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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 4

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Viertes Kapitel

Unser Held absentiert sich, wird trübsinnig, lässt seiner Imagination die Zügel, hält sich für einen Mann, handelt und spricht aber sehr kindisch.

Die kräftige Gestalt und das sanguinische Temperament des jungen Henry Morgan hatten bereits Merkzeichen blicken lassen, dass unser Held, wenn er nicht unter strenger Leitung gehalten wurde, der Sklave starker, tierischer Leidenschaften werden dürfte. Doch im gegenwärtigen Augenblick wurde sein Geist durch ein größeres Sehnen gefoltert. Der Durst nach Auszeichnung entzündete sein jugendliches Gehirn und schwellte sein kleines Herz fast zum Bersten. Es wäre ungereimt, behaupten zu wollen, dass er damals in Miss Glenllyn verliebt war. Soviel aber hatte es seine Richtigkeit, dass er bereits angefangen hatte, sie mit all seinen Gedanken in Verbindung zu bringen, und dass er sie in gleicher Weise als das Mittel und als den Lohn seines Ehrgeizes betrachtete. Über das Wie hatte er allerdings noch nicht die geringste Vorstellung. Er besaß nur Entschlossenheit, was aber bei ihm so viel wie Ausführung hieß, obwohl er dies damals noch nicht wusste.

Am Morgen nach der Rettung des schiffbrüchigen Spaniers erhob er sich mit Tagesanbruch und eilte in die undurchdringlichsten Bergwälder, die nur je über der Seeküste gethront hatten. Da blieb er in düsterer Einsamkeit und deutlicher Träumerei, bis ihn der Hunger antrieb, nach Hause zurückzukehren.

Im Schloss wunderten sich alle, warum der Held des gestrigen Tages nicht erschien, um seine Lorbeeren aus den Händen derjenigen zu empfangen, welche (wie man annahm, obwohl es nie behauptet wurde) ihn am höchsten ehren und am besten belohnen konnte.

Sir George Glenllyn und Lynia hatten mehrere Personen ausgeschickt, um den störrischen Knaben aufzusuchen, darunter auch seinen jungen Freund und Kameraden, den rothaarigen Sohn des Familienbarden, Owen ap Lywarch.

Dieser war ein gedrungener, untersetzter Junge, fast von Henrys Alter und demselben an Kräften gleich, obwohl an Intellektuellen Fähigkeiten weit untergeordnet. Sein Vater hatte den Einfluss des Barden an ihm versucht. Aber wie viel Musik der Sohn auch in seiner Seele tragen mochte, so traf er doch in der Darstellung derselben auf ein großes physisches Hindernis. Obschon eben kein geistvoller Knabe, besaß er doch einen großen Anteil von jenem heimischen Takt, den man »Mutterwitz« nennt. Aber seine Vorliebe für rohe und lärmende Belustigungen und eine neuerliche Abneigung gegen das Ruhigsein, wenn er nicht eben schlief, waren Ursache, dass aller Unterricht, den er aus Büchern hätte erholen können, gänzlich an ihm vergeudet war.

»Ei, Heinz, warum zählst du da Kieselsteine, während zwanzig barfüßige Jungen dich aufsuchen? Vor lauter Sprechen von dir hat der würdige Ritter diesen Morgen weit weniger gewimmert, als er seit zwei Jahren getan hat. Miss Lynia nennt dich den Bravsten … den Tapfersten … wie, Heinz, hast du kein Wort für deinen alten Spielkameraden?«

»Na, Owen, ich will dich meinetwegen stumm plappern, wenn du es haben willst. Was für eine Mummerei geht jetzt in dem Schloss vor?«

»Heiße Kuchen und in Ale gekochter Salm, viele treffliche Becher Malmsey-Wein, zartes und fettes Ziegenfleisch! Die Reiteroffiziere, die Magisiratspersonen, deine zwei Brüder und dein alter Vater- na, der sieht heute stolzer aus, als König oder Kaiser. Und in einem fort spricht man nur von dir, Heinz.«

»Dann gehe ich nicht hin, Owen. Es ist wahr, ich habe den Spanier aus dem Wasser gezogen. Aber noch weit lieber hätte ich einen guten Schafhund an Land geholt. Ich verdiene kein Lob und will auch keines. Ich gehe nicht.«

»Dann muss ich Gewalt gebrauchen – habe Miss Lynias Befehle.«

»So fange mich!«

Und der junge Morgan huschte den Abhang hinauf wie ein junges Reh, während der schwerfälligere Owen hintendrein jagte.

Zwei Stunden später langte der müde Sohn des Barden beschämt und allein im Schloss an. Henry ließ sich den ganzen Tag nicht wieder blicken, und als er sich am anderen seinem Vater vorstellte, hatte er auf dessen Fragen keine weitere Antwort, als »er könne solche Torheit nicht leiden und es sei ihm ebenso zuwider, wenn man ihm predige, als wenn man ihn lobe.«

In der nächsten Woche besuchte Henry Morgan fleißig die Weiden, verbrachte seine meiste Zeit im Gebirge unter den Schaf- und Ziegenherden seines Vaters und kehrte pflichtbewusst wieder zum Farmhaus zurück, um daselbst die kurzen Sommernächte zu verschlafen. Eines Morgens, als er sich eben anschickte, seinen gewöhnlichen Gang anzutreten, um daselbst den Tag zu verbringen, traf die Kunde sein Ohr (wie oder von wem wusste er sich selbst kaum klar zu machen), dass Sir George Glenllyn und seine Familie Wales verlassen wollten und dass ihre Abreise in Bälde stattfinden werde. Aber was ging dies ihn an? Dennoch wurde er höchst unruhig. Er schlenderte in der Nähe des Farmhauses umher, machte kurze Ausflüge zu den Bergen und kehrte verstimmt und auffallend übel gelaunt wieder zurück. Dann fragte er, ob man in der letzten Zeit von dem Schloss aus nicht nach ihm geschickt habe, und ärgerte sich sehr über die verneinende Antwort.

Sie haben mich bald vergessen, dachte er. Aber da sie undankbar sind, will ich ihnen die Stirn bieten. Ich werde jetzt nicht mehr mit ihren ekligen Diensterbietungen gequält werden.

Er zeigte sich wieder unter den Insassen von Glenllyn Castle, wo er nicht nur herzlich, sondern sogar enthusiastisch willkommen geheißen wurde. Einer wetteiferte mit dem anderen, um sein ritterliches Benehmen zu preisen. Er fühlte sich dadurch bewegt, und namentlich bereiteten ihm Lynias Vorwürfe über seine Abwesenheit eine schmerzliche Wonne.

Endlich sprach sie von dem Mann, welchen er gerettet hatte. Sie dankte ihm in dessen Namen aufs Glühendste. Jetzt musterte der junge Morgan den Fremden zum ersten Mal, ohne jedoch in dem bräunlichen, schönen Mann, den von Furcht gebleichten Unglücklichen wiederzuerkennen, dem er kürzlich Rettung gebracht hatte.

Mit der Blitzeseile der Leidenschaft musterte Henry die klassischen stolzen Züge des Mannes. Seine Bewunderung ging schnell in Eifersucht, die Eifersucht in den tödlichsten Hass über. Er hasste ihn wegen seines edlen Äußeren, hasste ihn wegen der weichen Betonung seiner Sprache. Aber als er bemerkte, wie hin und wieder seine beredten Blicke frischen Glanz borgten aus dem bewundernden Auge Lynias, steigerte sich die Qual unsers jungen Helden zum bittersten Ingrimm. Henry sprach nur wenig. Er fühlte sich gedemütigt, beschämt und unglücklich. Er zog sich nach dem fernsten Sitz zurück und achtete mit Gier auf jedes Wort, jeden Blick, welche unter den Versammelten stattfanden, sie tief in sein Gedächtnis eingrabend. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, ihn seiner scheinbaren Zerstreutheit zu entreißen, verließ ihn Miss Glenllyn als einen störrischen Knaben, damit er seinen eigenen kranken Vorstellungen nachhängen möge, bis seine gewöhnliche heitere Laune von selbst wieder zurückkehre.

Obwohl Morgan nur schlecht Spanisch sprach, verstand er es doch gut und vernahm in dessen verhassten Lauten die Todespost aller seiner wilden Hoffnungen. Er begriff nun vollkommen den Wahnsinn seines Ehrgeizes. Bis jetzt war noch nicht der entfernteste Gedanke in seine Seele gedrungen, die glimmende Asche seines Hasses mit dem Blut des Gehassten zu löschen. Aber dennoch tauchten gespenstische, düstere Gesichter von Rache in ihm auf und folterten seine Einbildungskraft.

Die Gesellschaft vor ihm unterhielt sich rückhaltlos. Der schiffbrüchige Spanier war weder Sir George noch Miss Glenllyn fremd. Sie waren zu Barcelona sehr vertraut gewesen, und die Familien hatten sogar einen engeren Bund untereinander beantragt. Alonzo de Guzman hatte seitdem seinen Vater verloren und war eben im Besitz unermesslicher Schätze auf dem Rückweg vom Panama begriffen gewesen, als ihn das mehrberührte Unglück ereilte. Morgan hatte ihn in den Stand gesetzt, mehrere Tausend Pfund in Dublonen zu retten – ein Umstand, welchem die größere Gemächlichkeit, ja sogar der Luxus zuzuschreiben war, der zurzeit in den baufälligen Gemächern des Schlosses herrschte.

Trotz des kürzlichen Verlustes war, den von der Gallone geborgenen Schatz nicht mitgerechnet, Don Alonzos Reichtum noch beträchtlich, und er hatte der Familie den Vorschlag gemacht, dass ihn Sir George, seine Tochter und sein ganzer Haushalt in tunlicher Bälde nach Barcelona begleiten sollten. Alles beeiferte sich daher, die ersehnte Reise ehestens möglich zu machen, welche um so notwendiger erschien, da Sir Georges Gesundheit mehr und mehr abnahm.

Diese Aussicht gewährte dem Priester Polybius Gonsalvo maßlose Freude, obwohl der Prydidd Bedenken zu unterhalten schien, ob es auch ratsam sei, seine Poesie und Musik nunter das unzivilisierte Geschlecht der Spanier zu verpflanzen. Er redete daher nach Kräften dem Vorschlag das Wort, das alte Schloss mit Alonzos Reichtum wiederherzustellen und dem gegenwärtigen Stand der Dinge anzupassen, damit die Hallen aufs Neue von dem druidischen Minstrelgesang wiedertönen könnten. Gonsalvo wollte nichts von einem derartigen Rat hören. Darüber geriet Lywarchs Bardenblut in kochende Hitze, und er erinnerte den Mann der Kirche an seine Privilegien, seine Gerechtsame und an seinen Rang.

»Wisst Ihr nicht, Herr Plattenkopf, dass ich ein Anrecht habe an das beste Tier aus seiner Jagdbeute, wann immer ich bei der Fourage anwesend bin, einen gleichen Anteil mit den anderen nicht eingerechnet?«

»Ja,« antwortete der Priester, »unter der Bedingung, dass Ihr Euch an Eurem Platz finden lasst und auf dem Schlachtfeld als Sänger an die Spitze tretet. Sollten wieder Zeiten der Unordnung eintreten, so werden Eure Ansprüche den Gesamtvorrat nicht viel schmälern.«

»Ich kehre mich nicht an Euren Hohn. Die guten Zeiten sind vorbei, aber nicht meine Rechte. Sogar jeder Fürst muss mir, wenn ich vor ihm eine Ode singe, die Gabe gewähren, die ich wünsche, und ebenso wenig kann sie mir ein Adliger verweigern.«

»Ich kann jetzt begreifen, dass es Umstände gibt, in welchen es ein Glück ist, taub zu sein.«

»Ja, wenn Predigten durch die Nase gegrunzt werden. Wie, Ihr wollt gar Eure Würde und Euren Beruf mit dem meinen vergleichen? Welche Unverschämtheit!«

»Friede! Friede«, rief Sir George, der das Gezanke satt hatte.

»Die Sache unterhält mich«, bemerkte der Spanier, welchem Miss Lynia das Gespräch verdolmetscht hatte. »Angenommen, der poetische Herr hätte eine Gunst von mir zu fordern, wie viele Lieder würde ich erhalten?«

»Wie viele Lieder? Ha, bei der Harfe meiner Vorfahren, ich müsste ihn dann sogar in Schlaf singen, weil er nichts als ein Schurke ist. So lautet unser Gesetz; und Fräulein Lynia, bedeutet auch dem Fremden, dass mein Land, wo immer ich hinkommen mag, frei sein muss, und dass ich ein Recht an ein Pferd habe, wenn anders mein geehrter Gebieter eines hat.«

»Wie, sogar vor mir, Prydidd?«, versetzte Lynia.

»Will es doch meinen – nach den Verordnungen Hywells des Guten. Indes ist auch soviel gewiss, mag der junge Galan so eifersüchtig sein, wie er nur will, dass ich ein Anrecht habe an einen einfachen goldenen Ring von Eurem schönen Finger.«

»Ein eiserner Ring für deine Schnauze würde dir besser anstehen, du Prydidd y moch,« rief unmutig der bisher stumme Morgan.

»Still, der Yeomans Sohn gerät in Eifer. Sir George ist sehr gütig, dass er den Leibeigenen nur in seine Gesellschaft kommen lässt. Am zweiten Tisch unter dem Salz ist sein Platz, während der meine zunächst an den des Familienoberhauptes stößt. Was sagt Ihr dazu, stolzer Priester?«

»Das ist eitel Heidentum, ketzerisch und verdammlich. Unter den Menschen gibt es keine andere Auszeichnungen, als diejenigen, welche aus dem Schoß der Mutterkirche hervorgehen. Sie sind die ersten und ehrenwertesten, während die, welche der gesetzliche Souverän erteilt, nur eine untergeordnete Rolle spielen«

»Wie, muss ich mit anhören, dass verräterische Worte gegen das Parlament und was noch schlimmer ist, Lästerungen gegen unseren heiligen Orden ausgesprochen werden? Throne können stürzen, Religionen vergehen, aber die Barden werden bestehen, solange die Menschen Sinn für Harmonie haben. In den gefallenen Glücksverhältnissen meines Gönners dringe ich nicht auf meine gesetzlichen Ansprüche. Aber solange ich lebe, werde ich nie vergessen, dass ich das Recht besitze, ihm vorzuführen, wen ich will – dass ich von jedem, den ich meine Kunst lehre, vierundzwanzig Pence, von allen Gebrechlichen unter den Schönen vier Pence anzusprechen habe – und dass meine Person unverletzlich ist vom Beginn des Gesangs an bis zur letzten Strophe.«

»Dann muss dir deine krächzende Stimme manche Prügelsuppe erspart haben. Aber wozu all dies?«, entgegnete Polybius.

»Das sollt Ihr bald erfahren. Wenn ich beleidigt werde, fordere ich sechs Kühe und sechsmal zwanzig Pence – und wer mich ermordet, kann nur durch sechsmal zwanzig und sechs Kühe Sühne bieten.«

»Eine so große Widerwärtigkeit vom Halse zu kriegen, würde auch für diesen Preis noch wohlfeil sein«, murmelte Henry.

»Wozu erinnerst du mich an all dies, Prydidd?«, fragte Sir George mit matter Stimme.

»Aus dem einfachen Grund, Euer Liebden, weil ich, wenn ich Euch als Barde über die See begleiten soll, um kein Titelchen von diesen Privilegien abgehen kann, welche ich hier in Wales wegen der unglücklichen Bedrängnis unserer weltlichen Angelegenheiten beruhen ließ. Wird sie der Signor gewähren?«

Nachdem dieses Anliegen dem Alonzo Guzman übersetzt worden war, entgegnete er, dass sich etwas der Art mit den Institutionen und Gewohnheiten seiner Landsleute nicht vertrage. Er wolle ihm daher lieber eine Pension zahlen, die er in England oder Wales verzehren könne.

Demgemäß wurde ausgemacht, dass der Barde und sein Sohn in den Trümmern des alten Schlosses bleiben sollen, bis die Familie imstande wäre, zurückzukehren und es in seiner früheren Pracht wieder herzustellen.

Alle diese Verfügungen würden in Henry Morgans Gegenwart so ruhig und mit so wenig Rücksicht auf seine ungestümen Gefühle besprochen, als ob ein Mensch, wie unser Held, gar nicht auf der Welt wäre. Man warf all seine Luftschlösser mit so wenig Bedenken über den Haufen, als ob man ein Kartenhäuschen zusammenbläst. Einem anderen also sollte Lynia ein angenehmes und ihrer Würde gemäßes Leben verdanken.

Die Seele des jungen Morgan hob sich mit einem Male zur Mannheit. Längst hatte die Liebe als ein Gefühl tiefer ehrfurchtsvoller Innigkeit in seinem Herzen Wurzel gefasst, ohne bis jetzt in Leidenschaft aufzulodern. Nunmehr aber wurden seine Empfindungen ungestüm, bitter und zornig. Er dürstete danach, sie auszusprechen, fühlte sich verzehrt durch ihre Gewalt, und am schmerzlichsten brannte in seinem Inneren das Bewusstsein, dass sie nur lächerlich werden dürften, weil er bloß ein Knabe war.

Dennoch zeigte er den ganzen Tag über den unbeugsamen Sinn eines sich selbst opfernden Märtyrers und war sogar stolz auf seine Leiden. Jeder Plan, den die Gesellschaft für ihre zukünftige Tätigkeit entwarf, war für ihn der Stoß eines schartigen Dolches. Er buhlte um den Schmerz und ertrug ihn mit finsterer Apathie. Lange und oft musterte er angelegentlich jeden Zug in Don Alonzos Gesicht, denn er hatte sich vorgenommen, dass keine Zeit und kein Zufall dasselbe aus seinem Gedächtnis verwischen sollte. Er achtete auf seine Aussprache und ahmte im Geist die Modulation seiner Stimme nach. Wie glühend hasste er den edel anssehenden, schwärzlichen Mann! Der Gerettete aber benahm sich freundlich und huldreich seinem jugendlichen Retter gegenüber. Er wollte ihn liebkosen wie einen teuren Knaben und vertraulich seinen Kopf streicheln. Doch Henry schüttelte voll Abscheu seine Hand ab und wich unmutig zurück vor ihrer bloßen Berührung. Die meiste Zeit saß er in einer Art versteinerten Stumpfsinnes da, indem er zwar wie die anderen aß und trank, aber in störrischer Einsilbigkeit verharrte.

Lynia hatte vielleicht eine dunkle Vorstellung von dem, was in Henrys Herzen vorging, denn sie wurde allmählich kleinlauter und beinahe bekümmert. Mit dem Fortschreiten des Abends steigerte sich Don Alonzos Heiterkeit, und auch Sir George wurde wunderbar aufgeräumt. Der Frohsinn des Priesters ging ins Unkanonische über, und der Barde benahm sich so ausgelassen, dass ihn zuletzt sein Sohn als blinden Harfner samt Harfe und allem fortführen musste.

Der Spanier sprach mit Begeisterung von den schönen Ländern der Neuen Welt, wobei er seine Verluste nur leicht berührte, und ergoss sich in edlem Dank gegen den jungen Welshmann, dem alle derartigen Äußerungen in tiefster Seele zuwider waren.

Allmählich schien Lynia das Feuer ihres Gastes zu teilen und das finstere Schweigen des störrischen Knaben weniger anzuschlagen. Zwar versuchte sie einmal, seine Hand zu nehmen, aber er zog sie roh zurück und fühlte sich dann dreifach elend über den selbst auferlegten Zwang.

Bereits hatte sich Lynias jungem und trotz einer Beimischung von Melancholie, sanguinischem Geist eine Reihe neuer, schön gefärbter Aussichten gezeigt, denn sie war mit Don Alonzo in ihrer frühen Jugend bekannt geworden und hatte ihn lieb gewonnen. Jetzt aber war sie darauf vorbereitet, ihn mit noch wärmerem Gefühl zu empfangen. Blicke, beredter als Worte, und das stumme Flehen, welches nur die Liebe kennt, hatten bereits die Verräter gespielt. Sir George sah beifällig zu.

Bei einem solchen Stand der Angelegenheiten war es natürlich, dass der junge, rohe, finstere Knabe von allen übersehen und scheinbar, obwohl nicht in Wirklichkeit, auch von derjenigen ganz vernachlässigt wurde, deren Beachtung für ihn die höchste denkbare Wonne war. Ihre Gleichgültigkeit wurde ihm zu einer neuen, furchtbaren Qual.

Endlich sank die frische, tauige Nacht auf die Erde nieder, und das milde Licht des Sternenhimmels folgte dem goldenen Zwielicht des Westens. Aber Henry Morgan saß mit gekreuzten Armen und trostlos gesenkten Haupt da, ohne die reine Heiterkeit der Gesellschaft zu teilen oder den Wunsch auszudrücken, dass er eine Szene verlassen wolle, die ihm so schmerzlich wurde.

Schon zweimal hatte der Barde, welcher jetzt wieder nüchtern zu der Gesellschaft zurückgekehrt war, mit starker Stimme zu seiner nicht unmelodischen Harfe das edle walische Trinklied gesungen,

Giviraid ywain, draw dra digoll nynyt
Mor wynych i harvoll
O win cyvyr gain i hid cyvyrgoll
O vit, o vuelin oll.

das sich etwa folgendermaßen wiedergeben lässt:

Die Flüssigkeit von Owen dort auf der anderen Seite von Digolls Berg, wie häufig wird sie herumgeboten! Sie ist vom klaren, funkelnden Wein, ohne Maß, und von Met, alles aus dem Horn des Büffels.

Wieder erheiterte etwas, gleich dem Licht aus früheren Tagen, die Gesichter der Bewohner von Castle Glenllyn.

»Schon recht, schon recht«, rief endlich Sir George, »aber mein guter Lywarch, du musst in deinen Liedern und in deinem Zechen nicht ganz vergessen, dass ich ein Invalide bin. Nimm so viele Becher Weines, wie du willst, aber verschone uns mit deinen Gesängen. Sieh, der ehrwürdige Priester zählt ohne Zweifel die Perlen seines Rosenkranzes, denn sein Kinn neigt sich bis auf das Brustbein herunter und er nickt tief. Seine Andacht muss sehr brünstig sein. Die Nacht schreitet fort, und Harry, unser Küstentriton, ist gleichfalls stumm und schläfrig. Noch einen Becher im Kreise, und wir wollen uns dann zum Schlummer niederlegen. Lasst uns trinken mit einem frommen Gebet in unserem Inneren, denn wahrlich, heute ist ein glücklicher Tag für den alten gramgebeugten Ritter gewesen.