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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Eine Waise

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Einundfünfzigstes Kapitel

Eine Waise

Diese zwischen den beiden Verwandten ausgetauschten Liebesschwüre wurden plötzlich unterbrochen. In der nächtlichen Stille erhob sich lautes Wehklagen.

Sie waren bereits so weit vorgeschritten, dass sie die Überreste des früheren Hauses von Willkommenberg zu sehen vermochten. Durch die am Fußweg stehenden Büsche konnten sie rotes, hin- und herflackerndes und manchmal selbst noch als Flamme aufsteigendes Licht wahrnehmen, so wie sie mitunter das Krachen des fallenden Holzes samt dem Prasseln des Feuers in der Stille der Nacht gehört hatten. Auch menschliche Stimmen hatten sie mehrfach vernommen, die in gewöhnlicher Unterredung begriffen, jedenfalls nicht in größerer Aufregung zu sein schienen, als man sie nach dem Vorausgegangenen erwarten durfte. Allein plötzlich erschallten in der verhältnismäßigen Stille der Nacht ganz andere Laute, die auch zugleich das Gespräch der Liebenden unterbrachen, nämlich Männergeschrei, Weibergekreische sowie mit ihnen verbunden Flintenschüsse und lautes Rufen, die alle zusammen von derselben Stelle herkamen, wo schon einige Stunden zuvor ein wildes Getümmel geherrscht hatte.

Cubina, der den Liebenden vorausgegangen war, kam schnell zurückgelaufen und stand mit aufgeregten wilden Blicken dicht vor ihnen.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Herbert auffahrend.

»Die Räuber, Herr Vaughan! Sie sind zurückgekehrt, allein weshalb, das weiß ich nicht. Die Räuber müssen es sein, ich kenne die Stimme, die so laut ist. Hören Sie sie wohl? Das ist die Stimme des Räubers Adam! Carambo! Ich will sie zum Schweigen bringen, vielleicht noch diese Nacht. Horch! Noch eine andere Stimme, aber lauter und wilder, als alle übrigen. Ha, die kann ich auch unterscheiden, es ist Chakras Höllengebrüll.«

»Aber warum sollten sie noch einmal zurückgekehrt sein? Sie haben ja alles mitgenommen, was für einen Räuber Wert haben kann. Es ist nichts mehr da, was …«

»O ja wohl, es ist noch etwas da!«, rief Cubina hastig, als sei ihm dies Rätsel soeben klar geworden. »Yola ist noch da!«

Als er dies gesagt hatte, machte er Anstalt, sich unverzüglich ins tobende Gefecht zu stürzen, dessen Lärmen sich stets noch vergrößerte. Danach zögerte er indes ein wenig und rief dann plötzlich aus: »Herr Herbert Vaughan! Ich habe Ihnen geholfen, Ihre Geliebte zu befreien. Jetzt ist meine in Gefahr!«

Der junge Engländer bedurfte keiner solchen Aufforderung, bereits hatte er seinen Arm dem seiner Cousine entzogen und stand bereit, am Kampf teilzunehmen.

»O, Herbert!«. rief das junge geängstigte Mädchen, aufs Tiefste betrübt. »Dort ist große Gefahr! Geh nicht, geh nicht! O, verlass mich nicht!«

Cubina schien in diesem Augenblick seine Aufforderung zu bereuen und sagte durchaus ohne alle Ironie: »Vielleicht wäre es wirklich besser, Sie gingen nicht. Gefahr ist wirklich da und Sie dürfen sie nicht teilen. Ihr Leben gehört jetzt einer anderen! Daran habe ich nicht gedacht, Herr Vaughan.«

»In den Augen dieser anderen«, erwiderte Herbert, »würde mein Leben wertlos sein, wie es das für mich selbst wäre, wenn ich eine Memme sein wollte. Braver Cubina! Ich kann Euch nicht verlassen. Teuerstes Käthchen! Es ist Yola, die in Gefahr schwebt, Yola, der wir beide so viel Dank schulden. Ohne sie würde ich nicht einmal so viel wissen, dass du mich liebst und dann würden wir beide …«

»Ah, Yola ist in Gefahr!«, unterbrach ihn die junge Kreolin, deren Liebe zu dem jungen Mädchen die Besorgnis für Herbert unterdrückte. »Ja Herbert, da musst du gehen, aber lass mich mit dir gehen. O, ich würde sterben, wenn du nicht zurückkehrst. Ja, ja, wenn der Tod dich nimmt, so soll er mich auch haben. Herbert, lass mich nicht zurück.«

»Nur für einen Augenblick, Käthchen! Ich werde gleich zurückkehren. Fürchte nichts. Mit dem Recht für uns können der tapfere Cubina und ich ein Dutzend dieser schwarzen Räuber überwältigen. Verstecke dich dort hinter dem dichten Gebüsch und warte, bis wir wiederkommen. Ich werde dich dann rufen. An jenem Ort wirst du sicher sein. Aber kein Wort, keine Bewegung, bis du mich dich rufen hörst.«

Mit diesen Ermahnungen führte Herbert seine Cousine ins Dickicht, ließ sie an einem ganz versteckten Platz sich setzen, drückte ihr eilig einen Kuss auf die Stirn und folgte Cubina dann unverweilt ins Gefecht.

In wenigen Augenblicken rannten sie zu der Gartenmauer, gelangten durch die offen gefundene Tür in den Garten und durch diesen auf den Platz, von welchem das Schreien und die Schüsse gekommen waren. Diese hatten sonderbarerweise ebenso schnell wieder aufgehört, wie sie begonnen hatten, und auch von dem früheren Männergeschrei und Weibergeheule war nichts mehr zu hören. Alles war auf einmal wieder vollkommen lautlos und still geworden.

Ungeachtet dieser Veränderung drangen Herbert und Cubina vorwärts, gingen an den rauchenden und glühenden Trümmern des Herrenhauses vorüber und standen auf dem vor demselben befindlichen Platz. Hier erwartete sie bei den noch immer von Zeit zu Zeit wieder auflodernden Flammen wie beim hellen Mondschein ein fürchterlicher Anblick. Zunächst stand eine Tragbahre, auf der die halb bedeckte Leiche eines weißen Mannes und dicht dabei noch drei andere Leichen von schwarzen Männern lagen. Alle wurden von Herbert und Cubina sofort erkannt. Es waren sein Onkel und die zur Bewachung der spanischen Gefangenen von Quaco zurückgelassenen Maronen. Die spanischen Gefangenen selbst waren entschlüpft, das bewiesen die am Boden liegenden, von ihnen zurückgelassenen Stricke, mit denen Quaco sie gebunden hatte. Der Überfall und das kurze Gefecht hatten also lediglich gedient, um die Menschenjäger zu befreien, und alle waren bereits entschlüpft.

Mit dieser Überzeugung wollten Herbert und Cubina zu der Stelle zurückkehren, wo sie die junge Kreolin gelassen hatten und sie auch noch vermuteten. Doch als sie sich dem dunklen Bergabhang zuwandten, erblickten sie sofort eine weiß gekleidete Gestalt, die ihnen durch die Schatten der Bäume und Büsche entgegen kam. Lange war keiner von ihnen im Zweifel. Die junge Kreolin, deren sorgenvolle Liebe nicht lange die ängstliche Ungewissheit hatte ertragen können, hatte ihren sicheren Platz verlassen und kam, um die ihren Geliebten drohende Gefahr zu teilen.

In wenigen Augenblicken war Käthchen an der Stelle angelangt, wo die beiden standen, ohne imstande gewesen zu sein, sie aufzuhalten. Ein heller Freudenschrei verkündete ihre Seligkeit, ihren Geliebten unverletzt anzutreffen, allein gleich darauf folgte ein anderer Ruf, ein Ruf tiefer Verzweiflung, der sich in höchster Angst und Trauer ihrem qualerfüllten Busen entwand.

Käthchen hatte die Leiche ihres Vaters erkannt und wusste jetzt, dass sie eine Waise war.