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Gold – Kapitel 10.2

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 10 Teil 2
Der indianische Häuptling

»Buenas dias!«, grüßte indessen der junge Häuptling, der ohne Weiteres die Leinwand zurückgeworfen hatte, die den Eingang verhing, während er zu dem Alkalden eintrat.

Dieser lag gerade in einer etwas verlängerten Siesta auf seinem Bett in der Ecke des Zeltes ausgestreckt und fuhr überrascht von seinem Lager auf. Als er aber den Häuptling erkannte, blieb er auf dem Rand seines Lagers sitzen, streckte sich ein wenig und erwiderte dann freundlich nickend: »Buenas dias, Kesos!« Damit hatte er aber auch so ziemlich seinen ganzen Vorrat an spanischen Wörtern erschöpft, und setzte dann, ohne viele Umstände, auf Englisch hinzu: »Was willst du?«

»Mit dir sprechen, Richter«, erwiderte da der Indianer in ziemlich gebrochenem, wenn auch verständlichem Englisch. »Doch nicht in deiner Sprache, die mir schwer und ängstlich auf der Zunge liegt. Schicke nach deinem Dolmetscher, denn ich habe dir viel zu sagen.«

»Hm«, brummte der sogenannte »Alkalde«, ein kleiner, ziemlich fetter Amerikaner, der von seinen Landsleuten, Gott weiß, aus welchem Grund, »Major« genannt wurde. »Viel zu sagen? Wäre mir gerade nicht lieb, denn ich habe mehr zu tun, als deine indianischen Scherereien anzuhören. Was hast du wieder?«

»Wo ist Sheriff?«, fragte der junge Häuptling indessen, ohne die Frage zu beantworten.

»Wo ist Sheriff?«, wiederholte aber der Alkalde ärgerlich. »Ja, wo ist Sheriff – was geht mich Sheriff an. Sheriff wird schlafen oder Gold waschen oder spazieren gehen, oder sonst tun, was ihm gerade gefällt. Habe ich mich um den Sheriff zu kümmern oder er sich um mich?«

»Hol ihn«, sagte lakonisch der Indianer.

»Hol ihn?«, rief aber, erstaunt über solche Keckheit, der Friedensrichter. »Das ist nicht übel: Hol ihn! Als ob ich sein Stiefelputzer wäre. Hol ihn selber, wenn du was von ihm willst. Ich brauche ihn nicht.«

»Gut!« sagte Kesos, drehte sich ohne Weiteres, wo er stand, herum und verließ ohne Gruß das Zelt, den Sheriff, den er kannte, selber aufzusuchen.

Major Ryoth blieb in einer höchst unbehaglichen Stimmung zurück, denn wenn er irgendetwas auf der Welt hasste, so waren es Geschäfte, mit denen ihn sein Sheriff schon überdies genug plagte. Außerdem kannte er den Einfluss, den der indianische Oberhäuptling auf die verschiedenen Stämme ausübte, und wusste, dass irgendetwas Außergewöhnliches vorgefallen sein musste, sonst hätte er keinen Dolmetscher verlangt, seine Verhandlung zu führen. Und war von den Indianern je Gold für ihre Klagen zu bekommen, nicht eines Bits wert. Ja, wenn es einer seiner Landsleute oder gar ein Fremder gewesen wäre, der den Schutz der amerikanischen Gesetze verlangt hätte, so konnte er seine zwei bis drei Unzen, ja noch mehr fordern, und tunkte keine Feder ein, bis er das Gold nicht sicher in seinem Verwahrsam hatte. Aber mit den Indianern war das eine andere, höchst unerquickliche und unergiebige Sache, die selten oder nie etwas eintrug. Und doch musste sie erledigt werden, wenn er nicht fürchten sollte, von dem Alkalden des Distrikt Court darüber zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Von den Bewohnern des Städtchens hatten sich indessen auch einige aus ihren Zelten eingefunden, den seltenen Besuch anzustaunen. Der Häuptling war nämlich überall als ein weit über seine Verhältnisse gebildet, ja eigentlich schon halb zivilisierter Indianer bekannt, während alle die benachbarten Stämme mit wahrhaft abgöttischer Verehrung zu ihm aufschauten und seine Befehle ohne Widerrede erfüllten. So zog er, während er eigentlich bei den Calaveres sein Hauptquartier hatte, von Stamm zu Stamm, ihre Streitigkeiten zu schlichten, ihre Beschwerden anzuhören – und leider gab es deren gerade in dieser Zeit genug.

Waren die Bleichgesichter nicht wie ein seine Dämme brechender Strom plötzlich von allen Seiten in ihr Land gefallen, nach dem gelben Metall gierig zu suchen? Hatten sie nicht ihre Eichenhaine gefällt, ihre Fischereien zerstört, ihr Wild getötet oder vertrieben, und waren sie selber nicht aus ihren Jagdrevieren wie die Tiere des Waldes verjagt worden? Wo sie dabei mit ihnen zusammentrafen, erlaubten sich diese weißen Eindringlinge Übergriffe in ihre Rechte, und die geringste Vergeltung, die sie verübten, zog die Rache von Tausenden über diese sonst so harmlosen Söhne der Wildnis herauf. Und weiter und weiter wurden sie zurückgedrängt, höher und höher hinauf, nicht allein in den tiefen Schnee der Gebirge, sondern auch in die Reviere ihnen feindlicher Stämme. Und immer noch steckten die Bleichgesichter ihren Verfolgungen keine Grenzen, immer noch mehr Land beanspruchten sie als ihr Recht und Eigentum – wie sollte das enden? Wo sollte endlich die Grenze zwischen dem weißen und roten Mann gezogen werden?

Die Mehrzahl der Indianer kannte allerdings nicht die Tragweite dieses, wie sie glaubten, vorübergehenden Überfalles. Sie wussten, die Weißen waren herübergekommen, um nach dem gelben Metall zu suchen, und dachten, sie wurden wieder gehen, wenn sie alles ausgegraben hätten. Kesos sah weiter. Er war schon selber in San Francisco gewesen, hatte die Schiffe gesehen, die dort mit Häusern und Werkzeugen einliefen, und erkannte bald zu seinem Schrecken, dass dieser Einbruch der verhassten Fremden mehr als ein vorübergehender Besuch sei. Überall umzäunten sie schon große Stücke Land und ackerten es um. Auf den Missionen hatte er gelernt, was das bedeute: Saat hatten sie dort in die Erde getan, von der sie in späterer Zeit ernten wollten, und die Häuser, die sie schon anfingen zu bauen, sahen dem Wilden nicht so aus, als ob sie nur für den milden Winter einer einzigen Jahreszeit errichtet wären. Als die Missionare herüberkamen und ihre Missionsgebäude aufgestellt hatten, gedachten sie nicht, das Land wieder zu verlassen, sondern nur immer mehr und mehr Boden zu gewinnen. Die jetzigen Ankömmlinge würden es nicht anders machen.

Er hatte auch die furchtbare Zahl der Fremden gesehen. Er kannte die Gewalt ihrer Feuerwaffen und wusste, welches Übergewicht ihnen diese über seine armen nackten, nur mit schwachen Bogen und Pfeilen bewehrten Landsleute geben musste. Er fühlte das Verzweifelte ihres Kampfes, ihres Widerstandes gegen diesen Koloss, und sein Herz blutete. Aber er war auch entschlossen, ihnen Schritt für Schritt streitig zu machen. Er war entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Nur die eine Hoffnung blieb ihm noch dabei, dass die Weißen untereinander nicht einig schienen.

Er hatte genug von fremden Sprachen und seinem häufigen Verkehr mit den katholischen Missionaren gelernt, einen Unterschied zwischen Americanos, Mexikanern und Franzosen zu machen, und es kannte ihm dabei nicht entgehen, dass die in Masse einströmenden Abkömmlinge der spanischen Rasse eher mit den Franzosen und anderen Fremden zusammenhielten, den Amerikanern aber bitter feind waren. Hatten ihnen diese ja doch auch den ihnen sonst gehörenden Küstenstrich mit der Gewalt der Waffen beraubt. Nur also mit der Hilfe der einen durfte er hoffen, die anderen zu besiegen.

Armer Indianer, du hattest deine Hoffnung auf einen schwachen und morschen Anker, auf eine feige, entnervte Nation gestützt und kanntest die allmächtige Gewalt des Goldes nicht. Und was half es dir, wenn selbst die Mexikaner sich ermannt und den übermütigen Amerikanern die Spitze geboten hätten -etwas, wozu sie nicht einmal den Mut und die Kraft besaßen, als es galt, ihren eigenen Herd gegen den einbrechenden Feind zu verteidigen.

Jene Berge, in denen deine Heimat lag, bargen Gold, und wer auch immer Sieger geblieben wäre, für dich und die deinen waren und blieben sie auf ewige Zeiten verloren.

Aber Kesos, selbst in so jugendlichem Alter zu dem höchsten Rang emporgehoben, den ein Kind seines Stammes bekleiden konnte, sah die Zukunft noch nicht so schwarz und düster vor sich liegen. Er wollte nicht glauben, was ihn selbst manchmal in trüben Stunden wie eine Ahnung künftigen Leids beschlich, und die Hoffnung, dies Kind des Himmels, uns armen Sterblichen zum Trost, zur letzten Stütze gegeben, hielt ihn aufrecht.

Solange der Mensch noch hofft, lebt er auch – nehmt ihm die letzte Hoffnung, und er wird, er muss zum Selbstmörder werden.