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Dämonische Reisen in alle Welt – Kapitel I, Teil 5

Johann Konrad Friederich
Dämonische Reisen in alle Welt
Nach einem französischen Manuskript bearbeitet, 1847.

Kapitel I, Teil 5

Sie fanden dieselben bereit, auf den ihnen gemachten Vorschlag einzugehen, nahmen die Fremden, die sie mindestens für ein paar reiche Prinzen hielten, mit der zuvorkommendsten Freundlichkeit auf. Rosa-Maria blickte Michel mehrmals verstohlen und mit ihren schelmischen Augen prüfend an. Man kam überein, dass man im Sacré coeur die beiden Schwestern für dessen nahe Anverwandte ausgeben wolle, um den frommen Damen keinen Anstoß zu geben. Der Teufel machte sich anheischig, die Mädchen im Kloster unterzubringen, was in der Tat auch wenig Anstand fand, da er und Michel sich den über die Aufnahme daselbst zu bestimmenden Personen mit solchen Empfehlungen vorstellten, dass sie mit offenen Armen empfangen wurden und ihren werten Cousinen jeden Augenblick die Pforten des heiligen Asyls offen standen. Asmodi besorgte nun noch schnell die notwendige Equipierung der Mädchen, die vierundzwanzig Stunden darauf unter der frommen Obhut und aus den elysäischen Feldern verschwunden waren, ohne dass jemand von ihren zahlreichen Verehrern wusste, was aus ihnen geworden ist.

Michel, den der Teufel als eitlen deutschen Reichsgrafen vorgestellt hatte, erhielt die Erlaubnis, seine Cousinen-Komtessen von Zeit zu Zeit besuchen und auch deren Eltern mitbringen zu dürfen.

Denselben Tag, an dem Michel zu Chaillot gewesen war, hatte das Ministerium der sich unter der Ägide des Hauses Rothschild gebildeten Compagnie das Unternehmen der Nordeisenbahn zuerkannt, deren Aktien sogleich und in wenigen Tagen von ihrem Nennwert von 500 Franken bis auf 900 stiegen, ganz Paris wirbeln machten und allen Leuten, vom Pair und Herzog bis zum Portier und Schuhputzer, die Köpfe verrückten. Alle Dienstboten, Arbeiter und andere arme Teufel, die ein paar Pfennige in der Sparkasse angelegt hatten, bestürmten dieselbe, um ihr Geld zurückzunehmen, und allein oder in Verbindung mit einigen Kollegen jetzt Nordeisenbahn-Aktien á 900 Franken zu kaufen. Die Börse bot fortwährend das Schauspiel eines von losgekommenen Narren und entfesselten Wahnsinnigen erstürmten Tollhauses. Die Hyder der Agsitage, die Geldgier und die Gewinnsucht hatten noch nie ihr scheußliches Haupt so gräulich-furchtbar erhoben und geschüttelt wie bei dieser Gelegenheit.

Michel hatte Lust, das Spektakel mit anzusehen. Nur mit Mühe konnte er und sein Begleiter durch die vor der Börse stehenden Haufen, unter denen auch zahllose Frauen von allerlei Gelichter, namentlich auch Loretten, Aktricen von verschiedenen Theatern und besonders eine große Zahl femmes entretenues oder Mätressen aller Art waren, die ihre Beschützer erwarteten, um die ihnen versprochenen Promessen in Empfang zu nehmen. Unsere beiden infernalischen Reisenden hatten endlich auf den Galerien Platz genommen, von wo aus sie das Treiben unter ihnen, auf der Bühne wie hinter den Kulissen, mit Muße beobachten konnten. In ihrer Nähe hatte sich ein heftiger Wortwechsel zwischen einigen Personen entsponnen, der bald ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog und dem sie folgendes Gespräch ablauschten.

»Ich kann Euch nicht helfen, Ihr müsst mir noch wenigstens 1200 Aktien zum Nennwert ablassen, sonst schlage ich Lärm. Die Compagnie hat 150 Millionen bei der Geschichte gewonnen«, sagte ein Mann, den Asmodi als den Redakteur en Chef eines bekannten Pariser politischen Journals erkannte.

»Wo denken Sie hin, nicht die Hälfte, nicht den dritten Teil. Auf meine Ehre, Sie wissen ja, wie man alles übertreibt«, antwortete der Agent eines bekannten Bankierhauses und fügte dann hinzu: »Mehr als die Hälfte, mehr als zwei Drittel haben wir zum Nennwert ausgeben müssen. Was haben nicht allein Sie und manche Ihrer werten Herren Kollegen erhalten, um Euer Schweigen zu erkaufen. Sie wissen ja selbst am besten, was es kostet, wenn man den Pariser Pressen das Maul stopfen will. Und dann, an so viele der Herren Deputieren, von der Rechten wie von der Linken und vom Zentrum, in allen Nuancen, was haben wir nicht an die abgeben müssen! Großer Gott, Sie haben gar keinen Begriff davon, der hat für die Mlle. D. von den Varietäten, der für die Mlle. C. vom Palais-Royal-Theater, der für die Mlle. F. vom Gymnase, der für Mad. G. aux francais, dieser für die berühmte I. L. in der Straße la paix, der für Mme. X. und ihre beiden schönen Töchter 50, 100, 200 und 500 Aktien verlangt und erhalten, und wie konnte man dies refüsieren? In das Lorettenquartier sind wenigstens ein paar Tausend gewandert, doch das wissen Sie ja wohl selbst am besten!«

»Das mag alles sein«, erwiderte der Herr Redakteur en Chef, »aber etwas muss ich noch haben. Ich kann Euch nicht helfen, 200 habe ich auf mein Ehrenwort noch der kleinen Octavie versprochen, und Sie wissen, dass ein Mann von Ehre sein Wort halten muss.«

»Nun, ich werde versuchen, mein Möglichstes zu tun. Also noch 200 zu den 1500, die Sie und die Mitredakteure Ihres Journals schon erhielten, macht 1700.«

»Ein rechter Bettel für Leute, die Milliarden gewinnen.«

»Aber wenn die einen gewinnen, müssen doch andere immer verlieren. Wer ist denn hier der verlierende Teil?«

»Wie können Sie so naiv fragen. Die dummen Teufel, die die Aktien jetzt mit 900 bezahlt haben und bezahlen.«

In diesem Augenblick wurde der Tumult im Parterre der Börse so stark, dass Michel und seinem Begleiter das Weitere dieses interessanten Gesprächs entging. Ersterer sagte zu seinem Gefährten: »Höre, wie wäre es, wenn du auch diesem Agiotagengesindel da unten ein wenig die Meinung sagtest. Ich glaube, es könnte nichts schaden.«

»Du willst es, wohlan, es sei.«

Der elegante Hinkende schlug mit seiner eisernen Krücke dreimal auf das Brustgeländer, sprach einige mysteriöse Worte und sogleich hatte eine Todesstille und eine totale Bewegungslosigkeit das sinnenverwirrende Getöse und die fieberhaften, quecksilberartigen Gesten und Manipulationen der Handelnden ersetzt, und alle verdrehten ihre Augen starr zu dem Orte hin, wo die drei Schläge gefallen waren, als erwarteten sie den Aufzug eines Vorhangs im Theater. Stumm und starr hörten sie die Worte Asmodis an, der sich also vernehmen ließ: »Hört mich, ihr eingefleischten Wucherseelen, ihr versteinerten Börsenherzen, die ihr für nichts anderes mehr Gehör, Gefühl und Gesicht habt als für den Klang und Glanz eures Götzen, des goldenen Kalbes, und besonders ihr, die ihr schon Schicht auf Schicht gelegt, von eurem Mammon doch nie einen edlen Gebrauch zu machen wisst, höchstens aus Prahlerei oder Ostentation der Armut einen Brocken, einen wahren Bettel, und dann auch noch die Wurst nur nach einer Speckseite oder vielmehr einem gemästeten Schwein hinwerft. Was wird es euch nützen, wenn ihr der Armut auch noch den letzten Pfennig aus dem Säckel entwendet habt. Nichts, gar nichts wird und kann es euch helfen, im Gegenteil am Ende euch und den euren nur Schmach und Fluch, Unheil und Verderben bringen, wenn erst das Volk wird eingesehen haben, und seid versichert, es ist nahe daran, es einzusehen, dass unter allen Aristokratien die scheußlichste, unter allen Tyranneien die unerträglichste, die der eisernen, herz- und gefühllosen Aristokratie des Reichtums ist! Dann wird es euch zerknicken, wie es die Aristokratie des Erbadels und der Geburt zerknickt hat. Und gesetzt selbst, dieses Geschick drohte euch nicht und ganz Europa wäre euer, wie lange dauert es denn noch, und sechs Bretter schließen eure faulen Leiber ein, die dann die ekelhafte Speise der Würmer werden. Aber glaubt ihr, damit ist es abgetan? Nein, dort drüben an den Pforten der Ewigkeit erwarte ich euch, wo euch die furchtbarsten Qualen und Strafen drohen, ihr, die ihr für den nagendsten Hunger, das Elend der rechtschaffensten Familien keinen Bissen Brot habt, während euren ekelhaften Gelüsten zu frönen ihr Tausende und Hunderttausende, der Armut abgepresst, den feilsten Buhldirnen, die sich dennoch über euch lustig machen und eurer spotten, in den Schoß schleudert. Seht dort jenen armen Soldaten, er hat gestern sein Kommissbrot, alles was er noch sein nennen konnte, mit einem hungernden Greis geteilt. Wahrlich, ich sage euch, er gab mehr, als wenn ihr Millionen verschenktet. Und dabei spielen noch so viele von euch die Frommen, die Pietisten. Ja, diese sind gerade die ärgsten Christen. Mit Traktätchen und unsinnigen Büchelchen wollen sie die Armut abspeisen und trösten, die kein faules Stroh zu ihrem Lager, kein verschimmeltes Stückchen Brot, um ihren Hunger zu stillen, hat, während sie in Damastpolstern schlafen und ihren Gaumen keinen ihm lieblichen Kitzel versagen. Dem um Brot Bittenden reichen sie ihr Makulatur und legen ihren Lakaien kostbare Hanswurstkleidungen an, mit der sie die Blöße so manches nackten Greises zehnmal bedecken könnten!

O, geht in euch, bereut und bekehrt euch, solange es noch Zeit ist, denn ich sage euch, es erwartet euch ein furchtbares Gericht, selbst hienieden, und sei es erst an eurem nicht fernen Sterbestündlein, und dann das Jenseits!«

Der Teufel tat wieder drei Schläge, und alles war wieder im vorigen Zustand, nur wurde für heute kein Handel mehr auf der Pariser Börse geschlossen. Alle flohen kopfhängend davon, und die unheiligen Hallen waren so öde wie das Nichts.

Michel meinte, der Teufel habe den Herren, wenn auch nicht süßen, doch recht klaren Wein eingeschenkt, und bezeigte sodann das Verlangen, sein Vaterland einmal wieder zu sehen und sich in demselben umzuschauen. »Nicht mehr wie billig«, sagte Asmodi, und schon in der nächsten Viertelstunde spazierten die Herren vor dem Kursaal in Baden-Baden auf und nieder.