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Der Marone – Ein Ausritt zu Pferde

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 16

Ein Ausritt zu Pferde

Während des ganzen Tages blieb der Koppelhalter zu Hause. Die unerklärliche Abwesenheit seines Schützlings ließ es geraten erscheinen, seinen beabsichtigten Besuch bei dem Prediger noch aufzuschieben. Im Übrigen erwartete er auch Cynthia jeden Augenblick.

Von der Mulattin würde er sicher mehr erfahren, denn sie wusste von den Ereignissen der jüngsten Zeit jedenfalls mehr, als selbst Chakra, sonst wäre er gern zum Teufelsloch gewandert, um das Orakel des Obi zu befragen.

Allein Cynthia würde wahrscheinlich alles genau wissen. Mindestens konnte sie ihm sagen, ob der Zauber wirklich angewandt worden sei, wie und wann. Dies musste er durchaus wissen und deshalb blieb Jessuron zu Hause, um Cynthias Antwort abzuwarten.

Nicht so Judith. Von übler Laune und Verdruss gequält, war Untätigkeit ihr unerträglich. Sie vermochte sich im Haus nicht beruhigen und beschloss deshalb, draußen, wenn auch nicht Trost und Linderung in ihrem Gram, so doch mindestens Zerstreuung und Ablenkung von den sie peinigenden Gedanken aufzusuchen. Kurz nach dem Frühstück beorderte sie deshalb, dass ihr Pferd gesattelt würde und bereitete sich zu einem Ausritt vor.

Immer sonderbarer kam es ihr vor, dass Herbert gerade an dem Tag, wo sein Onkel von Willkommenberg für längere Zeit verreiste, sich so früh schon entfernt hatte, ohne bisher zurückzukehren. Sonderbar und auffallend war dies jedenfalls.

Judith rief sich den Hirten, der die Spuren in der Pfütze und der weichen Erde entdeckt hatte.

»Seid ihr auch gewiss, dass es wirklich die Spur des jungen Herrn Vaughan war, die Ihr entdeckt habt?«

»Ganz gewiss, Missa Jessuron, eine war es gewiss.«

»Und die andere? Wem sah die gleich? War sie auch die Spur eines Mannes?«

»Ja, Missa, es war eines Mannes Fußspur, wenigstens habe ich noch keine so große Frauenspur gesehen, wie die war. Auch war es nicht die Spur eines Herrn, wie die des jungen Massa Vaughan.«

Mit der Reitpeitsche in der Hand stand die junge Frau sinnend da. War es ein Bote an Herbert gewesen? Und von wem anders wohl, wenn nicht von Käthchen Vaughan. Denn mit wem war er sonst noch bekannt? Dabei überall so merkwürdige Umstände! Die geheimnisvolle Weise, in welcher der Bote sich ihm genähert haben musste, denn frischer Schmutz an dem Baum bewies deutlich, dass der Erkletterer des Baumes ganz derselbe gewesen sein musste, der die Fußspuren im Garten hinterlassen hatte.

Waren die in der Hängematte aufgefundenen Gegenstände dann etwa hinuntergeworfen worden, um den Schläfer zu wecken oder zu warnen? Ohne Zweifel und ganz unleugbar eine geheime, von einem höchst listigen und verschlagenen Boten überbrachte Botschaft! Auf alle Fälle aber ein verstohlener Fortgang! Und der Grund zu allem diesen? Ganz gewiss doch kein gewöhnlicher? Das wäre ja unmöglich. Ein Ausgang auf Wild konnte es durchaus nicht sein. Zwar war die Flinte mitgenommen worden, allein das war auch noch kein Beweis, dass er den Tag auf der Jagd zuzubringen beabsichtige. Herbert hatte immer die Gewohnheit gehabt, eine Flinte mitzunehmen, wenn er in Feld und Wald umherschweifte. Doch dieses Mal waren die übrigen nötigen Schießutensilien zurückgelassen worden. Ein improvisierter Jagdausflug also? Nein, so etwas konnte hier wohl nicht der Fall sein.

Ein Bote also vielleicht mit einer Liebesbotschaft, eine freudig empfangene Einladung, der er auch bereitwillig sofort gefolgt worden war!

»O, wenn das der Fall wäre!«, schrie das stolze, leidenschaftliche, wie von Wut getriebene Mädchen und schwang sich auf ihr Pferd. »wenn das der Fall wäre! Ich muss es wissen! Ich muss Rache haben!«

Das gewiss gänzlich unschuldige Pferd musste zuerst für diesen Anfall rasender Eifersucht büßen, denn ein derber, vom Ärger hervorgerufener Peitschenschlag und ein heftiger Stoß von ihren gespornten Hacken setzten das Tier in schnelle Bewegung und trieben es den Hügeln zu.

Judith Jessuron war tatsächlich eine vortreffliche Reiterin und verstand ein Pferd ebenso gut zu behandeln wie der beste Reiter auf ihres Vaters Hof.

Sie galoppierte durch den früheren, nun verwilderten Garten, setzte in größter Sicherheit mit einem mächtigen Sprung über die verfallene Mauer, gelangte an den Platz, wo die verräterischen Spuren noch vorhanden waren, hielt dort ihr Pferd an und beugte sich vorn über, um die Spuren genau zu untersuchen.

Ja, das war seine Fußspur, sein kleiner schmaler Fuß konnte deutlich erkannt werden! Aber die andere Fußspur? Offenbar die eines Schwarzen, denn Weiße tragen keine genagelten Sohlen. Etwa einer der Sklaven von Willkommenberg? Aber warum nur zweimal hin und zurück? War einmal nicht hinreichend gewesen? Vielleicht war zuerst eine Warnung gesandt worden und dann ein fest bestimmter Vorschlag! Vielleicht wollten sie sich im Wald treffen? Ja vielleicht gerade jetzt, in diesem Augenblick.

Dieser für sie so bittere und fürchterliche Gedanke machte allen anderen Erwägungen und Überlegungen sofort ein Ende. Abermals gebrauchte die über alle Maßen von der brennenden Eifersucht gequälte Reiterin Peitsche und Sporn und sprengte den abschüssigen Pfad über Stock und Stein den Berg hinauf. Die Absichten des Mädchens bei diesem Ritt waren wohl gänzlich unbestimmt, denn er entsprang einfach aus einer verzehrenden Ungeduld, die ihr keine Ruhe vergönnte. Dennoch mochte sie wohl eine leise Hoffnung nähren, während ihres Ritts in irgendeiner Weise den Schlüssel zum geheimnisvollen Verschwinden zu entdecken. Vielleicht mochte sie dann noch unglücklicher und elender werden, als jetzt, aber was kam darauf an? Die Ungewissheit ist immer und in allen Dingen am meisten unerträglich.

Judith ritt keineswegs direkt nach Willkommenberg, obwohl ihre Gedanken dahin allein gerichtet waren. Sie war niemals bei dem Custos zu Gast gewesen und hatte deshalb gar keinen auch nur scheinbar hinlänglichen Vorwand, um ins Herrenhaus dort eintreten zu können, sonst wäre sie sicher geradewegs dahin geritten. So musste sie sich anders entscheiden. Konnte sie auch nicht nahe ans Haus herankommen oder sogar dort eintreten, so vermochten sie es doch aus einiger Entfernung genau zu beobachten. Das war es, was sie nun beabsichtigte.

Ihren Sinn hatte sie hierbei auf den Jumbéfelsen als dem besten Beobachtungspunkt in der ganzen Nachbarschaft gestellt, denn sie wusste sehr wohl, dass man von seiner oberen Platte aus eine vortreffliche und vollkommene ungehinderte Aussicht auf das ganze unter dem Berg wie eine Landkarte ausgebreitet liegende Gut Willkommenberg genoss und dass man jede Bewegung neben dem Haus und in dessen Umgebungen genau unterscheiden und beobachten könne, besonders wenn man auch noch ein gutes Augenglas zu Hilfe nähme, mit dem sie sich vorsichtigerweise versehen hatte.

Mit dieser Absicht wandte sie ihr Pferd dem Jumbéfelsen zu und trieb das gewandte Tier den steilen Bergabhang ohne alle Furcht hinauf.