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Die Flusspiraten des Mississippi 34

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

34. Adele warnt James Lively
Vor dem Unionhotel der Stadt Helena war die Straße an diesem Morgen wie ausgestorben. Einige Pferde standen allerdings an dem Haltepflock und ließen, unmutig ob des langen Wartens, die Köpfe hängen oder blickten schläfrig zur Seite nach den Hausschwalben, die sie in kreisenden Zügen umschwärmten, um Moskitos und andere in ihre Nähe gezogene Insekten wegzufangen. Aus der Einfriedung aber, die des Wirts eigenen Tieren und denen seiner Gäste gewöhnlich zum Aufent­haltsort diente, kam Scipio und führte Mr. Smarts Rappen am Zügel dem Haus zu, aus welchem eben Smart und unser Bekannter von vorhin, der Virginier, traten.

»Leg rasch den Sattel auf, Sip«, rief Jonathan dem Neger entgegen, »potz Zwiebelreihen und Holzuhren, du gehst ja, als ob du Blei in den Beinen hättest! Ah, Miss Adele – schönen guten Morgen. Nun, nehmen Sie meine Alte mit? Ja, es gibt heute Morgen nicht viel zu tun hier – Mrs. Breidelford hat all die Kundschaft …«

»Pfui, Mann, schäme dich, wie kannst du nur so hässlich reden«, wies ihn Mrs. Smart zurecht, die eben mit gewaltigem Sonnenbonnet und riesi­gem Arbeitsbeutel neben Adele auf die Veranda trat und die linke Treppe niederstieg. »Ich machte mir auch nichts aus ihr, aber solch schreckliches Ende …«

»Mr. Smart meint es nicht so böse«, entgegnete beruhigend Adele, »ach, wissen Sie wohl, Sir, wie Sie vor wenigen Abenden noch jenen Scherz mit ihr trieben? Wer hätte da gedacht, dass ihr ein so fürchterliches Schick­sal bevorstand? Sie ist sicherlich überfallen worden.«

»Nein, Miss«, sagte der Virginier, indem er die Mittelstufen hinunterstieg und auf das Pferd zuging, »ich war dort. Die Buben, die sie erschlagen haben, hatten es sich vorher ganz bequem gemacht. Es sind wahrscheinlich welche von ihren Freunden gewesen, die auch das Haus genau kannten. Aber, Smart, ich muss wahrhaftig fort, sonst komme ich zu spät. Wie weit ist es denn eigentlich bis zu den Livelys, und in welcher Richtung liegt die Farm?«

»Ihr könnt sie, wenn Ihr Euch dazuhaltet, in zwei Stunden recht gut erreichen«, erwiderte der Yankee. »Sie liegt im Nordwesten.«

»Wen wollen Sie denn von den Livelys sprechen?«, fragte Adele, denn sie gedachte des heute gehörten Gespräches zwischen dem Squire und William Cook. »Ich glaube kaum, dass Sie jemand von ihnen zu Hause finden werden.«

»Na, weiter fehlte mir nichts«, brummte der Virginier, »erst den Ritt und dann umsonst. Ich will James Lively aufsuchen, und die Sache hat Eile – er ist in Gefahr.«

»In Gefahr?«, fragten Smart und Adele zu gleicher Zeit. »Wieso? Durch wen?«

»Ei, sie haben Cook verhaftet!«

»Cook verhaftet?«, rief der Yankee und zog vor lauter Verwunderung zum ersten Mal die Hände aus den Taschen, »William Cook?«

»Ei, jawohl, und sie wollen James auch an den Kragen – man hat James’ Messer in dem Haus der Ermordeten gefunden.«

»Das ist nicht möglich«, rief Adele entsetzt, »großer Gott, sie können doch nicht solch einen fürchterlichen Verdacht … Squire Dayton weiß ja selbst, dass er erst heute Morgen in die Stadt gekommen ist und weshalb.«

»Der Squire? Hm, das glaube ich kaum – der ist es gerade, der mir am meisten auf Livelys Verhaftung zu dringen scheint. Wenn ich nur wüsste, wo James jetzt ist.«

»Oben gleich über der Stadt, am Flussufer«, sagte Adele rasch, »es ist keine Viertelstunde von hier – gerade hinter der kleinen Schenke, wo das Kieferndickicht steht.«

»So nahe? Hm, da werde ich wohl zu spät kommen«, meinte der Virgi­nier und drückte sich den Filz mit beiden Händen fest in die Stirn. »Den Henker auch, wenn es nicht weiter ist, sind sie schon lange oben.«

»Ja, aber, was macht er denn im Kieferndickicht?«, fragte Smart ver­wundert.

Adele beobachtete, die Frage wahrscheinlich überhörend, die seltsamen Bewegungen und Anstalten des langen Virginiers mit fast fieberhafter Aufregung. Dieser nämlich, auf der linken Seite des Pferdes stehend, hob höchst sorgfältig das rechte Bein in die Höhe und steckte den Fuß in den Bügel. Erst durch das vergnügte Grinsen des Negers wurde er darauf aufmerksam gemacht, dass er die Backbordfinne zuerst lüften müsse, um den Bug nach vorn ins Fahrwasser zu kommen.

»Sie können nicht reiten, Sir?«, fragte Adele ängstlich, während sich Smart mit hochgezogenen Brauen ganz ungemein auf den Reitversuch des Langen zu freuen schien.

»Ein Boot wäre mir lieber«, meinte Mills, »es hat mir was schrecklich Unbehagliches, dass die Beine so an beiden Seiten herunterhängen sollen.«

Er hatte jetzt den richtigen Fuß in den Steigbügel gebracht, warf das rechte Bein über den Sattel und kam, als das muntere Tier ein wenig zu­sammenfuhr, mit plötzlichem Ruck an Bord, wie er es nannte.

»Großer Gott, ist der Steigbügel kurz!«, sagte er, während er erschrocken auf seine bis fast an die Brust gezogenen Knie blickte, »Und wo hängt denn eigentlich das andere Ding?«

Er beugte sich etwas rechts hinüber und suchte vorsichtig mit dem Fuß den ziemlich hochhängenden Steigbügel zu treffen. Das Pferd aber, schon durch den schwankenden Sitz des Bootsmanns etwas geängstigt, warf scheu den Kopf zur Seite.

»Brrr!«, rief Mills, »brrr, mein Tierchen.« Und immer noch fühlte er mit dem rechten Bein vergebens nach dem weiter oben hin- und herschlen­kernden Bügel. Da kam dieser unter den Bauch des Pferdes, das einen raschen und kurzen Seitensprung machte, Mills’ lange Beine zuckten schnell und unwillkürlich zusammen und begegneten sich unter dem Rappen, dieser aber, solcher Behandlung ungewohnt, schlug kräftig hinten aus und warf den Kopf zwischen die Vorderbeine, während der Virginier gerade über die Ohren des scheuen Tieres hinweg und mit dem ganzen langen Leib auf den Hofraum flog.

»Hallo!«, rief Smart lachend, »ein bedeutendes Stück Arbeit das, war der längste Wurf, den ich in meinem Leben gesehen habe.«

»Mrs. Smarts Sattel – Sip !«, rief Adele und zitterte vor Angst und Aufregung. »Mrs. Smarts Sattel!«

»Meinen Sattel?«, rief, während Scipio rasch dem Befehl gehorchte, Rosa­lie Smart etwas erstaunt, »meinen Sattel, Kind? Ich denke gar nicht daran zu reiten.«

»Nicht wahr, Sie borgen ihn mir auf wenige Stunden?«, bat Adele und ergriff dabei den Zügel des ihr willig gehorchenden Tieres. »Mr. Smart – bitte, den anderen Sattel …«

»Aber, beste Miss Adele …«

»Mr. Smart«, sagte das schöne Mädchen, und der Ton, mit dem sie diese Worte sprach, klang so weich, so ängstlich, dass Jonathan Smart hätte kein Yankee sein müssen, wenn er dem widerstehen könnte. Mit einem Ruck hatte er den Sattelgurt geöffnet und den Sattel abgehoben. Scipio legte den anderen auf, und ehe noch Mrs. Smart auch nur imstande war, eine Frage zu tun, legte Adele die rechte Hand auf den Sattel und schwang sich hinauf.

Smart reichte ihr auf der einen Seite den kleinen, für den linken Fuß bestimmten Bügel, Scipio eine kurze, dort gerade liegende Weidengerte, und im nächsten Moment, ja bevor sich Mills ganz von seinem Sturz er­holt hatte, warfen schon die rasch über den harten Boden dahinklappern­den Hufe des Pferdes den Staub hinter sich auf, die Männer, vor allem aber Mrs. Smart, erstaunt zurücklassend.

James Lively hatte indessen, sobald Cook ihn verlassen hatte, vorsichtig seinen Platz gewechselt und sich, einem Indianer gleich, bis dicht an das Haus geschlichen. Das aber war viel zu gut verwahrt, ihm auch nur das Geringste zu verraten. Bloß ein dumpfes Stimmengemurmel hörte er, als ob viele Menschen miteinander sprächen, und ein paar Mal wurden Türen geöffnet und wieder geschlossen. Da vernahm er aufs Neue vom Fluss her Ruderschläge, die näher und näher kamen, und er glitt nun so rasch und geräuschlos wie möglich zum Ufer hinunter, wo er den Platz übersehen konnte, der zwischen dem Boot und dem Haus lag. Es waren dies etwa zwölf bis vierzehn Schritt Zwischenraum, denn der Strom hatte noch lange nicht die Uferhöhe erreicht. Ein Versteck fand er aber hier weiter nicht als den Stamm einer angeschwemmten Zypresse, hinter dem er sich nie­derkauerte und mit gespannter Aufmerksamkeit dem näher kommenden Fahrzeug entgegensah.

Endlich legte es an, und acht Männer, einige in der Tracht der Boots­leute, andere wie Städter gekleidet, stiegen aus.

»He, Thorby«, sagte ein großer, grobknochiger Bursche, als ihm ein anderer, der Wirt der Schenke, entgegenkam, »war Kelly schon da? Was gibt’s denn eigentlich? Waterford hat uns nichts Genaues gesagt.«

»Weiß auch nicht recht«, brummte der Wirt, »werdet es schon erfahren. Donnerwetter, es geht jetzt wild in der Stadt zu. Habt Ihr Toby mit­gebracht?«

»Toby? Nein, der kommt mit einem Kielboot, muss aber bald da sein. Kelly zieht ja seine ganze Mannschaft zusammen, es muss uns doch von irgendeiner Seite Gefahr drohen! Wie steht’s mit der Insel?«

»Gut«, sagte Thorby, »es ist eben ein Boot von dort eingetroffen. Doch geht hinein, drinnen besprechen wir das alles viel besser. Kommen noch mehr?«

»Ja, Waterford bringt alle Sumpfmänner mit. Wie er uns sagt, wollen wir dann gleich von hier aus heute Abend zur Versammlung nach Nummer einundsechzig hinunterfahren.« Und mit diesen Worten verschwanden die Männer im Inneren des Hauses, dessen Tür sich augenblicklich hinter ihnen schloss.

James Lively blieb noch eine Weile in seinem Versteck liegen, bis er sicher war, dass sich niemand mehr im Boot befand, und kroch dann vor­sichtig und geräuschlos, wie er gekommen war, zum Haus zurück. Obwohl er dort aber deutlich genug hören konnte, wie drinnen ein lebhaftes Ge­spräch stattfand, und man hier also keineswegs nur zum Spielen und Trinken zusammengekommen schien, so war er doch auch nicht imstande, etwas Näheres zu erfahren. Übrigens war er jetzt fest davon überzeugt, dass der Graue Bär, wie sie schon heute Morgen vermutet, mit jener Insel, dem Nest der Piraten, in Verbindung stand, und ungeduldig harrte er der Rückkehr von Cook.

Der Tag dämmerte endlich. Die dem jungen Farmer nächsten Gegen­stände ließen sich deutlicher erkennen, und ein leiser Luftzug, der die dicht belaubten Zweige der Niederung durchwehte, fing an die schwer­fälligen Nebelmassen nach und nach in Bewegung zu setzen. James hielt es für geratener, sich zurückzuziehen, um nicht durch das schnell herein­brechende Tageslicht überrascht und vielleicht vom Haus aus gesehen zu werden. So leise wie möglich schritt er deshalb an der Wand des kleinen Gebäudes hin, bis er den vorderen Teil desselben und mit diesem die Straße erreichte. Gleich überqueren wollte er sie aber nicht, weil ein neben der Tür angebrachtes Fenster hierher einen Ausblick gewährte. Dicht am Weg hin stand dagegen eine Anzahl junger Hickorybäume, die er zwi­schen sich und das Haus zu bringen versuchte, damit sie ihn in ihrem Schatten verbargen. Kaum zehn Ellen mochte er langsam vorwärtsgekrochen sein, als er den Schritt von Männern auf der Straße hörte, die rasch heran­kamen. Zuerst glaubte er, sie würden an ihm vorbeigehen, und schmiegte sich fest auf die Erde nieder. Als sie jedoch am Haus waren, blieben sie stehen, und er konnte deutlich erkennen, wie der eine vorsichtig viermal anklopfte und dann horchte.

Von innen schien irgendjemand zu fragen, und die Antwort lautete: »Sander! Mach auf!«

Die Stimme kannte er – das war Hawes, er hatte sich den Mann nur zu gut gemerkt. Was aber sollte der zu der frühen Tageszeit hier wollen? In welcher Verbindung stand er zu diesen Männern? Und was sollte das Zeichen? Er strengte seine Augen an, die Gestalt des Zweiten zu erken­nen, es war aber noch zu dunkel, und in diesem Augenblick schloss sich auch schon die vorsichtig geöffnete Tür rasch wieder hinter den beiden Männern.

Was jetzt tun? Sollte er Cook folgen und diesen von dem Gesehenen in Kenntnis setzen? Das hätte ihm nichts genützt, denn der war ja schon in der Absicht zum Richter geritten, eine Untersuchung dieser verdäch­tigen Schenke zu beantragen. Er beschloss also, seine Beobachtungen hier fortzusetzen und die Rückkehr von Cook abzuwarten. Zu diesem Zweck aber, und um unentdeckt zu bleiben, brauchte er ein besseres Versteck, und er schlich an den Hickorys entlang, bis er sich dem kleinen, Cook be­zeichneten Kiefernnachwuchs gerade gegenübersah. Dieser begann etwa sechzig Schritte vom Grauen Bären und lief bis zur Mündung desselben Baches hinauf, an welchem weiter oben Livelys und Cooks Farmen lagen. Hier kreuzte er den Weg und blieb im Dickicht geduldig liegen.

Mehrere Reiter passierten indessen die Straße nach Helena, von denen die meisten ebenfalls vor dem geheimnisvollen Haus anhielten, abstiegen und nach kurzem Aufenthalt ihren Ritt fortsetzten. Selbst als es schon Tag geworden war, sah James noch mehrere, ihm jedoch gänzlich fremde Ge­stalten dort einkehren und dann in die Stadt hineinreiten. Von dort aus kamen nur zwei, der eine war ein Kaufmann aus der Frontstreet, der andere ein Farmer aus der nächsten Umgebung, die sich jedoch nicht bei der Schenke aufhielten, sondern, an dem versteckten jungen Mann vorbei, der eine in die Hügel, der andere, einen schmalen Pfad einschlagend, am Ufer hinauf zogen.

So mochte es zehn Uhr geworden sein, und in Helena selbst hatten in­dessen die oben beschriebenen Vorfälle stattgefunden. Da, als ihm die Zeit schon anfing, lang zu werden und er eben mit sich zurate ging, ob er nicht doch vielleicht jetzt, trotz seiner Verabredung mit Cook, diesen aufsuchen, ihm das Geschehene mitteilen solle, sah er aus der Stadt heraus vier Männer kommen, die aufmerksam nach etwas zu suchen schienen und von denen zwei sogar in die Büsche an der Seite der Straße hineingingen. Gleich an einem Papaodickicht, dem gegenüber ebenfalls ein freilich wesentlich kleinerer Kiefernschlag lag, hatten sie angefangen, und es dauerte nicht lange, so fanden sie dort sein angebundenes Pferd.

Wetter noch einmal, dachte James, als er aus seinem Versteck heraus sah, wie es vorgeführt und einem der Männer übergeben wurde, was haben die Burschen im Sinn? Was geht sie mein Pferd an, und wer sind sie eigentlich?

Er richtete sich ein wenig auf und erkannte deutlich, wie die zwei aus dem Kiefernschlag wieder auf die Straße kamen. Eine kurze Beratung fand jetzt statt, und der Anführer, wenigstens der, den er dafür hielt, deutete den Weg hinauf nach dem Platz zu, wo er sich befand. Der Zug setzte sich gleich darauf auf sein Versteck zu in Bewegung. Da vernahm sein scharfes Ohr donnernde Hufschläge, und er sah, wie sich die Männer ebenfalls danach umschauten. Gleich darauf traten sie rasch in das Dickicht an der Seite des Weges zurück, und im selben Moment galoppierte ein schäumender Rappe daher, auf dessen Rücken – konnte er seinen Augen denn wirklich trauen? – mit fliegenden Locken und vom scharfen Ritt erhitzten, glühenden Wangen Adele Dunmore saß und, weder rechts noch links blickend, das feurige Tier durch raschen Gertenschlag zu noch wilderer Eile antrieb.

So gern er sie aber angerufen und nach dem Grund dieses ungewöhn­lichen Rittes befragt hätte, so zwang ihn ein Gefühl, über das er sich selbst keine Rechenschaft zu geben wusste, sich vor dem Mädchen zu ver­bergen. Er trat rasch hinter eine niedere buschige Kiefer und erwartete, sie im nächsten Moment vorbeireiten zu sehen. Da hielt durch plötzlichen Zügeldruck, der das feurige Tier fast auf die Hinterbeine zurückbrachte, Adele ihr Pferd an, und James hörte zu seinem großen Erstaunen, wie sie mit ängstlicher Stimme seinen Namen rief.

»Mr. Lively – Mr. James Lively! Wo um des Himmels willen sind Sie, Sir?«

Hätte James in diesem Augenblick eine zwanzig Fuß hohe Kluft hinabspringen müssen, um dem Ruf Folge zu leisten, er würde sich nicht eine Sekunde lang besonnen haben. Was Wunder also, dass er mit Blitzesschnelle aus dem Dickicht vorglitt und so plötzlich und unerwartet vor dem Pferd stand, dass es entsetzt zurückfuhr und alle Anstalten machte, aus Leibeskräften aufzubäumen. James aber warf seine Büchse hin und fiel ihm mit schnellem Griff in die Zügel, während Adele mit einem leise gemurmelten »Gott sei Dank« aus dem Sattel glitt. Ohne aber auch nur einen Augenblick zu zögern, warf sie einen scheuen Blick zurück zu den nun rasch herbeieilenden Männern und rief mit vor Angst fast erstickter Stimme: »Fort, Sir, um Gottes willen fort, nehmen Sie mein Pferd und fliehen Sie!«

»Miss Adele«, rief James ganz überrascht aus.

»Fort«, bat aber diese, »wenn Sie … wenn Ihnen meine Ruhe nur etwas gilt … fort. Mr. Cook ist gefangen, Helena ist in Aufruhr … jene Män­ner dort kommen, Sie zu fangen.«

»Mich? Weshalb?«

»Mein Pferd – Heiland der Welt, es wird zu spät!«

James, obwohl er in diesem Augenblick wirklich nicht wusste, ob er wache oder träume, begriff leicht, dass hier irgendetwas ganz Außerge­wöhnliches und ihm wahrscheinlich Gefahrdrohendes geschehen sein müsse. Wenn sich auch keiner Schuld bewusst, erschreckte ihn doch Cooks Gefangenschaft. Ein dunkler Verdacht durchzuckte sein Hirn, und als auch noch die Fremden, wie er jetzt glauben musste, in feindlicher Ab­sicht herbeieilten, fühlte er, dass er sich wirklich in Gefahr befand. Adele hatte aber indessen schon für ihn gehandelt. Schnell löste sie den Sattel­gurt des Pferdes und warf den Damensattel ab. Die Verfolger waren nicht fünfzig Schritte mehr entfernt.

»Und Sie, Miss Adele, soll ich hier allein zurücklassen?«, rief James un­schlüssig, »das kann ich bei Gott nicht.«

»Mir droht keine Gefahr!«, rief das Mädchen, »ich habe nichts, gar nichts zu fürchten … aber Sie … großer Gott, es ist ja jetzt schon zu spät.«

»Nein, noch wahrlich nicht«, erwiderte der junge Hinterwäldler lachend, der bald erkannte, dass die herbeieilenden Männer unbewaffnet waren, und hob rasch seine Büchse vom Boden auf. »Den will ich doch sehen, der …«

»Wenn Sie mich lieben, James«, flehte Adele jetzt in wilder Verzweif­lung, »wenn sie mich lieben, so fliehen Sie!«

Oh, hätte sie ihn doch mit diesen Worten aufgefordert, sich dem Feind entgegenzuwerfen. James wäre dem Tod mit Freuden in die Arme ge­stürmt, aber fliehen? Doch ihr flehender Blick traf ihn. In der linken Hand die Büchse haltend, schwang er sich auf den Rücken des Pferdes und ergriff mit der Rechten die Zügel.

»Halt da, Sir!«, rief Porrel, der kaum noch zehn Schritte von ihm entfernt war, »halt – wir kommen als Freunde, Ihr habt nichts zu fürchten!«

»Ich fürchte auch nichts«, brummte James und hielt sein Pferd noch immer gezügelt, »wenn ich nur …«

»Glaubt ihnen nicht!«, bat Adele in Todesangst, »fort, zu den Euren – fort!«

»Squire Dayton schickt mich nach Euch!«, rief Porrel, sprang auf ihn zu und griff nach dem Zügel.

Adele, die den jungen Mann verloren glaubte, starrte mit wildem, verzweifeltem Blick zu ihm empor.

»James!«, hauchte sie und musste sich an den Baum, an dem sie stand, festhalten.

»Ich gehorche«, rief James und stieß mit dem Kolben seiner Büchse die Hand des Advokaten beiseite, »zurück da, Sir! Sei es in Freundschaft oder Feindschaft – in einer Stunde bin ich in Helena!« Und während er den Zügel locker ließ, bohrten sich seine Hacken in die Flanken des Pferdes, das mit schnellem Satz nach vorn sprang. Im nächsten Augenblick flog es, von der ruhigen Hand des Reiters gelenkt, in die Büsche hinein und war gleich darauf in dem dichten Unterholz der Niederung verschwunden.

»Miss Dunmore«, sagte Porrel, der sich jetzt an das noch immer zitternde und erschöpfte Mädchen wandte, »ich begreife wahrlich nicht, was Sie veranlassen konnte, den Burschen da so dringend zur Flucht zu bewegen. Ihm drohte keine Gefahr.«

»Sie wollten ihn verhaften, Sir«, rief Adele noch immer in höchster Auf­regung, »man hat ihn des Mordes angeklagt!«

»Und sollte das etwa ein Beweis seiner Unschuld sein, wenn er, anstatt sich zu stellen, dem Richter entflieht?«, fragte der Mann aus Sinkville, und ein spöttisches Lächeln zuckte um seine Lippen.

Adele schwieg bestürzt.

»Doch wie dem auch sein«, fuhr er endlich fort, »der Squire ist, wie er mir versichert, schon auf der Spur der wirklichen Mörder, ich war eben hier­her geschickt worden, das dem jungen Mann mitzuteilen und ihn von jeder Besorg­nis zu befreien. Sie mögen jetzt selber urteilen, Miss, ob Sie ihm mit dieser Warnung, wenn Sie ihm in der Tat wohlwollen, einen Gefallen getan haben.«

»Mr. Porrel«, sagte Adele und errötete tief, »die bestimmte Nachricht, die jener Bootsmann brachte, der selbst hierher wollte, Mr. Lively aufzu­suchen …«

»Wollen Sie sich überzeugen, mein Fräulein, ob ich die Wahrheit gesagt habe«, unterbrach sie Porrel, »so fragen sie Squire Dayton selber. Cook, den man, wie ich gehört habe, heute Morgen allerdings, aber nur wegen Ruhestörung, verhaftet hatte, ist jetzt wahrscheinlich auch schon wieder frei. Es lastet wenigstens kein Verdacht mehr auf ihm. Bitte, Jim, legt doch einmal der jungen Dame den Sattel dort auf. Sie wird sicherlich lieber reiten wollen, als in unserer Gesellschaft in die Stadt zurückgehen.«

Der Mann gehorchte schnell dem Befehl und führte bald James Livelys Pferd dem Mädchen vor. Diese wandte sich erst verlegen zu dem Advo­katen hin, als ob sie sich bei ihm entschuldigen wolle. Aber dann stieg sie rasch auf das Holz, neben dem das ungeduldig scharrende Tier stand, sprang in den Sattel und sprengte, unwillig über sich und die ganze Welt, in die Stadt zurück.

Porrel sah ihr mit einem leise gemurmelten Fluch nach und ging dann, nachdem er seine Begleiter mit einem Auftrag weggeschickt hatte, auf den kleinen Gasthof zu, in dessen Tür er bald darauf verschwand.