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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Macht der Drei – Teil 55

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Ein leuchtend schöner Septembermorgen lag über dem Park von Maitland Castle. Ein feiner blauer Dunst milderte das Sonnenlicht, gab den Wiesen und Baumgruppen eine besondere Tönung, ließ entfernte Dinge unwahrscheinlich nahe erscheinen.

Der blaugoldene Frieden des lichten jungen Tages verschönte den Park, während seine Herrin in Sorge und Unruhe war. Diana Maitland wanderte rastlos durch die verschlungenen Wege der Anlagen. Heute wollte ihr Gatte kommen. Die Nachricht war in der Nacht eingetroffen. Der Friedensvertrag mit den vielen Paragraphen und Anhängen war unterzeichnet. Der Herr von Maitland Castle kehrte in sein Haus zurück.

Diana ging durch den Park, gedachte des letzten Zusammenseins, erwartete mit Unruhe das Kommende.

Wie war es gewesen? Horace konnte sich nicht zu ihrer Meinung bekehren. Er sah nur Unheil in einer Macht, von der sie den Fortschritt und die Befreiung der Welt erwartete. Horace glaubte nicht an Menschen, die eine ungeheure Macht nur zum Besten der Menschheit anwenden würden. Horace sah im Träger der Macht nicht den vollkommenen Menschen, sondern einen Rivalen, der ihm das Herz seiner Gattin abwendig machte. Horace konnte die Person nicht von der Sache trennen. Horace war eifersüchtig … War es heute noch auf einen Mann, der vor Jahren einmal auf kurze Wochen in den Lebenskreis Dianas getreten war. Und Diana wusste nicht, wie sie ihm die Grundlosigkeit dieser Eifersucht beweisen sollte … Und fühlte doch in dieser Stunde stärker denn je, dass ihr Lord Horace Maitland alles, jener andere geheimnisvolle Träger einer geheimnisvollen Macht nur ein Schemen war. Nur noch eine Erinnerung an längst vergangene Tage bedeutete. Die Erinnerung an ein kurzes Glück, das unwiederbringlich dahin war. Eine Erinnerung, an die sie jetzt denken konnte wie an ein schönes Bild oder einen schönen Tag, während doch ihr Leben und ihre Liebe Horace gehörten.

Ruhelos durchwanderte sie den Park und wusste selbst nicht, zum wievielten Male sie jetzt wieder an dem großen Eingangsportal vorüberkam.

Eine Gestalt fesselte Dianas Aufmerksamkeit. Sie sah einen Mann dem Gitter näherkommen. Nun unterschied sie Einzelheiten, erkannte die dunkle, bronzefarbene Haut, dachte, das müsse wohl ein Inder sein. Und dann stand die Gestalt an dem Torflügel, der dem Druck seiner Hand nachgab. Stand auf dem Parkweg dicht vor Diana Maitland, grüßte sie durch eine tiefe stumme Verbeugung nach indischer Sitte.

Diana blickte in sein Antlitz, sah in den Glanz eines leuchtenden Augenpaares und fühlte, wie ihre Unrast einer wohltätigen Ruhe wich. Wohl eine Minute stand sie so vor ihm, die vornehme Lady, die Herrin von Maitland Castle, vor einem unbekannten braunen Mann, der ohne Erlaubnis in ihren Park kam … der … war denn das Tor nicht verschlossen? … Sollte es nicht immer verschlossen gehalten werden? … Kein Diener in der Nähe.

Diana raffte sich zur Frage zusammen: »Was suchen Sie hier?«

»Ich suche Jane Bursfeld.«

In jähem Schreck zuckte Diana zusammen.

»Was wollen Sie von Jane Bursfeld?«

»Ich will ihr sagen, dass Silvester Bursfeld tot ist.«

»Tot! … Silvester Bursfeld ist tot?«

Ihre Blicke hingen wie gebannt an den glänzenden Augensternen des Inders. Was verbarg sich noch hinter dieser hohen Stirn?

»Wer sind Sie?«

»Ich bin Soma Atma, Silvester Bursfelds Freund.«

Langsam, schwerflüssig wie die Perlen eines Rosenkranzes fielen die Worte von den Lippen des Inders, und bei jedem Wort wich Diana einen Schritt weiter von dem Sprechenden zurück, hob abwehrend die Hände, als schreckte sie vor jedem neuen Wort, das Atma sprach.

»Sie sind Soma Atma? … Einer von den dreien?«

»Der Letzte!«

»Der Letzte?«

Schweigend neigte sich Atma, die Arme über der Brust gekreuzt.

»Die anderen? … Wo sind sie?«

»Tot!«

»Tot … beide tot? … Auch Erik Truwor tot?«

»Er frevelte und starb …«

Mehr taumelnd als gehend erreichte Diana die nahe Bank. Sie hörte nicht das Signal des Autos, das ihren Gatten brachte. Sie sah nicht, wie er den Wagen verließ. Sie sah nicht, wie er verwundert … erstaunt stehenblieb, wie Atma an seine Seite trat und beide auf dem Weg, der zum Schloss führte, hin und her gingen. Sie gewann die Herrschaft über ihre Sinne erst wieder, als der Ruf ihres Gatten ihr Ohr traf.

»Diana! … Diana!«

Hatte die Kunde von dem gewaltsamen sündigen Tod Erik Truwors Diana niedergeworfen oder war es nur die Wucht aller dieser Ereignisse und Nachrichten, die so plötzlich auf sie einstürmten? Lord Horace wusste es nicht, aber er fühlte, dass die nächsten Minuten ihm die Klarheit darüber bringen müssten.

Diana vernahm den Ruf und schrak auf. Schmerzzerrissen, mit verstörten Augen blickte sie ihren Gatten an. Wie einen Unbekannten.

»Horace! … Horace!«

Das war der Ruf einer Seele aus tiefster Not.

»Horace … du! … du!«

Lord Maitland legte die Arme um Dianas Leib. Er fühlte ihr Herz an seiner Brust in wilden Schlägen toben. Er fühlte, wie ihre Glieder zitterten und bebten.

»Diana … was …«

Behutsam und fürsorglich führte Lord Maitland Diana zu der Bank zurück. Er wollte sprechen und kam nicht dazu. Sein Frau hing an seinem Hals, umschlang ihn mit den Armen, als ob sie ihn erdrücken … als ob sie ihn nie wieder lassen wolle.

Ein frohes Leuchten kam in seine Augen.

»Diana?« Halb Frage, halb Jubel lag in dem einen Wort. Er versuchte es, die Arme, die ihn so fest umschlungen hielten, sanft zu lösen, ihr Gesicht zu sich zu erheben. Sie widerstand ihm. Nur noch fester umschlangen ihre Arme seinen Nacken, nur noch enger presste sie ihr Herz an das seine.

Und da wusste Lord Maitland: Sie war sein und immer sein gewesen. Mit frohen Augen blickte er zu der strahlenden Morgensonne empor, Diana fest in den Armen.

So saßen sie eng umschlungen, vergaßen die Welt um sich, vergaßen die Zeit, die rastlos verstrich. Bis der Sonnenglanz sich trübte, ein Schatten auf ihre leuchtenden Gestalten fiel. Der Schatten Atmas, der dicht vor ihnen stand. Die Gegenwart Atmas brachte sie in Raum und Zeit zurück.

»Wo ist Jane Bursfeld?«

Wie ein kaltes Wehen strich es über ihre glühenden Herzen.

»Jane?« … Diana sprang auf.

»Arme Jane! Ich will Euch zu ihr führen.«

Langsam und zögernden Schrittes ging sie vor den beiden Männern zu der Blutbuche hin, bei der sie Jane wusste. Bei dem Klang der nahenden Schritte blickte Jane empor. Ihr Blick wanderte von dem einen zum anderen. Dann erkannte sie Atma, sprang auf und lief ihm entgegen.

»Atma! Atma! Du … du hier?«

Glück und Freude strahlten auf ihren Mienen.

»Atma, du bist hier? Wo ist Silvester? Wo hast du Silvester? … Wann kommt er? … Wann holt er mich?«

Atma stand unbeweglich. Mit beiden Armen hatte er die Gestalt Janes aufgefangen, als sie ihm entgegenlief. Sie hing an seinem Hals. Er hielt sie nur noch mit der Linken umschlungen. Drückte die Linke fest auf ihr Herz, während er mit der Rechten das zarte blonde Haupt auf seine Schulter niederzog, ihr langsam über Stirn und Augen strich. Langsam, wie schwere Tropfen fielen die Worte von seinen Lippen: »Silvester … dein Mann … ist tot.«

Jane zuckte zusammen. Regungslos lag sie da im Arm Atmas, ließ sich von ihm zu der Bank führen, saß immer noch in seinem Arm neben ihm.

»Silvester Bursfeld ist tot.«

In der Stille des Herbstmorgens drangen die Worte bis an das Ohr Dianas, die sich an den Arm ihres Gatten klammerte.

Und noch ein drittes Mal wiederholte Atma die traurige Kunde, während seine Linke das stockende Herz Janes zusammenpresste.

»Silvester Bursfeld, dein Gatte, ist tot.«

Jane Bursfeld hörte die Worte, ohne zu weinen, zu klagen. Langsam hob sie ihr blasses Haupt, starrte in den sonnigen Himmel, blickte, sann und hörte, was Atma sprach.

Von der letzten Stunde Silvesters sprach Atma. Wie ihm der letzte große Wurf gelungen war. Wie er seine Entdeckung zur höchsten Vollendung gebracht hatte.

Die starre Unbewegtheit Janes wurde durch ein leises Zittern erschüttert.

Weiter sprach Atma. Dass Silvester dahingegangen sei, die letzte Botschaft Janes im Herzen. Wie sie ihn fanden, im Tod noch ein Lächeln auf den Lippen, den Depeschenstreifen in den erstarrten Händen.

Jane hörte es, und ihr starrer Blick leuchtete auf. Ihre Lippen zuckten noch, ihre Mienen wurden ruhiger.

Atma sprach, und langsam ließ der Druck seiner Hand auf ihr tief und gleichmäßig pochendes Herz nach.

»Sein Name und sein Ruf leben in deinem Schoß fort. Sorge für Silvester, indem du für sein Kind sorgst und lebst …«

Er ließ seine Arme sinken. Frei stand Jane vor ihm. Doch sein gewaltiger Einfluss wirkte weiter. All ihr Fühlen, alle ihre Gedanken konzentrierte er auf das keimende Leben in ihrem Schoß.

Ein Lächeln trat auf ihre Züge. Ihr Antlitz gewann die zarte Röte wieder. So schritt sie an Soma Atma vorbei. So an Lord Horace und Lady Diana vorüber dem Schloss zu.

In den Armen Atmas hatte sie das Furchtbare des ersten Schmerzes überstanden. Ihr künftiges Leben, ihre ganze Zukunft war dem Erben Silvesters, dem Erben der Macht geweiht.

Diana Maitland sah Jane auf das Haus zugehen. Sie zitterte unter dem Eindruck der Szene. Sie hatte gefürchtet, Jane weinen, Jane niederbrechen, Jane sterben zu sehen. Und sah sie ruhig und gefasst fortschreiten.

Sie fühlte die eigenen Knie wanken und stützte sich fester auf den Arm ihres Gatten.

Atma schritt langsam Jane Bursfeld nach. Er kam an Lady Diana und Lord Horace vorüber. Sein Schritt verzögerte sich. Er blieb stehen.

Sein Blick umfasste die Gestalt Dianas, wie er vorher auf der Janes geruht hatte. Voll öffneten sich seine Lippen. Glanz strahlte aus seinen Blicken. Langsam sprach er … stockend, abgerissen, wie von einer fremden Macht getrieben. »Gesegnet ist das Haus. Die Erben zweier Geschlechter werden in seinen Mauern geboren … Sorgt für sie! … Hütet sie! … Sie tragen die Zukunft … das Schicksal bestimmt sie zu … Großem …!«

Er ging weiter …

»Diana! Was sagte der Inder? … Was meinte er … zwei Erben!«

Diana Maitland hatte den Blick zu Boden gerichtet. Lord Horace zwang sie mit sanfter Gewalt, den Kopf zu erheben, ihn anzusehen.

»Zwei Erben! Diana! Was meinte Atma?«

»Er sah und sagte, was ist.«

»Diana!«

»Horace!«

Es waren nur zwei Worte, zwei kurze Namen. Aber in ihnen lag ihre Zukunft.

So zärtlich und behutsam führte Lord Horace Lady Diana dem alten Stammschloss der Maitlands zu, als habe er den kostbarsten Schatz im Arm.