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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 9

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Neuntes Kapitel

Ist voll von Anschlägen und Gegenanschlägen – Morgan zeigt Symptome von Talent, gewinnt seine Freiheit wieder und lernt den Matrosendienst, nämlich Bieten, Reffen und Steuern.

In seinem engen heißen und schmutzigen Gefängnis, wo er sich kaum rühren konnte, blieb nun Henry in einem Zustand finsteren, rachsüchtigen Schweigens. Er war schwer gefesselt und sowohl ein Gegenstand des Abscheus als auch des Hohnes seiner Mitgefangenen. Um der Lüftung willen zwang man ihn, jeden Tag ein paar Stunden auf das Deck zu gehen; aber auch bei diesen Anlässen wurden ihm die Fesseln nie abgenommen. Wenn er sich auf dem Deck befand, nötigte man ihn zu beständiger Bewegung, indem man ihn die Laufplanke hin und her traben ließ und empfindlich mit einer langen Pike kitzelte, im Falle er nur einen Augenblick innehielt. Niemand schenkte ihm auch nur die geringste Anteilnahme. Der Kapitän und die Offiziere schienen sein Vorhandensein ganz vergessen zu haben, und eben diese gänzliche Verachtung war es, was ihn am meisten folterte.

Anfangs versuchte er sich auszuhungern, aber dies machte den Schließern wenig Sorge. Mit einem eigens dazu gefertigten Instrument sperrten sie ihm den Mund auf und stießen ihm sehr ekelhafte Bissen, aus Fett und Mehl bestehend, in die Kehle hinunter, sodass er sich bald wieder die reichliche und gute Schiffskost belieben ließ; denn das marktbare Vieh will man nicht verhungern lassen.

Owen benahm sich während aller dieser Drangsale sehr verständig, indem er sich nie störrisch oder ungestüm erwies, sondern stets eine ruhige Gleichgültigkeit an den Tag legte. Er weigerte sich nicht, mit seinen Nebengefangenen zu sprechen oder zu scherzen, obwohl er ihre Unterhaltung nicht aufsuchte, verzehrte wohlgemut, was ihm gereicht wurde, und benahm sich stets sehr gehorsam und höflich den Offizieren gegenüber, namentlich aber gegen den Wundarzt und seine Gehilfen. Hin und wieder gaben sich auch die Matrosen die Mühe oder waren so wohlwollend, mit ihm durch die hölzernen Stangen seines Käfigs zu sprechen – eine Aufmerksamkeit, die er herzlich erwiderte.

Doch gegen Morgan benahm er sich mit einem wahrhaft schönen Instinkt – wir müssen es so nennen, denn es kam so natürlich und ohne allen Zwang. Er sorgte für die Reinlichkeit seines Freundes, wie eine Mutter für die eines Lieblingskindes, denn anfangs vernachlässigte Henry gar alles. Mehrere Tage versuchte es Owen nicht, ihn anzureden, aber er nährte ihn täglich, streichelte sein Gesicht, scheitelte sein Haar und hätschelte ihn wie einen kranken Knaben.

Diese ganze Zeit über schien Morgan für die Welt verloren und mehr als halb tot zu sein, aber dennoch war er nie so lebendig gewesen. Er schrieb auf die Tafeln seines Herzens tiefe Inschriften des bittersten Hasses gegen seine Mitmenschen, und die grausame Qual, die er empfand, lehrte ihn selbst grausam zu werden. Am siebten Tag seiner Einsperrung, als er dicht neben Owen saß, rang er seine Hände und fing zum ersten Mal wieder an, in der Zunge seiner Heimat zu sprechen.

»Owen, Freund meines Herzens!«, sagte er, und die Tränen rannen über seine bleichen Züge herunter. »Mein Spielgefährte am weißen Sand des Meeres – besinne dich, mein teurer Bruder, was jetzt dein und mein Vater tun mögen. Sage es mir, Owen, damit mir das Herz nicht zerspringe.«

»Es ist jetzt Sonnenuntergang«, versetzte Owen gleichfalls in walischer Sprache, »und dein Vater – möge er lange leben in seiner Halle und sein Schatten sichtbar sein an den Bergen, bis seine Jahre wunderbar sind an Zahl – dein ehrenwerter Vater steht nun auf dem kleinen Hügel am Weg, der zu seinem Haus führt. Er hat seine Heugabel in der rechten Hand und sieht den Hirten zu, welche das Vieh in den Farmhof treiben. Er zählt sie, teurer Heinz, aber er zögert, denn er hat die Zahl verloren. Jetzt fährt er mit dem Rücken seiner linken Hand über die Augen … sie sind voll Tränen. Er denkt an seinen abwesenden ältesten Sohn.«

»Meinst du? Ja … ich sehe ihn. Ein milder Sonnenstrahl verklärt seine breite Stirn … wie edel er aussieht in seinem Schmerz! Bemerkst du nicht, teuerster Owen, dass er seine Augen gen Himmel gekehrt hat … seine alten liebevollen Augen … ohne Zweifel betet er … glaubst du wohl, es sei für mich?«, sagte Henry in bebendem Ton.

»Oh ja; und da kommen deine fröhlichen jungen Brüder – aber sie sind nicht mehr fröhlich, sondern traurig. Dennoch sehen sie freundlich aus. Der kleine Davy versucht, deinen Vater auf sich aufmerksam zu machen, aber es gelingt ihm nicht. Das Herz des alten Mannes ist weit weg.«

»In die Spitze unseres Berges, des edlen Cader Idris, scharlachrot von der letzten Berührung der Licht ausgießenden Sonne? Sage mir dies, Owen, denn meine Augen sind sehr trübe.«

»Ach, wir betören uns bitter, teuerstes Blut meines Herzens! Dass wir doch wieder die geliebten Berge sahen und durstig die Morgenluft unserer grünen Täler einziehen könnten! Aber lass uns sie für eine Weile vergessen. Blicken wir lieber auf unser Elend und ertragen wir es wie Männer, obwohl wir bloß Knaben sind. Aber bemerkst du denn nicht, Henry, dass du nur deshalb gefesselt bist, weil sie sagen, du seiest widerspenstig? Soll ich die Schildwache rufen und ihr bedeuten, du hattest deine Meuterei, wie sie es nennen, aufgegeben?«

»Welch ein schreckliches Getöse diese niedrig geborenen Spitzbuben machen!«, sagte ein deportierter Londoner Lehrling. »Die Schweine im Stall sogar würden ihre Schnauzen abwenden vor ihrem walischen Kauderwelsch. So ein echter Taffy ist halb Ziege, zum vierten Teil ein Schwein und zum vierten Teil ein Mensch.«

»Soll ich diesem Tropf eins ins Gesicht schlagen?«, fragte Owen, noch immer in walischer Sprache.

»Nicht doch, wir könnten bei Gelegenheit seines Beistandes bedürftig sein. Aber merke dir ihn für einen passenden Zeitpunkt.

»Nein – ich will jetzt zuklopfen, solange mein Blut in Wallung ist, oder ich vergesse es.«

»Lass es gut sein – es fällt mir etwas ein. Schaffe mir nur dieses verwünschte Eisen vom Leibe. Ich will sehr demütig sein und ein bisschen lächeln.«

»Recht so, Henry. Du bist ein guter Junge. Diese Worte haben uns zweihundert Stunden näher an Penabock und die liebe alte Ruine gebracht. Und dort ist eine schöne, dunkle Jungfrau, Heinz.«

Owen leitete die Sache so gut ein, dass sein Freund sehr bald derselben Nachsicht genoss, deren sich die übrigen Gefangenen erfreuten – wenn anders etwas wie Freude Zutritt an einem Ort finden konnte, wo alles darauf abzielte, die Gegenwart elend und die Zukunft hoffnungslos zu machen. Doch auch im bittersten Leiden muss es Abstufungen geben.

Es war augenscheinlich, dass Morgans Seele durch den Schatten des dunklen Verzweiflungstals gewandelt war und einen weit finstereren Charakter, eine schwarze Farbe angenommen hatte. Er war jetzt abgehärtet gegen die Widerwärtigkeit und hatte in seinem Vornehmen, sich selbst Recht zu verschaffen, beschlossen, allem Rechte Hohn zu sprechen. Er sah jetzt deutlich das Ziel, welches er suchte, und wehe denen, welche es wagten, seinen Absichten entgegenzutreten oder seinen gefährlichen Pfad zu kreuzen. Sein Geist kräftigte sich zur Gesundheit in dem festen Blick auf sein Ziel, und er hatte sich vorgenommen, erst wieder an ein Glück zu denken, wenn er es erreicht hätte. Seine gegenwärtige Lage war elend genug; aber bereits hatte sich die Lampe der Hoffnung und des Ehrgeizes entzündet, und er nährte sie mit dem Vorgefühl künftiger Rache. Er beschloss sich zu verstellen.

Er wurde jetzt höflich, lächelnd und sehr bescheiden gegen alle feine Haftgenossen. Jeder der hölzernen Käfige barg ungefähr zwanzig, welche so eng aufeinander gepackt waren, dass sie nicht alle gleichzeitig sitzen konnten. Wenn sie schliefen, so hingen ihrer Zehn in Matten über den anderen, welche auf dem bloßen Deck lagen – und so wechselten sie jede Nacht. Obwohl die Gefangenen in kleine Häufchen getrennt waren, konnten sie sich doch leicht von einem Käfig zum anderen über die ganze Länge des Hauptdecks besprechen; denn, wie bereits angegeben wurde, bestand um der Lüftung willen jedes Gefängnis nur aus einem starken hölzernen Gitter, dessen Zwischenräume hinreichend weit waren, um dem Kopf eines Menschen Durchgang zu gestatten. Es konnte sie daher nichts hindern, sich gegenseitig ihre Gesinnungen mitzuteilen und, so weit sie handeln durften, es im Einklang zu tun.

Die beiden Knaben waren bereits die Lieblinge sowohl ihres eigenen Fachs als auch dessen, das sie hinter und vor sich hatten, geworden. Morgan begann ihnen leise auf den Zahn zu fühlen, ob sie wohl geneigt und fähig wären, einen Versuch für ihre Freiheit zu wagen. Es steht sehr zu bezweifeln, ob er es aufrichtig meinte. Jedenfalls aber brachte er sie auf diesen Glauben. Er begann mit einem doppelten Verrat.

Lange, ehe er einen wirklichen Aufstand seiner Mitgefangenen zur Sprache brachte, vertraute er den Schildwachen, welche öfters den Dienst bei ihnen hatten, einen Anschlag, den er später auszuführen gedachte, sodass wenigstens drei Personen wussten, nächster Tage würden um Mitternacht, just nach Ablösung der Wache, die Verurteilten gleichzeitig aus ihrem Gefängnis ausbrechen, die Offiziere ermorden, die Matrosen überwältigen und von dem Schiff Besitz nehmen.

Nachdem Morgan diejenigen, welche wir seine Feinde nennen können, also vorbereitet hatte, schickte er sich an, seine Freunde aufzustacheln. Er räumte ihnen ein, dass er zu jung, zu schwach und zu unwissend sei, um bei dem Ausbruch weiter als eine untergeordnete Rolle zu übernehmen, erklärte ihnen aber zugleich, er wolle lieber im Befreiungsversuch umkommen, denn als Sklave sterben. Die Übrigen schienen völlig seiner Ansicht zu sein, und so wurden denn während der Mittelwache der Plan, die Zeit und die Art der Ausführung vorn und hinten von Käfig zu Käfig besprochen und festgesetzt. Sie waren alle einstimmig bis auf einen einzigen Punkt – wer nämlich das Kommando übernehmen sollte. Ihre Vorbereitungen waren sogar schon so weit gediehen, dass in jedem Käfig das meiste Gebälk hinreichend losgemacht war, um im Augenblick entfernt werden zu können. Sie waren in der Tat nur noch freiwillige Gefangene.

Die ganze Zeit über wusste jedoch Kapitän Vagardo, was seine Aufruhr spinnenden Pflegebefohlenen trieben, oder glaubte es doch zu wissen, denn er unterhielt einen regsamen Verkehr mit Morgan, welcher ihn täuschte. Endlich hatten sich die Gefangenen über einen wagehalsigen Kerl vereinigt. Dieser sollte jedoch das Kommando nur für einen einzigen Monat übernehmen, weil sie später ihre Vorgesetzten durch Ballotage wählen wollten. Die dritte Nacht wurde für den gleichzeitigen Ausbruch festgesetzt. Sie wollten den Schildwachen die Waffen entreißen, über die Mannschaft herfallen und alle diejenigen ermorden, welche sich ihnen anzuschließen weigerten.

Dies auszuführen war selbst unter den günstigsten Umständen sehr schwierig und gefährlich, denn obwohl die Gefangenen der Zahl nach noch einmal so stark waren, als die Mannschaft, hielt doch Letztere stets ihre Wachen mit gezogenem Stutzsäbel. Und auf der Hütte befand sich ein Stand mit Feuerwaffen, welcher gleichfalls von Schildwachen gedeckt war. Aber die Meuterer hofften, der Mannschaft bei der Ablösung zuvorzukommen, wenn die letzte Deckwache eben im Begriff wäre, ihre Waffen der aufziehenden zu übergeben. Morgan hatte vermittelst seiner Spione den ganzen Plan bis auf den kleinsten Umstand ausführlich dem Kapitän Vagardo und seinen Offizieren zu wissen getan. Er täuschte Ersteren nur in einem einzigen, freilich aber höchst wichtigen Punkt, indem er den Ausbruch auf eine Nacht später angab, als wirklich ausgemacht worden war. Hierdurch hoffte er allen Verdacht zu beseitigen und den Gefangenen den Sieg zu erleichtern.

Zu jener glorreichen Periode waren die Leute in Betreff der Menschenleben weit weniger bedenklich als heutzutage, denn der Mord, welchen man damals mit dem Namen Bürgerkrieg beehrte, war in England zu einem natürlichen Zustand geworden. Kapitän Vagardo hatte ein wenig – ja, wir dürfen wohl sagen, mehr als ein wenig von dem allgemeinen rachsüchtigen Geist und war mit der Mehrheit der Ansicht, dass es für alle Krankheiten, mochten sie nun politisch oder sozial sein, an Land oder auf der See vorkommen, kein trefflicheres Heilmittel gebe, als ein bisschen Blutlassen. Er wollte Opfer haben, und um sich so viele zu sichern, als ihm die Laune des Augenblickes wünschenswert erscheinen ließ, traf er die Vorsorge, den Meuterern die Freiheit des Versuches zu gestatten, weil man sie dann mit ein wenig Gliederabhacken zurücktreiben könne. Freilich beabsichtigte er nicht, dass zu viele verstümmelt oder getötet werden sollten, da dadurch seinem Gewinn ein allzu wesentlicher Abtrag geschehen wäre; denn er hatte sie alle zu fünfzehn Schilling für den Kopf samt Verköstigung dem frommen Parlament abgekauft. Aus etwa zwanzig Opfern machte er sich nichts, denn es gab dann nur bessere Bequemlichkeit für die Übrigen, aber mehr wären ihm doch zu viel gewesen. Der Wundarzt hatte ihn versichert, sie seien so dicht zusammengepfercht, dass er darauf zählen dürfe, wenigstens dieselbe Anzahl zu verlieren, wenn sie in die warmen Breiten kämen. Es war daher weit besser für alle Parteien, wenn sie durch das Schwert starben. Die mit Säbeln und Pistolen Bewaffneten konnten sich so viel Elend ersparen, und die Übrigen hielten sich dann zuverlässig für den Rest der Reise ruhig, abgesehen davon, dass er wieder an dem Proviant der Gefallenen gewann. Er hatte sich daher aus Motiven der Nützlichkeit vorgenommen, den Aufwieglern jede Bequemlichkeit für den Angriff zu gestatten – in der Tat ein echtes Staatsmannsgewissen.

Auch Morgan war über die Sache mit seinem Gewissen ins Reine gekommen. Wenn der Kapitän getäuscht und besiegt wurde, so hatte er volle Rache. Seine Schlauheit ließ ihn hoffen, den Aufstand zu seinem Vorteil zu lenken. Er hatte sich jedoch vorgenommen, an sich zu halten und zu sehen, welche Partei wahrscheinlich siegen dürfte, ehe er sich in die Sache einmischte. Er war ja nur ein armer schwacher Knabe. Auch riet er Owen, sich in gleicher Weise zu verhalten.

Wenn Kapitän Vagardo nicht überwunden und erschlagen werden konnte, hatte er dann nicht große Ansprüche an seine Dankbarkeit? Freilich fand ein Irrtum in der Zeit statt, aber der Fehler lag nicht an ihm. Die Gefangenen hatten in schurkischer Absicht ihn getäuscht, weil sie längst argwöhnten, dass er im Einvernehmen mit dem Kommandeur stehe. Wer war also so glücklich wie Henry Morgan?

Anders verhielt es sich mit den Gefangenen selbst. Diejenigen, welche große Taten verrichten sollten, blickten wunderbar kleinmütig drein, und obwohl es unerträglich heiß zu werden begann, schauderten und gähnten sie doch an einem fort – das heißt, viele unter ihnen. Die kräftigeren Geister aber hatten jedem den Tod geschworen, der Bedenken trage. Es erschien nun sogar den Feigen weit sicherer zu sein, in die Gefahr zu stürzen, als sie vermeiden zu wollen. Die Eisenfresserei nimmt viele seltsame Masken an und sucht gar wundersame Zufluchtsmittel. Man sieht sie bisweilen in Regimentsuniform, wie sie mutig zum Angriff führt und den Lohn entgegennimmt, welchen wahren Mut aufzusuchen viel zu verständig gewesen wäre.

So scharfsichtig Henry Morgan war, besaß er doch schon damals den nur zu gewöhnlichen Fehler gescheiter Männer – ein Misstrauen in die Ehrlichkeit anderer. Er ließ Owen teilweise im Unklaren und beging den Missgriff, ihn nicht als Freund, sondern als ein Werkzeug zu behandeln. Natürlich wusste der Bardensohn von der Verschwörung, denn man hatte auch ihn dazu gezwungen. Desgleichen hatte ihm Henry mitgeteilt, er habe die Sache an den Kapitän verraten, nicht aber, dass er den Kapitän gleichfalls verriet.

Owen machte sich nur wenig aus dem Verrat gegen die Gefangenen. Er hielt ihren Plan für verrückt und meinte, dass er unmöglich gelingen könne. Deshalb empfahl er auch Morgan, die Sache anzugeben, da dadurch viel Blut erspart werde. Freilich wusste er nicht, dass sein Freund allem aufgeboten hatte, um möglichst viel Unheil zusammenzubrauen – nur in der Absicht, den Lauf der Dinge abzuwarten.

Schon war die anberaumte Nacht angebrochen, und Morgan fühlte sich entzückt. Man hätte sein Entzücken eine teuflische Lust nennen können, aber es war eine Aufregung, die ihn übermäßig heiter machte. Er hatte unter den Gefangenen Bedeutsamkeit gewonnen. Da im Vorrücken der Nacht die Stangen der Käfige weggenommen worden waren, so ging er von dem einen in den anderen, um sich von dem Mut und der Stimmung der Insurgenten zu überzeugen.

Owen, welcher diese ganze Zeit über glaubte, Morgan habe treu gegen den Kapitän gehandelt, war über die Maßen erstaunt, als er sah, dass man gar keine Vorsichtsmaßregeln getroffen hatte. Die Schildwachen schienen im Gegenteil ungewöhnlich säumig zu sein. Alles um das Gefängnis her trug den Charakter des Vertrauens und der Sicherheit. Die Stunde nahte heran, und er dachte an nichts als an Henrys Sicherheit. Da er ihn aber in dem dichten Gedränge und der stygischen Finsternis nicht finden konnte, so ellbogte er sich gegen die Schildwache hin und flehte durch das Gitter aufs Angelegentlichste, man möchte ihn doch ja augenblicklich zu Kapitän Vagardo führen. Der Mann zögerte anfangs; aber als ihm Owen feierlich beteuerte, dass die Sicherheit aller an Bord davon abhänge, so schaffte man den Bardensohn zum Hinterschiff, wo der furchtbare Schiffer eben seine Nachtmahlzeit beendigt hatte und sich in jenem glücklichen Zustand von Erhebung befand, in welchem man gern andere niederschlägt.

»Na, Joseph Bradley, was hat deinen flammfarbigen Schopf hierher gebracht? Du wirst mir doch nicht hier hinten mein Schiff anzünden wollen?«

»Wenn Ihr nicht vorsichtig und hurtig seid, so wird Euer Schiff nicht nur hinten, sondern auch vorn, in der Mitte und allenthalben angezündet werden. Aber rettet meinen armen Henry … er hat einen alten Vater noch am Leben … und … und ich gleichfalls.«

»Dein Heinrich steht nicht übel in meiner Gunst. Du brauchst daher keine Sorge zu tragen. Vermutlich bist du sein Vertrauter und er hat dir alles mitgeteilt. Morgen werden wir einige von ihnen zeichnen.«

»Morgen? Nein diese Nacht … in dieser Stunde sogar! Sie haben Morgan nicht getraut und ihn über die Zeit getäuscht. Oh, lasst ihn nur wegbringen von ihnen und fangt mit den anderen an, was Ihr wollt.«

»Ah! Sagst du so? Das scheint möglich. Geh und suche ihn so schnell, wie es tunlich ist, beiseite zu bringen. Man muss da Einsicht nehmen. Für deine und seine Sicherheit soll alle Vorsorge getroffen werden. Doch halt – ihr beiden könnt auch zuerst ausbrechen und dann hinter unsere Reihen herüberkommen. Ich werde Befehl erteilen, nicht zuzuschlagen, bis ihr beide in Sicherheit seid. Beeile dich!«

Kapitän Vagardo war ebenso entschieden wie zuversichtlich. Er stellte bis an die Zähne bewaffnete Männer um die Käfige auf, wo sie in der Dunkelheit völlig verborgen waren. Dann zog er die Schildwachen zurück, damit sie nicht plötzlich überwältigt und erschlagen werden könnten, und wählte für sich selbst eine Stellung, welche es ihm möglich machte, leicht die verratenen Gefangenen beim Heraustauchen aus den Käfigen seiner eigenen Wahl nach wie ebenso viele Ratten niederzuhauen; denn es war angeordnet worden, dass beim ersten Tumult augenblicklich Licht herbeigebracht werden sollte.

Henry Morgan hatte sich während Owens Abwesenheit fleißig für den Kampf vorbereitet. Er besaß wie alle anderen Gefangenen ein Messer. Auch war es ihm gelungen, eine Handspacke beiseite zu kriegen, an deren Ende er das Erstere befestigte, sodass er dadurch eine ziemlich leidliche Pike gewann. Sämtliche Verschworene hatten sich so gut wie möglich auf den Kampf vorbereitet.

Nach einigem Umhertappen trafen die beiden Freunde zusammen.

Henry flüsterte Owen auf Walisch ins Ohr: »Was hast du für Waffen?«

»Keine.«

»Ach du Einfaltspinsel! Wo hast du denn dein Taschenmesser?«

»Ich habe es draußen in der hölzernen Schüssel gelassen.«

»Wie unvorsichtig du bist! Doch gleichviel, tritt nur hinter mich, Owen. Ich war stets der Ansicht, dass wir bis zuletzt warten sollten. Was kann man auch von bloßen Knaben, wie wir sind, verlangen!«

Er befühlte mit großer Selbstzufriedenheit die Spitze und Schneide seiner neu gemachten Waffe.

»Wir müssen zuerst hinausgehen – ich bin bei dem Kapitän gewesen und habe ihm deinen Irrtum auseinandergesetzt. Wie hast du dich aber auch nur von diesen Elenden täuschen lassen mögen? Es hätte dich dein Leben kosten können.«

»Und du hast also den Kapitän berichtet? Du bist … du bist … na, gleichviel, Owen. Sage mir alles, unverhohlen alles.«

Ohne Bedenken und Bemäntelung teilte ihm Owen alles mit, was vorgefallen war, und was er für ihre wechselseitige Sicherheit getan hatte.

»Ich danke dir von Herzen für alles, was du ausgerichtet hast«, sagte Morgan, »weil ich deine wohlwollende Absicht gegen mich darin erkenne. Aber mein lieber Freund, du hast das hübscheste Scharmützel, das je veranschlagt wurde, verderbt. Ich glaube zwar in meinem Inneren, dass diese Elenden, so memmenhaft sie auch sind, doch den Sieg davongetragen haben würden, denn sie sind vor Hitze und unerträglichem Durst bis zum Wahnsinn gespornt. Du bist zwischen mich und meine Rache getreten, denn ich beabsichtigte, diesen diebischen Seelenverkäufer noch heute Nacht zu einem Souper zu zerlegen. Es ist jedoch nur verschoben. Je weiter wir südwärts kommen, desto mehr erhalten wir Gäste für das schmutzige Mahl. Die Haifische sind bis jetzt noch selten.«

»Was mich betrifft, Henry, so möchte ich ihm wohl einen Fußtritt geben, dass er bis zur Spitze des Snowdon hinauf sauste, während mein ehrenwerter Vater zu seinem Flug die schnurrigsten Weisen auf seiner Harfe spielte. Aber wir sind zu jung, um uns schon mit Blut zu beflecken, und so wollen wir lieber diese armen, verblendeten Elenden warnen, teurer Henry, denn wenn sie den Versuch machen, werden viele von ihnen nie wieder Land sehen.«

»Dummkopf, und dann wird eines von zwei Dingen zutreffen. Dieser verfluchte Vagardo wird uns beide an die Rahe hängen lassen, weil wir falschen Lärm gemacht haben. Oder, wenn er uns auch glaubt, dass wir ihm treu gewesen seien, so schneiden uns diese Elenden in der Dunkelheit die Kehlen durch, weil wir sie verrieten. Du hast eine allerliebste Schüssel voll Höllenbrühe verderbt, indem du deinen einfältigen Lauch hineinstecktest. Aber komm, da wir zuerst hinausmarschieren sollen, so müssen wir uns auch bereithalten.«

Morgan sprach einige Worte mit den Übrigen, und der Ehrenplatz wurde ihm und seinem Freund überlassen.

Die acht Glockenzüge hatten aufgehört, über das fast schweigende Meer hin zu vibrieren, als mit einem Mal ein wildes Hurra durch das Schiff ertönte – ein Hurra, in welches sich das Geschrei feiger Verzweiflung mit dem Ruf der Ermutigung und dem triumphierenden Jubel der Tapferkeit mischte. Unter den zur Sklaverei Verurteilten befanden sich kräftige Herzen, Männer, welche tapfer, aber eben unglücklich in einigen der heißesten Schlachten, die letzter Zeit England entvölkert, mitgefochten hatten. Für sie gab es keinen anderen Gedanken, als den welcher in dem Wort vorwärts begriffen war; denn sich zurückziehen und sterben hatte für sie dieselbe Bedeutung.

Hurra!

Und nieder fielen die schon vorher losgemachten Stangen, und mit wildem Jubel eilten so viele hinaus, wie in dem engen Raum des Hauptdecks, welcher nicht von den hölzernen Käfigen eingenommen war, stehen konnten.

»Zu den Luken!«, lautete nun der Ruf, dem aber bald Halt geboten wurde. Dann brachen das Geschrei des Entsetzens und das Stöhnen des Schmerzes los. Scharfe Stutzsäbel klirrten unter ihnen, und noch ehe einer fiel, erschienen die Lichter, welche die Meuterer erkennen ließen, dass sie von wohlbewaffneten Männern umringt waren.

»An euer Werk«, brüllte Kapitän Vagardo. »Aber schlagt nur die Alten und Kränklichen nieder! Lehrt den Galgenvögeln ein bisschen nötige Mannszucht.«

Die Außenstehenden konnten wegen des Drucks von innen nicht wieder zurück, und nun erhob sich ein klägliches Geschrei um Gnade, die demütige Bitte um Pardon. Aber nicht alle schlossen sich dieser Erniedrigung an. Die alten Kavaliersoldaten rannten mannhaft gegen die Spitzen der feindlichen Waffen an, und der furchtbare Kapitän Vagardo stand zwischen seinem Geiz und seinem Blutdurst in einer schlimmen Verlegenheit. Mehrere Male war er auf dem Punkt, seine lange mit eisernem Griff versehene Toledoklinge in den Leib irgendeines mannhaften Meuterers zu senken, aber er dachte an die hundert oder hundertundfünfzig Pfund Sterling, welche er dadurch verlor, hielt seinen Arm zurück und schonte so manches Leben.

Owen Lywarch fühlte sich furchtbar erschüttert und stand leichenblass vor Schrecken und Mitleid hinter der Kämpferlinie. Es war das erste Mal, dass er vermessen Menschenblut vergießen sah. Morgan stand mit verschlungenen Armen als ruhiger Zuschauer an seiner Seite und blickte auf den Kampf hin, als werde eine Gladiatorenszene vor ihm ausgeführt. Wenn er auf irgendeiner Seite einen tüchtigen Hieb, einen kräftigen Stoß oder eine gute Parade bemerkte, lächelte er grimmig und nickte leicht mit dem Kopf Beifall. Sah er einen der Gefangenen fallen und mannhaft sterben, so leuchtete in seinem Gesicht ein seltsames Leben auf. Aber dennoch rührte er sich nicht von der Stelle, und seine Zunge schwieg. Er studierte seine Lektion für die Praxis eines künftigen Tages.

Endlich befahl Kapitän Vagardo seinen Leuten, Pardon zu geben. Die verschonten Meuterer wurden in ihre Haft zurückgebracht, die Stangen wieder festgemacht und die Schildwachen verdoppelt. Drei Leichen wurden über Bord geworfen und die einzige Zeremonie, welche das feuchte Begräbnis begleitete, bestand in einem Fluch, in einem Seufzer und in der Bemerkung des Schiffers, dass dreihundert Pfund von seinem Eigentum dahin seien. Die Verwundeten wurden der Obhut des Chirurgen und seiner Gehilfen übergeben, und eine kleine Viertelstunde später trieb der Kiel des Schiffes stumm wieder gen Westen.

Wie Morgan vorausgesehen hatte, wirkte dieses blutige Ereignis zu seinen Gunsten. Weder er noch Owen wurde wieder unter die Gefangenen gesperrt. Auch gestattete man, auf Henrys Bitten beiden, auf dem Schiff den Matrosendienst zu lernen. Sie wurden in kurzer Zeit sehr brauchbare Toppsgasten. Durch ihre Aufmerksamkeit, ihre Rührigkeit und ihren Frohsinn gewannen sie bald die gute Meinung sowohl der Offiziere als auch der Mannschaft, namentlich aber die des hartherzigen Kapitäns.

Morgan wurde wieder heiter und knabenhaft. Er schien nicht länger über verzweifelten Taten zu brüten oder sein junges Leben in traurigen hoffnungslosen Gesichtern des Ehrgeizes zu verträumen. Die finstere entschlossene Miene, welche ihn letzter Zeit bezeichnet hatte, war aus seinem Antlitz gewichen. Sein Äußeres wurde ansprechend und wohlgemut – kurz, er war ein sehr hübscher fröhlicher Matrosenknabe.

Auch Owen wurde so heiter, wie es ihm sein Wesen nur gestatten mochte, und man muss ihm nachsagen, dass er große Anlage zum Frohsinn hatte. Morgan gewann ihn mit jedem Tag lieber. Er beklagte sehr die Mängel in der Erziehung seines Freundes und ging angelegentlich ans Werk, einigen derselben Abhilfe zu leisten. Bei ihren Wachen auf dem Deck und unten lehrte er ihn nicht nur schreiben und die Anfangsgründe der Arithmetik, sondern brachte ihm auch einige Vorstellungen von der Geometrie bei. Owen war dankbar und aufmerksam. Als sich das Schiff Barbados näherte, schien Morgans Schicksal, wenn es auch nicht so glänzend war, wie er erwartet hatte, an der Heiterkeit des schönen Klimas teilzunehmen, dessen sie sich jetzt erfreuten.

Schon einige Zeit vor ihrer Ankunft zu Barbados erwies sich Kapitän Vagardo sehr herablassend und bisweilen wohlwollend gegen unseren Helden und seinen Gefährten. Die meisten Offiziere begannen zu glauben, er werde die Knaben nicht wie deportierte Verbrecher behandeln, sondern sie unter seiner Schiffsmannschaft behalten. Indes erlaubte er sich nie gegen sie Vertraulichkeiten und nannte sie stets bei den Namen, welche er für sie erfunden hatte.

In diesem Punkt war übrigens Henry Morgan unbeugsam, obwohl ihm deutlich zu verstehen gegeben wurde, wenn er sich um des Kapitäns willen fügen wolle, so dürfte es ihm sehr nützlich werden. Owen behandelte die Sache mit der größten Gleichgültigkeit und glaubte am Ende selbst, dass er Joseph Bradley sei, da ihn niemand anders nannte. So groß ist die Macht des Beispiels, dass sogar Morgan ihn ebenso oft bei seinem neuen, als bei seinem alten Namen anredete. Da ihn Owen später nie wieder ablegte, so wollen wir nicht so überpünktlich sein, um uns nicht der allgemeinen Gewohnheit zu fügen, und ihn daher künftighin gleichfalls Joseph Bradley nennen, wenn nicht etwa eine sehr bedeutende Gelegenheit uns Anlass gibt, davon eine Ausnahme zu machen.

Der Delphin lag endlich in Carlisle Bay vor einem einzigen Anker. Man hatte die Gefangenen gut gesäubert und auf den Decks aufgestellt. An Bord wimmelte es von Pflanzern, Eigentümern und bürgerlichen oder militärischen Beamten. Die Listen und Signalements wurden beglaubigt, und der Verkauf christlicher Menschen an christliche Menschen begann. Kapitän Vagardo war ein zäher Menschenhändler und setzte auf sein Eigentum einen Wert, welcher für die Abgeschätzten sehr schmeichelhaft war. Der Verkauf ging nur langsam vor sich.

Da weder Morgan noch Joseph Bradley mit den Übrigen zur Besichtigung aufgestellt wurden, so fingen sie an, sich der sanguinischen Hoffnung hinzugeben, dass sie mit dem quälenden, herabwürdigenden Ordal der Sklaverei verschont bleiben dürften. Sie schleuderten daher sorglos auf den Decks umher oder betrachteten mit der Neugier der Jugend die Landschaft, welche in der ganzen Pracht einer tropischen Sonne vor ihnen lag. Die armen Geschöpfe! Sie berieten sogar untereinander, ob es wohl angehe, den gefürchteten Kapitän um ein paar Stunden Urlaub zu bitten, damit sie an Land gehen und die Wunder des Platzes näher in Augenschein nehmen könnten.

So verbrachten sie den ersten Tag, an welchem sie nur wenige Geschäfte zu besorgen hatten. An Bord war strenge Wache gehalten und ein Wachboot ruderte die ganze Nacht um das Schiff herum. Am folgenden Morgen begann der Markt aufs Neue und war viel besser und zahlreicher besucht. Mehrere Pflanzer waren aus dem Inneren der Insel gekommen, und die Deportierten brachten höhere Preise ein. Der mannhafte Kapitän war daher in weit besserer Laune. Als er zufällig an Morgan vorbeikam, scherzte er mit ihm. Dies ermutigte den Jüngling zu der Kühnheit, seine Bitte vorzutragen, dass es ihm und Joseph gestattet werden möchte, für ein paar Stunden an Land zu gehen und den Platz zu betrachten.

»An Land zu gehen? Das soll geschehen, mein wackerer Bursche. Ich habe bereits dafür Vorsorge getragen. Glaubt ihr, meine kleinen Zickelchen, dass ich im Sinn habe, euch hier einzustellen? Wartet noch eine kleine Weile, meine Schätzchen, und ihr sollt Land genug haben, um eure Herzenswünsche zu erfüllen.«

»Auch möchten wir um einen oder zwei Dollar Geld zum Verbrauchen bitten«, fuhr Morgan stockend fort. »Ihr könnt es ja von unserem Lohn abziehen, Sir.«

»Ihr seid allzu bescheiden. Warum fordert ihr nicht etwa fünfzig oder so etwas und gebt mir dafür eine Anweisung an eure achtbare Tante zu Bristol?«

»Nun, Geld ist nicht gerade nötig, Sir, wenn wir nur ein wenig an Land dürfen.«

»Seid unbesorgt. Es soll alles so eingeleitet werden, dass Ihr nicht nur gemächlich, sondern sogar angenehm an die Küste gehen könnt.«

Morgan schien nun der glücklichste Junge in der Welt zu sein. Joseph war aber noch viel glücklicher und musste demnach in einem oberirdischen Glück geschwelgt haben.

Waren Morgans schlimme Leidenschaften in eine Starrsucht gelullt, welche ihnen den Tod in Aussicht stellte? Um der Ehre der menschlichen Natur willen hoffen wir, dass es sich so verhielt. Wir hoffen, dass er dem tückischen Vagardo vergeben hatte und dass er es wohl zufrieden war, sich seinen Weg in der Welt ehrlich und ehrenhaft aufwärts zu bahnen.

Nach langer Zeit wurden Morgan und Joseph wieder zum ersten Mal eingeladen, um Mittag die Gastlichkeit der Kapitänskajüte zu teilen. Sie gingen mit leichtem stolzen Herzen dahin. Der Tisch war mit den auserlesensten Weinen und den köstlichen Früchten der Region überladen, und an der Tafel saßen der Schiffer und zwei Männer, von denen der Ältere ziemlich in den Jahren vorgerückt, von gesetztem, sogar puritanischem Aussehen und starren, scharf markierten Zügen war. Er mochte wenigstens fünfzig Jahre zählen, trug eine sehr bedeutsame Miene zur Schau und hatte einen Hut mit sehr breitem Rand auf dem Kopf, während die Übrigen mit unbedecktem Haupt dasaßen. Vor ihnen lagen unterschiedliche Papiere und Pergament – Dokumente, daneben ein Haufen funkelnder Dublonen. Der jüngere Mann war schön, aber doch sehr abgelebt. Er hatte ein gutmütiges Gesicht, in dem sich jedoch deutliche Spuren der Ausschweifung blicken ließen, und schien an der Verhandlung nur wenig Anteil zu nehmen.

Der ältliche Mann musterte die beiden Jungen in einer mehr neugierigen, als höflichen Weise. Nachdem er bemerkt hatte, dass sie wild und sehr jung aussähen, fragte er Kapitän Vagardo ganz kaltblütig, ob er dafür stehen könne, dass sie an Lunge und Gliedern gesund seien. Ob dieser ungebührlichen Frage begann Morgans Herzblut zu kochen, und er fragte den alten ernsten Gentleman sehr kühn, ob er ihn zu kaufen gedenke. Darüber lachte der junge Gentleman sehr herzlich und der Schiffer desgleichen. Ein sarkastisches, Unheil verkündendes Lächeln zuckte über die Züge des älteren Mannes, und Morgan und Owen, die sich selbst besonders possierlich vorkamen, schlossen sich der Heiterkeit an. In der Tat eine recht joviale Gesellschaft.

Diese Geselligkeit hinderte jedoch den alten Nüchternkopf nicht, mehrere geringschätzige Bemerkungen über die beiden jungen Leute zu machen. Zu welchem Dank fühlten sie sich nicht dem Kapitän verpachtet, als sie hörten, wie nachdrücklich derselbe ihre Partei ergriff!

»Ihr könnt in das neben dem Schiff liegende Boot steigen, meine lieben jungen Freunde«, sagte der Schiffer in ganz väterlicher Weise. »Mein würdiger Freund, der vortreffliche und achtbare, Gott suchende Mr. Hetherfall wird für eure Gemächlichkeit Sorge tragen und euch wie seine eigenen Kinder behandeln. Das Geld, um das ihr mich angingt, um euch an Land gütlich zu tun, wird euch, wie ich nicht zweifle, dieser euer zweiter Vater reichen. Geht, meine Söhne, mit meinem Segen und möge euch nebst dem frommen Mr. Hetherfall der Himmel in seine heilige Obhut nehmen.

Diese Worte wollten den Jungen nicht ganz gefallen, obwohl sie dieselbe nicht ganz verstanden. Indes stiegen sie, von einigen sehr übel aussehenden Kerlen begleitet, in das Boot und wurden bald an dem rauen hölzernen Kai von Bridge Town gelandet, wo man sie, noch ehe sie Zeit hatten, sich umzusehen, in ein großes Gefängnis warf und wohlverwahrt einschloss. Das war ein kläglicher Willkomm für unsere beiden Abenteurer, welche sich in erstauntem Schweigen anstierten, da sie nicht wussten, was zunächst kommen sollte.