Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Marone – Der Abschiedstrunk

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 12

Der Abschiedstrunk

War Loftus Vaughan niedergeschlagen, so schien seine Tochter auch nicht gerade heiter zu sein, da sie beim Frühstück zugegen war, denn auf ihrem holden Angesicht lagerte tiefe Betrübnis und sorgenvolle Bekümmernis.

Ein mit den näheren sie betreffenden Verhältnissen Unbekannter hätte wohl vermuten dürfen, es sei dies lediglich Folge des Mitgefühls mit ihrem Vater, da sie ihn so trübe und niedergeschlagen sah, zugleich mit dem für eine zärtliche Tochter so natürlichen Bedauern bei der Trennung für eine längere Zeit von ihm. Allein ein aufmerksamer Beobachter musste in den holden, reinen Gesichtszügen ganz wohl einen Ausdruck stiller Trauer wahrnehmen, die aus einer anderen, viel tieferen Quelle herstammte.

Teilweise mochte der Reisezweck ihres Vaters wohl zu dieser trüben Stimmung mitgewirkt haben, denn sie hatte ihn von ihrem Vater selbst am Abend zuvor gehört.

Da, zum ersten Mal in ihrem Leben, hatte sie alle die sonderbaren und ungünstigen mit ihrer Geburt und Abstammung in Verbindung stehenden Umstände vollständig kennengelernt, denn bis dahin war sie über ihre Stellung in der Gesellschaft als auch vor dem Gesetz gänzlich in Unwissenheit geblieben. Da zum ersten Mal war ihr ihre eigene gesellschaftliche Lage mit allen ihren Mängeln und mit der auf ihr beruhenden Erniedrigung wahrhaft und ohne alle verschönernde Schminke auseinandergesetzt worden.

Um diese Mängel und diese Erniedrigung auszutilgen, wollte ihr Vater fortreisen. Dafür empfand das junge Mädchen aufrichtige Dankbarkeit, obwohl diese vielleicht wohl noch stärker von ihr gefühlt worden wäre, hätte ihr Vater sich nicht so sehr viel Mühe gegeben, ihr begreiflich zu machen, welchen außerordentlichen Dienst er ihr leisten wolle, und hätte er die ganze Angelegenheit nicht dazu benutzt, ihren so klar ausgesprochenen Widerwillen gegen Smythje damit zu bekämpfen.

Während der kurzen Zeit, dass Herr Vaughan mit dem Frühstücken beschäftigt war, wurden nur äußerst wenige Worte zwischen ihnen gewechselt. Die vorhandenen Fleischspeisen wurden von dem Reiseunternehmer kaum versucht, denn er hatte gar kein Verlangen nach etwas Festem und schien sich nur um Trinken zu bekümmern. Nachdem er mehrere Tassen Kaffee hinuntergestürzt hatte, um seinen Durst zu stillen, und ohne Brot oder sonst etwas anderes zu essen, stand er vom Tisch auf und bereitete sich zur Abreise vollständig vor.

Jetzt trat Herr Trusty ein und kündigte an, dass die Pferde und der Reitknecht bereit wären und unten an der Treppe warteten.

Der Custos nahm seinen Reisehut und zog mithilfe Käthchens und ihrer Dienerin Yola seinen Mantel an, da die Luft so früh am Morgen rau und kalt war.

Während dieser Vorbereitungen hatte sich auch ein Mulattenmädchen im Zimmer befunden, das zuweilen bei der Bedienung des Frühstückstisches mitgewirkt, zuweilen aber auch schweigend und still im Hintergrund gestanden hatte. Es war die Sklavin Cynthia.

In dem ganzen Benehmen dieses Mädchens lag etwas Besonderes, und eine eigentümliche Aufregung zeigte sich bei ihr dadurch, dass sie mehrere Male unruhig mit leisen, verstohlenen Schritten und unsteten, heimlich spähenden Blicken im Zimmer hin und her ging.

Einem aufmerksamen Beobachter hätte Cynthias Aufregung nicht entgehen können. Allein den drei Anwesenden, die nichts Arges ahnten, entging sie doch vollkommen.

Die Bowle mit dem Swizzle, die schon früher Erwähnung fand, stand wie gewöhnlich auf dem Seitentisch. Während das Frühstück auf den Tisch gestellt worden war, hatte Cynthia die Bowle frisch mit diesem erquickenden und beliebten Getränk angefüllt, das sie in einem anderen Zimmer gemischt hatte. Als sie jemand fragte, wozu sie das Swizzlemachen, ihr tägliches Geschäft, so früh vornehme, besonders da der Herr doch schon vor der heißeren Tageszeit, wo der Swizzle getrunken werde, abreise, antwortete Cynthia. »Aber vielleicht Massa möchte trinken von dem Swizzle, bevor er gehen.«

Dies hatte das Mädchen auch gar richtig geahnt, denn gerade, als der Custos aus dem Hause gehen wollte, um die große Treppe hinunterzusteigen und aufs Pferd zu steigen, überfiel ihn ein abermaliges Gefühl brennenden Durstes und er verlangte noch etwas zu trinken.

»Massa vielleicht mögen ein Glas Swizzle?«, fragte Cynthia jetzt, die näher an ihn herangetreten war. »Ich haben gemischt sehr Guten für Massa«, fügte sie noch als besondere Empfehlung hinzu.

»Ja, Mädchen«, antwortete ihr Herr. »Das wird wirklich das Beste sein, was ich trinken könnte. Bring mir ein Glas davon.«

Kaum hatte Herr Vaughan Zeit sich umzudrehen, so wurde ihm auch ein bis zum Rand volles Glas gereicht. Er bemerkte es nicht, dass der Sklavin Hand beim Hinreichen zitterte, noch dass ihr Gesicht dabei abgewandt war, gleich, als sollten ihre Augen etwas Schreckliches nicht sehen. Sein arger Durst hinderte ihn, irgendetwas anderes zu beachten als gerade das, was dazu bestimmt war, ihn zu lindern. Mit Gier ergriff er das Glas und stürzte dessen ganzen Inhalt, ohne nur einmal abzusetzen, hinunter.

»Du hast das Getränk zu sehr gepriesen, Mädchen«, sagte er beim Zurückgeben des Glases. »Es ist keineswegs sehr gut. Es hat einen etwas bitteren Geschmack. Aber vielleicht ist meine Zunge nicht so ganz in Ordnung, und beim Abschiedstrunk sollte man es überhaupt so genau gar nicht nehmen.«

Mit diesem Versuch, froh und munter zu erscheinen, sagte Loftus Vaughan seiner Tochter Lebewohl, stieg die Treppe hinunter, schwang sich in den Sattel und ritt davon.

Armer Custos Vaughan! Der Abschiedstrunk war der Letzte, den zu trinken dir im Leben bestimmt war! In diesem perlenden Swizzle war der Aufguss von der schrecklichen Savannablume und mit diesem hastigen Trunk hast du dir ein tödliches Pflanzengift eingesogen!

Wohl mag Chakras Weissagung nun bald erfüllt werden, der Totenzauber wird seine unfehlbare Wirkung ausüben, in vierundzwanzig Stunden schon bist du ein regungsloser Leichnam!