Heftroman der Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Kommandant des Tower 16

Der Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Zweites Buch
Der Lordprotektor
Achtes Kapitel

Wie Xit der Zwerg des Königs wird und wie Og, Gog und Magog den König um eine Gnade bitten

Am Nachmittag des folgenden Tages begab sich der junge König mit dem Lordprotektor und all den Herren des oberen und unteren Conseils zur Beratung in die große Ratskammer im Withe Tower. Obwohl Edward auf einem Thronsessel saß und scheinbar der Versammlung präsidierte, war es doch augenscheinlich, dass seine Stimme wenig Gewicht hatte, und dass der wirkliche Leiter der Versammlung der Lordprotektor war. Alle Maßregeln schlug der Letztere vor, alle Fragen erledigte er. Es wurde die Form beobachtet, dass jede zu beratende Angelegenheit dem Thron unterbreitet wurde, aber man fragte in einer Weise, dass die Antwort schon von vornherein, und zwar wie der Lordprotektor wünschte, gegeben war.

Im Allgemeinen schien das Conseil geneigt, nach Hertfords Willen zu handeln, mit Ausnahme des Lordkanzlers, doch hatte auch dieser bisher noch wenig Feindseligkeit bewiesen, da nichts von genügender Wichtigkeit vorlag, was eine entschiedene Opposition gerechtfertigt hätte. Aber so gering auch die Anzeichen einer solchen sein mochten, so waren sie doch für den Lordprotektor hinreichend, und er beschloss für sich, den nächsten Vorwand zu ergreifen, um Wriothesley aus dem Conseil zu entfernen.

Nachdem diese Hauptsachen erledigt waren, wurden von dem Lordprotektor zwei Dinge vorgebracht, die natürlicherweise das besondere Interesse des Königs in Anspruch nahmen – das Begräbnis seines verstorbenen Vaters nämlich und seine eigene Krönung. Es wurde festgesetzt, dass das Leichenbegängnis am Dienstag, den 15. Februar in der St. George-Kapelle in Windsor Castle stattfinden solle; die Krönung am darauffolgenden Sonntag, den 20. Februar.

Die Beratung über die beiden Zeremonien nahm einige Zeit in Anspruch. Hinsichtlich der Krönung wurde nichts weiter beschlossen, als dass sie wegen der großen Jugend des Königs möglichst abgekürzt werden solle. Verschiedene wichtige Abänderungen in der Form, die der Bischof von Canterbury vorschlug, wurden einer späteren Beratung überlassen. Aber Heinrichs Begräbnis – so wurde festgesetzt – sollte mit unerhörter Pracht begangen werden, mit all der Feierlichkeit und all dem Pomp, der einem so berühmten Monarchen gebühre, mochte auch der Staatsschatz dadurch erschöpft werden.

Was den feierlichen Akt betraf, der die Krone auf sein Haupt setzen sollte, so schien Edward verhältnismäßig indifferent, aber er legte eine fast ängstliche Sorge an den Tag, ob auch dem Andenken seines mächtigen Vaters die höchstmögliche Ehre erwiesen werde, und war völlig einverstanden, dass ungewöhnliche Vorkehrungen getroffen werden mussten, um das Begräbnis mit besonderer Großartigkeit und Feierlichkeit zu begehen.

»Weil mein Vater«, sprach er, »zu seinen Lebzeiten der Ritterlichste und Größte aller Könige gewesen ist, so ziemt es sich auch, dass er mit mehr Ehren zu Grabe getragen werde als irgendeiner.«

Wenig Anteil nahm Sir Thomas Seymour an diesen Beratungen, aber er war nicht müßig. Er benutzte die Zeit zur Förderung seiner geheimen Absichten und bot alle Mittel auf, um sich bei seinen Kollegen zu insinuieren. Da er die versteckte Feindseligkeit des Lordkanzlers gewahrte, so machte er ihm vorsichtige Vorschläge, die aber von Wriothesley, der keine Neigung zeigte, mit ihm gemeinschaftliche Sache zu machen, schnöde zurückgewiesen wurden.

Der eigentliche Grund der Gehässigkeit, die zwischen den beiden Seymours existierte, war Lord Lisle. Er hatte ihre gegenseitige Abneigung in Hass, ihre Eifersucht in tätige Feindseligkeit und ihre unversöhnliche Stimmung in Rachsucht verwandelt.

Lord Lisle hatte längst den beiderseitigen Widerwillen der Brüder bemerkt und nährte ihn vorsichtig, in der Hoffnung, dass des Jüngeren Absicht, den Älteren zu verdrängen, den Sturz beider herbeiführen und ihm selbst die Bahn eröffnen würde. Deshalb ermutigte er Sir Thomas in dessen ehrgeizigen Projekten, soviel er, ohne sich selbst zu kompromittieren, tun konnte. Er hielt ihn in dem guten Glauben, dass er zu jeglicher Kabale gegen den Lordprotektor bereit sein würde. Sein Verfahren mit dem älteren Seymour war einfacher. Indem er Hertfords Eifersucht entflammte und ihn gegen den stürmischen Bruder aufhetzte, machte er ein gutes Einvernehmen zwischen beiden unmöglich. Lisle war es, der dem Lordprotektor hinterbrachte, dass der junge König sich frühmorgens aus seiner Kammer geschlichen habe, um insgeheim mit seinem Lieblingsoheim zusammenzukommen. Obwohl der Anstifter des Unheils sich mit Sir John Gage vereinigte und den guten Kommandanten in seiner Bemühung unterstützte, die Differenz zwischen beiden Brüdern auszugleichen, so konnte er doch leicht das Werk wieder vereiteln und den Bruch, den er zu heilen sich den Anschein gab, erweitern.

Hertford war soweit davon entfernt, Lisle im Verdacht der Verräterei zu haben oder ihm auch nur zu misstrauen, dass er ihn für den treuesten seiner Anhänger hielt. Er wusste, dass jener verwegen, unternehmend und gewissenlos war, aber er hatte keine Idee von der eigentlichen Natur seines Ehrgeizes oder von dem Ziel, welches er vor Augen hatte. Hertford, der sich durch Lisles Versicherungen der Dankbarkeit täuschen ließ und seine Treue erkauft zu haben glaubte, zog ihn gänzlich ins Vertrauen und legte ihm sein Inneres offen dar. Im gegenwärtigen Moment würde es noch leicht gewesen sein, einen solchen Feind zu vernichten, aber der Lordprotektor ließ ihn unbewusst verstreichen.

Auch jetzt unterließ Lord Lisle nicht, dem Protektor ins Ohr zu raunen, dass sein Bruder mit gewissen Conseilmitgliedern gegen ihn konspiriere. Er riet ihm, auf seiner Hut zu sein. Hertford antwortete mit bedeutungsvollem Blick, dass er der Vorsicht nicht ermangeln werde.

Als die Versammlung sich auflöste, sprach Edward die Absicht aus, einige Teile der Festung in Augenschein zu nehmen und hieß Sir John Gage und seinen jüngeren Oheim ihn zu begleiten. Der Lordprotektor, der selbst wegen einer so geringfügigen Sache gefragt werden musste, gab gleich seine Erlaubnis, schmälerte aber bedeutend seines Neffen Zufriedenheit, indem er sich erbot, nebst Lord Lisle mit von der Partie zu sein.

Das Wetter war überaus schön und sehr zu einer Promenade geeignet, es war überhaupt seit Edwards Thronbesteigung immer günstig gewesen. Der starke Frost dauerte nun über acht Tage, und die Luft, obwohl scharf, war trocken und gesund. Die Sonne schien klar und verlieh allem einen freundlichen und hellen Charakter, indem selbst die grauen Kerkermauern und die finster blickenden Türme, welche den inneren Hof umgaben, ihren gewöhnlichen unheimlichen Anstrich verloren. Der große, unter dem Namen Tower Green bekannte Platz war um diese Zeit, wie wir bereits gesehen haben, vom Morgen bis zum Abend gedrängt voller Menschen, aber in dem Augenblick, als Edward mit seinen beiden Oheimen und den anderen Begleitern aus dem Portal des White Tower trat, war der Platz zufällig noch gefüllter als sonst. Kaum wurden die Leute der Anwesenheit des jungen Herrschers in ihrer Mitte gewahr, als von allen Seiten lauter Zuruf erscholl und die Menge sich zu der königlichen Gesellschaft hindrängte.

Indem Edward langsam durch den Haufen schritt, wurde seine Aufmerksamkeit auf eine kleine fantastische Figur gelenkt, die er anfänglich für einen Affen hielt. Aber als er das seltsame Objekt genauer in Augenschein nahm, fand er, dass es ein Mensch war, und zwar das allerkleinste Spezimen von einem ausgewachsenen Menschen, das sein Auge jemals erblickt hatte. Das Männlein war in eine winzige orangenfarbene Jacke mit weißen Puffen und entsprechenden Hosen gekleidet. Dazu trug es einen mit himmelblauer Seide gesäumten Scharlachmantel, etwa groß genug, die Schultern eines Berber-Affen zu bedecken. In seiner Hand hielt das kleine Wesen eine glatte Mütze von grünem Samt, die er enthusiastisch vor dem König schwenkte. Die Gesichtszüge des Zwergs waren entschieden affenartig, die Nase platt, mit großen Nasenlöchern, von dort bis zum Mund ein großer Zwischenraum, und das Haar lohfarben, fast pelzig. Die Stellung, welche die groteske kleine Person einnahm, machte es ihr möglich, die königliche Gesellschaft zu sehen, denn sie befand sich auf den Schultern eines riesigen Wächters, dessen kolossale Gestalt die Köpfe der Umstehenden weit überragte.

Dieser fürchterliche Sohn Enaks war in seiner Art ebenso merkwürdig wie sein liliputanischer Gefährte, vielleicht noch merkwürdiger. Seine breiten und gutmütigen Gesichtszüge gefielen dem König ungemein, und er konnte nicht umhin, ihn mit einer Art Bewunderung zu betrachten. In den Scharlachrock eines Wächters gekleidet, mit der Rose und Krone vorn und auf dem Rücken gestickt, trug der Riese eine Partisane, ungefähr so lang wie Goliaths Speer.

»Haha, das muss einer der drei Riesen des Towers sein, von denen ich gehört habe«, wandte sich Edward an Sir John Gage, indem er stehen blieb. »Aber wer ist der Knirps auf seinen Schultern?«

»Hat Ew. Majestät noch nie von Xit gehört, von dem berühmten Zwerg des Towers?«, rief das Männlein, der Antwort des Kommandanten zuvorkommend. »Ich bin es. Und wie freue ich mich, Ew. Majestät eine lange und glückliche Regierung wünschen zu dürfen! Lang lebe der ritterliche König Edward!«, rief er mit dem höchsten Diskantton seiner gellenden Stimme, indem er zugleich seine Mütze zu dem Haufen hin schwenkte, der laut in den Ruf einstimmte.

»Dieser große Bursche ist mit Ew. Majestät Erlaubnis Og – nicht Og, König von Basan, sondern Og vom Tower«, fuhr er fort, indem er dem Riesen auf den Kopf patschte, der ungefähr in gleichem Niveau mit dem seinen war. »Und dort, an jeder Seite des Tores von Gold Harbour Tower, stehen seine beiden Brüder, Gog und Magog. Ihre Größe ist so ziemlich dieselbe, aber wenn ein Unterschied zu finden wäre, so ist Og, obwohl der Älteste, doch wohl der Kleinere, aber er hat die breitesten Schultern.«

»Wenn die Natur dir nur eine kleine Gestalt verliehen hat, scheint sie dich dafür mit einer gewandten Zunge ausgestattet zu haben, Männlein«, erwiderte lachend der König.

»Ich klage die Natur nicht an, mein gnädiger Herr«, sprach Xit. »Es ist wahr, sie hat mich um das schöne Verhältnis meiner Gliedmaßen betrogen, aber wenn sie mir auch die lange Statur versagt hat, so hat sie mir dagegen doch mehr Hirn gegeben, als dem dicken Schädel der gewaltigen Enaksöhne.«

»Halt das Maul, du unverschämter Naseweis, oder ich werfe dich hin!«, rief Og, ärgerlich über das Gelächter der Umstehenden.

»Du wagst das nicht, und wärst du so mächtig wie dein Namensbruder von Basan!«, rief Xit, indem er sich fest an seine Locken klammerte. »Ich steige nicht herunter von meinem hohen Posten, bis Seine Majestät es befiehlt. Nun wirf mich hin, wenn du Courage hast!«

»Setz ihn vor mir nieder«, sprach Edward, den die Szene amüsierte, »und hüte dich, ihm mehr zu tun.«

»Hörst du nicht, was Seine Majestät befiehlt, elender Riese?«, schrie Xit, indem er ihn am Ohr zerrte. »Setz mich nieder zart und leise!«

Auf diesen Befehl trat Og vor und hockte nieder, damit Xit von seiner Schulter herabspringen konnte.

Aber obwohl der Riese seine gewaltige Gestalt niederbeugte, soviel er nur konnte, hatte Xit doch noch einen gehörigen Sprung zu tun. Da sein Fuß unglücklicherweise in einem Zipfel von Ogs Mantel hängen blieb, so kam er unter unwiderstehlichem Gelächter der Umstehenden mit dem Kopf auf der Erde an.

Glücklicherweise war des Zwerges Kopf ziemlich dick, und es geschah ihm weder sonderlich etwas zuleide noch verlor er die Contenance. Indem er sich rasch wieder aufraffte, schmähte er Og wegen seiner Ungeschicklichkeit, verwies den Umstehenden ihre unzeitige Heiterkeit, worauf sie noch mehr lachten, und machte dann dem König eine tiefe und, wie er meinte, etikettenmäßige Verbeugung.

»Welches Amt hast du Kerlchen denn im Tower?«, fragte Edward. »Gibt es ein so kleines, dass es für dich passte?«

»Ein jedes Amt würde für mich passen, Majestät, weil meine Fähigkeiten dem Größten entsprechen würden«, antwortete Xit schnell. »Aber das Verdienst – wie ich einem so weifen Fürsten nicht erst zu sagen brauche – wird nicht immer anerkannt. Ich bin in diesem Augenblick ohne Amt, oder ich sollte vielmehr sagen, man hat in unverantwortlicher Weise mich übersehen. Ehren und Ämter sind auf größerer Leute Haupt gefallen, aber nicht auf meines, der ich sie eben so gut versehen haben würde – vielleicht noch besser.«

»Ew. Majestät erhabener Vater«, bemerkte Sir Thomas Seymour, »hielt sich immer einen Narren, nein, drei, welche ihm mit Witz und Scherzworten die Zeit vertreiben sollten. Will Somers, Sexton und Patch sind veraltet, aber dieser luftige Bengel könnte wohl einen von ihnen ersetzen und Ew. Majestät unterhalten.«

»Beim Himmel! Euer Vorschlag gefällt mir, lieber Oheim«, erwiderte Edward mit knabenhaftem Entzücken. »Du sollst mein Narr sein, Kerlchen, wenn du willst«, fügte er zu Xit gewendet hinzu.

»Ich will alles sein, was Ew. Majestät beliebt«, antwortete der Zwerg, »und ich danke Euch alleruntertänigst für Eure Güte. Nur möchte ich die Bezeichnung meines Amtes ein klein wenig verändert haben. Solche Possenreißer wie Will Somers und Genossen mochten immerhin ›Narren‹ genannt werden, denn sie waren nichts Besseres. Ich aber, ich bin immer wegen meiner Lebhaftigkeit und meines Witzes berühmt gewesen, und ich hoffe, Ew. Majestät ganz anders zu amüsieren als solche Strohköpfe.«

»Wenn es dir nicht ansteht ›Hofnarr‹ genannt zu werden, bist du dann mit ›Hoflustigmacher‹ zufrieden, du naseweiser kleiner Bursche?«, sagte Sir Thomas Seymour.

»Das passte vielleicht, aber es gefällt mir auch nicht«, entgegnete Xit. »Wenn ich ›Lustigmacher‹ anstatt ›Narr‹ genannt würde, so bewiese das, dass ich ein großer Narr und ein armseliger Lustigmacher wäre, denn ein Lustigmacher ist von allen Narren der Größte, weil jedermann ihn zum Spielzeug macht, was mit mir keiner soll, wie ich Ew. Majestät verspreche.«

»Oho! Du bist ebenso schwer zufriedenzustellen, wie ein schwangeres Weib, du unverschämter kleiner Schurke!«, warf Seymour lachend ein.

»Welcher Titel gefällt dir denn?«

»Wenn ich einfach Sr. Majestät getreuer Zwerg genannt werde, so bin ich sehr zufrieden«, antwortete Xit sich tief verbeugend.

»Dein Wunsch soll erfüllt werden«, sagte Edward, den des Männleins Schlagfertigkeit entzückte. »Von Stund’ an nehme ich dich unter diesem Titel in meinen Dienst. Du sollst eines Zwerges Gehalt und eines Zwerges Livree haben.«

»Lasst das Gehalt voll ausgewachsen sein, obschon die Livree nicht so umfangreich sein darf, Ew. Majestät«, sagte Xit. »Wenn mein Lohn im Verhältnis zu meiner Größe steht, so komme ich zu nichts. Messt lieber nach jenem Riesen. Indes, auf alle Fälle danke ich Ew. Majestät untertänigst. Verleiht mir ein Schwert, und mein Glück ist vollständig.«

»Eine Haarnadel passte besser für dich«, bemerkte Seymour. »Was wolltest du Knirps mit einem Schwert anfangen?«

»Es gebrauchen zur Verteidigung Sr. Majestät und zur Behauptung meiner eigenen Ehre«, entgegnete Xit, mit dem Stolz eines beleidigten Kastilianers.

»Nun, wenn ein Schwert dich glücklich macht, so soll mein Waffenschmied dir eins besorgen«, sagte der König. »Jetzt geh hin und führe jene drei Riesen vor mich. Ich bin neugierig, sie zu sehen.«

»Euer Majestät Befehl soll prompt vollzogen werden«, antwortete Xit und eilte auf den Wardrobe Tower zu.

»Holla! Ihr faulen und trägen Titanen!«, rief der Zwerg, als er in die Nähe des Torweges kam, an welchem Gog und Magog standen. »Hallo, sage ich! Seid ihr ebenso taub wie stumm? Kommt gleich mit mir!«

»Was sollten wir mit dir gehen, du rastloser Herumstreicher?«, antwortete Gog, indem er sich auf seine Partisane lehnte und lächelnd auf ihn niederblickte.

»Frage nicht, sondern folge!«, rief Xit in befehlendem Ton.

»Und wenn wir auch wollten, wir könnten nicht«, sagte Magog, der Jüngste und Größte der drei Riesen. »An diesem Tor ist unser Posten und wir können ihn nicht verlassen, bis wir abgelöst werden.«

»Aber des Königs Majestät schickt mich her, ich soll euch zu ihm führen, ihr rebellischen Titanen!«, rief Xit. »Gehorcht bei eurem Leben!«

»Was meinst du, Gog? Ist das einer von des kleinen Hampelmanns Scherzen?«, fragte der jüngere Riese.

»Ich weiß nicht«, antwortete der andere. »Seine Majestät ist drüben – aber wenn wir ohne des Lieutenants Erlaubnis unseren Posten verlassen, so bekommen wir einen Verweis.«

»Aber meine Order geht der des Lieutenants oder selbst des Kommandanten vor, und ihr sollt parieren!«, schrie Xit, indem er mit seinen kleinen Füßchen ungeduldig auf den Boden stampfte. »Wisst, ihr ungläubigen Schlingel, dass ich jetzt zum königlichen Haushalt gehöre!«

»Na, wenn du das sagst, glaube ich alles andere nicht«, sagte Magog. »Ich gehe nicht vom Platz.«

»Ich auch nicht«, fügte Gog hinzu. »Du musst ein besseres Märchen erfinden, du falscher Teufel, um uns zu einer Pflichtvergessenheit zu verführen.«

»Bei meiner Seele! Eure Dummheit kommt eurer Länge gleich, ihr konfusen Gesellen!«, schrie Xit. »Da lasst ihr nun all die Zeit Seine Majestät warten. Ihr sollt das hölzerne Pferd reiten und die Peitsche fühlen, wenn ihr mich noch länger aufhaltet!«

»Wenn es wahr wäre, dass der König nach uns geschickt hat, so sollten wir gehen«, bemerkte Magog unschlüssig.

»Gewiss«, antwortete Gog, »aber wir haben keine Gewissheit darüber. Ha! Da kommt Og, um uns aus der Verlegenheit zu helfen. Was sollen wir tun, Bruder?«, fügte er hinzu, als der dritte Riese mit weit ausgreifenden Schritten herankam.

»Bleiben, wo ihr seid«, erwiderte Og. »Der König wird gleich hier sein. Nein, Xit hat euch nicht belogen«, fuhr er fort, als er bemerkte, wie sie zu dem Zwerg hinblickten. »Er ward abgeschickt, um euch vor des Königs Angesicht zu führen. Aber da Seine Majestät durch den Kommandanten des Towers erfahren hat, dass ihr hier auf Posten steht, so wollte er nicht, dass ihr selbigen verlasst, sondern kommt selbst hierher.«

»Seine Majestät wird gleich hier sein«, sagte Xit, indem er bemerkte, dass die königliche Gesellschaft sich näherte. »Nehmt ein Beispiel an mir und betragt euch anständig.«

Noch ein Augenblick und Edward und seine Begleiter kamen heran. Die drei riesigen Wächter standen beisammen, und wie sie ihre schweren massiven Körper vor dem jugendlichen und zart gebauten König neigten, war es gerade, als ob drei starke Eichen sich vor einem schwankenden Rohr neigen.

»Eine Gnade! Eine Gnade, wenn Eure Majestät geruhen!«, riefen die drei Riesen wie aus einem Munde. »Gewährt uns eine Gnade!«

»Nennt sie, brave Burschen«, antwortete Edward, dem der Anblick gefiel.

»Möge man uns erlauben, an Euer Majestät bevorstehender Krönung, wenn auch auf dem bescheidensten Posten, teilzunehmen«, sagte Magog, der als Sprecher für die anderen fungierte.

»Das sei Euch gewährt«, antwortete Edward, »der Lordkämmerer soll Euch einen passenden Platz bei der Zeremonie anweisen.«

»Dank, Dank, gnädigster Herr!«, riefen die drei Riesen gleichzeitig.

»Gebt jedem von ihnen 10 Goldstücke, Sir John«, sprach Edward, »zum Zeichen unseres ferneren Wohlwollens.«

»Eure Majestät sind zu gnädig«, sagte Magog bescheiden. »Aber ich darf auch sagen, dass Eure Majestät keine drei getreuere Untertanen hat, wie meine Brüder und mich.«

»Drei größere gewiss nicht«, entgegnete Edward, »und ich glaube, Ihr seid ebenso treu wie groß. Es soll kein Aufzug, kein Hoffest stattfinden, bei dem diese stattlichen Burschen fehlen«, fügte er, zu Sir John Gage gewandt, hinzu.

»Dafür passen sie auch ganz besonders, mein gnädiger Herr«, sprach der Kommandant. »Euer erhabener Vater sah ihre riesigen Gestalten bei Hofgeprängen ebenfalls gern.«

»Euer Majestät Wohlwollen macht uns stolz«, sagte Gog, »wir werden von nun an den Kopf noch höher tragen.«

»Keine Ursache«, entgegnete Xit. »Meiner Treu, eure Köpfe ragen schon zu sehr in die Luft hinauf.«

»Gehen wir zum Bloody Tower, guter Sir John«, sprach Edward zu dem Kommandanten. »Ihr verspracht, mir die Kammer zu zeigen, wo die jungen Prinzen ermordet wurden.«

»Ich werde Eure Majestät jetzt gleich hinführen«, antwortete Gage.

»Na, du sollst mit mir gehen, mein lustiger kleiner Page!«, rief Edward, als er sah, dass Xit ihn bittend anschaute. »Du hast meine Gunst gewonnen, dein Humor gefällt mir. Geselle dich zu meinem Gefolge.«

Überglücklich durch diese gnädig erteilte Erlaubnis stolzierte Xit hinter der königlichen Familie her wie ein Pfau mit ausgebreitetem Schwanz in der Sonne.