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Die Macht der Drei – Teil 45

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Erik Truwor fasste das Ergebnis der Untersuchung zusammen. Der Eisberg war mit seiner Basis halb schräg nach unten in das Wasser gefallen und hatte dann wieder Halt gefunden. Es war natürlich auch mithilfe des kleinen Strahlers leicht möglich, einen Ausgang aus dem Eis ins Freie zu schmelzen.

Aber sie befanden sich in einer komprimierten Atmosphäre. Die Luft in der Eishöhle war auf das Doppelte des gewöhnlichen Luftdrucks zusammengepresst. In ihren Lungen hatte der hohe Druck sich ausgeglichen. Schafften sie der Luft plötzlich einen Ausgang ins Freie, so musste die schnelle Druckverminderung sie töten. Die zusammengepresste Luft in ihrem Innern hätte ihre Lungen zerrissen, ihre Leiber zerfetzt.

Doch auch ein langsames Ablassen der Druckluft gewährte keine Sicherheit. Sie wussten ja nicht, bis zu welcher Höhe der Wasserspiegel draußen den Berg umgab. Wie tief der Berg in den geschmolzenen See eingesunken war. Es konnte geschehen, dass das Wasser beim Ablassen der Luft schließlich die Decke des höchsten Raumes erreichte. Dann wurden sie ertränkt wie die Mäuse in der Falle.

Das Mittel, allen diesen Schwierigkeiten zu entgehen, hatte der Geist Silvesters entdeckt.

»Wir müssen den Berg ausschmelzen. Der ganze massive Kern muss als Schmelzwasser in die Tiefe gehen. Nur eine leichte äußere Schale darf stehen bleiben. Leichte Fußböden und Wände, die der Schale Halt geben. Dann wird er sich heben, wird leicht auf dem Wasser schwimmen …«

Der Plan war gut, aber die Frage der Luftbeschaffung machte Schwierigkeiten. Die wenige Luft, die in den vorhandenen Gängen eingeschlossen war, würde niemals genügen, das ganze Innere des ausgeschmolzenen Berges zu füllen.

Sie mussten also mit Vorsicht eine Rohrverbindung mit der Außenwelt herstellen, mussten die Luftpumpe mit viel Mühe aus einem halb überfluteten Gang herbeischaffen und von außen her Luft in das Innere pumpen, als das große Schmelzen begann, als Tausende von Tonnen Schmelzwasser in die Tiefe flossen und der massive Eisriese von Stunde zu Stunde immer mehr die lockere Struktur einer Bienenwabe annahm.

Aber sie spürten auch den Erfolg. Der Berg hob sich. Sie merkten es daran, dass er wieder in die waagerechte Lage kam und dass die unteren überfluteten Gänge allmählich vom Wasser frei wurden.

Sie arbeiteten ohne Unterlass. Silvester war Tag und Nacht tätig. Die Vorwürfe Erik Truwors brannten ihm schwer auf der Seele. Er wollte mit Hingabe seiner ganzen Kraft wieder gutmachen, was durch sein Versehen verdorben war, und mutete sich mehr zu, als sein geschwächter Organismus auf die Dauer aushalten konnte.

Bis die misshandelte Natur sich rächte. Atma sprang hinzu, als Silvester neben dem Strahler, mit dem er die neuen Höhlen und Zellen in den Berg schnitt, zu Boden taumelte. Es bedurfte aller Künste des Inders, um das aussetzende Herz des Erschöpften zum Weiterschlagen zu zwingen und die schwere Ohnmacht in einen wohltätigen Schlaf zu verwandeln.

Freilich hatte Silvester Grund zu Eile und Anstrengung. Der Berg musste gehoben, in seine endgültige Lage gebracht sein, bevor die Polarkälte ihre Wirkung tat, bevor die Oberfläche dieses durch einen so unglücklichen Zufall entstandenen Sees sich wieder mit einer schweren Eiskruste überzog. Denn fror der See, so war der Berg fest eingekittet, alle Versuche, ihn zu heben, wurden vergeblich.

Endlich war es gelungen. In hundert Stunden hatten sie das Werk getan. Nun hieß es warten und sich gedulden, bis das eintrat, was sie vorher so sehr zu fürchten hatten. Erst nachdem der gehobene Berg festgefroren war, konnten sie es wagen, seine Außenwand zu durchbrechen, durften sie die Tür dieses gigantischen Gefängnisses sprengen. Sie rechneten, dass wenigstens noch einmal fünfzig Stunden verstreichen müssten, bevor das frisch gebildete Eis den erleichterten Berg tragen würde.

Die Laune des Schicksals schenkte dem Präsident-Diktator noch einmal eine Frist. Krieg und Kriegsgeschrei erfüllten noch einmal die Welt. Von einer sinnlosen und lächerlichen Kleinigkeit hing es ab, wie lange der Vernichtungskampf zweier Weltreiche anhalten sollte. Einfach davon, wie schnell oder wie langsam sich in der arktischen Eiswüste auf einem Tümpel von mäßiger Größe eine tragfähige Eisfläche bilden würde.

Fünfzig Stunden, in denen die Insassen des Berges nichts anderes tun konnten, als tatenlos zu warten. Abgeschnitten von der Welt, ohne Kunde von dem, was draußen vorging.

Atma saß am Lager Silvesters. Er zwang ihm sich wohltätiger Ruhe hinzugeben, seinem armen misshandelten Herzen, das immer noch unruhig und unregelmäßig gegen die Rippen pochte, Erholung zu gönnen.

Erik Truwor war allein, eine Beute quälender Gedanken, die sich nicht vertagen ließen.

Was war in den Tagen ihrer Gefangenschaft geschehen? Hatten die ersten Warnungen der Macht genügt, oder war der Krieg doch ausgebrochen?

Besaß die Menschheit so viel Einsicht, der sinnlosen Zerstörung aus eigener Kraft Einhalt zu gebieten?

War das der Fall, dann würde er das Werk so ausführen können, wie er es geplant hatte.

Aber wenn sie ihm nicht gehorchten? Wenn sie in diesen Tagen seiner erzwungenen Untätigkeit übereinander herfielen?

War das nicht der Beweis dafür, dass sie noch nicht zur Selbstregierung reif waren, dass sie einen Selbstherrscher brauchten, zu ihrem Glück gezwungen werden mussten?

Wer sollte sie dann zwingen? Die Träger der Macht. Drei Köpfe, drei Sinne!

Nur einer konnte der Herr sein. Wer sollte es sein?

Silvester, der stille Gelehrte, der Forscher?

Oder Atma? Der Schüler des Buddha Gautama und des Tsongkapa?

Nein und nochmals nein! Nur er selbst konnte es sein. Der Nachfahre des alten Herrengeschlechtes, dem eine zweifache Prophezeiung noch einmal die Herrschaft versprach.

Die Wucht der Gedanken riss Erik Truwor empor. Er sprang auf und irrte durch die Eisklüfte des gehöhlten Berges.

Er war von der Vorsehung auserwählt. Ihm hatte das Schicksal die unendliche Macht in die Hand gegeben. Er brauchte Gehilfen, treu ergebene Paladine, um sie auszuüben. Dazu hatte das Geschick ihm die Freunde an die Seite gestellt. So war die Weissagung von Pankong Tzo zu deuten. Dem Herrscher die Macht, seinen Paladinen das Wissen und den Willen. So mochte es einem Cäsar zumute gewesen sein, ehe er den Rubikon überschritt, so einem Napoleon, als er den Sturm auf Italien wagte, so einem Stonard, als er gegen die Gelben im Westen der Union losbrach.

Das Schicksal rief ihn. Das Schicksal hatte Ungeheures mit ihm vor, wenn … wenn in diesen Tagen der Kampf ausgebrochen war. Mit kaum zu bändigender Ungeduld erwartete er die Stunde der Befreiung aus dem eisigen Gefängnis.