Timetraveller – Episode 14
Die Plattform vibrierte.
Die Gesichter der Umstehenden verformten sich. Sie wirkten plötzlich gallertartig. Das Kinn Müllers schien in Tropfen zu zerfließen. Das Bild des Labors verschwamm nebelartig. Claire und Dan fassten sich an der Hand. Markui Beckers Antlitz wirkte überdimensional und fratzenhaft, dann umschlang sie glühend roter Spiralnebel. Sie glaubten, ins Bodenlose zu stürzen. Das Rot wurde zu einem Blau, dann umgab sie nur noch Schwärze. Merkwürdige Geräusche – ähnlich der Sphärenmusik – brandeten auf – jemand schien höhnisch zu lachen … dann fallen, wirbeln, fallen … diffuses Licht … auf einmal verspürten sie Kühle und Feuchtigkeit.
Schlamm spritzte. Instinktiv ließ Claire Dans Hand los. In einer Rolle seitwärts landeten beide auf von Wasser durchtränktem Boden. Sturm und Nacht umfing sie.
Dan rappelte sich hoch. »Danke, dass sie unsere Airline berücksichtigt haben«, kam es gequält.
Da vernahmen sie Hufschlag.
***
Achilles schnaubte.
Beruhigend klopfte die Reiterin dem treuen Rappen den Hals.
Sie saß weit vorgebeugt auf dessen Rücken. Ihre Augen sezierten das Umfeld des Plimizol 1. Die Brandung rollte donnernd über den Strand und zog Bahnen weit in das sandige Land hinein. Blitze leuchteten mit gewaltigen Zacken. Es roch nach Ozon.
Es regnete nicht – es goss!
Das Wasser lief über den bronzefarbenen Helm mit dem kleinen blauen Gralswappen hinab in die Augen. Die Reiterin wischte darüber, um eine einigermaßen klare Sicht zu bekommen.
Die zierlichen aufgesetzten Gold- und Bronzeplättchen der griechisch anmutenden leichten Rüstung klirrten im Sturm melodisch. So – als spiele die wütende Natur eine Melodie.
Der Rappe beruhigte sich etwas.
Die Reiterin zog den nassen Umhang fester um die Schultern. Ihr Blick glitt zum sturmgepeitschten Himmel. Hinter den drohenden – die Berge der Pyrenäen berührenden – Wolken glomm es matt weißlich.
»Lahamu«, flüsterte die Reiterin. »Oh große Astarte der Pyrenäen – schütze uns vor dem Kometen!«
Seit Tagen beherrschte der Himmelskörper das Firmament, löste Unwetter aus. Sturmfluten peinigten die Küste. Der Konsul von Emporion hatte sich bereits um Hilfe an Genevier, die Herrin der Burg San Salvador de Verdera gewandt.
Elirah – die Astronomin der Burg – hatte nur verzweifelt den Kopf geschüttelt.
»Ich kann über die Laufbahn des Kometen nichts aussagen. Er kam zuletzt vor Tausend Jahren so nahe.«
Die junge Astronomin hatte sehr ausführlich die Aufzeichnungen von Ambrosius Aurelius studiert – den man später auch den Merlin nannte. Der ehemalige Hochkönig hatte sich ganz dem Studium der Naturphänomene verschrieben und kannte die ägyptischen und sumerischen Dokumente.
Erneut jagte eine elektrische Entladung über den Himmel und schoss mit der Spitze ins schäumende Meer. Der nachfolgende Donner ließ den Boden erbeben. Achilles stieg vorn hoch und Genevier – denn um niemanden anderes handelte es sich bei der Reiterin – hatte alle Mühe, das Tier wieder im Zaum zu halten.
Endlich konnte sie wenden. »Lass uns nach Hause reiten, mein Freund«, sagte sie zu dem Rappen. Noch einmal versuchten ihre Augen, die Nacht zu durchdringen.
Nein – Feinde nutzten das Unwetter nicht zu einer Landung. Sie konnte ihren Kontrollritt beenden.
Achilles trabte den morastigen Pfad zurück. Doch nach wenigen Schritten zog Genevier die Zügel an.
Im kurzen Schein eines Blitzes hatte sie etwas gesehen.
»Steh!«, sagte sie kurz und glitt vom Rücken des Pferdes. Ein erneuter Blitz tauchte die Ebene in Tageshelle.
Der Moment genügte den Falkenaugen der ehemaligen britischen Hochkönigin. Sie bückte sich und ergriff das merkwürdige, längliche, völlig verschmutzte Gebilde.
Sie drehte es in den Händen und wischte es notdürftig mit dem vor Nässe triefenden Mantel ab.
Das Ding wirkte teils durchsichtig, teils metallisch. Genevier konnte nichts damit anfangen. Aber zweifelsohne gehörte es nicht hierher.
Sie steckte es in den Lederbeutel an ihrem Gürtel. Sie würde es Sherazeda zeigen. Die gebildete Schwester des Königs von Marakis 2 würde vielleicht etwas dazu sagen können.
Genevier sprang aus dem Stand auf den Rücken des Pferdes und drückte die Fersen in seine Seite.
***
»Das war knapp!«
Dan wischte sich den Matsch aus dem Gesicht. Das Wasser lief ihm aus den Haaren, die wie angeklebt um seinen Kopf hingen.
Claire stampfte wütend mit dem Fuß auf. Der Morast spritzte.
»Weshalb hast du mir den Mund zugehalten? Du Idiot! Das war Genevier! Wir hätten sie ansprechen können.«
Dan grunzte. »Ach ja? Woher willst du das denn wissen? Wir bewegen uns in einer Zeit, in der man schneller auf einem Sklavenmarkt landet, als man durchatmen kann.«
Die junge Studentin spie einen undamenhaften Fluch aus. »Ich habe sie erkannt! Sie entspricht genau dem Fensterbild aus der Kirche von Castello. Du weißt, dass ich mit einer Studiengruppe die Ausgrabungsstätten von Emporion besucht habe. Wir sind auch in der Katharer-Kathedrale in Castello gewesen. Außerdem gibt es eine Dissertation darüber von Professor Helmig – dem führenden Gralsforscher in Augsburg.«
»Ah ja …«, stöhnte Dan. Der aufkommende Donnerschlag ließ den jungen Mann schwanken. »… deshalb hast du sie sofort erkannt. Was hättest du der Dame denn gesagt? Ganz davon abgesehen, dass sie vermutlich Altspanisch oder Bretonisch spricht, das keiner von uns beiden beherrscht.«
»Sie hätte uns schon nicht gleich umgebracht! Außerdem, mein Lieber – ich habe einen Kurs in der bretonischen Sprache absolviert. Wenn mich schon Historik interessiert, muss ich mich auch mit vielen Dokumenten auseinandersetzen. Zahlreiche sind in der alten Amorica-Sprache verfasst.«
Dan unternahm den Versuch, sich mit seinem inzwischen durch die Jeans durchnässten Taschentuch die Nase zu putzen. »Wir holen uns hier noch den Tod. Hoffentlich stimmt die Zeit überhaupt. Irgendwie kam mir der Sprung diesmal merkwürdig vor. Diese Nebengeräusche …«
Dan zeigte sich etwas beunruhigt. Doch dann schob er den Gedanken erst einmal zur Seite.
Er hatte nach dem Fehlschlag, den Stein der Weisen von John Dee zu erlangen, noch Markui Beckers Worte im Labor von Burg Rauenfels in den Ohren: »Unser Professor hat den Stein auch nicht, aber wir konnten durch das Buch von Sanfold ermitteln, dass er einem neuen Hinweis folgt. Der sogenannte Stein der Weisen soll sich in einer goldenen Statue befinden, die einst von einem Frauenorden in den Pyrenäen verehrt worden ist. Er stellte sozusagen das Herz der gewaltigen goldenen Tempelfigur dar.«
»Hm«, hatte Claire gemacht. »Wann soll das gewesen sein und woher weiß der gute Prof das?«
»Er hat Unterlagen der Templer und des Klosters San Pedro de Roda studiert. So konnten wir es seinen Notizen entnehmen. Das Kloster liegt in den Pyrenäen kurz hinter der spanischen Grenze bei La Jonquera. Dort in einem Dreieck von Carcassonne und Rennes-le-Château.«
Claire hatte die Augen aufgerissen. »Moment, das hängt doch mit diesem merkwürdigen Pfarrer Saunière und dem angeblichen Heiligen Gral zusammen.«
Müller hatte genickt. »Und den Westgoten.«
Markui nickte anerkennend. »Mensch – du kennst ja auch etwas Geschichte!« Dann grinste er.
Dan wirbelte in dem ledernen Bürodrehstuhl herum. »Also glaubt Sanfold, er könne dort den Stein der Weisen finden – vorausgesetzt, es gibt ihn überhaupt.«
Markui legte eine Karte auf den Labortisch. Er zeigte auf einen Punkt in den Pyrenäen. »Hier liegt die Ruine der Burg San Salvador de Verdera. Oberhalb des Klosters, das ich eben nannte. Die Burg stand in enger Verbindung mit den Templern, die in ihren Reihen unzählige Alchimisten aufwiesen. Das Kloster – gegründet von Heiligen Bernhard …«, er grinste, » … klingelt‘s? … liegt mitten im ehemaligen Heiligen Hain der Burg. Archäologen haben die Grundreste des Tempels 2001 gefunden.«
Claire schüttelte den Kopf. »Es klingelt nicht. Heiliger Bernhard … Templer … wem gehörte denn nun die Burg?«
Markui seufzte. »Ich denke, du studierst auch die Gralsüberlieferungen?! Leute! Parcival und später ab 472 Königin Guinevere oder Genevier. Ab 900 den Grafen von Empordà, um die es weitere Geheimnisse gibt.«
Claire schluckte. »Heaven! Bin ich schwer von Begriff!«
Dan lachte auf. »Nun tu du auch mal nicht so, Markui. Das Wissen hast du dir gerade erst angeeignet.« Er zwinkerte dem Angesprochenen schelmisch zu, wusste er doch, dass Markui einen Zeitsprung nach Kansas City unternommen hatte, um all die Informationen zu bekommen. »Aber was soll der Unsinn?« Er wurde sofort wieder ernst. »Genevier, Artussage … da ist doch nichts Greifbares.«
»Oh doch!«, dozierte Markui. »Hier!« Er reichte einen Ordner mit kopierten Dokumenten zu Claire herüber. »Die Chronik der Stadt Castelló d’Empúries. Steht alles drin!«
»Die Stadt kenne ich!«, rief Claire. »In der Kathedrale gibt es ein Fenster, das zeigt die ehemalige Hochkönigin. Ich hab das immer nur für Legendenbildung gehalten.«
Markui schob die Hände in die Hosentaschen. »Tja, und unser Freund Sanfold kennt wohl auch einiges über die Geschichte des neuen Ordens um die Königin. Möglicherweise durch seine früheren Zeitsprünge. Wir wissen ja von seinen Experimenten.«
Er wippte auf den Fußballen. »Übrigens war in der Bibliothek eurer Uni nachzulesen, dass die Merowinger-Truppen niemals Katalonien erobern konnten, weil Genevier sich mit ihrer Frauentruppe auf den Pässen verteilte. So viel zum Thema Sage.«
Nun waren sie hier.
Am berühmten geheimnisvollen Plimizol, mitten im Matsch und einem Unwetter und – wie sie aus den Chroniken wussten – der Bedrohung durch einen Kometen.
»Was die Königin da gefunden hat, sah mir verteufelt nach der Tastatur von Sanfolds … unserer Zeitmaschine aus.« Claire drückte einige Zweige zur Seite.
Dan runzelte die Stirn, was Claire aber in der nun herrschenden Finsternis nicht sehen konnte.
»Du meinst«, dehnte er, »unser Freund bekommt Schwierigkeiten?«
Die Studentin kicherte, trotz der ungemütlichen Situation. »Ich denke! Etwas ist bei seiner Ankunft hier kaputt gegangen.«
»Okay«, knurrte der junge Mann. »Was tun wir?«
Claire wandte sich zum Sturm umtobten Strand. »Am nächsten liegt Rosaria. Erstmal ein Dach über den Kopf, bevor wir bei lebendigem Leib ersaufen.«
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