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Der Welt-Detektiv Band 6

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Das Harzmärchenbuch von August Ey Teil 49

Sagen und Märchen aus dem Oberharz
Gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862

Der junge Riese

Ein Mann, der nicht gern was tat, ließ seine Frau und seinen Sohn sitzen und wanderte aus. Die Frau ließ es sich erst recht sauer werden, um sich und ihr Kind durchzubringen. Der Junge wurde größer und größer, wollte auch gern etwas mit verdienen, es war aber keine Gelegenheit dazu. Deshalb entschlossen sich beide und suchten auch das Weite. Auf der Reise ging der Knabe einmal vom Wege ab in die Hecke, er sah da nämlich ein Bändlein am Baum hängen, das holte er sich und band es um seinen rechten Arm. Als er zurückkam, musste er über einen Hagen springen, im Sprung griff er einen Ast am Baum und risst so den Baum mit um. Da merkte er, dass er mehr Kraft hatte als bisher. Er packte nach einem stämmigen Baum und im Nu hatte er auch den aus der Erde gerissen. Da war er überzeugt, das Bändchen hatte ihm die Riefenkraft gegeben und sprach zu seiner Mutter: »Mutter, nun sind wir gerettet. Jetzt fürchte ich mich vor nichts mehr. Jetzt will ich uns schon Brot verdienen. Solche Kraft hat nicht ein jeder.«

Sie gingen weiter, es wurde Abend, sie kamen in dem Wald an ein Haus, darin wohnte ein Riese, ein furchtbar großer Kerl. Weil der vor der Tür stand, so fragte der Sohn, ob er sie diese Nacht wohl beherbergen wolle, sie wollten es gern bezahlen.

»Nein«, sagte der Riese, »bezahlen lasse ich mir das nicht.« Er wolle ihnen aber einen andern Vorschlag machen. Sie sollten diese Nacht und immer bei ihm bleiben und es gut haben, wenn sie seine Frau und der Sohn sein Sohn sein wollten. Beide waren damit zufrieden, blieben da und hatten es auch gut.

Bei der Arbeit sah der Riese aber, dass sein Sohn noch mehr Kraft hatte als er und sagte deshalb zu seiner Frau, dem Jungen müssten sie über die Seite helfen, sonst mache der ihnen noch viel zu schaffen. Die Frau wollte erst nicht daran, denn es war doch ihr Fleisch und Blut, es war ihr Sohn, musste aber endlich, sonst war sie ihres Lebens nicht sicher. Der Riese befahl, sie solle krank stellen, dann wolle er den Jungen zum Berg schicken, der gegenüberläge, von dort solle er Heidelbeeren holen und drei davon essen. Dann sänke er in Schlaf und würde dann von den Räubern, die dort drüben

hausten, aus dem Weg geräumt. So kam es auch. Am folgenden Morgen stand die Frau nicht auf, der junge Riese fragte, wo seine Mutter bliebe. Da sagte der alte Riese, sie läge krank im Bett. Es könne ihr aber leicht wieder geholfen werden, wenn sie von jenem Berg ein paar Hände voll Heidelbeeren genösse. Da sprach der Sohn, der seine Mutter unendlich lieb hatte, und gar nichts Arges ahnte, er wolle gleich hingehen und ein Körbchen voll holen. Da riet ihm sein Vater, wenn die Heidelbeeren schnell helfen sollten, so müsse er drei davon essen. Zuvor ging er aber doch erst einmal zu seiner Mutter und wollte sie, ehe er wegging, erst noch einmal sehen. Sie stellte sich dabei auch sehr krank. Hierauf nahm er Abschied und ging eilig fort. Unterwegs zum Berge begegnete ihm ein Löwe, der kam auf drei Beinen zu ihm ein und streckte ihm die eine Tatze entgegen. Der junge Riese fürchtete sich aber nicht, ging darauf los, fasste die Tatze, untersuchte sie und fand einen Dorn darin stecken. Er zog ihm den Stachel heraus und verband die Pfote mit seinem Tuch. Aus Dankbarkeit blieb der Löwe bei ihm und schnurrte und wedelte mit dem Schwanz. Beide kamen miteinander an den Berg, der junge Riese pflückte sein Körbchen voll Heidelbeeren und aß, wie ihm sein Stiefvater vorher geraten hatte, drei Heidelbeeren davon. Kaum hatte er sie aber hinter, so wurde er so todmüde, dass er sich hinlegen und schlafen musste. Der Löwe aber legte sich neben ihn hin. Kaum war aber der junge Riese eingeschlafen, so kamen die Räuber. Der Löwe rüttelte seinen Wohltäter hin und her, zuletzt gab er ihm mit der Tatze eine Ohrfeige, dass er aufwachen sollte. Er wachte aber nicht auf. Da konnte der Löwe nicht anders und ging auf die Mörder los. Zwei schlug er gleich nieder, einen zerriss er in der Geschwindigkeit, die anderen griffen zum Hasenpanier. Der junge Riese schlief ruhig bis an den anderen Morgen fort, dann wachte er auf und ging mit seinem Begleiter nach Hause. Vor der Haustür drehte der Löwe um und ging wieder zum Wald. Der alte Riese war ärgerlich, dass sein Stiefsohn wiederkam, tat aber freundlich gegen ihn. Die Kranke war unterdessen gesund geworden. Kurze Zeit ging danach wieder hin, da wurde die Mutter wieder krank, und der Sohn musste fort und Heidelbeeren pflücken, mit dem Bemerken, wenn er den Korb voll hätte, drei Heidelbeeren davon zu essen. Er ging. Kaum trat er in den Wald, so war der Löwe wieder bei ihm und begleitet ihn. Es geht wieder so, nur statt der Räuber kam diesmal eine Schar Wölfe, und der junge Riese schlief. Der Löwe schüttelte und rüttelte erst den Schläfer,

er wachte aber nicht auf. Da begann der Löwe dazwischen zu fahren, und die Wölfe machten, dass sie fortkamen. Der junge Riese war wieder gerettet. Am anderen Morgen begleitete ihn der Löwe bis vor die Haustür und kehrte dann um. Die Hausfrau war schon wieder genesen, und der Stiefvater sprach, er bliebe jedes Mal lange aus.

Ja, sagte der junge Riese, er hätte erst ein wenig geschlafen. Der Vater sagte, wahrscheinlich wäre gleich danach, als jener die Beeren gegessen hätte, von seinem Essen die Mutter gesund geworden. Nach etlichen Wochen war die Mutter des Nachts wieder krank geworden, und der Sohn ging gleich von selbst fort und wollte Heidelbeeren holen. Alles ging wie das vorige Mal. Statt der Wölfe kam dieses Mal eine Schlange. Der Löwe versuchte, seinen Wohltäter zu wecken, da er aber nicht erwachte, so begann er den Kampf mit der Schlange und bezwang sie. Das hatte aber Arbeit gekostet, denn die Schlange hätte das edle Tier um ein Haar übermannt. Wie der Schläfer erwachte, so blutete der Löwe noch aus vielen Wunden, die ihm die Schlange versetzt hatte und konnte sich noch kaum erholen. Da aber der Erwachte das besiegte Untier von einer Schlange sah, nahm er seinen Retter in den Arm, drückt ihn voll Dank an seine Brust und nahm ihn mit nach Hause. Als sein Vater sah, dass der Sohn in solcher Gesellschaft kam, quoll ihm vor Ärger das Herz, und er beschloss, ihn auf andere hinterlistige Weise umzubringen. Aber wie, das wusste er noch nicht.

Vor der Haustür wendete der Löwe aber auch dieses Mal wieder um. Des Nachts, als der Sohn im Bett lag, nahm der Vater einen Doppelspieß, der gerade auf beide Augen passte, und stach dem jungen Riesen mit einem Stich beide Augen aus. Geblendet suchte er das Weite und kam auf die Heerstraße, da war aber auch gleich sein treuer Löwe wieder bei ihm. Der unglückliche Sohn klagte ihm sein Leid und fragte, ob er kein Mittel wüsste, ihm zu helfen.

Da fing der Löwe an zu reden und sprach: »Hörst du das Rollen eines Wagens?«

»Ja«, sagte der Geblendete, »warum?«

»Warte«, antwortet der Löwe, »in dem Wagen kommt dir Hilfe und Rettung.«

Es dauert nicht lange, so war der Wagen da, es stieg eine feine, freundliche Dame heraus und bat den Blinden, mit dem Löwen mit in den Wagen zu steigen. Beide taten es und fort ging es im Galopp. Sie fuhren den ganzen Tag.

Gegen Abend, als die Sonne bald untergehen wollte, kamen sie an einen See. Die Dame sagte zu dem Blinden, er möge einmal aussteigen. Er tat es.

Sie führte ihn ans Wasser und sagte, er solle sich damit waschen. Auch das tat er.

Und – o Wunder, nach und nach kam ihm sein Augenlicht und am Ende konnte er ganz sehen. Da drückte er der Dame die Hand und sagte, er könne ihr nicht genug danken, dass sie ihm wieder zu seinem Augenlicht verholfen habe, wenn er es ihr nur wieder vergelten könne!

O, sagte sie, das könne er wohl, ob er ihr Mann werden wolle? Sie wäre eine verwünschte Prinzessin, ihr Vater wäre auch verwünscht, und das wäre der Löwe, der da bei ihm wäre. Wenn er nun wirklich so dankbar wäre, wie er spräche, so wären sie beide gerettet.

Da schwor er bei Gott, dass er so dankbar sei, wie er gesagt hätte.

Da verwandelte sich der Löwe in einen alten stattlichen Mann, die Dame in ein allerliebstes junges Mädchen.

Alle drei umschlangen sich und schlossen den Bund der Treue. Dabei fand es sich, dass der Löwe ein verwünschter König, die Dame eine verwünschte Prinzessin, der alte Riese der Zauberer gewesen ist, der sie verwünscht hatte.

Als der junge Riese das hörte, wie an all dem Unglück der alte Riese gehabt hatte, da fuhren sie zurück, der junge Riese schlug seinen Stiefvater tot und nahm seine Mutter mit. Nachher wurde er noch König und hatte mit seiner Jungfrau recht glücklich gelebt. Nun ist es aus.