Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Die Flusspiraten des Mississippi 35

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

35. Die Flucht der Männer des Grauen Bären. Smart ist erzürnt.

Waren Mr. und Mrs. Dayton schon über den wilden Ritt Adeles erstaunt gewesen, so hatten die gegenwärtigen Insassen des Grauen Bären mit kaum geringerem Interesse die sich in ihrer unmittel­baren Nähe ereignenden Vorgänge beobachtet. Galt diese scheinbare Ver­folgung des einen, den sie durch die Büsche nicht erkennen konnten, ihrer Sache, oder hatte die Begegnung so vieler Menschen auf der County­straße nur zufällig stattgefunden? Ihr böses Gewissen machte sie zittern, vor allem Sander, der, als er zwischen den Männern Adele erkannte, mit bleichem Gesicht und ängstlich pochendem Herzen oben im zweiten Stock an dem kleinen Fenster stand.

Was hatte Adele Dunmore hierher geführt? Und wer war es, der dort in tollen Sätzen durch den Wald davonsprengte? Einzelne dicht belaubte Hickorybäume gestatteten ihm nicht, den ganzen Schauplatz zu übersehen, aber nur um so mehr fühlte er sich beunruhigt, da ihm das Wenige, was er erkennen konnte, so rätselhaft schien.

Da wurde seine Aufmerksamkeit plötzlich von der Straße abgelenkt, denn einer der fremden Männer kam rasch auf das Haus zu. Sander war noch in Zweifel, wer es sein könne, denn die Männer trugen fast sämt­lich Strohhüte, und deren breiter Rand entzog ihm das Gesicht. Da öffnete sich die Haustür, er gehörte also auf jeden Fall zu den Freunden. Thorby hätte ihn sonst nicht eingelassen, und rasch sprang der junge Verbrecher die Treppe hinunter, um zu hören, was jener bringe.

Es war Porrel selbst, der hierher kam, den Auftrag ihres Anführers auszurichten und den Kameraden in aller Kürze zu melden, was in Helena geschehen war, welcher Gefahr sie ausgesetzt sind, welche Vorkehrungen da­gegen getroffen würden und welchen Plan vor allen Dingen Kelly entworfen habe, nicht nur ihre Flucht zu sichern, sondern auch zugleich Rache an den Feinden zu nehmen.

»Aber, zum Teufel«, rief Sander ärgerlich, »weshalb kommt der Captain nicht selber hierher. Er weiß, was er mir versprochen hat und weshalb ich mich jetzt in der Stadt nicht gut sehen lassen darf. Wenn die ganze Sache, was jeden Augenblick geschehen kann, wirklich auseinanderbricht, dann sitzen wir nachher fest auf dem Sand, während er sehr behaglich im Trüben fischt oder doch auf jeden Fall seine eigene Person in Sicherheit bringt.«

»Habt keine Angst«, beruhigte ihn lachend Porrel oder Toby, wie er gewöhnlich von den Kameraden genannt wurde, »glaubt ja nicht, dass ihr, wenn es wirklich losgeht, beim letzten Tanz fehlen sollt. Ihr, die ihr euch jetzt noch versteckt halten müsst, bleibt in dem Boot, das ich gerade herschaffen lasse und mit dem ihr nun so schnell wie möglich zum Helena-Landeplatz hinunterfahrt, ruhig liegen. Gelingt unser Plan und gehen wir mit den Bewaffneten von Helena wirklich gemeinsam auf das Dampfboot, dann setzt ihr eure Segel, und so könnt ihr, wenn auch nicht mehr zum Kampf, doch auf jeden Fall noch zur Einschiffung kommen. Gelingt der Plan aber nicht, müssen wir, was ich uns übrigens nicht wünschen will, schon in Helena zuschlagen, so sind vier schnell hintereinander abge­feuerte Schüsse das Signal. Dann ist alles entdeckt, und nur Gewalt kann uns befreien. In dem Fall aber zögert auch nicht. Die Maske haben wir dann ohnehin abgeworfen, und ihr braucht euch nicht länger zu scheuen, ans Licht zu treten.«

»Ich für mein Teil wollte fast, es wäre soweit«, brummte Sander. »Mei­nes Bleibens ist hier nicht mehr, und ein Glück war es nur, dass sie in Helena den verwünschten Bootsmann verhafteten. Der hätte mich sonst in eine böse Patsche bringen können. Was wolltet Ihr mit dem Burschen, der da so merkwürdig eilig durch den Wald sprengte?«

»Das war James Lively«, erwiderte Porrel, »der hier im Kieferndickicht auf der Lauer gelegen und dieses Haus beobachtet haben muss.«

»Nun, da habt Ihr es«, rief Sander erschrocken, »das sind die Folgen dieses verdammten Zögerns, und wir, die wir unsere eigenen Physiognomien zum allgemeinen Besten haben müssen verdächtigen lassen, werden wohl noch zum guten Ende, während ihr anderen frei durchbrennt, in einer sauber gedrehten Hanfschlinge enden. Tod und Verdammnis, so ganz in die Hände dieses Kelly gegeben zu sein!«

»Nun, das hat die längste Zeit gedauert«, beruhigte ihn Porrel, »dort kommt auch schon das Boot. Jetzt los, ihr Herren, James Lively wird, wenn er so schnell zurückkehrt, wie er weggeritten ist, die Hinterwäldler bald genug hier versammelt haben. Dann lasst sie das leere Nest finden, und wir ziehen indessen in Helena unsere Leute zusammen. Sind Eure Sachen gestern Abend noch hinunter auf die Insel geschafft worden, Thorby?«

»Nein, gestern Abend nicht. Wer, zum Teufel, sollte denn bei dem Nebel fahren?«, erwiderte der Gefragte; »aber heute Morgen habe ich sie abge­schickt. Auf jeden Fall treffen wir sie dort, bis wir selbst hinunterkommen.«

»Sollen wir denn aber so offen aufs Boot gehen?«, fragte Sander, »wenn nun noch irgendein Halunke hier versteckt läge und nachher in Helena unsern neuen Schlupfwinkel verriete?«

»Da, hängt die Decken über«, sagte Thorby, »sie mögen euch für Indianer halten, und nun rasch, mir ist es immer, als ob ich schon Hufschläge hörte.«

Die Männer stiegen ohne weiteres Zögern in das nun dicht am Flat­boot liegende kleine Segelboot hinunter, und Porrel eilte, von noch meh­reren der Leute aus dem Grauen Bären begleitet, schnellen Schrittes nach Helena zurück.

Indessen war Jonathan Smart, der von dem Virginier die näheren Um­stände über Cooks Verhaftung rasch erfragt hatte, ohne Zögern mit die­sem losgegangen, um den Richter selbst darüber zur Rede zu stellen. Der war aber nirgends zu finden, und der Konstabler erklärte, die angebotene Bürgschaft ohne dessen Bewilligung auf keinen Fall annehmen zu kön­nen.

Dagegen ließ sich kaum etwas einwenden, das wusste Smart gut genug, und obwohl sich der Virginier höchst entrüstet verschwor, er habe große Lust, der ehrsamen Gerichtsbarkeit in Helena Arme und Beine zu zer­schlagen, so hatte er doch an diesem Morgen selber gesehen, dass er sich mit denen, die gleich gesinnt waren, in der Minderheit befand, und machte deshalb für den Augenblick seinem gepressten Herzen nur in einigen Kernflüchen und Verwünschungen Luft.

Die beiden Männer waren unterdessen langsam die Straße hinunter­gegangen zum Gefängnis, dem gegenüber, vor der seligen Mrs. Breidel­ford Haus, sich noch immer einzelne Bootsleute und Kinder aus der Nach­barschaft herumtrieben, wenn auch die fest verschlossenen Türen jeden ferneren Zutritt versagten. Da wurden sie plötzlich aus einem der oberen Jailfenster mit einem »Boot ahoi!« begrüßt. Smart, der erst glaubte, es sei Cooks Stimme, staunte nicht wenig, hier auch seinen Freund von gestern, den jungen Indiana-Bootsmann, zu treffen. Es war derselbe, der ihm das junge Mädchen gebracht hatte und den er schon lange, weil er sich gar nicht wieder hatte sehen lassen, stromab vermutete.

»Hallo, Sir«, rief er verwundert, »was zum Henker macht denn Ihr hier hinter den Eisenstäben? Potz Zwiebelreihen und Holzuhren, was ist denn auf einmal in den Richter gefahren, der war doch sonst nicht so bei der Hand mit Leute einsperren.«

»Gott weiß, auf welches Schurken Anklage ich hier sitze«, rief Torn Barnwell, »der Halunke hat sich nicht wieder sehen lassen, und wie es scheint, kümmert sich niemand hier um uns. Ist denn das ein freies Land, wo man die Bürger ohne Weiteres in ein Loch wie dieses hier werfen darf und dann auch ruhig darin stecken lässt?«

»Aber weshalb sitzt Ihr denn?«, fragte Smart erstaunt.

»Gentlemen«, mischte sich da ein Fremder. Smart hatte ihn wenigstens früher noch nie in Helena gesehen, in das Gespräch, »derlei Unterhaltun­gen dürfen hier nicht stattfinden. Ein Freund von mir hat den Mann da verklagt, und der Konstabler hat verboten, dass jemand zu ihm gelassen werde.«

»Schlagt doch dem einmal eins auf den Kopf, Smart!«, rief Tom von oben herunter, »ich bin Euch auch wieder einmal gefällig.«

»Mein lieber Sir«, sagte der Yankee ruhig zu dem Fremden, ohne jedoch dem Gefangenen den erbetenen Dienst zu erweisen, »es wäre für Sie gewiss höchst vorteilhaft, glaube ich, wenn Sie sich um Ihre eigenen Ge­schäfte kümmern wollten. Ich meinesteils wenigstens bin keineswegs …«

»Das sind aber meine Geschäfte, Sir«, fiel ihm der andere trotzig ins Wort, und von der entgegengesetzten Straßenseite zogen sich nach und nach einzelne Männer herüber. »Ich bin ganz besonders hierher gestellt worden, derlei Unterhaltungen zu verhindern, und verbiete sie hiermit ein für alle ­Mal.«

»… geneigt, mir von irgendeinem Fremden Vorschriften machen zu lassen«, fuhr Smart fort. Der Virginier aber trat vor, warf seine Jacke ab, streifte die Ärmel auf und bat Smart, das Gespräch nur ruhig fortzusetzen, denn er wolle verdammt sein, wenn er dem Breitmaul, wie er sagte, nicht den Rachen stopfe, sobald er seinen Bug nur noch ein einziges Mal hier einschiebe.

»Ruhe hier, Gentlemen, da drüben liegt eine Leiche!«, riefen jetzt andere, die hinzutraten, »pfui, wer wird sich schlagen und raufen vor dem Toten­haus.«

»Ich, wenn Ihr es wissen wollt«, rief trotzig der Virginier, »ich, sobald ich die Ursache dazu bekomme, und vor der da drüben brauche ich noch lange keine Ehrfurcht zu haben. Verdient hat sie, was ihr geworden ist, und das hundertfach. Mich hat sie zum Beispiel betrogen, dass mir die Augen übergegangen sind.«

»Ei, so dreht doch dem lügnerischen Schuft den Hals um!«, rief da ein anderer aus der sich mehr und mehr ansammelnden Volksmenge heraus.

Als sich der Virginier rasch nach ihm umwandte, begegnete sein Blick lauter kampflustigen Gesichtern, unter denen er seinen Angreifer nicht im­stande war zu erkennen.

»Heilige Dreifaltigkeit, wenn ich doch jetzt unten wäre!«, rief Tom aus dem Fenster heraus.

Smart, über solche Feigheit einer Mehrheit gegen einen Einzelnen aufs Tiefste empört, wandte sich gegen die Menge und rief, den Arm mit der keineswegs unbeträchtlichen Faust gegen sie er­hebend: »Fellows – denn Gentlemen kann man euch Lumpengesindel nicht mehr nennen -, feiges, erbärmliches Pack, das sich nicht schämt, in Massen gegen einen aufzustehen! Amerikaner wollt ihr sein? Niederträchtiges Halbbrutzeug seid ihr, das man in New England bei den …«

»Hurra für Smart!«, tobte jubelnd der Haufen, der durch diesen derben Ausfall des sonst so ruhigen und gleichmütigen Wirtes mehr ergötzt als gereizt wurde. »Hurra für den Yankee! Bringt einen Stuhl, einen Tisch herbei! Smart soll auf den Tisch, eine Rede halten. Smart soll reden! Hurra für Smartchen!«

»… Beinen aufhängen würde«, überschrie Smart, jetzt wirklich in Wut gebracht, den Haufen. »Bande, verdammte! Flusswasser saufendes Piraten­volk, das ihr seid! Eure Väter haben ihr Blut für die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes vergossen, und ihr, Schandbuben, bringt Schimpf und Schande auf euer Vaterland. Ihr seid vogelfrei, Wasserratten seid ihr, die man mit Gift ausrotten sollte, dass die Erde von solcher Brut befreit würde.«

»Bravo, Smart, bravo!«, jubelte es ihm von allen Seiten entgegen, und der Virginier stand mit halb erhobenen Fäusten und schien sich jetzt wirklich nur ein Gesicht auszusuchen, in das er sie zuerst hineinstoßen konnte.

Es wäre am Ende doch noch zu Tätlichkeiten gekommen, und wer weiß, wie weit nachher der Übermut des Pöbels geführt hätte, wenn nicht jetzt der Konstabler zwischen die Männer getreten wäre und ernstlich und nachdrücklich Ruhe geboten hätte. Smart musste aber noch keine Lust haben, dem Ruf Folge zu leisten, denn es sah aus, als ob er eben wieder mit frisch gesammelten Kräften gegen die ihn umgebenden grinsenden Gesichter loswettern wollte. Da besann er sich wahrscheinlich eines Besseren, warf noch einen verächtlichen Blick über die rohe Schar, schob plötzlich beide Arme fast bis an die Ellbogen in seine tiefen Beinkleidertaschen hinein und schritt pfeifend die Straße hinab. Dabei gaben ihm übrigens alle willig Platz, denn sie hatten den Yankee schon früher als einen entschlossenen und, wenn gereizt, auch gefährlichen Mann kennen­gelernt, mit dem wenigstens kein Einzelner Streit auf eigene Faust zu be­ginnen dachte.

Der Konstabler, der indessen mit ernsten, aber zugleich freundlichen Worten die wilden Burschen zu beruhigen suchte, teilte dem Virginier mit, er habe schon mit einem hiesigen Kaufmann gesprochen, der sowohl für Cook als auch für James Lively Bürgschaft leisten wolle. Mills verschwor sich hoch und teuer, das sei der einzige vernünftige Mensch in ganz Helena, und er wolle verdammt sein, wenn er von jetzt an bei irgendjemand anderem als bei ihm seinen Tabak kaufe.

Als Porrel die Stadt wieder betrat, fand er den Richter, der ihn schon ungeduldig an der Dampfbootlandestelle erwartet zu haben schien.

»Alles besorgt!«, rief ihm der Sinkviller entgegen und deutete auf den Strom hinaus, über dessen Fläche eben mit geblähten schneeweißen Segeln das kleine schlank gebaute Fahrzeug heranglitt. »Der Kahn dort birgt unsere Musterexemplare, für die wohl Arkansas einen ganz hübschen Eintrittspreis geben würde, um sie nur sehen zu dürfen. Wir können jetzt jeden Augenblick losschlagen.«

»Ja«, sagte der Richter und schaute finster vor sich nieder, »und uns hier und was wir in unserer Nähe haben, bringen wir in Sicherheit, andere aber, die wir zurücklassen, sind verloren. Wir können nicht fort!«

»Alle Teufel!«, rief Porrel erschrocken, »das wäre ein schöner Spaß, der junge Lively ist, durch Eure Verwandte gewarnt, entflohen, und wir wer­den die ganze Waldbande in noch nicht einer Stunde auf dem Hals haben. Ein längerer Aufschub ist, bei Gott, nicht mehr möglich. Wer fehlt denn jetzt noch?«

»Eben bekam ich einen Brief aus Memphis«, sagte der Richter, »ein reitender Bote hat ihn durch die Sümpfe gebracht. Drei von unseren Ka­meraden befinden sich da oben in größter Gefahr, und nur mein Erschei­nen dort kann sie retten.«

»Wegen der drei darf doch nicht das Ganze zugrunde gehen!«, rief Porrel unwillig.

»Nein«, entgegnete der Squire, »aber unsere Pflicht ist es, solange das noch möglich ist, wenigstens einen Versuch zu machen, ihnen Hilfe zu bringen.«

»Doch wie?«

»Porrel, Ihr kennt unsere Pläne und wisst, dass ihr Gelingen ganz in unsere Hände gegeben ist. Bin ich imstande, mich auf Euch zu verlassen? Wollt Ihr die Unseren führen, jetzt in den leichten Kampf und nachher der Freiheit entgegen? Wollt Ihr die Beute an Bord des Dampfschiffes bringen, die Gelder, die Euch Georgine bei Vorzeigen dieses Ringes über­geben wird, in Verwahrung nehmen, und bis dahin, wenn ich Euch an dem verabredeten Ort in Texas treffe, halten, oder – wenn ich unter­gehe – verteilen?«

»Was habt Ihr vor?«, fragte Porrel erstaunt. »Ihr wollt nicht mit?«

»Ich allein kann die, für deren Sicherheit zu sorgen bisher meine Pflicht war, noch retten«, fuhr Squire Dayton, ohne die Frage direkt zu beant­worten, fort, »noch hat niemand eine Ahnung, wer ich bin oder dass ich überhaupt in solcher Verbindung stand. Dieses Dampfboot fährt in weni­gen Minuten stromauf, heute Abend schon bin ich in Memphis, morgen kann der Rest der Unseren schon auf dem Weg nach Texas sein.«

»Und was nützte das?«, erwiderte Porrel. »Hunderte sind noch oben in den verschiedenen Flussstädten verteilt – sie alle müssen dann zurück­bleiben.«

»Habt Ihr gesehen, wie heute Morgen der alte Baum hier am Ufer gefällt wurde?«, fragte Dayton.

»Ja, was hat der mit meiner Frage zu tun?«

»Er ist allen stromab kommenden Booten das Wahrzeichen vom Bestehen der Insel«, entgegnete der Richter. »Sehen sie den Stamm nicht mehr, so wissen sie, dass die Inselkolonie entweder untergegangen oder es augen­blicklich nicht möglich ist, dort zu landen, und fahren vorüber.«

»Hm – verdammt vorsichtig«, brummte Porrel und blickte halb über­zeugt, halb misstrauisch den Gefährten an. In ihm war ein Verdacht aufgestiegen. Wollte der Captain sie im entscheidenden Moment verlas­sen? Des Richters Aussehen bestätigte das, und er sagte: »Hört, Dayton, soll ich das, was Ihr mir da eben mitteiltet, den Leuten erzählen, wenn sie nach Euch fragen, und wollt Ihr mir offen sagen, was Ihr vorhabt, oder – ist die Geschichte für mich mit erdacht?”

Der Squire sah ihn einen Augenblick unschlüssig zögernd an, dann streckte er dem Freund rasch die Hand entgegen.

»Nein«, rief er, »nicht für Euch, Porrel, Euch sage ich die Wahrheit. Ich will fort – will dieses Leben wie diese Schar verlassen. Ihr, Porrel, mögt der Vollstrecker meines Letzten Willens, mein Erbe sein!«

»Und Eure Frau nehmt Ihr mit?«, fragte der Mann aus Sinkville.

Der Squire nickte schweigend.

»Aber Georgine?«

»Lest den Brief!«, sagte dumpf der Richter.

Porrel nahm das Schreiben und überflog es rasch. »Eifersucht!«, sagte er lächelnd, »blinde Eifersucht!« Er drehte, um die Aufschrift zu lesen, das Papier um. »Ha, da sind Blutflecke – mit einem Tuch verwischt. Wer hat dieses Schreiben so rot gesiegelt?«

»Der Träger«, entgegnete Dayton finster, »doch, wie dem auch sei, ich will sie nie wiedersehen, aber sie soll auch nicht darben. Hier dies Paket und seinen Inhalt übergebt Ihr von mir.«

»Also Ihr habt fest beschlossen …«

»Fest, Porrel, ganz fest, und Euch, wenn Ihr meine Bitte treu erfüllt, die Leute in Sicherheit bringt und die Beute redlich unter Ihnen teilt, sei mein Anteil bestimmt. Genügt Euch das?«

»Der ganze Anteil?«, fragte erstaunt der Advokat. »Mann, wisst Ihr auch, welche Reichtümer wir besonders in letzter Zeit erbeutet haben?«

»Wohl weiß ich es«, flüsterte mit abgewandtem Gesicht der Richter, »der Anteil soll Euch gehören. Wer von den Unseren nach mir fragen sollte, dem sagt, zu welchem Zweck ich mit diesem Boot und wohin ich mit ihm gegangen bin. Doch jetzt beruhigt die Leute da oben, ich höre noch immer den wilden Lärm und Zank. Die Burschen sind doch unverbesser­lich und nicht im Zaum zu halten, ob ihnen Tod und Henker auch schon vor Augen stünden. Good bye, Porrel, ich gehe jetzt hinauf, meine Frau zu holen. Glück zu – der beste Wunsch, den ich für Euch habe, ist: Texas und den Golf hinter Euch!«

Adele war indessen rasch die kurze Strecke zum Unionhotel getrabt, um Mrs. Smarts Sattel zurückzubringen. Dort fand sie aber das ganze Haus wie ausgestorben. Der einsame Barkeeper schaukelte sich auf der Veranda auf den Hinterbeinen seines Stuhls. Madam war, wie Scipio sagte, zu Squire Dayton, Mr. Smart selbst mit dem Virginier fortgegangen und er, Scipio, wusste nun, wie er meinte, vor Langeweile nicht, ob er seine gewöhnliche Arbeit besorgen oder hinter den anderen hergeben solle.

»Ist Mrs. Smart schon lange drüben?«, fragte Adele, während der Schwarze den Sattel abnahm und das Pferd an dem Haltepflock festband. »Nein. Miss«, lautete die Antwort, »noch nicht lange. Jesus! Miss hat ja das Pferd verwechselt! Nancy war hier – es ist ja Mr. Livelys Tier – fremde Missus soll recht krank geworden sein.«

»Marie?«, rief Adele erschrocken, »armes, armes Kind! Ach, Scipio, weißt du nicht, ob Squire Dayton zu Hause ist. Ich muss ihn augenblicklich sprechen.«

»Steht unten am Wasser, Miss«, sagte Scipio, »gleich unten, wenn Ihr die Straße hinuntergeht. Ihr könnt ihn gar nicht verfehlen, er müsste denn wieder weggegangen sein.«

»Scipio«, sagte Adele, »willst du mir die Liebe tun und einmal hinunter­laufen und ihn bitten, er möchte doch – oder nein, ich will lieber selbst gehen. Scipio, nicht wahr, du begleitest mich an den Fluss. Eine solche Menge fremder Bootsleute ist heute in der Stadt, ich fürchte mich fast, allein zu gehen.«

»Großer Golly«, sagte Scipio und schüttelte bedenklich den Wollkopf, »es geht heute merkwürdig wild in Helena zu, dies Kind hier …« Scipio, wenn er von sich selber sprach, nannte sich immer gern mit diesem aller­dings für ihn etwas zu jugendlichen Beinamen. »… dieses Kind hier hat noch keine solche Wirtschaft gesehen.«

»Willst du mit mir gehen, Scipio?«

»Aber sicher, Miss, Scipio geht immer mit!« Und der Schwarze drückte sich seinen alten, abgegriffenen Strohhut noch fester in die Stirn, streckte erst das rechte, dann das linke Bein und gab nun durch eine kurze Ver­beugung der jungen Dame zu verstehen, dass seine Toilette beendet und er bereit sei, zu folgen, wohin sie ihn führen würde.