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Ritter Ulfo von Edelfels – Kapitel zwei

Höchst wunderbare Geschichte vom Ritter Ulfo von Edelfels mit dem geheimnisvollen Schlangenstein in dem schützenden Zauberschild
Eine Ritter- und Geistergeschichte aus grauer Vorzeit
Aufs Neue fürs Volk erzählt
Burghausen, etwa 1860

Kapitel zwei

Am Fenster des Schlosses zu Gösting in der Steiermark saß an einem herrlichen Sommermorgen die wunderschöne Adelinde von Sternfels, emsig an einer Feldbinde arbeitend. Sinnend erhob sie sich und betrachtete durch das offene Fenster das zauberhafte Panorama, das sich ihrem trunkenen Blicke in dieser herrlichen Landschaft darbot. Lange stand sie so in sich versunken da, als plötzlich ihre Freundin Klara, die Tochter des Burgherrn, bei der sie zu Besuch war, zu ihr trat und scherzend fragte: »Träumst du schon wieder von deinen schwäbischen Rittern?«

»Von diesen träume ich nie!«, lautete die Antwort. »Sie sind ja alle so wild und rauflustig.«

»Auch jener, welcher mit dir im Kloster zu Schöntal als Zeuge war?«

»Nur dieser eine könnte allenfalls eine Ausnahme machen«, erwiderte Adelinde errötend. »Der wird aber die Hoffräulein vorziehen, da er selbst Page beim Kaiser war.«

So schäkerten die beiden Fräuleins noch eine Zeit lang, bis Klara von ihrem Vater abberufen wurde.

Adelinde machte dann einen Gang ins Freie, um die Unruhe ihres sanften Herzens, welche die Erinnerung an Ritter Ulfo erweckt hatte, zu beschwichtigen.

Ihren Gedanken freien Spielraum lassend entfernte sie sich immer weiter vom Schloss und war so nahezu auf den Weg nach Graz gekommen. Hier sah sie am Saum des Waldes einige Bauernburschen, welche unbarmherzig auf ein winzig kleines Männchen losschlugen. Dies kaum gewährend eilte Adelinde darauf zu und hörte dabei die Worte »Wir müssen ihn totschlagen, den Hund, sonst rächt er sich an uns!« Mit diesen Worten schlug der Sprecher mit seinem Stock auf das kleine Männchen ein, gleich viel, wo er hinkam.

»Haltet ein!«, gebot Adelinde, als sie schon ganz nah war.

Verlegen traten nun die Burschen beiseite. Auf der Erde krümmte sich eine Gestalt, kaum größer als ein und einen halben Fuß, die heisere Töne ausstieß, wobei ihr die hellen Tränen aus den Augen liefen. Es war dies ein recht gut gekleideter Gnom oder Erdenmensch, welche im Inneren der Berge ihren Wohnsitz haben.

»Was tat euch der Kleine?«, fragte Adelinde entrüstet.

»Diese Hunde von Gnomebringen überall Unglück, wo sie sich zeigen«, lautete die Antwort, »darum muss man trachten, sie zu vertilgen.«

»Entfernt euch und lasst mich mit dem Unglücklichen allein!«, gebot Adelinde.

Die Bursche gehorchten mit einigem Zögern.

Nachdem sie sich entfernt hatten, sprach der Gnom: »Du hast mir das Leben gerettet, schönes Fräulein! Soviel in meinen Kräften steht, werde ich mich dir dankbar zeigen.«

Adelinde unterhielt sich nun mit demselben längere Zeit, fragte über Verschiedenes, wie es in dem Bereich der Gnomezugehe, und erhielt von dem Kleinen, der sich Yango nannte, mancherlei Aufschluss.

Da Adelinde unter anderen an ihn auch die Frage stellte, ob es wohl einem irdischen Menschenkind auch möglich gemacht werden könnte, in den Bereich der Gnome zu gelangen, entgegnete der Berggeist: »Ja, wenn du dir getraust, mir um Mitternacht von der Burgpforte aus, wo ich dich erwarte, zu unserem Aufenthalt zu folgen, will ich dich in kurzer Zeit, unterstützt von meinen Brüdern, dahin bringen, und du sollst sehen, wie lebhaft und munter es bei uns ist, wenn anders die Königin nicht in zu übler Laune zu sein pflegt, was manchmal unverschuldeterweise der Fall ist.«

Dadurch in ihrer Neugierde noch mehr angespornt, gab Adelinde die Zusage, sie werde um Mitternacht an dem bestimmten Platz erscheinen, Yango möge sie dort erwarten. Doch müsse er ihr das sichere Versprechen geben, dass sie bis zur Morgenstunde wieder auf dem Schloss anwesend sei, und niemand ihre Abwesenheit auffallend erscheine. Dies alles erklärte der Gnom für ausführbar und sagte dabei, sie könne auf seine Dankbarkeit vertrauen. In Folge dieser werde er bemüht sein, dafür zu sorgen, dass alles nach ihrem Wunsch besorgt werde.

Das Fräulein begab sich nun wieder in das Schloss, und der Gnom nahm seinen Weg durch den Wald, um Anstalt zu treffen, Adelinde ihrem Wunsch gemäß um Mitternacht in den Berg zu führen, wo der Gnomen Aufenthalt war, und worin sie ein eigener König unter dem Zepter einer gestrengen Königin regierte.

In Gesellschaft Klaras verlebte Adelinde den Abend und die beiden Freundinnen sprachen Verschiedenes darüber, was wohl ihr zukünftiges Geschick sein möge. Sorgfältig verschwieg Adelinde ihre Freundin gegenüber ihr Vorhaben, in nächster Nacht einen Besuch bei den Gnomen zu machen. Als die späte Abendstunde angebrochen war, trennten sie sich.

Der Mond leuchtete silberhell über die Flur und lud ein schwärmerisches Gemüt ein, noch in später Abendstunde lustwandeln zu gehen.

So verließ auch Adelinde ihr Gemach, begab sich in dem Burghof und befahl dem Torwart, ihr die kleine Ausgangspforte zu öffnen, sie werde bald wieder zurückkehren. »Edles Fräulein!«, sagte der Graukopf warnend, »die Stunde der Geister naht. Bleibt lieber in Eurem Gemach, da draußen ist es nicht geheuer.«

Adelinde antwortete nicht, sondern war froh, dass der Burgwart ihrem Befehl nachkam und sie ins Freie ließ. Die Pforte schloss sich wieder hinter ihr, und so stand nun das schöne Fräulein des Schwabenlandes in der Stille der Mitternacht allein ohne Schutz in der freien Natur. Sie konnte es sich nicht verhehlen, dass ihr trotz ihrer Entschlossenheit das Herz im Busen ängstlicher als gewöhnlich schlug. Beinahe wollte sie den begangenen Schritt bereuen, zu welchem sie die Neugierde verleitet hatte. So sonderbar pfiff der Wind durch die Bäume und in einiger Entfernung wähnte sie schaurige Gestalten zu sehen. Plötzlich rauschte es dicht bei ihr. Sie schrie auf vor Angst, schämte sich aber auch schnell ihrer Furcht, da sie gewahrte, dass der Gnom Yango vor ihr stand, der sich vor Freude kaum zu mäßigen wusste, nachdem er das Fräulein erblickt hatte.

»Warum bist du denn so vergnügt?«, fragte Adelinde mehr beruhigt.

»Weshalb? Weil du so getreulich Wort gehalten hast und man mich nun höflich beneiden wird, dass ich ein so schönes Fräulein zum Besuch in unser Reich einführe.« Yango brach nun einen kleinen Zweig von einem nahen Strauch ab, streifte die Blätter von demselben und zeichnete dann verschiedene Figuren in der Luft, worauf es Adelinde dünkte, als bewege sie sich mit dem Gnom rasch fort, ohne die Erde zu berühren. Beide schienen sprachlos geworden zu sein. Furcht empfand Adelinde nicht mehr. Ihren Mund umspielte ein seliges Lächeln. Sie fühlte sich so wohl erquickt und es war ihr, als ob ein sanfter Zephir sie anhauche. Und immer näher und näher kamen sie dem Berg, in welchem die Gnomeihren Wohnsitz hatten.

Am Fuß desselben angelangt, sprach Yango: »Hier harre meiner, denn ich muss erst deine Ankunft melden!« Mit diesen Worten verschwand er im nächsten Gebüsch.

Adelinde fragte sich: ›Ist’s Traum? Ist’s Trug?‹ Doch gewiss, es war kein Traum, sondern Wirklichkeit, denn in demselben Augenblick erschienen sechs Gnome, von Yango geführt, welcher einen kleinen Stab trug.

Einer derselben sprach zu Adelinde: »Im Namen unseres Königs lade ich dich zum Besuch bei uns ein, schönes Fräulein!«

»Mit inniger Freude folge ich dieser Einladung«, entgegnete Adelinde mit Bescheidenheit.

Nach dieser Begrüßung überreichte Yango ihr seinen Stab, indem er sprach: »Dieser Stab besitzt die Eigenschaft, dass, wenn du mit demselben bei zunehmendem Mond einen Gegenstand dreimal berührst, in bedeutsamer Mitternachtsstunde einer von uns vor dir erscheinen wird, dem du sodann dein Anliegen vortragen kannst. Dies kann aber auch nur so lange geschehen, wie du eine makellose Jungfrau bist.«

Die Gnome nahmen nun das Fräulein in ihre Mitte und führten dasselbe zum Eingang in den Berg. Liebliche Musik ließ sich vernehmen und ein zauberhaftes Lichtmeer strahlte ihnen aus dem Inneren des Berges entgegen. Als sie dahin gelangten, standen zu beiden Seiten die kleinen Bewohner des Berges, die sich vor der fremden Jungfrau tief verneigten. Ganz im Hintergrund gewahrte Adelinde auf einem Thronstuhl einen Gnom im roten Mantel mit ungeheurem Kopf und mächtigen Schmerbauch, eine blitzende Krone auf dem Haupt, welchem sie nun als dem Beherrscher dieses Reiches vorgestellt wurde.

Als sie in seine Nähe gekommen war, verließ der dickköpfige Duodezfürst seinen Thron und ging ihr bis an die unterste Stufe entgegen, sie mit den Worten begrüßend: »Edles Fräulein aus der Oberwelt, sei in dem Reich von uns Kleinen willkommen!«, worauf er sich mit einer bescheidenen Verbeugung entfernte, bevor Adelinde ihm zu antworten vermochte.

Ein anderer Gnom mit einem breiten Band über der Schulter, so einen Großen des Reiches der Kleinen repräsentierend, trat nun vor und bat das Fräulein, ihm zu folgen. Er führte es in ein hell erleuchtetes Gemach, dessen Wände mit kostbaren Stoffen von Purpur und Seide behangen zu sein schienen. Der Begleiter Adelindens schwang sich auf einen Tisch in Mitte desselben, um sich größer zu machen, und sprach dann zu dem Fräulein: »Edle Gönnerin! Es soll dir bekannt werden, dass niemand, der in unser Reich eingeführt wird, etwas davon erzählen darf, was er in demselben gesehen und gehört hat. Der Gnom Yango hat sich für deine Verschwiegenheit verbürgt, und wehe demselben, wenn du zur Verräterin würdest. Er würde von seinen Brüdern mit den Zähnen zerrissen werden und auch dein schönes Antlitz würde dir auf unliebsame Weise zerkratzt, wenn du nicht die gehörige Verschwiegenheit beachten würdest.«

Im feierlichen Ton entgegnete Adelinde: »Nie werde ich davon etwas verraten. Ihr Gnome sollt sehen, dass ich zu schweigen vermag.«

Der Gnom fuhr fort: »Wir schätzen uns glücklich, wenn uns ein Herr, noch mehr aber, wenn uns eine Dame aus der Oberwelt die Ehre ihres Besuches gönnt. Wir sind hierfür stets dankbar, aber – ich gestehe es offen – auch rachsüchtig gegen den Verräter, denn bedenke selbst, wenn wir unser Reich verlassen müssten, so wären wir genötigt, uns wiederum ein Neues in einer weit entfernten Gegend zu gründen. Es ist leicht begreiflich, das Jahre darüber vergehen würden, bis wir uns wieder so wohnlich eingerichtet hätten, wie es bereits in diesem Berg der Fall ist. Wir verwenden wohl einen guten Teil des Tages auf die Arbeit. Auch dem Vergnügen wird ein entsprechender Teil desselben gespendet, und unter denselben ist es zunächst der Tanz, welchem wir besonders huldigen.«

Der Gnom sprang nun vom Tisch herab und öffnete die Tür zu einem feenhaft erleuchteten Gemach. »Beliebt es dir, schönes Fräulein, hier einzutreten«, sprach er mit Grazie.

Adelinde trat ein und erblickte eine Menge reich geputzter kleiner Damen in possierlichen Aufzügen, sodass sie eines heimlichen Lächelns sich beinahe nicht enthalten konnte, als die kleinen Wesen ihr in zuvorkommender Weise ihre Knickse machten. Das Fräulein erwiderte diese Aufmerksamkeit mit allem Liebreiz, der ihr zu Gebot stand, worüber die Gnomfrauen so entzückt wurden, dass ihr alle zugleich die Hand küssen wollten.

Die Königin der Gnomen war krank. Adelinde wünschte ihr dennoch ihre Aufwartung zu machen; allein es wurde dies dankend abgelehnt.

Hernach erschien auch der König wieder. Er war überaus freundlich und zuvorkommend Adelinde gegenüber, führte dieselbe in viele Gemächer umher und wies ihr die großen Schätze, in deren Besitz die Gnome sich befanden. Sie kamen in ein Gewölbe, dessen Eingangstür mit vielen Schlössern verwahrt war. Ein Gnom schloss auf und andere erschienen mit Fackeln, um das Gemach zu erleuchten. Aufgeschichtet lag in demselben wie ein kleiner Fels eine Menge gediegenen Silbers sowie auch Kupfererz und Edelgestein. Gold gewahrte Adelinde nicht.

Der König ließ Yango rufen. Indem er ihm einen Klumpen Silber und Kupfer darreichte, sprach er: »Da nimm und bewahre dieses für unsern Gast.«

Ein kleiner Wagen ohne Pferde fuhr vor, und mehr als zehn Gnomenhände waren tätig, das Metall auf ihn zu laben.

»Ihr Leute aus der Oberwelt«, sprach der König zu Adelinde, »schätzt und liebt, dergleichen besonders, daher ich Euch dies als Andenken an den Besuch bei uns zum Geschenk mache.«

Adelinde dankte verbindlich, wobei sie etwas stolz mit ihren feurigen dunklen Augen auf den kleinen König niederblickte.

»Gold besitzen wir gar nicht«, bemerkte dieser weiter, »wohl doch auch edle Steine!«

Er zeigte ihr eine Pyramide, welche mit solchen wie übersät schien. Hierauf wählte er drei ansehnliche und reichte sie dem Fräulein dar, wobei er einige verbindliche Worte sprach.

Einer der Gnomen gab dem König heimlich einen Wink, worüber dieser in Verlegenheit zu geraten schien.

»Edles Fräulein«, sprach er, »bald ist die heilige Mitternacht vorüber, dann bin ich mit all meiner Macht nicht mehr vermögend, Euch diesen Felsen zu öffnen, sondern erst dann kann dieses wieder geschehen, wenn die erste Mondsichel am Firmament zu sehen ist. Wollt Ihr uns wohl die Ehre und das Glück zeigen, ein paar Wochen bei uns zu bleiben?«

»Das geht durchaus nicht«, erwiderte Adelinde, »ich werde mich ohne Zaudern entfernen.« In aller Eile dankte sie für die freundliche Aufnahme, gab das Versprechen, bei zunehmendem Mond wiederzukommen und verließ unter dem fröhlichen Getümmel der Gnomedas Reich derselben. Kaum hatte sie mit Yango, der ihr als Begleiter beigegeben war, das Felsentor aus dem Berg passiert, so schloss sich dieser wieder gänzlich. Der Gnom führte nebenbei auf dem kleinen Wagen die Geschenke, welche Adelinde vom Gnomenkönig empfangen hatte.