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Der Welt-Detektiv Band 6

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Detektiv Schaper – Das graue Gespenst – 10. Kapitel

Detektiv-SchaperM. v. Neuhof
Detektiv Schaper
Zweiter Teil
Das graue Gespenst
10. Kapitel
Nächtliche Vorbereitungen

Die kleine Bahnstation Zergewo in Pommern liegt etwa drei Meilen von dem Städtchen Gauben entfernt. Aus dem Zug, der kurz nach acht Uhr abends, von Berlin kommend, in dem Marktflecken eintrifft, stieg ein älterer, in einen dunklen Pelerinenmantel gekleideter Herr aus, der mit seiner goldenen Brille, dem wenig gepflegten Vollbart und der vornübergebeugten Haltung wie ein Dorfschulmeister aussah. Das bescheidene Männchen, das nur eine beschabte Handtasche bei sich trug, schaute sich suchend um, worauf es den Bahnsteig verließ und der Chaussee zustrebte.

Rüstig schritt Schaper, denn niemand anders als der Detektiv war der Alte, dahin. Die Chaussee lag völlig verlassen da. Die Nacht war dunkel, der Himmel mit leichten Wolken bedeckt. Das störte den Detektiv nicht. Er hatte sich längst an nächtliche Einsamkeit gewöhnt.

Die Mönchsabtei befand sich auf der anderen Seite der Stadt. Soweit hatte Schaper den Situationsplan noch von seinem ersten Besuch in Gauben her im Kopf. So bog er denn von der Chaussee auf ein abgeerntetes Roggenfeld ab und umging in großem Bogen den Ort. Nach einer guten halben Stunde war er dann an der rückwärtigen Mauer des einsamen Gehöftes angelangt.

Schaper blieb stehen und lauschte. Jenseits der hohen Steinmauer, deren Feldsteine dicht mit einer grünen Moosschicht bedeckt waren, hatte er ein Geräusch gehört. Es klang wie das Knarren von Balken, die hin- und herbewegt wurden.

Der Detektiv stand jetzt im Schutz eines Gestrüpps von wilden Rosen, die sich zum Teil an einem verkrüppelten Birnbaum hochgerankt hatten und ihm daher vorzügliche Deckung boten. Langsam zog er seinen Pelerinenmantel aus, faltete ihn zusammen und legte ihn vor sich auf den Boden. Dasselbe tat er mit dem grauen Anzug, den er über einen anderen, etwas engeren und dunkler gefärbten gezogen hatte. Darauf entnahm er seiner Reisetasche eine erdfarbene, weiche Reisemütze und tauschte sie gegen den schwarzen, steifen Hut. Auch die Brille wanderte als oberstes Stück auf den Kleiderhaufen. Alle übrigen Requisiten seines Handwerks trug Fritz Schaper bei sich: die Mehrladepistole, die elektrische Taschenlampe, ein Taschenstemmeisen und ein paar fein gearbeitete Nachschlüssel. Auf seine dünnsohligen Schnürstiefel konnte er sich verlassen. Die knarrten nicht.

Lautlos, wie ein Schatten, huschte er nun auf die Mauer zu. Da – wieder dasselbe Geräusch. Er stand eine Weile und horchte. In unregelmäßigen Abständen wiederholte sich dieses dumpfe Knarren. Bisweilen krachte es auch wie von brechendem Holz. Es half nichts. Er musste hinüber. So suchte er sich denn eine bequeme Stelle aus, wo er die Mauer unschwer übersteigen konnte.

Fünf Minuten später lag er acht Meter von der Prior-Kapelle entfernt in einem dichten Gebüsch und starrte unverwandt nach dem halb verfallenen Gemäuer hinüber. Ein paar Gestalten bewegten sich dort. Hin und wieder blitzte auch der Lichtschein einer Laterne auf. Dann knarrten Balken, ertönten dumpfe Schläge. Er hörte auch leise sprechen. Aber die Worte verstand er nicht. Jetzt schleppten zwei Mann eine Leiter zur Eingangstür der Kapelle, während ein Dritter ihnen leuchtete. Die Leiter wurde aufgerichtet, und einer der Männer kletterte bis zu dem spitzen, schweren Ziegeldach empor. Rasselnde, quietschende Töne.

Eine Säge, dachte Schaper. Und dann vernahm er ein leises Kichern, etwas wie ein schadenfrohes Lachen.

Der Detektiv hielt den Atem an. Wo hatte er nur dieses teuflische Kichern schon gehört, wo nur, wo?

Da, wieder dieses halb unterdrückte, widerliche Gelächter. Und der heimliche Lauscher sann und sann. Kein Zweifel, dem Mann dort war er bereits begegnet, und zwar hatte er dieses niederträchtige Kichern bei einem Anlass vernommen, bei dem er beruflich tätig gewesen war.

Da wurden Fritz Schabers Gedanken durch die Vorgänge bei der kleinen Prior-Kapelle wieder abgelenkt. Die drei Männer dort schafften jetzt die Leiter fort. Man merkte, dass sie bemüht waren, möglichst wenige Geräusche zu machen. Still schritten sie mit ihrer Last durch die Gänge des Gartens hin und lehnten die Leiter dann an die Rückwand des Hauptgebäudes, wo sie sie stehen ließen. Der Detektiv, der ihnen nachgeschlichen war, bemerkte jetzt, wie sie durch die Hintertür in das Haus schlüpften. Und gleich darauf hörte er auch das Kreischen eines Schlüssels, der zweimal im Schloss herumgedreht wurde.

Längere Zeit umkreiste er dann noch das Haus, um festzustellen, ob etwa der Dritte der Männer die Mönchsabtei wieder verließ. Aber alles blieb ruhig. Nur zwei Fenster in der ersten Etage zeigten sich erleuchtet. Diese waren jedoch mit dichten Vorhängen verschlossen, sodass Schaper den Gedanken, einen hohen Baum des Parkes als Beobachtungsposten zu erklettern, schnell wieder fallen ließ. Die Leiter, die ihm diesen Plan erleichtert hätte, nützte ihm nichts. Sie war für einen einzelnen Menschen zu schwer, wie er schon ausprobiert hatte.

Die Zeit ist gekommen, dachte der einsame Lauscher und schlich im Schatten der Baumgruppen unhörbar auf die Kapelle zu. Im Eingang derselben blieb er einen Moment stehen und schaute sich um. Nichts – nichts. Still und schweigend lag der große Garten da.

Fritz Schaper lächelte. Das war doch die Stunde der Gespenster? Wo blieb denn nun der graue Geist, der hier sein Unwesen treiben sollte?

Ruhig drückte der Detektiv den Schieber seiner Taschenlampe hoch, sodass urplötzlich ein heller Lichtkegel in den Innenraum des verwahrlosten Gotteshauses fiel. Eilig durchschritt er die Kapelle und machte erst vor der Rückwand des Sakristeianbaues halt. Er kannte ja die Örtlichkeit. Zum zweiten Mal befand er sich nun in dieser baufälligen Ruine. Heute wollte er sich die Entdeckung, die er schon damals in jener Nacht nach seinem Besuch bei dem Kaufmann Wernicke gemacht hatte, genauer ansehen.

Dort an der Rückwand erhob sich ein großer Schrank, hergestellt aus festen Eichenbrettern. Die Tür hing nur noch in einem Gelenk und lehnte mit der oberen Kante altersschwach an der Mauer. Dieser Schrank, der mit dicken eisernen Klammern wie für die Ewigkeit an der getünchten Wand befestigt war, hatte früher fraglos die Altargeräte und die Messgewänder enthalten. Jetzt war er völlig leer. Selbst die Zwischenbretter fehlten. Nur deren Stützen waren noch vorhanden.

Schaper fasste mit der rechten Hand in die obere hintere Ecke. Mit einem Mal bewegte sich die hölzerne Rückwand mit leisem Geräusch nach rückwärts und gab eine dunkle, gähnende Öffnung frei. Gebückt schlüpfte der Detektiv ein und schob die geheime Tür wieder zu. Er befand sich nun in einem schmalen, gemauerten Gang, der wie eine Kellertreppe steil abwärts führte. Ohne sich um die verstaubten Spinngewebe, die kreuz und quer über die enge Stiege gespannt waren, zu kümmern, eilte er die Stufen hinab, die noch recht gut erhalten waren. Am Fuße der Treppe blieb er stehen und ließ den Lichtschein seiner Laterne langsam über die einzelnen, mit Staub fingerhoch bedeckten Stufen hingleiten. Deutlich waren in dieser grauen Staubschicht eine ganze Anzahl von Fußspuren eingedrückt.

»Aha«, brummte Schaper vor sich hin. »Dies ist also der Ort, wohin der Geist so geheimnisvoll verschwindet. Nun, wollen sehen, ob dieses geheime Versteck uns noch mehr verrät.«

Der Gang verlief in gerader Richtung weiter. Nach ungefähr zwanzig Metern wurde eine zweite, bedeutend schmalere Treppe sichtbar, die in die Höhe führte und vor einer niedrigen Tür endete, deren Verschlussmechanismus auf dieser Seite ganz freilag und aus einer Anzahl eiserner Schieber, die offenbar frisch geölt waren, bestand. Der Detektiv brauchte nicht lange zu probieren. Schon öffnete sich das Türchen geräuschlos nach innen. Vorsichtigerweise hatte der nächtliche Eindringling die Laterne vorher ausgeknipst. Atemlos lauschte er in die Finsternis hinein. Nichts regte sich. Minutenlang verharrte er in derselben Stellung. Da erst wagte er Licht zu machen. Der weiße Kegel beleuchtete die getäfelte Wand eines breiten Korridors. Und einen Teil dieser Täfelung bildete die niedrige Tür zu dem verborgenen Verbindungsweg zu der Prior-Kapelle.

Schaper wusste genug. Lautlos, wie er gekommen war, verschwand er wieder. Gleich darauf tauchte er im Innenraum der Kapelle auf.

Möchte nur wissen, was die drei hier zu sägen und zu hämmern hatten, dachte er misstrauisch und beleuchtete überall die Wände und auch die Decke, die von dem spitzzulaufenden Dach gebildet wurde. Wie er dann den mit Schutt und Fußbodentrümmern bestreuten Boden absuchte, fand er gerade unter einem der Fenster, deren Glasscheiben längst herausgefallen waren, ein kleines Häufchen Sägemehl. Noch vier andere solcher Häufchen des gelblichen Holzpulvers entdeckte er, und alle diese lagen gerade unter den durch Wind und Wetter völlig aus ihrer Lage verschobenen Hauptstützbalken des Daches.

Schaper war mit einem Mal sehr nachdenklich geworden. Und dann kletterte er kurz entschlossen an dem Fensterkreuz empor und beleuchtete den einen der Stützbalken. Als er, bestaubt und beschmutzt und mit zerschundenen Händen wieder zu ebener Erde angelangt war, lag in seinen Augen ein drohendes Flimmern.

»Unglaublich – unglaublich!«, murmelte er kopfschüttelnd vor sich hin. »Doch – ich muss Gewissheit haben …«

Nunmehr umschritt er langsam von außen das alte Bauwerk, welches stellenweise so dicht mit Efeu überwuchert war, dass die grünen Blätter einen undurchdringlichen Vorhang bildeten. Trotzdem tastete Fritz Schapers Hand Zentimeter für Zentimeter die Mauer ab. Da, wie er an die Rückseite gekommen war, umspannten seine Finger plötzlich einen dicken Strick, der anscheinend vom Dach herunterhing. Es war derselbe Strick, den des Detektivs scharfe Augen, oben um den mittelsten Dachträger geschlungen, bemerkt hatten.

Die Nacht verbrachte Fritz Schaper in einem nahen Getreideschober. Eingehüllt in seinen Mantel, schlief er traumlos und fest. Gegen neun Uhr morgens erwachte er. Nachdem er den zweiten Anzug wieder übergestreift und sich, so gut es ging, gesäubert hatte, schritt er auf Umwegen der Chaussee zu und wanderte bis zum nächsten größeren Dorf, das eine Postagentur besaß. Hier gab er eine Depesche an seinen Bürovorsteher auf.

Erwarte Hiller und Maschke mit Schließzeug abends Bahnhof Zergewo. Schaper.

Das Telegramm wurde sofort expediert.

Dann fragte der Detektiv den Lehrer, der die Postagentur verwaltete, nach dem besten Gasthaus des Dorfes. Er hatte ja noch reichlich Zeit und wollte mit möglichst frischen Kräften den Ereignissen entgegengehen, die seiner in der folgenden Nacht warteten.