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Detektiv Schaper – Das graue Gespenst – 5. Kapitel

Detektiv-SchaperM. v. Neuhof
Detektiv Schaper
Zweiter Teil
Das graue Gespenst
5. Kapitel
Zum ersten Mal in Gauben

Eine ganze Stunde hatte sich der Detektiv mit der alten Frau in der guten Stube des Vorstehers des Altenheims unterhalten. Diese Unterredung war wieder einmal eine von denen gewesen, bei der Fritz Schaper mit allen Mitteln seines scharfen Verstandes gekämpft hatte. Dass die Greisin tatsächlich geistig noch vollkommen frisch war, merkte er bereits nach den ersten Antworten, die sie ihm mit größter Zurückhaltung und recht unfreundlich gab.

Sie wisse nichts, gar nichts – dabei blieb sie.

Da hatte der Detektiv andere Saiten aufgezogen. Er fühlte geradezu, dass die Alte, die sich weinerlich immer wieder auf ihr schwaches Gedächtnis berief, von irgendeiner Seite beeinflusst war. Sofort hatte er an den Herrn gedacht, dessen Spuren er schon an allen in Betracht kommenden Stellen begegnet war. Und daher sagte er der Greisin dann sehr energisch auf den Kopf zu, dass der Herr, der gestern bei ihr gewesen sei, sie durch ein Geldgeschenk zum Schweigen verpflichtet habe.

Die Anton spielte recht geschickt die Erstaunte. Es wäre niemand zu ihr gekommen, alles wäre Unsinn. Worauf Schaper zu dem Vorsteher ging, der dann auch bestätigte, dass am Tag vorher kurz nach dem Mittagessen ein Fremder ebenfalls eine längere Unterredung mit der Anton gehabt habe.

Als der Detektiv dann der Alten wieder gegenübertrat und ihre Lüge nachwies, bekam es die Greisin mit der Angst zu tun.

Sie gab alles zu. Der fremde Herr hätte ihr zwanzig Mark geschenkt unter der Bedingung, dass sie seinen Besuch möglichst verheimliche. Und wie ihr Schaper nun sozusagen als Pflaster für die eben ausgestandene Angst noch ein Goldstück in die Hand drückte, da hatte er in wenigen Sekunden auch das Letzte erfahren, was er wissen wollte.

Charlotte Wendel, die Millionenerbin, befand sich seit zwei Jahren als Erzieherin bei einer Familie in München unter dem Namen … Rita Meinas. Straße und Hausnummer konnte die Greisin jedoch nicht angeben, da das junge Mädchen ihrer Vertrauten in der Zwischenzeit nur einmal geschrieben und ihr in dem Brief aufs Strengste anbefohlen hatte, diesen sofort zu verbrennen, was die treue Person auch pflichtschuldigst getan hatte, ohne sich die Adresse irgendwie zu merken.

Diese Angaben hatten so sehr den Stempel der Wahrheit getragen, dass Fritz Schaper an ihrer Richtigkeit auch nicht einen Moment zweifelte.

Fraglos wäre er noch befriedigter von der jetzt wieder ganz vergnügten Alten geschieden, wenn nicht eben auch der andere, dieser Fremde mit den Frauenhänden und der goldenen Zahnkrone, dieselben Erfolge bei seinen Nachforschungen gehabt hätte wie er selbst.

Von dem Altenheim begab sich Schaper ungehindert nach der Post und ließ folgendes Telegramm an seinen Bürochef Lemke befördern.

»Hiller sofort nach München. Rita Meinas Erzieherin bei Familie feststellen und sperren. Auf mein Eintreffen warten. Nachricht Hauptpost.«

»Sperren« war ein bei dem Detektivinstitut Argus eingeführtes Geheimwort und bedeutete: Lebensweise, Verkehr, Gewohnheiten des Betreffenden feststellen und ihn nicht aus den Augen lassen.

In aller Behaglichkeit nahm Schaper hierauf in dem berühmten Danziger Ratskeller eine reichliche Mahlzeit ein. Der Personenzug nach Stolp in Pommern, der auch in Gauben hielt, ging ja erst um drei Uhr nachmittags ab.

Gegen sieben Uhr abends traf der Bummelzug in dem Städtchen ein. Dieses lag, wie der Detektiv schon unterwegs von einem Mitreisenden erfahren hatte, beinahe zwei Kilometer vom Bahnhof entfernt, sodass Schaper kurz entschlossen den einzigen Hotelwagen benutzte. Sehr zu des Kutschers Erstaunen kletterte er jedoch nicht in das Innere des schon recht klapperigen Marterkastens, sondern suchte sich den luftigeren Platz neben dem Rosslenker aus.

»Den köstlichen Augustabend genieße ich lieber in der freien Luft als in Ihrer stickigen Glaskutsche«, sagte er freundlich zu dem biederen Pommern, indem er ihm aus seiner Zigarrentasche drei Exemplare »mit Binden« hinreichte.

Bald befanden sich die beiden auf dem Bock in recht lebhafter Unterhaltung. Und als der Wagen vor dem sauberen Hotel »Zu den drei Kronen« hielt, hatte Schaper aus dem harmlosen Menschen alles hervorgeholt, was dieser nur über die Mönchsabtei und ihre Bewohner wusste.

Eine Stunde später machte sich der Detektiv, der sich in das Fremdenbuch als Franz Schneider, Güteragent, Berlin eingetragen hatte, auf den Weg zu dem Kaufmann Wernicke, dessen Kolonialwarengeschäft sich gerade gegenüber am Markt befand.

Ernst Wernicke saß mit seiner besseren Hälfte in dem Vorgärtchen auf der weißgestrichenen Bank.

Nachdem er den Gast in sein Privatkontor geleitet und zum Platznehmen aufgefordert hatte, hielt es Schaper für angebracht, sein Inkognito zu lüften.

»Ich habe Sie eben ein bisschen angeschwindelt, Herr Wernicke«, meinte er gemütlich. »Ich bin nämlich alles andere als Güteragent und heiße auch nicht Franz Schneider. Mein wahrer Name ist Fritz Schaper, Privatdetektiv, Berlin.«

Der Kaufmann riss ordentlich die wässerigen Augen auf. Dann kam ihm die Sache aber anscheinend äußerst spaßig vor und er lachte, dass ihm ordentlich die Weste wackelte.

»Ne, können Sie aber schwindeln, Herr Schaper … Ich hätte meinen Kopf gewettet, dass Sie so ein Berliner Landräuber sind, wie wir die Agenten hier nennen. Sie erzählen ja auch gleich große Geschichten von Ihren Absichten auf größere Terrains … Ne, so was …!«

»Das geschah alles nur Ihrer Frau Gemahlin wegen, Herr Wernicke. Hier darf nämlich niemand meinen Beruf ahnen. Ich sage niemand, auch Ihre Gattin nicht! Verstehen Sie mich …?«

»Freilich, Herr Schaper. Auf mich können Sie sich in dieser Beziehung wirklich verlassen.«

Der Detektiv nickte dem Kaufmann freundlich zu. »Ich sehe, wir verstehen uns, Herr Wernicke. Und nun an die Arbeit. Wie verhält sich die Sache nun eigentlich mit diesem famosen grauen Gespenst …?«

Der Kaufmann hob warnend die Hand. »Sie sollen nicht spotten …!«, sagte er ernst. »Die Geschichte ist wirklich mehr als unerklärlich. Wenn ich die Erscheinung nicht selbst gesehen hätte, so würde ich auch darüber lachen. So aber …«

Schaper hatte schon eine ironische Bemerkung auf der Zunge, unterdrückte sie aber noch im letzten Moment. Statt dessen sagte er: Der Bericht, den Ihr Mieter Herr Müller mir eingeschickt hat, ist recht unvollständig. Ist das Gespenst zum Beispiel erst nach dem Einzug des Privatgelehrten in die Mönchsabtei aufgetaucht oder schon vordem gesehen worden?«

»Am besten, ich erzähle Ihnen im Zusammenhang, was ich darüber weiß, Herr Schaper. Ich kaufte das alte Klostergrundstück vor sechs Jahren. Dass die Leute schon immer erzählten, dass es dort umgehe, störte mich nicht. Schon als Kind – ich bin geborenen Gaubener – kannte ich die Geschichte des Abtes, der in seinem Grab in der Lebensbaumallee keine Ruhe finden soll und von Zeit zu Zeit zu nächtlicher Stunde, gehüllt in ein graues, schleppendes Gewand, durch den Garten wandelt.

Als Herr Müller dann vor etwa einem halben Jahr nach Gauben kam, sagte ich ihm ehrlich die Wahrheit, weswegen das alte Gebäude bisher leer gestanden habe. Er lächelte sehr überlegen und … zog ein. Bald darauf ließ er mich durch seinen Diener zur Abtei bitten und erzählte mir, auf welche Weise er sich überzeugt habe, dass das Gespenst wirklich vorhanden sei.«

»Das hat er mir geschrieben«, unterbrach Schaper ihn hier. »Bitte, schildern Sie mir nun, was Sie selbst gesehen haben.«

»Ja – ich habe die Erscheinung gesehen. Auf meine Augen kann ich mich verlassen«, meinte Wernicke mit Nachdruck. »Ich hatte mit Herrn Müller verabredet, dass ich gelegentlich zu ihm kommen wolle, damit wir gemeinsam im Garten aufpassen könnten. Es war am 23. Mai. Das Datum werde ich so leicht nicht vergessen. Gegen neun Uhr abends wanderte ich zu der Abtei hinaus. Ich traf es insofern schlecht an, als der Diener Hartung mit einem Erkältungsfieber zu Bett lag. Der Kranke, den ich ebenfalls begrüßen ging, wollte nun durchaus aufstehen, um sich bei der Wache beteiligen zu können. Aber Müller ließ das nicht zu. Und so mussten wir beide allein in der finsteren Nacht in den großen Garten hinabschleichen. Wir setzten uns im Schatten einer Linde mit weitüberhängenden Ästen auf eine Bank und warteten. Nach einer Stunde etwa – es mag gegen elf Uhr gewesen sein – packte Müller plötzlich meinen Arm und flüsterte ganz heiser … ›da … da …‹ Der Mond war gerade von Wolken entblößt, und in dieser Dämmerung erblickte ich ganz deutlich eine hohe Gestalt, die beinahe feierlich langsam auf die Kapelle zuschritt.«

»Danke. Das Übrige hat mir Ihr Mieter genau mitgeteilt. Die Azetylenlaterne verlöschte plötzlich, Müller stand wie festgebannt und der Geist verschwand in der Kapelle. Und was taten Sie währenddessen, Herr Wernicke?«

»Ich … ich saß an allen Gliedern zitternd auf der Bank, vermochte mich nicht zu rühren, war wie gelähmt«, stotterte der dicke Herr, »und hätte nimmer gewagt, der Erscheinung gegenüberzutreten, wie Herr Müller dies riskierte«, fügte er ehrlich hinzu.

Fritz Schaper strich sich nachdenklich über das Kinn. Und erst nach einer geraumen Weile fragte er: »Herr Müller hat Ihnen wohl mitgeteilt, dass ich den Fall hier übernehmen will?«

»Ja. Gestern schickte er Hartung zu mir. Er selbst ist nämlich krank.«

»Krank? Seit wann denn?«

»Seit fünf Tagen, soweit ich mich erinnere. Gesichtsreißen und Gicht, sagte Hartung.«

Wieder schaute der Detektiv grübelnd vor sich hin.

»Haben Sie den Geist noch ein zweites Mal gesehen, Herr Wernicke?«, fragte er darauf.

»Nein. Verspüre auch keine Lust dazu. Ich war froh, als ich wieder daheim in meinem Bett lag.«

Schaper erhob sich. »Dann will ich nicht weiter stören. Grüßen Sie bitte Herrn Müller von mir. Leider muss ich morgen früh schon weiterreisen. Aber in einigen Tagen komme ich wieder her.«

Wernicke machte ein sehr enttäuschtes Gesicht. »Ich hoffte, Sie würden die Sache nun sofort aufklären«, meinte er.

»Geht beim besten Willen nicht. Ich muss zunächst eine andere sehr dringende Sache erledigen.«

»Und Sie kommen wirklich wieder?«

Schaper lachte. »Denken Sie etwa, ich fürchte das graue Gespenst? Nein, bester Herr Wernicke! Ich bin schon mit anderen, gefährlicheren Geistern fertig geworden. Auf Wiedersehen also …!«

Wenn der Kaufmann aber gedacht hatte, dass der Detektiv jetzt behaglich in den »Drei Kronen« einen Abendschoppen trinken würde, so täuschte er sich gründlich. Nur dazu, nur mit Herrn Ernst Wernicke eine Stunde zu verplaudern, war Schaper wahrlich nicht nach Gauben gekommen, im Gegenteil. Keine zwei Stunden später, nachdem es völlig dunkel geworden war, schwang sich eine schlanke Gestalt über die hohe, verwitterte Mauer der Mönchsabtei in den Garten hinab und schlich lautlos auf das Gebäude zu, durch dessen Fensterladen nur im Erdgeschoss ein einzelner schmaler Lichtstreifen zu sehen war.

Dass der Privatgelehrte Müller sich keine Hunde hielt, hatte Schaper schon von dem Hotelkutscher erfahren. Mithin konnte er sich ziemlich frei bewegen. Er gedachte, das Terrain zunächst einmal allein zu besichtigen. Denn dass hier bei dieser Gespenstergeschichte irgendein grober Schwindel vorlag, dessen war er gewiss. Damals, als er den Brief des Privatgelehrten sorgfältig gelesen hatte, tauchte sofort der ziemlich naheliegende Verdacht in ihm auf, dass Müller mithilfe seines Dieners den Geisterbeschwörer spielte. Diese Annahme glaubte er nun aber wieder verwerfen zu müssen. Wernicke hatte ihm ja bestätigt, dass das graue Gespenst schon vor dem Einzug des Privatgelehrten beobachtet worden war. Und genau dasselbe hatte er auch von dem Hotelkutscher gehört. Der Spuk war mithin älter. Doch wozu wurde er überhaupt in Szene gesetzt? Der, der hier den Geist zeitweise so vortrefflich mimte, musste damit doch irgendeinen bestimmten Zweck verfolgen! Nur um seine Mitmenschen zu narren, würde sich doch kein Mensch der nicht unbeträchtlichen Gefahr aussetzen, einmal gefasst und zum geringsten weidlich verprügelt, wenn nicht gar wegen groben Unfugs angezeigt zu werden …? Nein, hier spielten sicher noch andere Dinge mit. Suchte man Wernicke die Mönchsabtei vielleicht absichtlich zu verleiden, damit er sie ganz billig weiter veräußere? Jedenfalls hatte der Detektiv sich vorläufig noch keine abschließende Meinung über diese Angelegenheit bilden können. Möglicherweise brachte ihm dieser nächtliche Ausflug bereits die nötigen Aufschlüsse.

Beinahe zwei Stunden vergingen, bevor Fritz Schaper wieder auf der Gartenmauer auftauchte und langsam den Rückweg zur Stadt einschlug.

Vormittags mit dem D-Zug, dem er mit dem Bummelzug bis Stolp entgegengefahren war, setzte er seine Reise fort. Um vier Uhr traf er auf dem Stettiner Bahnhof in Berlin ein, und drei Stunden später saß er schon wieder in einem Schlafwagenabteil und rollte der Hauptstadt des Bayernlandes entgegen.