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Der Welt-Detektiv Band 6

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Das Steppenross – Kapitel 18 – Teil 2

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 18
Das Comanchen-Lager
Teil 2

»Nun, es ist weiter nichts, als dies. Der Kapitän will das Indianerpferd besteigen und geraden Weges in das Lager reiten.«

»Geraden Weges darauf los, meinst du?«

»Natürlich! Was würde es nützen, um den Busch zu gehen, da er von jeder Seite gesehen werden könnte?«

»Ei! Der Schwarze soll mich holen, wenn sie das können. Pah, sie könnten mich nicht sehen, nein, das könnten sie nicht, und wenn jeder Indianer die schärfsten Augen hätte, sie könnten es nicht, Bill.«

»Wie?«, fragte ich, »meint Ihr, es wäre möglich, dass sich jemand unbemerkt dem Lager nähern könnte? Meint Ihr das, Rube?«

»Das meine ich, junger Bursche, aber doch nicht ganz genau so. Ich habe nicht gesagt, dass einer von euch es könnte, aber dass dieser Trapper hier, Rube wie ein Blitz in jenes Lager fahren könnte, ohne dass ein Indianer ihn sähe. Pah, du sprichst wie ein Gelbschnabel, Bill Garey, wenn du meinst, es wäre unmöglich, ungesehen in ihr Lager zu kommen.«

»Aber wie lässt sich das ausführen, Rube? Erklärt Euch doch! Ihr wisst, wie ungeduldig ich bin.«

»Seid nicht ungeduldig, junger Bursche! Denn es nützt nichts, und Ihr werdet ein hübsches Stück Geduld brauchen, ehe Ihr Eure Schienbeine dort am Feuer wärmen dürft. Aber das könnt Ihr zur rechten Zeit tun, wie Euch der alte Rube sagen wollte. Ihr müsst aber die Augen aufsperren und dürft nicht mit den Zähnen klappern. Versprecht mir nur, meiner Anweisung zu folgen. Denn ich weiß, dass Ihr so geschmeidig wie ein Wiesel seid.«

»Ich verspreche Euch, Eurem Rat zu folgen.«

»Das ist verständig, sehr verständig gesprochen, und nun will ich Euch meinen Rat erteilen.«

Nach diesen Worten schritt Rube auf den Rand des Gehölzes zu und winkte mir und Garey, ihm zu folgen.

Am äußersten Rand des Gehölzes angelangt, ließ er sich hinter ein Gebüsch nieder. Ich kniete zu seiner Linken und Garey duckte sich rechts von ihm nieder.

Beim hellen Mondschein konnten wir die umliegende Ebene deutlich sehen und hefteten unsere Blicke starr auf das Indianerlager.

Nachdem wir den Schauplatz einige Minuten lang beobachtet hatten, begann der alte Trapper das Gespräch.

»Nun, Bill Garey, und Ihr, junger Bursche, richtet einmal den Blick auf jenes Lager und seht, ob nicht ein gerader Weg mitten hineinführt, so gerade wie der Schwanz eines gehetzter Fuchses! Wie, seht ihr ihn?

»Aber doch nicht gedeckt?«, fragte Garey weiter.

»Jeder Schritt vollkommen gedeckt.«

Garey und ich untersuchten nochmals das Lager und die ganze Umgebung, aber wir konnten keine Deckung bemerken, unter welcher man sich dem Lager hätte nähern können. Es war keine Deckung vorhanden.

Meinte Rube etwa die Wolken am Himmel? Bezogen sich seine Worte vielleicht auf eine bevorstehende Dunkelheit?

Ich erhob meine Blicke und durchforschte noch einmal aufmerksam das ganze Himmelsgewölk. Vergebens aber suchte ich ringsum am Horizont in allen Weltgegenden bis zum Zenit hinauf. Hoch oben in der Luft schwebten zwar ein paar leichte Streifen, aber auch diese, wenn sie an der Mondscheibe vorüberzogen, konnten keinen merklichen Schatten werfen. Sie zeigten im Gegenteil beständiges Wetter an. Da sie sich langsam an der Himmelsfläche bewegten, verkündeten sie, dass sich keine plötzliche Wetterveränderung erwarten ließe. Der Trapper konnte also nicht auf die Dunkelheit rechnen, wenn er meinte, das Lager sei gedeckt zu betreten.

»Ich sehe nicht die geringste Deckung, weder Busch noch Gras, Alter, sagte Garey nach einer Pause.

»Wer redet von Busch und Gras«, entgegnete Rube. »Man kann seinen Leichnam noch anders verbergen, als dass man ihn in einem Busch oder im Gras versteckt. Du begreifst nachgerade sehr schwer, Bill Garey. Dein Hirnkasten ist aus der Ordnung. Du hast seit neun Tagen keinen vernünftigen Gedanken gehabt. Gebüsch und Gras! Pah! Wer spricht davon? Wo hast du denn die Augen? Siehst du einen Hohlweg?«

»Einen Hohlweg?«, fragten Garey und ich gleichzeitig.

»Ja, einen Hohlweg«, sagte Rube. »Der Hohlweg liegt vor eurer Nase, und wenn ihr ihn nicht seht, so seid ihr so blind wie ein junges Opossum.«

Wir gaben weiter keine Antwort, sondern suchten Rubes Meinung zu ergründen und richteten unsere Augen auf den Gegenstand, welchen seine Worte bezeichneten. Er meinte das Bett des Baches.

Wie schon erwähnt, floss der Bach dicht am Lager der Indianer hin und begrenzte dasselbe auf einer Seite.

Es ließ sich deutlich sehen, dass sich die Strömung nach uns hin richtete, denn der Bach machte an dem Hügel, auf welchem wir standen, eine scharfe Wendung und floss um den Fuß desselben herum. Das Indianerlager befand sich auf dem linken Ufer, von uns aus gesehen auf dem rechten. Ging man daher am linken Ufer hinauf, so musste man notwendigerweise in das Lager kommen.

Bei unseren bisherigen Untersuchungen hatten wir allerdings den Bach schon beachtet, und ich hatte schon daran gedacht, vielleicht mit seiner Hilfe unbemerkt in das Lager zu kommen. Aber vergeblich hatte ich danach getrachtet, irgendeinen Schutz in seinem Bett zu entdecken. Die Ufer waren niedrig und weder mit Schilf noch Gebüsch bewachsen. Das Gras der Steppe zog sich bis an den äußersten Rand und reichte beinahe bis auf die Wasserfläche.

Jeder, der den Versuch gemacht hätte, sich im Bett des Baches in das Lager zu schleichen, hätte vollkommen unter dem Wasser gehen müssen, denn selbst wenn er auf der Oberfläche schwamm, musste er bemerkt werden. Gelang es aber selbst einem Mann, so ließ sich doch unmöglich ein Pferd dort hinführen, und ohne Pferd war auf eine solche Flucht gar nicht zu rechnen.

Mir war das wenigstens unmöglich erschienen. Ich hatte die Sache mehrmals überlegt und den Gedanken endlich verworfen. Rube aber zeigte uns gerade, dass dieser Plan ausführbar sei.

»Nicht wahr, ihr seht doch das Ufer?«

»Es ist nicht viel von einem Ufer zu sehen«, antwortete Garey etwas kleinlaut.

»Nun, kein Mensch wird leugnen, dass es weder so hoch ist wie die Klippe am Missouri noch wie die am Snake River, aber ich denke doch, es wird mit jeder Minute höher.«

»Wie meinst du das?«

»Nun, ich meine, dass das andere mit jeder Minute niedriger wird.«

»Meinst du das Wasser?«

»Das Wasser fällt, es sinkt zollweise und nach einer Stunde wird das Ufer vor dem Lager eine Elle hoch sein, das ist gewiss.«

»Und Ihr glaubt, ich könnte in das Lager gelangen, wenn ich daran hinkrieche?«

»Wer kann Euch daran hindern? Ich bin überzeugt, dass es ein ganz leichtes Stück ist.«

»Aber wie soll ich das Pferd in die Nähe bringen?«

»Ganz auf demselben Wege. Ich sage Euch, das Bett jenes Baches ist so tief, dass man das größte Pferd verbergen kann. Ihr könnt es so nahe bringen, wie ihr wollt, aber Ihr dürft nicht zu weit windwärts gehen, sonst spüren es die Steppenpferde aus, und dann ist es mit Euch und Eurem Pferd vorbei. So ungefähr zweihundert Schritte möchte wohl die beste Entfernung sein. Wenn Ihr das Mädchen heraus habt, so könnt Ihr ja so weit laufen. Ihr eilt zu dem Pferd, setzt Euch darauf und galoppiert wie der Wind hierher in das Gebüsch. Hier sind wir versteckt, und dann wollen wir einmal sehen, ob die Rothäute nicht aus unseren Büchsen genug bekommen! Pah! So muss die Sache ausgeführt werden, ja.«

Der Plan schien freilich insofern ausführbar, als das Fallen des Wassers, welches Rube bemerkt hatte, meiner Beachtung ganz entgangen war. Dies war der Grund, weshalb Rube so lange gezaudert hatte. Während er, auf seine Büchse gelehnt, dastand, hatte er es beobachtet. Indem er an den starken Regen in der vergangenen Nacht dachte, sah er, dass der kleine Bach dadurch angeschwellt worden war und nun schnell wieder fiel. Während der halben Stunde unseres Aufenthaltes hatten seine scharfen Augen ein Fallen von mehreren Zoll bemerkt. Jetzt, wo ich aufmerksamer geworden war, schienen mir die Ufer ebenfalls höher als vorher.

Mithilfe dieses Baches versprach der Plan glücklichen Erfolg. War das Bett tief genug, so konnte ich das Pferd ziemlich nahe bringen, und das Weitere musste der List und dem Zufall überlassen bleiben.

»Auf dem Indianerpferd hinaufzureiten würde ich nicht raten«, sagte Rube. »Ihr könntet es noch immer versuchen, wenn sich nicht auf die andere Art hineinkommen ließe. Aber schwerlich würdet Ihr durch die Wachen kommen. Die Mustangs würden jedenfalls schnauben, schlagen und wiehern, dass das ganze Lager in Aufruhr käme und die pfiffigen Indianer bald Eure weiße Haut entdeckten. Die andere Art ist viel sicherer.

In kurzer Zeit hatte ich meinen Entschluss gefasst. Rubes Rat hatte die Sache entschieden.

Die meisten Vorbereitungen waren bereits getroffen, und es war weiter keine Zeit zu verlieren.

Ich schnallte nur den Sattelgurt fest, sah nach dem Zündhütchen auf meinem Revolver und befestigte die Pistolen und das Messer auf dem Rücken im Gürtel. Nachdem ich die Waffen noch durch einen Mantel verborgen hatte, war ich zum Aufbruch bereit.

Ich war zu unruhig, um noch lange auf das Fallen des Wassers zu warten. Sollte die Stunde der Beratung nicht vorübergehen, so durfte ich nicht länger zögern.

Ich sprang in den Sattel, und meine Gefährten umdrängten mich, um mir Lebewohl zu sagen. Alle drückten mir mit herzlichen Glückwünschen die Hand. An dem Ton einiger konnte ich wahrnehmen, dass sie nicht hofften, mich wiederzusehen; andere zeigten mehr Zuversicht.

Die beiden Trapper begleiteten mich den Hügel hinab. Da, wo der Bach den Hügel erreichte, befand sich etwas Gebüsch, welches sich den Abhang aufwärts bis zum Gipfel hinzog. Unter dem Schutz desselben stiegen wir hinab und erreichten das Ufer.

Ein ähnliches dünnes Gebüsch umsäumte den Fuß des Hügels, und wir hätten diesen Weg verfolgen können, um dem Lager noch näher zu kommen.

Die Deckung war jedoch nicht so gut wie auf dem Hügel, und wenn wir uns zurückziehen mussten, hätten wir an dem kahlen Abhang hinaufgaloppieren müssen. Wir beschlossen daher, unsere Leute an ihrem Ort zu lassen.

Von der Biegung zog sich der Bach in gerader Richtung weiter wie ein langes Band von glänzendem Silber. Die Ufer waren kahl, jeder Schritt zum Lager hin musste den Bewohnern desselben verraten werden.

Ich stieg also hier ab und schickte mich an, in das Wasser zu gehen.

Die Trapper erteilten mir noch ihren letzten Ratschlag und drückten mir dann bedeutungsvoll die Hand.

»Fürchtet nichts, Captain«, sagte der Jüngere, »Rube und ich werden uns in der Nähe halten. Sobald wir Eure Pistole hören, kommen wir Euch entgegen.«

»Ja!«, bestärkte Rube, »das werden wir, und wenn Euch ein Unglück treffen sollte, – doch davon wollen wir nicht sprechen! Fürchtet nichts, junger Bursche! Haltet nur die Augen offen und die Hände in Bereitschaft, dann werdet Ihr schon durchkommen. Seid Ihr erst aus dem Lager, so dürft Ihr auf uns rechnen. Aber nehmt den geraden Weg zum Gehölz und galoppiert tüchtig darauf los!«

Ich verlor keine Zeit, sondern führte mein Pferd an eine abschüssige Stelle des Ufers und trat leise in den Bach. Mein gut dressierter Moro folgte unverzüglich, und bald standen wir bis an die Brust im Wasser. Der Bach hatte die gewünschte Tiefe.