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Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang 2

Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang
Ein Märchen von Gotthold Kurz
Nürnberg, bei Gottlieb Bäumler 1837

Zweites Kapitel

Jacob als blinder Passagier im Reisebündel

Der Vetter Gottlieb aber zog indessen frischen Mutes seine Straße weiter, durch grünende Fluren und freundliche Dörfer, an blühenden Hecken und murmelnden Bächlein vorüber, Berg auf, Berg ab, über Brücken und Stege, auf staubiger Landstraße und anmutigen Fußsteigen. Überall Frühling und Lust, und über die ganze duftende, schimmernde jauchzende Erde hin hatte der Himmel sein schönstes blaues Gezelt gespannt, und die Sonne zog wie ein Held herauf an demselben und übergoss mit ihren Strahlen den Schauplatz der Freude und Fülle. So wanderte Gottlieb dahin und sog alle diese Lust ohne Bedenklichkeit ein, als ob sie nur für ihn allein da wäre, pfiff, sang und sprang, wie ihn der Geist trieb.

Als aber die Sonne immer höher hinaufgerückt war und die Dorfglocken den Mittag einläuteten, da suchte er sich im nächsten Busch eine schattige Stelle aus und ließ sich nieder, sein Mahl zu halten, für das die Mutter noch beim Abschied reichlich gesorgt hatte. Nachdem er gegessen hatte, griff er zur Flasche, um sich durch einen herzhaften Trunk zur Weiterreise zu stärken und wollte soeben den ersten Schluck tun, da kam es ihm vor, als ob etwas ganz nahe bei ihm hustete und wisperte.

Er fuhr auf und sah umher, es war aber weiter nichts zu hören, noch zu sehen. So glaubte er sich denn getäuscht zu haben und fuhr in seinem löblichen Geschäft fort. Das dauerte aber nicht lange, so vernahm er wieder ein deutliches Niesen aus der nächsten Staude, so zart und fein, wie eine Maus nur niesen könnte.

»Gott helf«, rief Gottlieb unwillkürlich aus, weil er es so gewohnt war. Statt des Dankes aber fuhr ihm alsbald eine Eichel an die Nase, wie es schien, recht absichtlich geworfen. Das war grob! Er sprang auf, und in den Busch, die dösen Buben, die dort etwa ihr Wesen hatten, zu vertreiben. Es war auch diesmal nichts zu finden, aber in dem er sich umsah, bemerkte er zur Seite auf einer jungen Eiche ein winziges Ding, wie ein Laubfrosch oder ein Eichhörnchen, das hinter die Blätter schlüpfte. Schnell war er hinterher. Ein kecker Griff und – da zappelte es in seiner Hand! Und wer beschreibt sein Erstaunen, als er statt Frosch oder Eidechse ein schmuckes Bürschchen in derselben wahrnahm, wen anders, als den wohlbekannten fern geglaubten Jacob?

»Um alle Welt, du kleiner Bösewicht, du bist es? Wie kommst du hieher? Was hast du gemacht? Was wird die Alte sagen, wenn sie dich zu Hause sucht und nicht findet?«

Mit solchen Fragen bestürmte er ihn liebkosend.

»Sei nur gut, sei nur gut, Herzensvetter!«, schmeichelte der Kleine, »das geht alles auf meine Rechnung! Sieh, ich konnte es nun einmal nicht länger aushalten in der engen Kajüte, und so habe ich dich denn auf gut Glück begleitet. Ich wäre ohnedies früher oder später doch einmal desertiert und auf eigenen Füßen hinausgelaufen in die weite Welt. Es ist also immer besser, dass du mich mitgenommen hast.«

»Ich dich mitgenommen? Was fabelst du, Männchen?«, fiel ihm der Freund in die Rede.

»Ja, allerdings! Der Gedanke dich zu begleiten, fuhr mir blitzschnell durch den Kopf, und ich ebenso behände in deinen Tornister, wo ich mir während des Gehens ein recht bequemes Plätzchen eingerichtet habe, von dem ich herabsah auf alle Herrlichkeiten der Welt und nebenbei dir auch manch lustiges Stückchen nachsang und nachpfiff, womit du dir den Weg verkürztest.«

»Nun aber, Scherz beiseite, werde ich auch bei dir und dein Gefährte und Beschützer auf der ganzen Wanderung bleiben, was dir immer lieb sein kann!«

»Du, mein Beschützer?«, erwiderte Gottlieb, aus vollem Hals lachend.

»Wer weiß?«, fuhr der Kleine fort, »die Umstände sind oft wunderlich!«

»Höre, weißt du was?«, versetzte der Vetter jetzt ganz ernsthaft, »ich werde dich nicht mitnehmen, sondern geradezu nach Hause schicken! Bedenk die Muhme und ihre Sorglichkeit. Was willst du in der Welt? Geh nach Hause! Sieh, da kommt eben recht gelegen der Bote aus unserem Dorf des Wegs daher. Dem geb ich dich mit, der soll dich wieder hinbringen, wo du hingehörst.«

Aber das war kaum ausgesprochen, als Jacob wie eine Heuschrecke aus seiner Hand wieder ins Gebüsch sprang und hinauf von einem Ast auf den anderen kletterte und bald aus der Höhe sich vernehmen ließ.

»Rede, was du willst, Gottlieb! Tue, was du willst, Gottlieb! Ich gehe nicht mit dem Boten, mich bringst du nimmer ins alte Nest zurück! Lass mich mit dir ziehen. Willst du nicht? Nun gut, so sehe ich, wie ich allein mir weiterhelfe!«

Dazu fügte er noch so viele gute und schmeichelnde Worte bei, dass endlich der Vetter ganz gewonnen wurde und nicht anders konnte, als ihm den Willen lassen. Nun kam der Ausgerissene wieder herbei, griff schnell nach einem Stück Papier, in welches der Mundvorrat Gottliebs eingewickelt gewesen war, beschnitt die ausgefallene Feder einer Kohlmeise mit einem winzigen Federmesser, das er vor Kurzem vom Nachbarn Messerschmidt verehrt erhalten hatte, tauchte die Feder in eine reife Waldbeere und schrieb nun der Muhme folgenden Abschiedsbrief:

Liebwerteste Frau Muhme!
Sie hat es zwar immer aufs Beste mit mir gemeint, und dafür will ich Ihr auch zeitlebens dankbar sein, aber ich hab’s doch nicht länger aushalten können in der finsteren engen Klause, und bei dem albernen Hirselesen, und bin deswegen auf und davon gegangen! Mache Sie sich daher keine schweren Gedanken wegen mir, wenn Sie mich etwa zu Hause sucht und nicht findet. Ich will hinaus in die Welt und dort mein Glück machen, wenn es angeht. Dann aber werde ich auch Sie gewiss nicht vergessen. Einstweilen behüte der liebe Gott Sie und uns alle! Dem Herrn Magister und Nachbarn Franken meinen Gruß!
Ihr ewig dankbarer Jacob.

Mit diesem Brief ging der Bote seines Weges. Die beiden Wanderer aber machten sich gleichfalls auf und zogen weiter, bis die Dämmerung eintrat, und sie in einem kleinen Dorf erwünschte Herberge fanden.