Anstrich von Wichtigkeit auf ihn zu; aber freundlich war sein Gesicht, wenn irgend Freundlichkeit in Wilhelms Züge sich einbürgern konnte.

»Ich komme, hoher Herr …«

»Vom König?«

»Nicht von dem König; aus eigenem Antrieb bin ich hier und denke, dass wir uns über so manches verständigen werden. Der König zwar hat mir ganz andere Dinge aufgetragen, doch ich, von dem Heiligen Pater selbst zum Haupt der Geistlichkeit in Frankreich gestellt, ich hege zu viel Achtung für den kriegerischen Orden der Tempelherren, liebe ihn sogar mehr als jeden anderen …«

»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach ihn der Meister. »Ihr kommt zu mir, um für den Dauphin zu bitten. Darauf, hochwürdiger Herr, kann ich nicht Rücksicht nehmen; denn wenn sich auch der Orden in mir darstellt, so bin ich doch nicht befugt, ohne Rat der anderen Brüder, ohne ihre Beistimmung, über einen Großkomtur auf irgendeine Weise zu bestimmen.«

»Hoher Herr«, trat ihm Wilhelm von Paris zutraulich näher, »denkt Ihr vielleicht, ich nehme Rücksicht auf Dinge, die kaum geeignet sind, die Aufmerksamkeit eines Bischofs zu reizen? Wir wissen beide ja, dass solche Verletzungen der Regel im Bereich der erlaubten Möglichkeiten liegen. Drum davon nicht mehr die Rede. Was helfen Versicherungen, was helfen Schwüre? Die Tat muss sprechen. Hier bringe ich Euch den Mantel des Dauphins zurück. Mein heiliges Gewand bot Raum genug, es darin zu verstecken. Von den Hospitalitern rührt die Anzeige her. Ich weiß ja, dass sie Eure Nebenbuhler sind, und möchte um jeden Preis die drei ersten kriegerischen Orden miteinander vereinigt sehen. Was seht Ihr mich so zweifelnd an? Dem König freilich ist Kunde davon zugekommen, und Ihr wisst ja selbst, Philipp wähnt sich, der Beschützer und Richter. Philipp trug mir ein ganz anderes auf. Ich aber meinte, es wäre besser, wenn man ein Ärgernis der Welt vorenthielte. Aus diesem Grund habe ich Euch den Mantel zurückgebracht.«

»Ihr überrascht mich wirklich, hochwürdiger Herr.«

»Keineswegs dürfte das sein, wenn Ihr meine Stellung bei Hofe betrachtet. Ich bin der Beichtiger des Königs, sitze im geheimen Rat, bin stets um ihn, und es würde dem König nicht mehr als zwei Worte kosten, so wäre ich wieder ein gewöhnlicher Dominikanermönch. Seht, hoher Herr, man entsagt ungern einer Stellung, wo man gesehen worden auf der Menschheit Häuptern. Mag man es auch Eitelkeit schelten, oder was sonst, es liegt schon einmal in der Brust eines jeden Erdgeborenen, dass er die Stufe, auf welche ihn Kopf und Herz geführt haben, zum Hebel einer höheren nehme, nicht aber heruntersteigen mag. Wir Mönche sind ja auch Erdgeborene, so manches erinnert uns an die Scholle – warum sollten wir nicht auch Ehrgeiz besitzen? In ihren Grundzügen sind alle Orden einander verwandt. Ob ein Mönchsorden ein kriegerisches Leben führe oder ein beschauendes, das bleibt sich gleich. Ich halte es für Pflicht und Schuldigkeit, dass einer dem anderen helfe, ihm nütze, wo er nur kann.«

»Bei unserer lieben Frau! Hochwürdiger Herr, diese Ansichten hätte ich bei Euch nicht vermutet.«

»Das will ich wohl glauben. Es leuchtet auch ein: Ihr steckt in der Rüstung, führt Schwert, Dolch, Keule, Lanze und was noch – schlagt darein, wo Ihr könnt und wo Ihr mögt. Macht Eroberungen und müsst sie wieder im Stich lassen. Ich aber lebe an König Philipps Hof, halb ihm, halb dem Papst untertan, bin ein Mittelding, das weder dem Himmel angehört noch der Erde. Heute bin ich der scharfsichtige Staatsmann, morgen bin ich der stumpfsinnige Mönch; heute muss ich den besten Sohn der Kirche von seinen Fleischessünden erlösen, und morgen muss ich sein Kuppler fein, um nicht erniedrigt zu werden. Seht, hoher Herr, das ist meine Herrlichkeit.«

»Ihr sprecht offenherzig. Das ist mir lieb. Wahrlich, ich fasse Vertrauen zu Euch. Wer so, wie Ihr, sich darstellt, dem mag man wohl Glauben schenken. Was ist es denn, das Euch veranlasst, mir alles so haarklein zu offenbaren? Ohne Hehl, ich bitte Euch darum, sagt es mir.«

»Wohlan denn, Herr; doch darf der König nichts davon erfahren.«

»Sorgt Euch nicht.«

Geheimnisvoll trat Wilhelm von Paris noch näher heran zu dem Meister, eröffnete ihm, dass der König mit dem Papst einverstanden sei, alle kriegerischen Orden in einen zusammenschmelzen wollte, unter dem Namen eines königlichen Ordens ihn zu der Wiedereroberung des Gelobten Landes zu verwenden gedächte; dass der König den Tempelherren misstraute, sie unschädlich zu machen beabsichtigte und darum der ganze Orden aufhören müsste. Welchen Eindruck diese Eröffnung auf den Großmeister machte, das ist leicht zu ermessen, wenn man die geheimste Absicht, das innigste Begehren seines Herzens betrachtet. Es tat ihm nun leid, dass Boulogne hinter der Tür lauschte, und mit einem Wink gebot er dem Pater Schweigen.

So leise, dass es nur ein Wilhelm von Paris verstehen konnte, mit einem Blick, wel­cher mehr zu verstehen gab als alle Worte, mit einem Händedruck, der viel versprach, sagte Jacob von Molay: »Auf Wiedersehen.«

»Wo?«

»Im Louvre.«

»Wann?«

»Morgen früh, nach der None.«

»Ich erwarte Euch.«