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Der Welt-Detektiv Band 6

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Interessante Abenteuer unter den Indianern 68

Interessante-Abenteuer-unter-den-IndianernJohn Frost
Interessante Abenteuer unter den Indianern
Erzählungen der merkwürdigsten Begebenheiten in den ersten indianischen Kriegen sowie auch Ereignisse während der neueren indianischen Feindseligkeiten in Mexiko und Texas

Der Mörderbach

Ein kleiner Strom ergießt sich in jenen Schönsten aller Flüsse, den majestätischen Hudson, welcher immer noch den Namen Mörderbach führt, obwohl vielleicht nur wenige sagen können, warum er so genannt wird.

Vor ungefähr einem Jahrhundert war die herrliche Gegend, welche von diesem Strömchen bewässert wird, im Besitz eines kleinen Indianerstammes, welcher lange verloschen oder einer der mächtigeren Nationen des Westens einverleibt ist. Drei- oder vierhundert Ellen von der Mündung dieses Flüsschens hatte sich eine weiße Familie mit Namen Stacey in einem Blockhaus niedergelassen, und zwar mit stillschweigender Einwilligung der Indianer, welchen sich Stacey durch verschiedenartige Künste, welche von den Indianern hoch geschätzt wurden, nützlich gemacht. Es bestand eine besondere Freundschaft zwischen ihm und einem alten Indianer namens Naoman, welcher oft in sein Haus kam und seine Gastfreundschaft genoss. Die Familie bestand aus Stacey, seiner Frau und zwei Kindern, einem Knaben und einem Mädchen, von denen der Erstere fünf und die Letztere drei Jahre alt war.

Niemals vergeben die Indianer Beleidigungen, noch vergessen sie Wohltaten.

Eines Tages kam Naoman zu dem Blockhaus Staceys, während der Abwesenheit desselben, zündete seine Pfeife an und setzte sich nieder. Er sah ungewöhnlich ernsthaft aus, seufzte zuweilen tief, aber er sagte kein Wort. Staceys Frau fragte ihn, was ihm fehle, ob er unwohl sei. Er schüttelte den Kopf, sagte jedoch nichts, sondern ging bald hinweg. Am nächsten Tag kam er wieder und verhielt sich auf gleiche Weise. Staceys Frau vermutete, dass etwas Seltsames in diesem Benehmen läge, und machte ihren Mann mit der Sache bekannt, sobald derselbe nach Hause kam. Er riet ihr, den alten Mann zu überreden, sein Benehmen zu erklären, im Falle derselbe wiederkommen solle, was er am folgenden Tag tat.

Nach vielem Drängen gab ihr endlich der Indianer folgende Antwort auf ihr Fragen: »Ich bin ein roter Mann, und die Bleichgesichter sind unsere Feinde. Warum soll ich sprechen?«

»Aber mein Mann und ich sind deine Freunde. Du hast hundertmal Brot mit uns gegessen und meine Kinder so oft auf deinen Knien geschaukelt. Wenn du etwas auf dem Herzen hast, sage mir es jetzt.«

»Es wird mir das Leben kosten, wenn es bekannt wird, und ihr Frauen mit den blassen Gesichtern könnt nicht gut Geheimnisse bewahren«, erwiderte Naoman.

»Mache den Versuch mit mir, und du wirst finden, dass ich es kann«, sagte sie.

»Willst du bei dem Großen Geist schwören, dass du es niemand anderem als deinem Mann sagen willst?«

»Ich habe niemand anderes, dem ich es sagen kann.«

»Aber willst du schwören?«

»Ich schwöre bei unserem Großen Geist, dass ich es niemand anderem als meinem Mann sagen will.«

»Selbst dann nicht, wenn mein Stamm dich wegen deines Schweigens töten würde?«

»Nein, auch nicht, wenn dein Stamm mich wegen meines Schweigens töten würde.«

Naoman begann nun, ihr zu erzählen, dass infolge der häufigen Eingriffe der Weißen in ihre Ländereien am Fuße der Gebirge sein Stamm außerordentlich ärgerlich geworden sei und entschlossen wäre, in jener Nacht alle Weißen in ihrem Bereich niederzumetzeln, dass sie zu ihrem Mann senden und ihn von der Gefahr benachrichtigen müsste, und dass sie dann so geheim und eilig wie möglich ihre Kanus nehmen und mit der größten Eile ihrer Sicherheit wegen über den Fluss nach Fishkill rudern sollten.

»Seid schnell und verursacht keinen Verdacht«, sagte Naoman, als er wegging.

Die gute Frau suchte augenblicklich ihren Mann auf, welcher unten am Fluss fischte, erzählte ihm die Geschichte, und da keine Zeit zu verlieren war, begaben sie sich zu dem Boot, welches unglücklicherweise mit Wasser gefüllt war. Es erforderte einige Zeit, um das Wasser auszuschöpfen. Unterdessen erinnerte sich Stacey seiner Büchse, welche er zurückgelassen hatte. Er ging in sein Haus und kehrte mit derselben zurück. Alles dies nahm beträchtliche Zeit weg, und zwar kostbare Zeit, wie es sich an dieser armen Familie bewies.

Die täglichen Besuche Naomans und seine mehr als gewöhnliche Ernsthaftigkeit hatten einigen unter dem Stamm Verdacht erweckt, und dieselben richteten deshalb ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Bewegungen Staceys. Einer der jungen Indianer, welcher als Wache aufgestellt worden war, und sah, dass die ganze Familie im Begriff sei, sich in das Boot zu begeben, lief zu dem kleinen, ungefähr eine Meile entfernten, indianischen Dorfe und machte Lärm. Unmittelbar versammelten sich fünf starke Indianer, liefen zu dem Fluss, wo ihre Kanus vor Anker lagen, und ruderten Stacey nach, der unterdessen ein Stück Weges in den Strom hinausgerudert war. Die Indianer folgten so schnell, dass sie die Familie ohne Zweifel bald einholen mussten. Dies einsehend, warf Stacey zweimal das Ruder weg und legte seine Büchse an. Aber seine Frau verhinderte ihn am Schießen, indem sie sagte, dass sie, wenn er schösse und die Indianer sie dennoch einholen würden, keine Gnade von denselben zu erwarten hätten. Er unterließ es deshalb und ruderte, bis ihm der Schweiß in großen Tropfen von der Stirn herabrollte. Jedoch alles war umsonst. Sie wurden ungefähr hundert Schritte von dem gegenüberliegenden Ufer eingeholt, und mit Jauchzen und Triumphgeschrei zurückgebracht.

Das Erste, was die Indianer taten, als sie landeten, war, dass sie Staceys Hans anzündeten. Dann schleppten sie ihn, seine Frau und seine Kinder zum Dorf. Hier waren die vornehmsten alten Männer, unter denen sich Naoman befand, versammelt, um sich über die Sache zu beraten. Die Obersten im Rat drückten ihre Meinung dahin aus, dass irgendjemand vom Stamm des Verrats schuldig sei, indem er Stacey, den weißen Mann, von ihren Plänen benachrichtigt habe, wodurch Letzterer in Schrecken geraten und beinahe entwischt sei. Sie schlugen vor, dass die Gefangenen befragt werden sollten, um zu entdecken, wer der Verräter sei. Die alten Männer stimmten hiermit überein, und einer derselben, welcher Englisch sprach, begann Stacey auszufragen, und dolmetschte den anderen, was gesagt wurde. Stacey weigerte sich, denjenigen zu verraten, der ihn von ihrem Vorhaben benachrichtigt hatte. Hierauf wurde seine Frau befragt, während zwei Indianer mit erhobenen Tomahawks bereitstanden, ihre Kinder zu ermorden, im Falle sie nicht gestände.

Sie versuchte die Wahrheit zu umgehen, indem sie vorgab, dass sie in der vorhergehenden Nacht einen Traum gehabt hätte, durch welchen sie ermahnt worden sei, zu fliehen, und dass sie ihren Mann dazu überredet habe.

»Der Große Geist lässt sich nie herab, zu weißen Gesichtern im Traum zu sprechen«, sagte einer der alten Indianer. »Weib, du hast zwei Jungen und zwei Gesichter. Sprich die Wahrheit oder deine Kinder sollen sicherlich sterben.«

Der kleine Knabe und das Mädchen wurden sodann nahe zu ihr gebracht, und zwei Indianer standen bei ihnen, bereit, die grausamen Befehle, welche sie erhalten hatten, auszuführen.

»Willst du den Namen des roten Mannes nennen«, sagte der alte Indianer, »der seinen Stamm verraten hat? Ich werde dich dreimal fragen.«

Die arme Frau sah ihren Gatten und ihre Kinder an und warf dann einen Seitenblick auf Naoman, welcher dasaß und mit unbesiegbarem Ernst seine Pfeife rauchte. Sie rang die Hände und weinte, aber sie blieb stumm.

»Willst du den Namen des Verräters nennen? Ich frage dich zum dritten und letzten Mal.«

Die Todesangst der Mutter war mehr als groß. Abermals suchte sie das Auge Naomans, aber es war kalt und unbeweglich. Einen Augenblick wartete man auf ihre Antwort.

Sie war stumm. Die Tomahawks wurden über die Köpfe der Kinder geschwungen, welche ihre Mutter anflehten, sie zu befreien.

»Halt«, rief Naoman. Aller Augen richteten sich unverzüglich auf ihn. »Halt!«, wiederholte er in befehlendem Ton. »Weiße Frau, du hast dein mir gegebenes Wort bis zum letzten Augenblick gehalten. Häuptlinge, ich bin der Verräter. Ich habe das Brot dieser christlichen, weißen Leute gegessen, habe mich an ihrem Feuer erwärmt und bin ihrer Güte teilhaftig gewesen. Ich bin ein verwitterter Stamm, ohne Zweige und Blätter. Haut mich um, wenn ihr wollt. Ich bin bereit zu fallen.«

Ein Geschrei des Unwillens erscholl von allen Seiten. Naoman stieg von der kleinen Erdbank, auf welcher er saß, herab, hüllte sein dunkles Antlitz in seine Büffelhaut und erwartete ruhig sein Schicksal. Er fiel tot zu den Füßen der weißen Frau nieder, getroffen vom Schlag des Tomahawks.

Aber die Hinopferung Naomans und die heldenmütige Standhaftigkeit der christlichen weißen Frau waren nicht genügend, um das Leben der anderen Schlachtopfer zu retten. Sie kamen um; wie – brauchen wir nicht zu sagen, aber die Erinnerung an ihr Schicksal ist durch den Namen des schönen kleinen Stromes, an dessen Ufern sie lebten und starben, und welcher noch heute Murderer’s Creek genannt wird, bewahrt worden.